Die Welt wird eine andere sein

DER GRÖSSTE TRICK DES TEUFELS

7/10


dieweltanderesein© 2021 Neue Visionen


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2021

REGIE: ANNE ZOHRA BERRACHED

BUCH: ANNE ZOHRA BERRACHED, STEFANIE MISRAHI

CAST: CANAN KIR, ROGER AZAR, ÖZAY FECHT, JANA JULIA ROTH, CECI CHUH, NICOLAS CHAOUI U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat, war, die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht. Das hat damals Kevin Spacey in Die üblichen Verdächtigen so weise vor sich hergesagt. Der Teufel ist ja, wie wir wissen, niemand mit Hufen, Schwanz und Hörnern, sondern die abstrakte, intrinsische Motivation in uns, vorsätzlich etwas zu tun, was anderen schadet. Vielleicht aus einer unwiderstehbaren Versuchung oder aufgrund eines komplett anderen Blicks auf die Welt. Andererseits ist es unmöglich, die Welt so zu sehen, wie diese tatsächlich beschaffen ist. Sie erscheint immer so, wie sie dem, der sie betrachtet, erscheinen soll. Mit diesem Trick gelang auch dem globalen Terrorismus so manches weltverändernde Attentat wie 9/11. Niemals hätte man auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass genau jene, die für den Tod tauender Zivilisten verantwortlich sind, die angenehmsten Plaudertaschen waren, assimilierte Migranten, klug, gewitzt und fortschrittlich. Ja, es gibt ihn nicht, den Teufel. Doch nun ist er überall und nirgends. Wie Krebszellen in einem Körper, unmöglich auszumachen. Zu vernichten: Nur mit Kollateralschaden.

Im Drama Die Welt wird eine andere sein von Tatort-Regisseurin Anne Zohra Berrached läuft das Leben zweier sich liebender Menschen auf genau diesen Trick hinaus, ohne dass sich dieser vorab erahnen ließe. Zumindest nicht aus der Sicht der jungen, türkischstämmigen Medizinstudentin Asli, die sich Hals über Kopf in einen libanesischen Kommilitonen namens Saaed verliebt, sehr zum Leidwesen von Aslis Mutter, die natürlich aus gewissen Vorurteilen heraus niemals in die Ehe ihrer Tochter mit einem arabischstämmigen Mann einwilligen würde. In Zeiten wie diesen allerdings holt man sich kaum mehr grünes Licht von den Eltern, obwohl Konflikte natürlich vorprogrammiert sind. So werden die beiden schließlich ein Paar, dass weltoffen agiert und anfangs noch eine gemeinsame politische Ideologie vertritt – bis Saeed plötzlich verschwindet. Er reist in den Jemen, um die Lehren des Koran zu vertiefen. Er will mehr tun als nur lernen und auf intellektueller Eben diskutieren. Er will etwas bewegen. Am liebsten wäre er Pilot, und Asli soll seine Kopilotin sein.

Wir ahnen natürlich, wohin der junge Mann tatsächlich gereist ist. Doch wir sehen Berracheds Film ausschließlich aus der Sicht von Asli, die nichts weiß und nur im Trüben fischt. Die um ihren Gatten fürchtet, selbst seiner Familie nichts genaues über dessen Verbleib berichten kann und ihn schließlich wieder wütend und ablehnend empfängt, als er plötzlich wieder, gereinigt von verbohrtem Idealismus, wieder auftaucht. Kann das gemeinsame Leben also doch wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden?

Die Welt ist da schon längst eine andere. Das politisch-romantische Liebesdrama beruht lose auf biographischen Elementen des Terrorfliegers Ziad Jarrah, schildert aber das fiktive Paradebeispiel einer Radikalisierung, wie sie perfider nicht sein kann. Als Zuseher ist man stets versucht, daran zu glauben, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ist man stets verleitet, sich einer gewissen Naivität hinzugeben, welche die schmerzliche Realität verhöhnt. Canan Kir als Asli spielt offen und ehrlich, ohne Scheu und unnötiger Theatralik. Dieses Pathos sucht man auch sonst in diesem Film vergebens. Betont geerdet und aufmerksam für alle möglichen Hinweise, die beim Einschlagen einer falschen Richtung rechtzeitig die Alarmglocken schrillen lassen könnten, folgt Berrached den Szenen eines privaten Lebens, in welchem das Undenkbare keinen Platz zu haben hat. Letztlich ist man nachher  immer klüger – und das Zuvor zerplatzt wie eine Seifenblase aus Lüge und Tarnung.

Die Welt wird eine andere sein

Assassin´s Creed

DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM STAMM

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assassinscreed

Zeitreisen kennen wir zur Genüge. Vor allem im Kino. Sei es mit einer antiquierten Zeitmaschine, wie in H. G. Wells gleichnamigem Klassiker, mit welcher Rod Taylor zu den Morlocks in die Zukunft gereist ist. Oder der fliegende De Lorean – ein Auto, das Marty McFly einmal hierhin und einmal dorthin durch die Zeit katapultierte. Oder eben mittels Büchern, wie im Butterfly Effect mit Ashton Kutcher. Jedes Mal waren es Artefakte, Gerätschaften oder Fahrzeuge, die die Reise durch die Zeit ermöglicht haben. Im martialischen Abenteuer Assassin´s Creed, welches lose auf dem gleichnamigen Computerspiel von Ubisoft basiert, fällt den Kreativen hinter den Kulissen endlich mal was Neues ein. Und zwar Zeitreisen mittels DNA.

