The North Sea

ROHSTOFFJUNKIES AUF ENTZUG

5/10


northsea© 2022 Koch Films


LAND / JAHR: NORWEGEN 2022

REGIE: JOHN ANDREAS ANDERSEN

CAST: KRISTINE KUJATH THORP, HENRIK BJELLAND, ROLF KRISTIAN LARSEN, BJORN FLOBERG U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Diesmal ist es nicht das Verschulden eines multinationalen Ölkonzerns wie BP, der im Falle der Katastrophe von Deepwater Horizon bis heute ganze Küstenstriche Nordamerikas auf dem Gewissen hat. Diesmal ist es die Erde selbst, die sich räuspert – in spürbaren Bad Vibrations tief unterhalb des Meeresspiegels, und genau dort, wo norwegische Ölplattformen das Gebiet bereits durchlöchert haben wie einen Schweizer Käse. Bei so viel Perforation mag Gaia die lästigen Kletten gerne abschütteln – was sie auch tut. Das große Krachen beginnt, Öl sprudelt hoch und zeigt sich brennbar, während der Stahlbeton ächzt und knarrt und alles irgendwann irgendwie explodiert. Bevor es aber so weit kommt, gelingt dem fiktiven Konzern Ekofisk, seine Belegschaft per Helikopter in Sicherheit zu bringen – bis auf einen Mann, natürlich selbstloser Familienvater mit ehrbarem Gewissen, der im letzten Moment noch das letzte Bohrloch dicht machen will, bevor Schlimmeres passiert. Nun: es passiert Schlimmeres, Wasser dringt in den Schacht, die Helis sind längst weg. Geht natürlich nicht, dass genau die Bezugsperson für uns Zuseher hier eines frühzeitigen Todes stirbt. Diese verschanzt sich und hofft auf Rettung, die gegen jedwede Vernunft auch in die Wege geleitet wird.

Einige haben’s schon immer gewusst, dass dieses getriebene Schindluder mit den maritimen Ressourcen irgendwann nicht mehr ungestraft bleiben kann. Regisseur John Andreas Andersen (The Quake) lässt den fossilen Brennstoff auf eine Weise über die kräuselnden Wellen schwappen, dass einem fast mulmig wird. Und es wird klar: eine so verheerende Ölpest kann uns jederzeit blühen, das ist keine krude Science-Fiction, sondern ein greifbares Szenario, ungefähr so wie der allseits bereits prophezeite Blackout, der uns bald wieder mit Feuerstein und Zunder hantieren lassen wird.

Abgesehen von diesen mahnenden und durchaus finsteren Blicken in die Zukunft, die ebenfalls und nicht zuletzt auch den radikalen Pragmatismus diverser Konzernverantwortlicher abmahnt, findet Andersen sehr schnell den Abschneider von der unangenehmen globalen Thematik auf den effektiv-abenteuerlichen Trekkingpfad eines ganz persönlichen Survivaltrips. Dabei greift The North Sea tief in die Trickkiste. Einige Szenen können in ihrer Opulenz durchaus mit Emmerichs Desastermovies mithalten, da braucht sich niemand verstecken. Wenn die Bohrinsel in sich zusammenstürzt, entbehrt das nicht eines gewissen Showeffekts, der einsetzt, wenn kontrollierte Sprengungen desolater Wohntürme zum urbanen Publikumsrenner werden. Beeindruckend, dieses viele Feuer und der ganze Schutt. Weniger beeindruckend: die relativ banale-Escape-Room-Formel, wenngleich sich der pathetische Öko-Reißer zu einigen wenigen Spannungsspitzen hinreissen lässt, die zum Nägelbeissen einladen. Dabei stellt sich nie die Frage, ob die Helden es schaffen oder nicht, denn in den Werteparametern eines Mainstreamkinos auch aus Europa kann nämlich nicht sein, was nicht sein darf.

The North Sea

Deepwater Horizon

MASCHINE BRENNT!

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deepwater

Das wahre Ausmaß der furchterregenden Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im April des Jahres 2010 wird vor allem – oder vielleicht nur – durch eine Szene des Filmes deutlich. Wenn ölverschmierte Pelikane die Orientierung verlieren und wie abstürzende Geschosse vom Himmel fallen, lässt sich das apokalyptische Ereignis zumindest symbolisch erahnen. Der Rest des Filmes bleibt der Anfang von etwas, das niemals kommen wird – nämlich die eigentliche Katastrophe, die Mensch, Natur und Wirtschaft gleichermaßen betroffen hat.

