Mogli: Legende des Dschungels

DIE FRATZE DER WILDNIS

7/10

 

mogli© 2018 Netflix

 

LAND: USA 2018

REGIE: ANDY SERKIS

CAST: ROHAN CHAND, CHRISTIAN BALE, BENEDICT CUMBERBATCH, CATE BLANCHETT, ANDY SERKIS, NAOMI HARRIS, FREIDA PINTO U. A.

 

„Probier´s mal mit Gemütlichkeit,…“ brummt der freundliche Balu vor sich hin, und jeder, der diese Zeilen liest, wird womöglich an einen altbekannten Ohrwurm erinnert. So gemütlich wie in Disney´s Meisterwerk aus dem Jahre 1967 geht es in Jon Favreau´s Realverfilmung von vor zwei Jahren schon nicht mehr zu. Der unbekümmert abgehobene Musical-Touch von damals ist ganz gewichen, die Tiere des Dschungels sind teilweise mithilfe der Motion Capture-Technik generiert, was aber nicht übermäßig strapaziert wird, um die Wildnis nicht allzu künstlich wirken zu lassen. Inmitten all der Wölfe, Bären und Elefanten: ein Live-Act-Jungschauspieler, der den Bezug zur Natürlichkeit aufrechterhält. The Jungle Book war aus meiner Sicht ein gelungenes Remake, erdiger, düsterer und abenteuerlicher. Und famos in seiner Echtheit der Tierdarstellung. Zwei Jahre später, nach der Planet der Affen-Trilogie, hält auch Motion Capturing-As Andy Serkis die Füße nicht still, wenn es darum geht, Rudyard Kipling´s Legende des Dschungels mal selbst zu interpretieren. Und dabei alles anders machen zu wollen. Oder nur das Drumherum. Vor allem die Beschaffenheit der Tiere. In Mogli: Legende des Dschungels, wie sich die aktuelle Netflix-Produktion nennt, lassen die Macher Favreau´s Animations-Kunststück aussehen wie eine niedliche Urwald-Exkursion und legen in Sachen Düsternis, Blut und Erde nochmal gehörig eines drauf.

Der Wald, der ist zwar immer noch verspielt, bunt erblüht und wie aus dem Studio-Ei gepellt. Balu, Baghira und Co hingegen nicht mehr. Andy Serkis´ Stilwahl der animalischen Charaktere sorgt Anfangs für Irritation. Die Anmut gezeichneter Kreaturen ist einer Freakshow gewichen, in der hinkende, vernarbte und alptraumhaft hässliche Lebewesen wie nach einer nicht näher genannten zellenverändernden Katastrophe um ein entbehrliches Überleben kämpfen und keine Gefangenen machen. Spätestens nach den ersten zehn Minuten wäre es ratsam, dem mitverfolgenden Nachwuchs alles weitere zu ersparen: Mogli ist für Kinder womöglich verstörend, also kein Familienfilm, obwohl er dies gerne sein will, zumindest in den Landschaftsszenen. So schön der Flug über die Wipfel des Dschungels auch sein mag – darunter herrscht natürliche Auslese, balancierend an den Rändern eines finsteren Abgrundes. Balu ist das groteske Abbild eines Horror-Bären mit debil wirkender Hängelippe, die Wölfe wirken seltsam verzerrt, ebenso wie die Affen und ganz besonders die ekelhafte Hyäne. Baghira´s Kopf sieht manchmal aus wie die eines Menschen – Black Panther lässt grüßen, nur das Fell schillert auch des Nächtens. Der sogenannte Uncanny Valley-Effekt, der eigentlich bei computergenerierten, naturalistischen Darstellungen von Menschen eintritt, lässt hier auch Vierbeiner gespenstisch wirken. Wohl würde ich mich als Mogli unter all diesen Monstern wirklich nicht fühlen. Die Flucht zu den Menschen wäre dann nur eine Frage der Zeit.

