DER SPASSBEFREIER
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Auf kaum einen anderen Film war ich in letzter Zeit so neugierig wie auf den von Kritikern umjubelten deutschen Cannes-Beitrag aus diesem Jahr. Noch dazu mit Burgschauspieler Peter Simonischek, den man ohnedies viel zu selten auf der großen Kinoleinwand sieht. Dafür aber umso mehr im Theater, aber das ist eine andere Geschichte. Und ein ganz anderes Medium.
Der ergraute, etwas gebeugt gehende, schwerfällige Riese mit der angenehm rauchig-weichen Erzählerstimme darf diesmal eine Rolle spielen, die wahrscheinlich gar nicht so anders ist als er selbst. Verrückter vielleicht, seltsamer, aber im Grunde seines Wesens ähnlich jener des eigenwilligen Künstlers. Hat Regisseurin Maren Ade in ihrem ersten Film Alle anderen eine völlig ereignislose Momentaufnahme der 70er-Jahre-Generation abgelichtet, so legt sie in Toni Erdmann Einiges an Handlung nach und hat eine eigentümlich absurde Komödie inszeniert, die, eingebettet in einer humorlosen Wettbewerbswelt, über eine mögliche Leichtigkeit des Seins philosophiert. In ihrer nüchtern erzählten Scherzrevolte versucht Papa Simonischek, seiner in Rumänien arbeitende, karriereorientierte und kurz vor dem Burnout stehende Tochter beizubringen, die Anforderungen ihres Lebens mit mehr Gelassenheit und Narrenfreiheit zu bestehen. Als selbsternannter Spaßbefreier treibt er die von Jungschauspielerin Sandra Hüller genial verkörperte Yuppiedame erstmal fast in den Wahnsinn, bevor er sie eines Besseren belehren kann. Wie er das macht, ist eine durchaus befremdliche Mischung aus Helge Schneider, Scherzen aus dem Kalauerfundus versteckter Kameraoffensiven und bizarren Holzhammerparodien, die gegen Ende des Filmes in einem phantastisch-grotesken Auftritt ihren Höhepunkt finden. Gut, dass keiner der arroganten, knochentrockenen Anzugträger den perfiden, aber distinguierten Pumucklhumor als solchen wahrnimmt, sondern sich stattdessen verwirrt und vor den Kopf gestoßen, selbst der Lächerlichkeit preisgeben muss. Die verkopfte Businesswelt hat Maren Ade punktgenau nachgezeichnet, ohne zu übertreiben. Im Grunde ist ihr Film von einer tristen, kompromisslos kämpfenden Alltags- und Arbeitswelt durchzogen, in welche der Sonderling Toni Erdmann wie einst der Performance-Komiker Andy Kaufman (siehe Milos Formans Biografie Der Mondmann) einem extraterrestrischen Befreier gleich die Fassade einer selbstinszenierten Welt von Geld, Macht und Privilegien mit verstörendem Anti-Humor durchbricht. Dass der verschrobene Alt 68er es tatsächlich schafft, die Sichtweise seiner Tochter zu ändern, hätte ich bis zum Schluss nicht für möglich gehalten. Zu konzeptlos, intuitiv und willkürlich wirken seine Eskapaden und Provokationen. Doch das Geheimnis seines väterlichen Erfolges liegt wohl eher in den nonverbalen Botschaften, in der Wahl eines unorthodoxen und völlig unerwarteten Weges der Kommunikation, die letztlich auf offene Ohren stößt. Das Leben mit Humor zu nehmen, mag zwar eine Binsenweisheit sein – es umzusetzen und das starre Korsett des Lebensernstes abzulegen wagt mangels Risikobereitschaft oder unkalkulierbarer Folgen wohl kaum jemand. Wer aber kennt nicht jene Behelfsbilder vor Augen, die das autoritäre Gegenüber auf seine Nacktheit reduzieren. Und dieses Gegenüber folglich auf einen Menschen wie wir herunterbrechen. Dass diese Autosuggestion im Film tatsächlich praktische Anwendung findet, gehört zu den besten Momenten des Filmes, der im übrigen eine Spur zu lange geraten ist.
Einige Szenen wiederholen sich, manchmal tritt die Geschichte auf der Stelle. Manche Einstellungen sind gefühlte Minuten zu lang. Auch mit entsprechenden Kürzungen, da wäre ich mir sicher, hätte der Film an seiner atmosphärischen Dichtheit nichts eingebüßt. Auch hat Maren Ade ihre bemerkenswerte Komödie an falscher Stelle enden lassen. Gerade nachdem der Film seine schönste und wuchtigste Szene ausgespielt hat, hätte Schluss sein müssen. Der Epilog ist nur noch überflüssig, auch bereichert er die Geschichte kaum mehr, sondern wirkt mitunter eher ratlos. Davon aber mal abgesehen zeichnet sich das Werk, welches übrigens den letzten Platz der BBC Top 100 der weltweit besten Kritikerfilme des neuen Jahrtausends einnehmen darf, durch ein außerordentliches Gespür für balancierte Charakterführung aus. Sandra Hüller und Peter Simonischek tragen die Vater-Tochter-Doppelconference mit viel Engagement und bar jeder Künstlichkeit. Was sie verkörpern, wirkt greifbar, echt und niemals über das Ziel hinausgeschossen. Man kann mit der Philosophie dieser zweieinhalbstündigen Lifestyle-Satire nun etwas Brauchbares anfangen, das Werk aussitzen oder nicht – sich und seine Umwelt etwas weniger ernst zu nehmen, erleichtert das Leben jedenfalls ungemein. Für diese Botschaft verdient der Film meine Achtung.
[…] Die von mir sehr geschätzte Burgtheaterlegende in Silbergrau hat noch immer ein bisschen den Toni Erdmann in den Knochen, kann aber auch sein, dass der Mann in diesem Film sehr oft einfach er selbst ist. […]
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[…] skurrile Konstellation erinnert nicht nur ungefähr an die österreichisch-deutsche Tragikomödie Toni Erdmann, wo Papa Simonischek nicht von der Tochter Seite rückt, nur, um ihr zu zeigen, dass das Leben […]
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[…] kaum zu verstehen. Sandra Hüller, dem Publikum gut bekannt als Tochter Peter Simonischek´s in Toni Erdmann, ist das sensible Aschenputtel in all den repetitiven Handgriffen, die das tägliche Werk von […]
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[…] auch die exaltierte Figur der deutschen Regisseurin Mika, mit enormer Spielfreude dargeboten von Toni Erdmann-Tochter Sandra Hüller, und die aus der Feder Woody Allens hätte kommen […]
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