Der actionerprobte Regisseur Peter Berg hat seinen momentanen Lieblingsschauspieler Martin Wahlberg ins flammende Inferno geschickt, um den Helden des Alltags zu spielen. Ganz so wie seinerzeit Charlton Heston oder Steve McQueen. Seine mit Sicherheit akribische Nacherzählung der chronologischen Ereignisse an Bord des freischwimmenden Ölbohrturms von Transocean ist ein reiner, schlichter Katastrophenfilm geworden. Aber so rein und schlicht, als wäre es ein Drehbuch aus der guten alten Zeit der Desasterfilme, so um die Mitte der Siebziger, lange bevor Roland Emmerich Lust am Zerstören von Großstädten bekommen hat. Ganz so, wie man es womöglich aus den Lehrbüchern übers Filmemachen gelernt hat, liefert Berg ein handwerklich fehlerfreies Schaustück ab. Doch diese gemeisterte Hausaufgabe ist längst kein ganzer Film. Deepwater Horizon wirkt lediglich wie die Einleitung zu einem emotional wuchtigen, aufklärerischen Drama über die Arroganz und die Gier des Menschen. Es scheint fast so, als hätte Peter Berg das halbe Drehbuch gestrichen, um erstens massentauglicher zu werden und zweitens dem Unmut tatsächlich beteiligt gewesener Konzerne aus dem Wege zu gehen. Dabei hätte genau dieser unbequeme Teil der Geschehnisse für wahrlich fesselnde Höhepunkte gesorgt. In Ansätzen war diese Konfrontation ja tatsächlich angedacht, insbesondere dann, wenn der souveräne, aber sichtlich unterforderte John Malkovich als profitorientierter BP Manager den Arbeitern auf der Bohrinsel die Welt erklärt, um ihnen nachträglich im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle heiß zu machen. Aber diese Konflikte sind halbgar, gezähmt, mit Maulkorb. Natürlich will man nicht schwarzweißmalen, dieser allzu offensichtlichen Plakativität geht das Drehbuch zwar nur unwillig, aber doch aus dem Weg. Selbst Konzernmanager sind auch nur Menschen.

Doch worum es wirklich geht – das verpufft oder verbrennt im gefühlt mehrstündigem Auseinanderbrechen der Ölplattform. Rund zwei Drittel des Filmes sind Getöse. Verstrebungen, Rohre, Glas und Splitter aller Art fliegen, brechen und bersten sich durchs Bild. Die Explosionen sind gewaltig. Das Setting des Filmes der wahre Star des Kinoabends. Und die Hitze greift langsam in den Saal über, spätestens dann, nachdem man sich bereits an all dem Material-Blowout sattgesehen hat. Danach ist es vorbei. Wer gerettet ist, ist gerettet. Wer es leider nicht geschafft hat, hat es nicht geschafft. In so geradliniger Erzählweise wurde zuletzt Chris Pine in The Finest Hours übers tosende Meer geschickt. Dabei hat The Finest Hours alles erzählt, was es in dieser ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte aufzuarbeiten gibt. Im Gegensatz zu Deepwater Horizon. Hier fehlt noch eine Menge. Und selbst das, was verfilmt wurde, ist in die Länge gezogen und hätte getrost um rund die Hälfte der Zeit gekürzt werden können. Dann wäre Platz genug gewesen für jenen Teil des Dramas, das man aus welchen Gründen auch immer außen vorgelassen hat.

Wäre ich Peter Berg gewesen, hätte ich das Fragment von einem Film gar nicht erst angepackt und mir ein Survivalabenteuer gesucht, das meinem vorhergehenden Film Lone Survivor gleichgekommen wäre. So aber hat er sich übernommen. Wobei man seine Ambition, die Opfer der Katastrophe zu ehren und ihrer zu gedenken, natürlich zu schätzen weiß. Das ist zwar schon viel und sehr löblich, aber bei Weitem nicht alles. Wenn nun die Absicht besteht, Deepwater Horizon: Aftermath auf die Leinwand zu bringen, lasse ich den durchaus toll gefilmten Hochseethriller als einen sehenswerten ersten Teil durchgehen. Folgt aber nichts mehr, und waren die ölverschmierten Kamikaze-Pelikane die einzige Anklage nach dem Desaster, ist der Film zwar solide, aber viel zu ausweichend und oberflächlich wie Öl auf Wasser.

 

 

Deepwater Horizon