Not Okay

SIE LIEBEN MICH, SIE LIEBEN MICH NICHT

7,5/10


notokay© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: QUINN SHEPHARD

CAST: ZOEY DEUTCH, MIA ISAAC, DYLAN O’BRIEN, NADIA ALEXANDER, SARAH YARKIN, KARAN SONI, BRENNAN BROWN, EMBETH DAVIDTZ U. A. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


So weit sind wir gekommen, rund 30 Jahre später, nach Etablierung des Internets und des World Wide Web: Die Sozialen Medien haben uns fest im Griff, vielen dirigiert es das Leben, anderen gibt es den Freibrief für Hass und Häme. Anderen, und nicht wenigen, gibt es die Möglichkeit, zeit- und kostensparend vor ein Publikum zu treten, um sich selbst zu präsentieren. Und damit geht’s erst so richtig los: Wer gefällt besser? Was gefällt besser? Das neue Publikum vor der Bühne sind Follower und Liker. Je größer das Publikum, desto besser das, was auf der digitalen Bühne abgeht. Oder doch nicht? Wie viel wert ist das Publikum, das sich für nichts mehr bemühen muss, außer dafür, einen Klick abzugeben? Mittlerweile lässt sich sowas sogar dazukaufen, aber keiner redet darüber. Manchmal schaffen es einige und treten Hypes oder ähnliches los, die dann wieder nach absehbarer Zeit so verpuffen, als wären sie nie da gewesen. In dieser Zeit aber kann man reich und beliebt werden. Mehr als beliebt. Angehimmelt. Zum Idol werden. Zum Helden. Zur mediasozialen Gottheit aus Werbung, Trend und Anbiederung.

So jemand wird Danni Sanders. Und es ist ein Aufstieg, raketengleich bis ins nächste Sonnensystem. Dabei war Danni beliebtheitsmäßig gerade mal noch Tellerwäscherin – zur Ikone mutiert sie durch einen Trick, der sich, wenn alles glatt läuft, später unter den Tisch kehren lässt. Berühmt will man im 21. Jahrhundert nämlich nicht nur Andy Warhol’sche 15 Minuten sein – sondern gefühlt auf ewig. Das sich der gläserne Mensch nicht mehr nur selbst genügt, sondern sich durch Likes wildfremder anderer definiert, ist bedenklicher Teil eines klugen, modernen Filmmärchens, dem Happy Endings am Allerwertesten vorbeigehen und hinter der Gefallsucht junger Menschen einen kärglichen Rest Selbstwert vorfindet, der nur deswegen so mickrig geworden ist, weil die eigene Ehre als Einsatz für die letzte Runde Beliebtheitspoker auf den Tisch kommt.

Und anfangs sieht es so aus, als hätte Poserin Danni Sanders, bis über beide Ohren selbstverliebt, maskenhaft und gekünstelt, richtig gute Karten. Dank eines Terroranschlags in der französischen Metropole Paris, der genau dann verübt wird, als sich Danni eben dort aufhält. Angeblich, jedenfalls. Denn in Wahrheit sitzt die eitle Schöne daheim, fingiert ihre Selfies auf Photoshop und macht sich so natürlich beliebt. Als dann das Grauen jenseits des Atlantiks hereinbricht, bleibt Danni nichts anders übrig, als traurige Mine zu bösem Spiel zu machen und sich selbst als Überlebende des Terrors bemitleiden zu lassen. Das ist Zündstoff, der sie unter dem Hashtag #NotOkay zur Leitfigur eines Trends werden lässt, der das Unwohlsein der Gesellschaft vor die Linsen mobiler Gerätschaften holt. Doch wo es Erfolg gibt – wie auch immer erreicht – gibt es auch Neider. Und nach dem Aufstieg kommt der tiefe Fall.

Disney+ hat mit der Posting-Satire Not Okay wieder mal den richtigen Riecher gehabt: Quinn Shephards Abrechnung mit den modernen Medien macht von Anfang an klar, wohin die Bestrebungen der bildschönen Lügenprinzessin letzten Endes führen werden. Daher zeichnet sie mit Liebe zum Detail und mit einem gewissen Quäntchen an Schadenfreude einen unwirtlichen Weg aus Verrat, Betrug und Vertrauensmissbrauch Richtung Untergang. Zum Glück verzichtet Shephard aber auf Zynismus oder derb-grotesker Polemik, zu der man sich gerade in diesem thematischen Untiefen gerne hinreißen lassen könnte. Zoey Deutch als Fake-Zeitgeistheldin rotiert als Influencerin um ihr massereiches Ego und bleibt dennoch plausibel und differenziert, mitunter funkelt von Anfang an schon die ungeschminkte Danni durch, die sie in den wenigen, aber ausdrucksstarken Momenten menschlich greifbar werden lässt. Viele von den Daily Postern im tatsächlichen Leben, so lässt sich nachvollziehen, könnten ähnlich gestrickt sein. Ganz ohne Betrug. Der kommt noch dazu, und lässt die Bombe in einer Größenordnung platzen, die fast schon dem Stern-Skandal rund um die Hitler-Tagebücher (Schtonk!) nahekommt. Alles für Prestige und Ruhm, und letzten Endes nichts für einen selbst. Mia Isaac als Greta Thunberg’sche andere Seite der Medaille, der es, ebenfalls berühmt, um die Sache geht und die nicht mit dem Selbstzweck die Mittel heiligen will, ist die gute Fee in einem Gewissenskonflikt der Generation Now!, die egal zu welchem Preis ihre Jünger sammelt.

