Die Wolken von Sils Maria

WER BIN ICH, WER WAR ICH?

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silsmaria

Das Genre des Künstler- oder Kunstgattungsfilmes hatte und hat seit jeher eine rätselhafte Eigendynamik. Vor allem deshalb, weil sehr wahrscheinlich kaum einer dieser Filme jemals seine Produktionskosten überholt hat. In Anbetracht einer hauptsächlich finanziell orientierten Filmlandschaft verwundert es immer wieder, dass offensichtliche Künstlerfilme sicher niemals den Nerv des breit gefächerten Publikums treffen – und sich dennoch im Kino präsentieren können. Es gibt also immer wieder Mittel und Wege, filmische Liebhabereien von Filmemachern, die sich vorwiegend mit sich selbst und ihrem Umfeld beschäftigen und für die das Publikum nur ein angenehmer Nebeneffekt ist, das Kunstlicht der Welt erblicken zu lassen. Es sind Filme, die rein thematisch nur eine spezielle Zielgruppe ansprechen. Wen interessiert zum Beispiel schon das Leben und Leiden einer fiktiven, in die Jahre gekommenen Schauspielerin? Und was habe ich damit zu tun? Wenn ich selbst in diesem Kunstmedium tätig wäre, wäre das natürlich was Anderes. So aber ist die Frage berechtigt. Man merkt Oliver Assayas seinen inszenatorischen Ego-Trip deutlich an, doch zum Glück für den Film schaffen es Juliette Binoche und „Twilight-Bella“ Kristen Stewart, den unbedarften Zuschauer mit ins Boot zu holen, möge der Inhalt und die Thematik noch so irrelevant sein.

Das wortgewaltige Drama rund um künstlerische und realer Identität ist Schauspielkino vom Feinsten. Aber was heißt Kino, fast schon Theater. Anspruchsvolles Theater über Theater. Schon zu Beginn des mehr als zweistündigen Psychogramms lässt Assayas seine langsam alternde, scheinbar auf Freuds Couch platzgenommene Schauspielerin mit ihrer Paraderolle aus dem fiktiven Stück „Maloja Snake“ untrennbar verbunden sein. Der Titel des Filmes Die Wolken von Sils Maria bezieht sich erstens auf ein vor allem im Herbst auftretendes Wolkenphänomen in den Schweizer Bergen, bei welcher eine Wolkenschlange nahe des Maloja-Passes mit sichtbarer Geschwindigkeit durch das Tal kriecht. Und er bezieht sich zweitens auf das im Film behandelte Theaterstück, welches dem Filmcharakter, grandios dargeboten von Juliette Binoche, in jüngeren Jahren seinen größten Erfolg beschert hat. Die Krux an der Sache ist, dass dieses Theaterstück aber zwei Hauptrollen hat – eine junge und eine ältere. Dreimal darf man nun raten, welche Rolle bei der Wiederaufführung des Stückes dem Star nun zuteilwerden wird. Konfrontiert mit einer schnelllebigen Multimedia-Zukunft des Schauspielens und Berühmtseins, wo vieles von Wert scheinbar willkürlich und auf gnadenlose Art und Weise die Seiten wechselt, hadert Binoche – immer noch faszinierend und enorm anmutig – mit ihrem künstlerischen Schicksal. Mit der Vergänglichkeit großer Momente und einem vermeintlich ewig gültigen Lebenswerk. Ähnlich der Wolkenschlange, die sich, zuvor noch lebendig und atemberaubend, in Windeseile verflüchtigen kann. Assayas verwebt geschickt mehrere Ebenen miteinander, spiegelt Gefühle und Erinnerungen in diversen Metaebenen wie Bühne, Traum und Wirklichkeit wider, arbeitet sehr viel mit Symbolik und Stimmungen. Kristen Stewart weckt gottseidank kaum mehr Erinnerungen an Twilight, sondern etabliert sich als würdige Schauspielpartnerin eines der größten französischen Leinwandstars der Gegenwart. Man kann sich auf den eigenwilligen, aber dramaturgisch dichten Dialogfilm einlassen, wenn man genug Sitzfleisch und Freude am intellektuellen Kopfkino mitbringt. Auch wenn man es zu Beginn kaum erwartet, wird man belohnt. Mit einem magischen, zwischen Bühnen- und Verhaltenspsychologie herumchangierenden Kunststück, welches, obwohl in unnahbaren Welten spielend, doch irgendwie unmittelbar berührt. Wer die Atlersparabel Ewige Jugend mochte, könnte diesen Film als lohnende Ergänzung sehen. Und sollte ihn nicht verpassen.

Die Wolken von Sils Maria

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