Und tatsächlich – irgendwann wird der indische Kaspar Hauser mit seinesgleichen in Berührung kommen. Und mit einem ambivalenten Jäger, der dem Maneater Shir Khan das Fell über die Ohren ziehen will. Der irre dreinblickende Antagonist aus der Spezies der Raubkatzen reißt dann bald die Herrschaft über den Dschungel an sich und tötet die Nutztiere der Menschen, die als sichtbar verwesende Kadaver zwischen dem satten Blattgrün blutrot schimmern. Doch obwohl all der Atem der Wildnis irgendwie Fäulnisgeruch verströmt, ist Serkis gewagte Interpretation mit Mut zur Hässlichkeit ein Abenteuerfilm, der eigentlich hauptsächlich aufgrund seines menschlichen Hauptdarstellers fasziniert. Der 14jährige indischstämmige Rohan Chand ist der bislang beste Interpret des Mogli-Charakters – sein Spiel ist von einnehmender Intensität. Die besten Momente sind die, als der Junge von den Menschen eingefangen wird und dieser langsam in die Zivilisation zurückfindet. Der quälende Zweifel ob seiner Zugehörigkeit zu den Tieren oder zu den Menschen ist in seiner Mimik stets präsent. Mogli ist hier ein unglücklicher Charakter, ein Getriebener und Heimatloser. Genauso ein Freak wie alle anderen, nur verstoßener, unangepasster, kein Kind der selektiven Radiation. Rohan Chand lässt die Trick-Komponente des Filmes in den Hintergrund rücken, rettet Mogli vor der Ablehnung durch den Zuschauer und bindet ihn sogar noch emotional an das Schicksal seiner Figur. Dieses kann sich nur durch Gewalt zum Guten wenden. Denn dort, wo der gehetzte Junge herkommt, gilt entweder Leben oder Sterben. Das ist hart, finster und organisch, wie Campen im Dschungel bei Monsun.

Serkis geht es nicht um die Schönheit und das Liebliche. Das Rendezvous mit Tier und Mensch ist hier frei von verklärender Romantik, aber immer noch so viel Legende, damit Tiere sprechen können. Anmutig bleibt einzig das menschliche Wesen, das Gesetz der Evolution ist derweil erbarmungslos auf den eigenen Vorteil bedacht. Das ist zwar wahr, aber nicht unbedingt gefällig. Unter dieser Prämisse ist Mogli: Legende des Dschungels eine zwar verstörende und anders geartete, aber trotz allem nicht weniger sehenswerte Version eines Klassikers, der besungene Gemütlichkeit diesmal mit Pfoten, Klauen und Krallen aus dem Dschungel tritt.

Mogli: Legende des Dschungels

The Jungle Book (2016)

IT`S A JUNGLE OUT THERE

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junglebook

Für viele von uns war Disneys handgezeichnete Verfilmung des Abenteuers von Rudyard Kipling womöglich das erste Kinoerlebnis auf der großen Leinwand. Allerdings muss ich mich selbst davon ausnehmen. Ich habe Das Dschungelbuch erst sehr viel später zum ersten Mal gesehen, gemeinsam mit meinem Sohn. Was natürlich nicht heißt, dass so bedeutende Charaktere aus Literatur und Popkultur wie Mowgli, Bagheera, Balu und Shir Khan nicht schon seit je her als vermenschlichte Ausgabe ihrer wilden Verwandten zeitlebens bekannt waren. Auch die zivilisationskritische Fabel ist Teil familiären Kulturguts und findet sich in überlieferter, erzählter, niedergeschriebener und visualisierter Form garantiert in jedem Wohnzimmer wieder.