Die Idee hat mich überrascht – und ist zugleich durchdacht und logisch nachvollziehbar. Jede Zelle eines Menschen besitzt das Erbgut vorangegangener Generationen. Je weiter das Leben der Vorfahren zurückliegt, desto weniger bleibt davon über. Die Information ist aber dennoch da. Wie in diesem Film dargestellt, filtert eine ausgeklügelte Technologie die Erbinformation eines gewissen Ahnen heraus – und speist den gegenwärtigen Menschen mit seiner Erinnerung an ein vergangenes Leben. Ich kenne nicht das ganze schriftstellerische Œuvre von Philipp Dick, des Schöpfers von Minority Report oder Blade Runner – aber diese Vision einer Zeitreise hätte auch er haben können. Somit beginnt das phantastisch-historische Szenario von Macbeth-Regisseur Justin Kurzel mit einer innovativen Überraschung. Und vermag auch in weiterer Folge zumindest visuell zu überzeugen.

Das Kapitel der Assassinen, ursprünglich perfekt trainierte Killermaschinen im Auftrag des Sultans, ist klarerweise ein relativ düsteres. In genauso düstere, staubverhangene und sandverkrustete Bilder kleidet Kurzel seine freie Interpretation eines beliebten Ego-Spiels, das ich selbst nicht kenne und ich mich daher nur peripher an Plakaten und Bildern des todesspringenden Kuttenträgers erinnern kann. Da mich plakative Abenteuerfilme mit historisch-geografischem Bezug prinzipiell interessieren, wollte ich mir den Klingenthriller im Fahrwasser von Tomb Raider und Prince of Persia natürlich nicht entgehen lassen. Und da kann Angelina Jolie noch so sehr ihre Lippen schürzen – der spanisch-maurische Attentäter ist eindeutig cooler. Und braucht auch seine Hüften nicht schwingen zu lassen. Stattdessen tanzt er über Dächer, Gesimse und Zinnen, erklettert Hauswände und stürzt sich in mehreren Salti von Türmen, die über Spaniens Hauptstadt aufragen. Das ganze noch dazu im Spätmittelalter des 15. Jahrhunderts, im selben Jahr, in welchem Christoph Kolumbus zu neuen Ufern aufbrechen wird. Justin Kurzel und sein Kameramann Adam Arkapaw leisten Beachtliches. Die Kamerafahrten und Blickwinkel sowie Ton- und Filmschnitt erzeugen eine eindrucksvolle Sogwirkung und katapultieren den Zuseher mitten ins Geschehen. Eine ähnlich visuelle Machart hatte zuvor der viel geschmähte Neuaufguss von Ben Hur. Hier war vor allem die Szene des Wagenrennens mindestens genauso außergewöhnlich dargestellt. Gelungen sind auch jene Sequenzen, in denen die Erinnerungen aus der Vergangenheit in die erlebte Gegenwart transzendieren. Schemenhaft, wie Spiegelbilder.

Assassin´s Creed löst sich vom simplen Computerspiel und entwickelt einen ganz eigenen Treasure-Hunt quer durch die Zeiten. Dieser Mix aus Historienspektakel im Stile eines Ridley Scott und unterkühlter Science Fiction ist überraschend sehens- und erlebenswert, wenngleich ihm jegliches Augenzwinkern abhanden gekommen ist.  Spaß kommt hier keiner auf, der Kampf zwischen Templern und Assassinen ist eine zutiefst ernste Angelegenheit, worüber man sich niemals lustig machen soll. Michael Fassbenders verkniffene Mimik und Marion Cottilards androides Auftreten kühlen das Abenteuer noch um einige Grad runter. Und Lachen wird zur Sünde. Im Grunde treffen hier Islam und Christentum aufeinander, beide mit dem Ziel, den Apfel von Eden unter Gewahrsam zu nehmen. Dass man damit den freien Willen des Menschen außer Kraft setzen kann, hat für Kenner der christlichen Genesis durchaus seine logische Konsequenz. Das Objekt der Begierde reiht sich zwischen Bundeslade und Heiligen Kral, beide von Indiana Jones gesucht und gefunden, perfekt ins Abenteuer-Entertainment ein, der etwas steife und beerdigungsernste Grundtonus der Geschichte lässt das reißerische, phantastisch angehauchte Gefahrenszenario aber etwas fehl am Platz wirken. Mehr Lockerungsübungen vor dem Dreh wären ratsam gewesen. Das gilt auch für Jeremy Irons steifes Staffagenspiel.

Sonst aber kann man an Kurzels futuristischen Kredo-Krieg nicht wirklich meckern. Der Film hat was für sich, ist filmtechnisch innovativ und hat den Verriss der Kritiker so sicher nicht verdient. Mal sehen wie viel das Werk lukriert. Dann wäre sogar Platz für eine mögliche Fortsetzung – die ich, wenn es soweit ist, wahrscheinlich nicht versäumen werde.

 

Assassin´s Creed