Not Okay sticht schwachbrüstige Genrebeiträge wie Nerve so ziemlich aus, und muss auch nicht auf Horror tun wie Unfriend. Als ernstzunehmender Konkurrent tut sich nur noch die polnische Hassposting-Analyse The Hater hervor, nur weitab jeglichen leichtfüßigen Augenzwinkerns. Dieses hat Shephards Film aber reichlich, wird dabei aber keinesfalls weniger ernst oder aufrichtig. Was Not Okay zu sagen hat, kommt aus voller Überzeugung.

Gelungene Komödien mit Tiefgang gibt es selten – die aufrichtige Influencer-Satire um die Gier nach Likes ist aber eine, die das Problem virtuellen Erfolges am Schopf packt und so lange nicht loslässt, bis man den Boden unter den Füßen wieder spürt.

Not Okay

The Outfit – Verbrechen nach Maß

TOTE TRAGEN SCHICKE SAKKOS

5/10


theoutfit© 2022 Focus Features, LLC.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: GRAHAM MOORE

CAST: MARK RYLANCE, ZOEY DEUTCH, DYLAN O’BRIEN, JOHNNY FLYNN, SIMON RUSSELL BEALE, NIKKI AMUKA-BIRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Für Graham Moore ist der unsichtbare Faden wohl jener Handlungsstrang, der sich jenseits des Offensichtlichen durch die Minuten eines Films schlängelt, und nicht jener Zwirn, den Daniel Day Lewis in gleichnamigem Film von Paul Thomas Anderson seinen stofflichen Kunststücken zur Vollendung eingenäht hat. Für Graham Moore ist The Outfit – Verbrechen nach Maß sein Debüt in Sachen Regie, nach dem er recht erfolgreich das Drehbuch zu The Imitation Game von Morten Tyldum verfasst hat. Wir wissen: Benedict Cumberbatch hat hier dem Mathematiker Alan Turing ein Denkmal gesetzt. Jetzt borgt sich Moore aus Spielbergs Lieblingsensemble Mark Rylance, den ehemaligen Mastermind hinter Ready Player One oder dem Spion aus The Bridge of Spies. Rylance spielt gerne unterschätzbare Charaktere, die leise auftreten, sich vielleicht auch menschenscheu und eremitisch geben. Die den Kopf gesenkt halten und eine falsche oder wahre Bescheidenheit leben, so genau weiß man das nie. Rylance aber hat Charakter, ein distinguiertes Auftreten und fällt niemals mit der Tür ins Haus. Das war auch schon bei Yoda so: Deswegen war der mächtigste aller Jedi auch der kleinste und lernresistenteste, wenn es darum ging, ordentlich Basic zu beherrschen.

Rylance als Herrenschneider Leonard Burling spricht allerdings ein astreines und gewähltes Englisch. Konzentriert sich auf das, was er am besten kann, um die Perfektion mit Nadel und Faden zu gewährleisten. Betreibt einen kleinen Laden im tief verschneiten Chicago und tut so, als wüsste er nicht, dass hier tagein, tagaus finstere Handlanger nicht nur der irischen Mafia Burlings Werkstatt als Drehscheibe für geheime Informationen verwenden. Dort hängt in einer Ecke ein unscheinbarer Briefkasten, und die verbrechenswilligen Herren in Mantel und Fedora schneien hier schneeflockennass in die heiligen Hallen des Meisters, um ihr Geschäft am Laufen zu halten. Eines Tages landet ein Brief der geheimnisvollen und alles umspannenden Organisation The Outfit in besagtem Kästchen – mit brisanten Details. Später dann wird Richie, der Filius von Gangsterboss Boyle, angeschossen in die Schneiderei gebracht – ein Angriff der Gegenpartei, die wissen wollen, dass einer in diesem ganzen Gefüge der Unterwelt ein Verräter sein muss und dem FBI mithilfe von Tonbandaufzeichnungen allerlei Brisantes zukommen lassen will. Diese Aufnahmen dürfen nicht in falsche Hände geraten, denn geplaudert wird in diesen scheinbar tauben vier Wänden immerhin auch genug.

Wer jetzt schon anhand des recht konstruierten Plots das Interesse an dem piekfein ausgestatteten Kammerspiel verloren hat: vorzuwerfen wäre es ihm nicht. Die ebenfalls von Graham Moore ersonnene Geschichte, die sich auf Elemente eines True Story-Berichts beziehen, eifert etwas bemüht den Gangsterfilmen der Schwarzen Serie nach und transportiert seine Hommage in eine Zwei-Zimmer-Boutique, in welcher sich im Laufe von 106 Minuten die verschiedensten Gesellen – vom tumben, gewaltbereiten Handlanger bis zum Obermafiosi, der seinen Sohn sucht – einfinden werden. Das Kammerspiel dürfte Moore womöglich schon seit Sichtung des Hitchcock-Klassikers Cocktail für eine Leiche beeindruckt haben: so manchen Suspense entdeckt man auch in The Outfit – wenn man genau danach sucht. Also irgendwo zwischen angeschossenen Gangstern, verbotenen Liebschaften und gezogenen Pistolen, die auf was weiß ich auf wen gerichtet sind. Inmitten dieses Kommens und Gehens arbeitet sich Mark Rylance als argloses und scheinbar devotes Scheuklappen-Schneiderlein durch allerlei Schnittmuster zur zentralen Figur heran, die langmächtig über Schein und Sein philosophiert und maßgeschneiderte Herrenanzüge mit determiniertem Karma gleichsetzt.     

The Outfit – Verbrechen nach Maß will als opulenter Einakter auf engstem Raum funktionieren und seine Wendungen wie Stecktücher in Sakkos platzieren. Durch diese Ordnungsliebe verzichtet der Thriller aber auf das Plötzliche und Unerwartete.

The Outfit – Verbrechen nach Maß