Tatsächlich handelt es sich bei Rudyard Kiplings Dschungelbücher um 7 Erzählungen, wovon lediglich die ersten drei von dem Findelkind Mowgli erzählen. Die anderen vier Erzählungen betreffen einzelne Charaktere aus der indischen Tierwelt. Disney hat damals, in den 50ern, diese ersten drei Geschichten zusammengefasst, stark vereinfacht und kindgerecht aufbereitet. Iron Man-Regisseur Jon Favreau hat sich dieser Mechanik von damals mehr oder weniger angeschlossen, obwohl seine Version der Dschungelbücher gefühltermaßen näher an der literarischen Vorlage herankommt als der Zeichentrickklassiker, der viel mehr revuehafte Musicaltendenzen aufweist als der erdige, wilde Live Act-Abenteuerfilm. Obwohl Live-Act hier tatsächlich zu hoch gegriffen ist. Es dominiert neben einigen schemenhaften Nebendarstellern ein einziger echter Schauspieler das Geschehen, der Rest kommt aus dem Rechner. Ob man es glauben will oder nicht – trotz allem wirkt Favreaus Jungle Book wild, ungestüm und zum Greifen echt wie eine hochkarätige Tierfilmdoku. Und das Kunststück gelingt, eine gewisse artifizielle Sterilität, unter welcher immer schon animierte Lebewesen gelitten haben, die sich Vergleichen mit beobachtbaren echten, rezenten Tieren stellen mussten, zu vermeiden. Die Macher lernen dazu. Bei jedem Projekt mit ähnlicher Größenordnung erklimmt die technologische Entwicklung wieder eine weitere Stufe näher hin zur Perfektion. Und es scheint, als ob der Weg dorthin gar nicht mehr so weit ist. Mit Ausnahme einiger Szenen, vor allem jener, in welcher die Tiere miteinander sprechen, ist die Virtualität des Dschungels täuschend echt. Das vernarbte Gesicht von Schreckgespenst Shir Khan, die donnernden Rinderherden über regennasses Terrain, der famose, überdimensionierte Orang-Utan, der wie der Alptraum eines jeden Primatologen daherkommt – sie alle haben das, was fotorealistische Animationsfilme zuvor nicht hatten: die Illusion des tatsächlich Lebendigen. Ang Lee hatte damals bei der Literaturverfilmung Life of Pi erstmalig jenes Kunststück vollbracht, dass Favreau nun ausgeweitet hat. Lees Tiger war von einem echten Tier kaum mehr zu unterscheiden. Und gerade diese Fertigkeit, die nun als technisch zukunftsweisende Konferenz der Tiere auf der Leinwand erneut zusammenkommen lässt, macht The Jungle Book zu einer verblüffenden, sehr sehenswerten Fabel, die darüber hinaus der Geschichte um Mowgli tatsächlich mehr Tiefe und einen ganz anderen erzählerischen Zauber verleiht als Reithermanns Zeichentrickfilm.

Was aber den Film von damals mit dem von heute verbindet, ist die Darstellung des Waldjungen. Stark angelehnt an die gezeichnete Charakterdarstellung wirkt der echte Mowgli wie eine fleischgewordene Version der zweidimensionalen Figur. Der indisch stämmige Kinderdarsteller Neel Sethi bemüht sich zusehends, mit der Wucht der Bilder mitzuhalten. Den starken Charakteren Kiplings kann der kleine Jungschauspieler nicht das Wasser reichen. Seine Interpretation wirkt in vielen Szenen etwas unbeholfen, ihr mangelt es zusehends an der Dramatik der Geschichte orientierten, emotionalen Intensität. Wäre der Film komödiantischer geworden wie der Erstling, wäre seine Rollenauslegung perfekt gewesen. So aber kommt sie mit dem viel ernsteren Grundton der märchenhaften Fabel um Bedrohung, Gesellschaft und den Gesetzen der Natur nicht wirklich mit. Was aber den Genuss des Filmes tatsächlich nicht sonderlich trübt. Seine Stars sind Panther, Bär und Tiger. Orang-Utan und Würgeschlange. Durch ihr theatralisches Gebärden verleihen sie ihrer Art, der Tierwelt und dem Dschungel jene verdiente, aber lange vermisste Mystik, die überlieferten Legenden innewohnt. Und für alle, die mit Disneys handgezeichneter Welt ihr ideales Dschungelbuch längst gefunden haben: auch hier, in der düsteren, raueren Version des Abenteuers ist Platz für die allseits bekannten musikalischen Ohrwürmer, gesungen von Balu und King Louie.

The Jungle Book (2016)