Logan – The Wolverine

ÜBER DIE KLINGEN GESPRUNGEN

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„Ein X-Men-Drama, wie Sie es noch nie gesehen haben!“ So spricht Regisseur James Mangold vor der Premiere, um seinen neuesten Film zu promoten, an dessen Drehbuch er sogar selbst mitgeschrieben hat. Neben solchen Interviews und einem überzeugenden Trailer, der so richtig Endzeitstimmung erzeugt, hat man bei Logan – The Wolverine weitestgehend darauf verzichtet, einen Hype loszutreten, der dem Film womöglich nur geschadet hätte. Und tatsächlich war es gut so. Und tatsächlich – um auf den Kommentar Mangold´s zurückzukommen – ist der dritte und letzte Teil der Wolverine-Trilogie nicht nur die gelungenste Episode seiner Reihe, sondern auch neben The First Avenger: Civil War mit Abstand das Beste, was Marvel in letzter Zeit in die Kinos gebracht hat. Und ja – so haben wir Comics auf der Leinwand tatsächlich noch nicht gesehen.

Mangolds bittere Mutantenballade ist weit entfernt von einem martialischen Effektgewitter, wie es uns The Avengers oder der leider eher missglückte X-Men: Apocalypse dargeboten haben. Sein düsteres Endzeitepos erinnert viel mehr an die unterschwellig bedrohlichen Momente aus James Cameron´s Terminator II, an zynische Italowestern, dreckige Junkie-Dramen aus dem Independentkino oder gar an die Postapokalypse eines Mad Max. Hier fehlt, was man im Blockbusterkino sonst so an Bilderstürmen bewundern kann – und gerade durch diese Abstinenz und durch die Betonung von Schauspiel, Setting und Stimmung entwickelt sich ein packendes Actiondrama, dessen Sogwirkung man sich nur schwer entziehen kann. Mangold, Hugh Jackman und der stets angenehm intellektuell wirkende Patrick Stewart (ja, auch in seiner Altersrolle) vereinen sich vor allem in den ersten zwei Dritteln des Filmes zu einem nihilistischen Abgesang aller nur erdenklichen Heldenmythen. Die Mutanten sind bis auf wenige einzelne ausgerottet, die Besonderheiten einer Gen-Mutation sind einer faschistoiden Wissenschaft zum Opfer gefallen, die sich einer nationalsozialistischen Euthanasie verschrieben hat. Schlimmer kann es in Logan kaum mehr kommen. Und so ist auch unsere titelgebende Hauptperson am unteren Ende einer erfüllenden Restexistenz angelangt, gemeinsam mit Charles Xavier, dem großen Begründer der Mutantenschule, der nur noch vor sich hin fantasierend in einem abgewrackten Silo irgendwo im Nirgendwo versteckt wird und aufs Ableben wartet. Inmitten all der Sinnlosigkeit erweckt das junge, verstörte Mädchen Laura zwangsläufig neue Lebensgeister im Rest der alten Riege der X-Men. Und ähnlich wie der junge John Connor aus Terminator wird auch dieses besondere Kind von einer nicht einschätzbaren Übermacht bis an die Grenzen des Erträglichen gejagt. In diesem Fall ist es eine marodierenden Cyborg-Gang, die allem, was anders ist, ans Leder will. Wolverine und seine wenigen Leidensgenossen wehren sich bis aufs Blut – und dieses spritzt ungewöhnlich oft und sichtbar gurgelnd durchs Bild.

