The Jungle Book (2016)

IT`S A JUNGLE OUT THERE

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junglebook

Für viele von uns war Disneys handgezeichnete Verfilmung des Abenteuers von Rudyard Kipling womöglich das erste Kinoerlebnis auf der großen Leinwand. Allerdings muss ich mich selbst davon ausnehmen. Ich habe Das Dschungelbuch erst sehr viel später zum ersten Mal gesehen, gemeinsam mit meinem Sohn. Was natürlich nicht heißt, dass so bedeutende Charaktere aus Literatur und Popkultur wie Mowgli, Bagheera, Balu und Shir Khan nicht schon seit je her als vermenschlichte Ausgabe ihrer wilden Verwandten zeitlebens bekannt waren. Auch die zivilisationskritische Fabel ist Teil familiären Kulturguts und findet sich in überlieferter, erzählter, niedergeschriebener und visualisierter Form garantiert in jedem Wohnzimmer wieder.

Tatsächlich handelt es sich bei Rudyard Kiplings Dschungelbücher um 7 Erzählungen, wovon lediglich die ersten drei von dem Findelkind Mowgli erzählen. Die anderen vier Erzählungen betreffen einzelne Charaktere aus der indischen Tierwelt. Disney hat damals, in den 50ern, diese ersten drei Geschichten zusammengefasst, stark vereinfacht und kindgerecht aufbereitet. Iron Man-Regisseur Jon Favreau hat sich dieser Mechanik von damals mehr oder weniger angeschlossen, obwohl seine Version der Dschungelbücher gefühltermaßen näher an der literarischen Vorlage herankommt als der Zeichentrickklassiker, der viel mehr revuehafte Musicaltendenzen aufweist als der erdige, wilde Live Act-Abenteuerfilm. Obwohl Live-Act hier tatsächlich zu hoch gegriffen ist. Es dominiert neben einigen schemenhaften Nebendarstellern ein einziger echter Schauspieler das Geschehen, der Rest kommt aus dem Rechner. Ob man es glauben will oder nicht – trotz allem wirkt Favreaus Jungle Book wild, ungestüm und zum Greifen echt wie eine hochkarätige Tierfilmdoku. Und das Kunststück gelingt, eine gewisse artifizielle Sterilität, unter welcher immer schon animierte Lebewesen gelitten haben, die sich Vergleichen mit beobachtbaren echten, rezenten Tieren stellen mussten, zu vermeiden. Die Macher lernen dazu. Bei jedem Projekt mit ähnlicher Größenordnung erklimmt die technologische Entwicklung wieder eine weitere Stufe näher hin zur Perfektion. Und es scheint, als ob der Weg dorthin gar nicht mehr so weit ist. Mit Ausnahme einiger Szenen, vor allem jener, in welcher die Tiere miteinander sprechen, ist die Virtualität des Dschungels täuschend echt. Das vernarbte Gesicht von Schreckgespenst Shir Khan, die donnernden Rinderherden über regennasses Terrain, der famose, überdimensionierte Orang-Utan, der wie der Alptraum eines jeden Primatologen daherkommt – sie alle haben das, was fotorealistische Animationsfilme zuvor nicht hatten: die Illusion des tatsächlich Lebendigen. Ang Lee hatte damals bei der Literaturverfilmung Life of Pi erstmalig jenes Kunststück vollbracht, dass Favreau nun ausgeweitet hat. Lees Tiger war von einem echten Tier kaum mehr zu unterscheiden. Und gerade diese Fertigkeit, die nun als technisch zukunftsweisende Konferenz der Tiere auf der Leinwand erneut zusammenkommen lässt, macht The Jungle Book zu einer verblüffenden, sehr sehenswerten Fabel, die darüber hinaus der Geschichte um Mowgli tatsächlich mehr Tiefe und einen ganz anderen erzählerischen Zauber verleiht als Reithermanns Zeichentrickfilm.

Was aber den Film von damals mit dem von heute verbindet, ist die Darstellung des Waldjungen. Stark angelehnt an die gezeichnete Charakterdarstellung wirkt der echte Mowgli wie eine fleischgewordene Version der zweidimensionalen Figur. Der indisch stämmige Kinderdarsteller Neel Sethi bemüht sich zusehends, mit der Wucht der Bilder mitzuhalten. Den starken Charakteren Kiplings kann der kleine Jungschauspieler nicht das Wasser reichen. Seine Interpretation wirkt in vielen Szenen etwas unbeholfen, ihr mangelt es zusehends an der Dramatik der Geschichte orientierten, emotionalen Intensität. Wäre der Film komödiantischer geworden wie der Erstling, wäre seine Rollenauslegung perfekt gewesen. So aber kommt sie mit dem viel ernsteren Grundton der märchenhaften Fabel um Bedrohung, Gesellschaft und den Gesetzen der Natur nicht wirklich mit. Was aber den Genuss des Filmes tatsächlich nicht sonderlich trübt. Seine Stars sind Panther, Bär und Tiger. Orang-Utan und Würgeschlange. Durch ihr theatralisches Gebärden verleihen sie ihrer Art, der Tierwelt und dem Dschungel jene verdiente, aber lange vermisste Mystik, die überlieferten Legenden innewohnt. Und für alle, die mit Disneys handgezeichneter Welt ihr ideales Dschungelbuch längst gefunden haben: auch hier, in der düsteren, raueren Version des Abenteuers ist Platz für die allseits bekannten musikalischen Ohrwürmer, gesungen von Balu und King Louie.

The Jungle Book (2016)

4 Gedanken zu “The Jungle Book (2016)

  1. […] es denn das wirklich? Zugegeben, das habe ich mich vor Christopher Robin auch gefragt. Und vor The Jungle Book. Und zugegeben – eigentlich ja. Eigentlich braucht es das wirklich. Denn es sind oft ganz andere […]

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