Vor der Morgenröte

DAS DILEMMA DER INTELLEKTUELLEN

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morgenröte

Zu viel über sich und die Welt nachzudenken, ohne dabei den Verstand zu verlieren ist ein Ding der Unmöglichkeit. Vor allem für jene, die das komplexe Ganze erfassen wollen. Und die Irrwege der Menschheit zu analysieren versuchen. Der berühmte österreichische Literat Stefan Zweig war so jemand. Ein Intellektueller und Feingeist, ein Virtuose der deutschen Sprache und ein großer Humanist. Dass er zuletzt seine legendäre Schachnovelle erst spät im Exil verfasst hat, ist zum Beispiel ein Detail am Rande, dass ich selbst nicht gewusst habe. Dabei spielt sich die Handlung dieses Buches fast zur Gänze im Geiste des Protagonisten ab. So wie sich in diesem filmischen Künstlerportrait das Ringen und Hadern mit dem Schicksal Stefan Zweigs in Gedanken und Worten manifestiert. Schauspielerin Maria Schrader verzichtet in ihrer zweiten Regiearbeit auf einen stringenten Handlunsgverlauf, wenn nicht gar auf die Handlung selbst. Ihr Psychogramm des großen Wortkünstlers ist eine Aneinanderreihung einiger Episoden aus den letzten Lebensjahren – Dialoge, Gespräche und Momentaufnahmen. Geschmackvoll unterbrochen durch papierene Inserts, gesättigt mit überlegt komponierten Bildern aus dem tropisch heißen Brasilien und dem klirrend kalten New York. Gegensätze, die sich in diesem Film gut ergänzen und die Hin- und Hergerissenheit Stefan Zweigs gekonnt visualisieren. Denn das Dilemma des europäischen Intellektuellen hat in dem mehr als zweistündigen Drama Platz genug, sich klar zu erklären. Einerseits verzeiht sich Stefan Zweig selbst nicht, sein Heimatland im Stich gelassen zu haben. Der Gang ins Exil ist aus seiner Sicht eine Bürde aus Schamgefühl und Feigheit. Andererseits ist es die Sehnsucht eines Patrioten und Heimatliebenden nach dem Ort seiner Herkunft. Und drittens ist es die erkannte Aussichtslosigkeit eines ewigen Krieges, dessen Ende er nicht abzusehen wusste. Zweig ist zu einem pessimistischen, unglücklichen Menschen geworden, dessen ganz persönliche Endlösung nur die des Selbstmords hat sein können. Eine erschütternde Konsequenz eines denkenden, verstehenden und konsequenten Geistes. Brasilien war zwar ein Land, das der Dichter auf seine Art und Weise schätzen und lieben gelernt, aber keine Sekunde als seine Heimat angesehen hat. Wenn man so will, war Zweig einer der ersten EU-Bürger, lange bevor die Idee einer europäischen Einheit überhaupt in den Köpfen der Nachkriegspolitiker erwachsen war. Die Idee einer humanistischen, friedvollen Einheit, die mit- und untereinander im Einvernehmen verkehrt, war die ideale Welt des Exilösterreichers. Und hätte er im späten 20. Jahrhundert gelebt. wäre Zweig wohl ein idealer Kandidat für die Präsidentschaft der Europäischen Union geworden.

Politiker und Menschenversteher, Sozialphilosoph und stiller Denker. Das Denkmal, das Maria Schrader diesem berühmten Intellektuellen geschaffen hat, ist ein bebildertes Hörspiel geworden. Ein semidokumentarischer Zusammenschnitt aus ruhigen Einstellungen und der untröstlichen Mimik eines Josef Hader, der in seiner Interpretation Zweigs alle Attitüden eines Kommissar Brenner abgelegt hat und völlig neue Facetten seines Könnens präsentiert. Überzeugend in fast jeder Minute, in famosem Dialog mit Barbara Sukowa als Vollblutschauspieler wiederentdeckt. Man merkt vor allem in der Wahl ihres Inszenierungsstils ganz klare Einflüsse von Michael Haneke, der mit dem spartanischen Werk Das weiße Band die Kraft nüchterner, indirekter Bilder zu nutzen wusste. Genauso hat nun auch Schrader gearbeitet – am deutlichsten sichtbar geworden in der finalen, wohl besten Szene des ganzen Filmes, in welcher der Tod Stefan Zweigs aus dem Spiegel einer Schranktür betrachtet, fast wortlos erfahren und erklärt wird.

Trotzdem schafft es das Psychodrama nicht vollends zu überzeugen. Vor allem die erste Episode des Filmes ist viel zu lange geraten. Der ohnehin schon spannungsfreie Film fordert dadurch enorme Geduld und volle Aufmerksamkeit. Bis sich dann mal der innere Konflikt Stefan Zweigs auf seine Umgebung überträgt, vergeht fast schon die Hälfte des Filmes.

Vor der Morgenröte ist durchaus vor allem schauspielerisch und filmtechnisch sehenswertes Künstlerkino für die gebildete Elite. Lehr- und aufschlussreich. Vielleicht sogar ein Must See für die literaturinteressierte Oberstufe. Zwar etwas zäh, aber eine Einladung dafür, Zweigs Werke erstmalig oder erneut zur Hand zu nehmen.

Vor der Morgenröte

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