Logan – The Wolverine geht ans Eingemachte und erreicht in seinen brillant choreographierten Kampf- und Meuchelszenen die künstlerisch überhöhte, ultrabrutale Intensität des indonesischen Martial Arts-Thrillers The Raid. In der definitiv nichts für Zuseher jüngeren Geburtsdatums geeigneten Blutoper rollen Köpfe und dringen scharfgeschliffene Messerkrallen aus jedem nur erdenklichen Winkel in Gesicht und Körper. Das mag zwar für das X-Men-Universum ein völlig unerwartetes und unerhörtes Rating nach sich ziehen – James Mangold schafft seine Überhöhung der Gewalt perfekt in den Kontext seiner Erzählung einzubetten und in keiner Szene auch nur deren Notwendigkeit über Gebühr zu strapazieren. Quentin Tarantino gelingt dies ebenso. Auch Zac Snyder in 300 ist dies gelungen. Der sich ergießende Lebenssaft ist unverzichtbarer Protagonist des Fantasythrillers und ist wie bei The Raid vielmehr Gestaltungselement als trashiger Splatter. Wer das aushält, und sich dem schmerzhaften Schicksal seiner gestrandeten Figuren hingibt, wird mehr als belohnt. Das komplex erzählte, stringente und atmosphärische Requiem auf den Comic-Kult der X-Men ist ein durchdachtes, intimes Meisterwerk mit Symbolcharakter und hat vielleicht auch Pionierstatus. Findet der Film an den Kinokassen vor allem lukrativen Gefallen, könnten manch andere Nachzügler aus dem Comic-Genre vielleicht ganz anders aussehen als bisher und sich von ihrer mittlerweile stetigen Schablonenhaftigkeit verabschieden. Logan legt im erzählerischen Bereich für andere Regisseure die Latte höher als bislang und fordert geradezu auf, mehr Wert auf den Charakter ihrer „Helden“ zu legen als nur die volle Breitseite an kurioser Action zu verpulvern. Der sympathische Hugh Jackman ist wie immer vor allem grandios geschminkt, und die junge Schauspielerin Dafne Keen alias Mutantin Laura wird mit Sicherheit in Zukunft öfters auf der Leinwand zu sehen sein. Ihr wildes, ungestümes, natürliches Spiel ist beeindruckend und gibt dem wüsten, archaischen Roadmovie einen noch unberechenbareren Anstrich.

Wenn der Wolverine gegen sich selbst kämpfen muss, und das Treffen der Generationen einen Paradigmenwechsel im zukünftigen Paralleluniversum der Mutanten auslöst, ist der verletzliche, intime Kern der X-Men freigelegt. So berührbar und gleichzeitig unberührbar war schon lange kein Held mehr. So long, Logan!

Logan – The Wolverine

Doctor Strange

WÜNSCHE ANS MULTIVERSUM

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Der leider viel zu früh verstorbene, österreichische Atomphysiker Heinz Oberhummer, Mitglied der schärfsten Science-Boygroup der Milchstraße, hätte an der jüngsten Episode aus dem Marvel Cinematic Universe seine helle Freude gehabt. Warum? Nun, dazu muss man wissen, dass Oberhummer ein leidenschaftlicher Verfechter der Multiversum-Theorie war. Seine Argumente dafür finden sich übrigens in dem äußerst lesenswerten Buch Kann das alles Zufall sein wieder. Um dieses bislang rein hypothetische Phänomen geht es auch in der Zaubererexegese Doctor Strange. Allerdings bringt Regisseur Scott Derrickson hier einiges durcheinander, da er die Definition von Dimension mit jener für existierende Paralleluniversen verwechselt. Oder umgekehrt. Und manchmal liegt er auch richtig. Aber das sind nur Spitzfindigkeiten, über die Oberhummer augenzwinkernd gelächelt hätte. So wie über den ganzen Film, der auf publikumswirksame, aber naive und nicht mal populärwissenschaftliche Art und Weise den Horizont des Zusehers zu erweitern versucht.

