Arrival

AM ANFANG WAR DAS WORT

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arrival

Und das Wort war bei jenen, die von anderswo gekommen sind. Wobei man von Wort nicht wirklich sprechen kann, eher ein Rumoren, ein Dröhnen und Röhren. Doch die Definitionen davon, was ein Wort ist und was nicht, ist eine sehr kulturelle, völkerspezifische Sache. Und auch eine artenspezifische. Denn selbst in der terrestrischen Tierwelt finden wir Sprachen, allerdings welche ohne Schriftzeichen. Zum Beispiel die Sprache der Wale. Auch die Sprache unserer nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Und natürlich die der Vögel. Sind sie deswegen weniger als Sprache zu werten, nur, weil sie nicht zu lesen sind? Sie zu verstehen wird uns niemals gelingen, eben vor allem deswegen, weil die Wörter der nicht ichbewussten Natur niemals als Alphabet erfasst werden können. Doch wenn wir das könnten – würde sich unsere Sicht der Dinge verändern? Wie sehr beeinflusst die Sprache unser Denken und unser Verständnis von der Welt? Hierzu fällt mir das Buch des Südamerikareisenden Daniel Everett ein, der sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern im Amazonas zugebracht hat, um deren Sprache zu lernen. Diese besondere Gruppe an Menschen kennt weder Farbbezeichnungen wie rot und gelb noch Zahlen, und folglich kann dieses Volk auch nicht rechnen. Sie sprechen nicht über Dinge, die sie nicht selbst erlebt haben – die ferne Vergangenheit also, Fantasieereignisse oder die Zukunft. Folglich gibt es auch all diese Wörter in ihrer Sprache nicht. Oder sie werden anders definiert.

Ähnlich wie diese Pirahã-Indianer wirken die extraterrestrischen Besucher in ihren gigantischen schwarzen Muschelschalen, die über der Erde schweben, In Denis Villeneuves Science-Fiction-Meditation sind diese seltsamen Wesen aus einem bestimmten Grund hier. Und sie beginnen zu kommunizieren. Und – welch ein Glück – sie haben obendrein noch so etwas wie ein Alphabet aus Zeichen, die aussehen wie der unliebsame Kaffeetassenrand auf einer Tischdecke. Kann man also aus diesen Zeichen lesen, sinnvolle Parameter daraus erkennen? Nun, ab hier wird es für jene, die Arrival noch nicht gesehen haben, gefährlich. Denn um über den außergewöhnlichen First-Contact-Film zu schreiben, muss man sein Geheimnis lüften – was ich hier aber nicht tun will. Vielmehr kann ich soviel sagen: So etwas wie Arrival hat es in seinem ganz eigenen Purismus vorher noch nicht gegeben. Es ist Science-Fiction für Denker. Für Gehirnakrobaten, Philosophen und Um die Ecke-Blicker. Für jene, die über den Tellerrand hinaussehen wollen. Unterlegt mit monströsen, sphärischen Klängen, die aus der Tiefsee zu kommen scheinen, und bebildert in poetischen, graublauen Kompositionen, die unglaublich viel triste, aber stimmige Atmosphäre erzeugen, gelingt Villeneuve ein weiteres Highlight des erwachsenen Science-Fiction-Films. Er bereichert sein Werk, für welches man mitunter viel Geduld benötigt, um sprachwissenschaftliche Gedankenspiele und kulturphilosophische Aha-Erlebnisse. Wie Nolans Meisterwerk Interstellar ist auch Arrival eine Frischzellenkur für Futuristen und trotz seiner schwermütigen Aura eine erquickende, diskussionsanregende, aber auch kalte Dusche. Tatsächlich erweist die stille, langsame, ungewöhnliche Utopie Klassikern wie Kubricks 2001 oder Tarkovsjkijs Solaris alle Ehre. Und hätte Terrence Malick den Auftrag für einen Science-Fiction Film bekommen, würde er so ähnlich aussehen wie jener von Villeneuve. Stark erinnert Arrival eben auch an Malicks Meditation Tree of Life, vor allem in den assoziativen Szenen aus den Erinnerungen Amy Adams. Die Schauspielerin selbst verkörpert ihre Rolle als Bindeglied zwischen Alien und Mensch auf sehr sensible Art und Weise. Berührender noch als Jodie Foster in Contact – auch ein ähnlicher Film wie Arrival, nur vorallem gegen Ende viel plumper und weniger geistreich.

Arrival ist keine leichte Kost. Es ist, basierend auf einer Kurzgeschichte des Schriftsteller Ted Chiang, ein großes, düsteres, aber in keinster Weise hoffnungsloses Fragezeichen, das über der Menschheit und seiner Zukunft schwebt. Ein filmisches Mysterium, dass unsere Allwissenheit und unsere Sicht der Dinge hinterfragt. Eine kraftvolle, betörende, Begegnung der dritten Art. Für all jene, die Gareth Edwards Monsters mochten und nicht aufgehört haben, nach dem Sinn des Monolithen aus 2001 zu fragen. 

Arrival

6 Gedanken zu “Arrival

  1. N. Hermann schreibt:

    Das ist der schönste, poetischste, hoffnungsvollste, herzerwärmendste und kitschloseste Science-Fiction Film, den ich je gesehen habe. Vielleicht hat Denis Villeneuve ja auch Ian McGilchrist gelesen … Wenn nicht ist er noch viel besser als ich sowieso schon denke!

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