Juror #2 (2024)

DIE SKRUPEL DER GESCHWORENEN

5,5/10


© 2024 Warner Bros.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: CLINT EASTWOOD

DREHBUCH: JONATHAN ABRAMS

CAST: NICHOLAS HOULT, TONI COLLETTE, ZOEY DEUTCH, KIEFER SUTHERLAND, CHRIS MESSINA, J. K. SIMMONS, GABRIEL BASSO, LESLIE BIBB, AMY AQUINO, ADRIENNE C. MOORE, FRANCESCA EASTWOOD U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Mit dem 2021 erschienen Cry Macho wollte Clint Eastwood nochmal beweisen, dass er mit stolzen 91 Jahren nicht nur noch hinter, sondern auch vor der Kamera stehen kann. Das Ergebnis war von schaumgebremster Zähigkeit, irgendwie wollte der Film nicht in die Gänge kommen, vielleicht lag das auch an der deutlichen Sichtbarkeit des hohen Alters und den damit einhergehenden motorischen Defiziten. Für seinen kolportierten letzten Film, bevor er nun endgültig in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird, hat es sich Clint Eastwood wohlweislich verkniffen, nochmal selbst als einer von zwölf Geschworenen über Schuld und Unschuld wild gestikulierend zu verhandeln. Eastwoods Arbeit ist in Juror #2 gänzlich hinter der Kamera passiert, stattdessen erfüllt J. K. Simmons den Part des pensionierten Polizisten, der auf eigen Faust versucht, dem Mordfall, um den es hier geht, mehr Transparenz und Plausibilität zu verleihen, um eben nicht aus lauter Bequemlichkeit jemanden schuldig sprechen zu müssen, der im Grunde nichts dafür kann. Schließlich geht die Schuldfrage in Juror#2 mit der Erkenntnis einher, dass es fast unmöglich scheint, aufgrund eines gesunden, redlichen Gewissens eine eigene begangene Straftat zu vertuschen.

Der mittlerweile recht omnipräsente Nicholas Hoult, gerad mit Nosferatu – Der Untote im Kino und heuer als Lex Luthor im neuen Superman durchstartend, hat gegenwärtig einen sagenhaft guten Karrierelauf. Auch Clint Eastwood wollte ihn für die Rolle des von Skrupeln übermannten Geschworenen, der die Nummer Zwei trägt und welchen während der Verhandlungen zu einem Mordfall, der bereits ein Jahr zurückliegt, langsam aber doch und siedend heiß die Ahnung überfällt, er selbst könnte daran beteiligt gewesen sein. Schließlich war Justin genau an jenem verregneten Abend ebenfalls unterwegs, und bislang schien es noch, er hätte ein Rotwild gerammt. Wahrscheinlich aber ist: Auch Justin könnte das ganze Desaster verursacht haben. Was also tun? Das eigene Familienglück opfern und sich stellen? So tun als wäre nichts? Oder zumindest alles daransetzen, den Angeklagten nicht schuldig zu sprechen? Dafür braucht es aber die Überredungskunst für fast den ganzen Rest des Dutzends Geschworener, die überzeugt davon sind, der Rowdy mit den Tattoos hat die Tat vorsätzlich begangen.

Eastwood muss wohl Zeit seines Lebens Fan von Reginald Roses Fernsehspiel Die 12 Geschworenen gewesen sein, der von Sidney Lumet mit Henry Fonda in der Hauptrolle verfilmt wurde. Juror #2 fühlt sich ganz ähnlich an, nur ergänzt der Film das saubere Gerichtsdrama um die sozialphilosophische Ebene des schlechten Gewissens und dem Willen, gerecht zu handeln. Dieser Humanismus beschert dem Drama zwar keine Alleinstellungsmerkmale, macht den Plot aber insofern interessanter, da man neugierig genug bleibt, um dem Lösen des moralischen Knotens unbedingt beizuwohnen. Hoult macht seine Sache gut, man sieht ihm an, wie sehr er damit ringt, das Geheimnis für sich zu behalten oder sich selbst von dieser möglichen Schuld zu befreien. Doch auch er stößt an die Grenzen eines behäbigen Drehbuchs, das keine Eile dabei hat, und auch nicht die Ambition, aus dem Gerichtssaaldrama einen hakenschlagenden Thriller zu kreieren. Juror #2 bleibt ein solide abgefilmtes Drama voller klassischer Figurenstereotype – Toni Colette zum Beispiel oder J. K. Simmons bleiben undankbar schablonenhaft. Auch lässt sich nicht erklären, wie die mangelnde Beweislast den Angeklagten so sehr in die Bredouille bringt, ist doch alles nur ein Indizienprozess. Eastwood und Drehbuchautor Jonathan Abrams kümmern sich kaum um die Details dieses Falls, auch fragt man sich während des Lokalaugenscheins am Tatort, wie sich statt eines vorsätzlichen Mordes ein Autounfall vereinbaren lassen könnte. Man tut sich schwer, den Tathergang vor Augen zu führen. Die wahre Auflösung der Szene lässt man außen vor, viel wichtiger ist die Möglichkeit einer Schuld, der psychologische Aspekt, der dann aber doch in diesem Film zu kurz kommt.

Von atemberaubender Gerichtssaalspannung, wie es das Genre in den 80ern und Neunzigern immer wieder mal zusammenbrachte, kann in Juror#2 kaum die Rede sein, dennoch verliert man nicht das Interesse. Das Warten auf den Twist wird allerdings nicht belohnt – Eastwood lässt sein Dilemma ins Leere laufen.

Juror #2 (2024)