Klar ist, dass Doctor Strange etwas anders ist als alle bisherigen Marvel-Verfilmungen. Hier gibt es zwar auch viel Action und publikumswirksames Rambazamba, und auch der Grundaufbau klassischer Blockbuster-Erzählschablonen wagt keine Innovationen. Wirklich anders sind die Effekte. Vor allem jene, welche die im Film immer wiederkehrende Spiegeldimension beschreiben. In ihr sind physikalische Gesetze zur Gänze aufgehoben. Oben und unten gibt es nicht mehr, und urbane Architektur von Gotik bis Moderne, fällt dem Irrwitz eines unaufhörlich ineinandergreifenden Kaleidoskops zum Opfer. Wahrscheinlich ein gar nicht so komplizierter Computereffekt, aber mit großer Wirkung. Als hätten M. C. Escher und Salvador Dali ein sich ständig veränderndes Perpetuum Mobile erschaffen. Beeindruckend, und ein Grund mehr, wiedermal ins Kino zu gehen. Für jene, die das nicht so oft tun möchten – oder können. Natürlich erinnert die verbogene und zerwürfelte Optik an Christopher Nolans Traum-im-Traum-Meisterwerk Inception. Doch dort, wo dieser seine visuellen Asse im Ärmel ausgespielt hat, setzt die Marvel-Zaubershow an. Hier geht es nicht mehr darum, mehr Wert auf die Geschichte zu legen, sondern vor allem darum, durch einen optischen Stil-Richtungswechsel für neue Begeisterung bei den Fans zu sorgen. Umso mehr, da die langsam gleichförmig werdenden Comic-Verfilmungen kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind. Dabei besinnen sich die Studios leider nicht darauf, ihre immer gleiche Erzählweise zu hinterfragen. Heldengenese – Bösewicht – Kampf gegen den Bösewicht – Sieg und Neuanfang. Mit Ausnahme vom herausragenden Civil War unterliegen alle anderen Filme diesem Codex, der längst erneuert werden muss. Wahrscheinlich erst mit dem allumfassenden zweiteiligen Finale Infinity War, das 2018 in die Kinos kommen soll. Hier soll das Cinematic Universe – vorläufig oder nicht – ihr Ende finden. Und Doctor Strange war wohl gemeinsam mit dem kommenden neuen Spiderman der vorläufig letzte Einführungsfilm für einen neuen Helden, bis es endlich soweit sein darf – und Oberschurke Thanos seine Fäuste schwingt, um die Infinity-Steine an sich zu reißen.

Jetzt werden sich einige fragen: Infinity-Steine? Nun, diese Artefakte ziehen sich durchs gesamte Marvel-Universum wie ein roter Faden, genauer nachzulesen auf meinem Blog-Artikel Captain America: Civil War. Auch der leicht überhebliche Dumbledore-Erbe Strange eignet sich einen solchen Klunker an – das Auge von Agamotto, welches die Zeit beeinflusst. Womöglich der letzte Stein, um die Sammlung zu komplettieren, die in ihrer Vollständigkeit zur Unterwerfung des Universums führt.

Mit „Sherlock“ Benedict Cumberbatch haben sich die Studios und uns Comic-liebhabenden Kinonerds einen großen Gefallen getan. Der charismatische Engländer mit der tiefen Stimme verkörpert den selbstverliebten, altklugen Chirurgen und späteren Universenspringer in vollendeter Perfektion, ohne sich dabei großartig verstellen zu müssen. Die Rolle ist ihm wie der selbstdenkende Zauberumhang aus dem Film auf den Leib geschneidert. Hoffentlich wird es für Doctor Strange niemals einen Besetzungswechsel geben. Auch Tilda Swinton als glatzköpfiger, androgyner Dalai-Lama der Dimensionen setzt ihre Rolle ungewöhnlich locker und natürlich an, ohne gekünsteltem Pathos. Beide machen den Film vor allem darstellerisch sehenswert und verleihen dem Blockbuster Charakter und Tiefe.

Doctor Strange ist unterm Strich einer der schönsten Marvel-Filme überhaupt. Von formvollendetem Zauber und voller betörender Bildwelten. Mit überzeugendem Helden, jeder Menge lockerer Situationskomik und quirliger Dynamik – Eigenschaften, die Marvel-Filme erst so richtig sehenswert machen. Von der austauschbaren, leider etwas spannungsarmen Geschichte mal abgesehen ist das comicorientierte Fantasykino seit diesem Herbst um eine leichtfüßige, metaphysische, höchst unterhaltsame Zaubershow weit jenseits bekannter Kartentricks reicher.

 

 

Doctor Strange