MY HOME IS WHERE MY HEART IS
7/10
© 2025 Panda Lichtspiele Filmverleih
ORIGINALTITEL: THE SALT PATH
LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024
REGIE: MARIANNE ELLIOTT
DREHBUCH: REBECCA LENKIEWICZ
KAMERA: HÉLÈNE LOUVART
CAST: GILLIAN ANDERSON, JASON ISAACS, JAMES LANCE, HERMIONE NORRIS, REBECCA INESON, MARIANNE ELLIOTT, MEGAN PLACITO U. A.
LÄNGE: 1 STD 55 MIN
Der reinste Horror muss das sein, plötzlich nichts mehr zu haben. Zu scheitern, wo es nur geht, und das mit den eigenen Händen und unter Schweiss, Blut und Tränen aufgebaute Eigenheim verpfändet zu sehen. Alles ist hin, alles verloren. Robert Redford, der in All is Lost mit seiner Weltumseglung dem Herrgott näher kommt als ihm lieb ist, scheint am Ende in die Ursuppe zurückkehren zu müssen – dorthin, wo wir alle im Laufe der Evolution hergekommen sind. Die Natur mag gnadenlos sein, das System uns alles verwehren, der dumme Zufall Chancen verpuffen lassen, die in schmalen Zeitfenstern zur Verfügung stehen und die man im entscheidenden Moment nicht greifen kann. Scheitern mag manchmal gleichkommen mit dem Verlust des Lebens. Doch schließlich atmet man noch, man steht aufrecht und hat den Horizont vor sich. So wie Raynor und Moth Winn. Dabei ist der Familienname Zynismus pur in diesem Moment.
The winner takes it all, the loser’s standing small
So viel Würde bleibt noch, damit die beiden das Bisschen, was sie noch haben, in einen Rucksack packen und losziehen, immer die Küste entlang, dem sogenannten Salzpfad folgend – einem rund tausend Kilometer langen Fernweg durch ein malerisches Südwestengland, am Geburtsort von King Arthur vorbei, über Klippen und über vom Wind geformte Ebenen bis hin nach Land’s End, dem äußersten südwestlichsten Punkt der britischen Insel. Und schließlich stellt sich jene Weisheit heraus, die wir ohnehin schon kennen: Nach vorne schauen und losgehen ist die beste Methode, nicht nur um Tragödien hinter sich zu lassen, sondern um eine neue Sicht auf die Dinge zu bekommen, die sich schon weit Ewigkeiten nur aus einem Betrachtungswinkel präsentieren. Diese Perspektive muss erarbeitet werden, und das passiert beim Gehen. Auch wenn Moth Winn überdies noch mit einer unheilbaren Nervenkrankheit klarkommen muss, die ihm völlige körperliche Dysfunktionalität prophezeit. Dieser Mann aber, Raynors Fels in der Brandung und Lebensmensch, hält nichts vom Stillstand, auch wenn das eine Bein nicht mehr so will und das Schlucken manchmal schwerfällt. Im individuellen Tempo also wandern sie durch eine Welt, die gar nicht will, dass sie so aussieht, als wäre sie in einem Reiseführer zu finden. Wir wissen nie genau, wo sich die beiden aufhalten, schließlich ist es nicht relevant. Die Natur, die ihnen begegnet, ist universell, ist gnadenlos und barmherzig gleichzeitig. Das Meer als steter Horizont in eine Weite, als würde man in die Zukunft blicken, mag ein Lehrmeister sein, während die Gehenden auf sich selbst zurückgeworfen werden. Letztlich muss die Erkenntnis, worauf es wirklich ankommt, die vom Schicksal gebeutelten flexibel genug halten, um die Parameter neu zu setzen.
Es ist bewegend und inspirierend zugleich, Gillian Anderson und Jason Isaacs, die beide im Genre des Phantastischen berühmt geworden sind, dabei zuzusehen, wie sie sich verlieren, erden und wiederfinden. Der Salzpfad, inszeniert von Marianne Elliott, mag dabei niemals die Ambition besitzen, zumindest filmisch von vielbewanderten Pfaden abzuweichen. Als klassisches, fast schon konservatives Walk-Movie, ähnlich den Wanderfilmen, die Richtung Santiago de Compostela führen, bietet die wenig innovative Form des Erzählens aber kleine schauspielerische Sternstunden und zeichnet neben Gras, Fels, Wind und Regen eine authentische Gefühlslandschaft, die als Metaebene noch fühl- und erfahrbarer wird als das Physische. Der Salzpfad entwickelt sich zu einem wohltuenden Erlebnis speziell für Paare, die gemeinsam schon eine ganz gute Strecke Koexistenz hinter sich gebracht haben. Was man aus dem Kinosaal mitnehmen kann, sind neben Erkenntnissen, die man vergessen hat, und Emotionen, die man wieder fühlen sollte, vor allem die Tatsache, dass es für nichts zu spät ist. Ein schöner Gedanke, vielleicht zu naiv?
Familie Winn kämpft gegenwärtig wohl kaum mehr mit Existenzproblemen, es ist kaum zu glauben, wie sehr das Leben neu gewürfelt werden kann. Laut Raynor Winn ist das Ganze eine wahre Geschichte. Zumindest den Weg haben beide zurückgelegt. Griffig wird der Stoff aber erst durch das Warum. Wie wahr das ist, mag Gegenstand für Kritik gewesen sein – und beeinflusst nicht unwesentlich den Glauben daran, das Leben auf Reset drücken zu können.
