Licht

DEN EIGENEN AUGEN NICHT TRAUEN

8/10

 

licht05© Christian Schulz/Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion

 

LAND: ÖSTERREICH 2017

REGIE: BARBARA ALBERT

MIT MARIA DRAGUS, DEVID STRIESOW, LUKAS MIKO, STEFANIE REINSPERGER U. A.

 

Was waren das nur für Zeiten! Rund ein Jahrzehnt vor der französischen Revolution, Maria Theresia, am Ende ihrer Reformen, aber immer noch am Kaiserstuhl und Wunderknabe Wolfgang Amadeus Mozart rührte die adelige Zuhörerschaft zu Tränen. Es war die Hochzeit des französischen Rokokos, hervorgegangen aus dem engelsgleichen Barock. Mit dieser Kunst- und Moderichtung schwappte auch das Pariser Lebensgefühl mit all seinem Sprachkolorit ins Herz Europas – in die blattgoldene Wienerstadt. Frankreich – das war damals en vogue. Wer frankophil war, war up to date, würde man heute sagen. Das Zeitalter der Perücken erreichte groteske Ausmaße. Je höher, desto besser. Je mehr Blumen und Zierrat im silbergrauen Haar – umso lieber war man gesehen, auf den nicht enden wollenden Banketten, Kammermusikkonzerten und bizarren Stelldicheins aus Körperpuder, Schminke und golden verzierten Samtgewändern. Der Rokoko – den kann man sich heutzutage ja gar nicht mehr wirklich vorstellen. Was damals zu viel war, ist heute wahrscheinlich zu wenig. Die auf Äußerlichkeiten und Etikette fixierte absolutistische Gesellschaft, eigentlich der Albtraum einer Seitenblicke-Revue auf sündteurem und klassendenkendem Niveau, frönte gefälliger Oberflächlichkeit und maßloser Zerstreuung. Am liebsten mit Musik, tönend aus dem Cembalo oder Hammerklavier, virtuos umgesetzt von talentiertem Nachwuchs, deren verdächtiges Talent womöglich mit dem eines Wolfgang Amadeus gleichzusetzen war. Dumm nur, wenn so ein Wunderkind zwar leistungstechnisch für Applaus in getäfelten Sälen sorgt, vom Aussehen her aber allerdings noch ausbaufähig wäre.

Und wie es der Zufall so will, gab es zur damaligen Zeit in Wien einen umstrittenen Wunderheiler mit dem Namen Franz Anton Mesmer, der sich des animalischen Magnetismus bedient hat. Alle, die noch nicht Roger Spottiswoode´s Biografie Mesmer mit Alan Rickman gesehen haben, werden sich jetzt fragen: Animalischer Magnetismus – was ist das für ein esoterischer Humbug? Laut dem Exzentriker vom Bodensee eine Energie, die sowohl alle Organismen als auch tote Materie durchdringt. Die überall vorkommt – und die sich leiten lässt. Man kann sie weder riechen, noch schmecken, noch sehen. Ganz so wie die menschliche Seele. Oder noch weniger, denn das Gewicht der menschlichen Seele lässt sich ja bekanntlich auf 23 g definieren. Die Magnetlinien, die durch Berühren und Streicheln umgeleitet werden, sollen die unterschiedlichsten menschlichen Beschwerden lindern. So auch Blindheit. Eines dieser Wunder, die tatsächlich stattgefunden haben sollen, erzählt von einem musisch hochbegabten Mädchen namens Maria Theresia von Paradis, eine blinde Pianistin, die im Jahr 1777 unter Mesmers Therapie tatsächlich wieder sehen konnte. Doch stimmt das? Konnte sie das wirklich? Oder war es nur der Wunsch, zu sehen? Ein Mysterium, dessen Verfilmung sich Regisseurin Barbara Albert auf höchst sehenswerte Weise angenommen hat.

Die Wirkung ihres penibel recherchierten Zeitbilds verdankt sie neben ihrem Gespür für Atmosphäre und Timing in erster Linie ihrer Hauptdarstellerin Maria Dragus. Zu Beginn des Filmes sieht man die junge Dame unter opulentem Kopfschmuck vor einem Hammerklavier sitzend und wild mit den Augen rollend. Keine Frage, diese Schauspielerin muss tatsächlich blind sein. Kennt man Maria Dragus aber bereits aus anderen Filmen, weiß man, dass das womöglich nicht stimmt. Allerdings – wenn bei einer Rolle wie dieser das Gespielte vom tatsächlichen Umstand nicht mehr zu unterscheiden ist, dann muss man beeindruckt die Perücke zücken. Licht lebt von Dragus´ Performance wie die Farben der bunten Herrenröcke von selbigem. Ihr zur Seite ein fulminant aufspielender Lukas Miko als patriarchalische Vaterfigur mit Geltungsdrang, verletztem Stolz und falscher Fürsorge. Wie kaum eine andere Figur im Film transportiert er die Geisteshaltung der damaligen Zeit nahtlos ins Hier und Heute.

Barbara Albert´s handwerklich ausgefeiltes Sittengemälde beeindruckt aber auch durch die Sprache. Das 18. Jahrhundert ist auch die Zeit gewesen, in der all die frankophone Wortgewalt über unsere geliebte deutsche Sprache hereingebrochen war. Entstanden sind Gallizismen, die wir teilweise heute noch verwenden. Gekonnt vollführt Kathrin Resetarits in ihrer Drehbuchfassung des Romans Alissa Walsers einen Gesellschaftstanz historischer Linguistik zwischen antiquiertem Sprachschatz und phonetischer Exotik. Ein Genuss, dem teils absichtlich gestelzten, höfischem Gerede und gleichzeitig lokalem Sprachkolorit zuzuhören. Ländlicher Dialekt ist hier ebenso zu hören wie deutsche Färbung bei Devid Striesows gemischtem Klang aus Theaterdeutsch und bemühtem Altwiener Slang.

Neben Die beste aller Welten von Adrian Goiginger zählt Alberts opulentes, berauschendes Kostümdrama Licht womöglich zu den faszinierendsten und stärksten österreichischen Filmen der letzten Zeit. Auf alle Fälle zu den besten dieses Jahres.

Licht