Sea Fever

ALLE IM SELBEN BOOT

6/10


seafever© 2019 Neasa Hardiman


LAND / JAHR: IRLAND, USA, GROSSBRITANNIEN, SCHWEDEN, BELGIEN 2019

BUCH / REGIE: NEASA HARDIMAN

CAST: HERMIONE CORFIELD, DOUGRAY SCOTT, CONNIE NIELSEN, JACK HICKEY, ARDALAN ESMAILI, ELIE BOUAKAZE U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Die Natur findet immer einen Weg, sich des Menschen zu entledigen. Nennt sich: Naturkatastrophen. Neben Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis und dem ganzen tektonischen wie meteorologischen Treiben finden sich auch ganz kleine Organismen wie Viren und anderes Zeug dazwischen. Bakterien zum Beispiel. Oder Parasiten. Bei diesen durch den Willen zur Vermehrung angetriebenen proaktiven Winzlingen lässt einem das Gefühl nicht los, dass so etwas nur dazu auf der Welt ist, um Homo sapiens populationstechnisch in die Schranken zu weisen. Der Mensch jedoch ist klug genug, um das Schlimmste zu verhindern. Zumindest gegenwärtig. Oder hier in diesem Bio-Schocker auf hoher See, der genauso gut auf einem Raumschiff irgendwo in den Weiten des Alls hätte spielen können. Dann hätten wir Life von Daniel Espinoza. Doch griffiger wird’s, wenn der Zirkus auf der guten alten Erde abgeht. Und noch schöner, wenn wieder mal Europas Norden Filme wie diese inszeniert. Dann muss es nämlich nicht zwingend gut ausgehen, sondern einfach zu einem den Umständen entsprechenden, plausiblen Ende führen.

Wie auch immer. Ein reines Symptomtagebuch auf einem Fischkutter ist Sea Fever auch nicht geworden. Ein bisschen mehr als das. Vielleicht sogar etwas, dass sich als Nachzügler einreiht in die Ende der 80er Jahre so großzügig auf den Videothekenmarkt geworfenen Monsterhorrorstreifen, die James Camerons Abyss folgten und vorzugsweise in submarinem Umfeld stattfanden. Sea Fever ist aber durchaus subtiler. Zumindest anfangs erinnert der Streifen an das von mir sehr geschätzte Monsterdrama mit dem unverwechselbaren Titel Monsters von Gareth Edwards (by the way: Was wurde eigentlich aus diesem begnadeten Talent?). Auch hier kann die Crew eines irischen Trawlers der unheimlichen Begegnung mit einem zoologischen Mysterium nicht entgehen. Denn irgendetwas hält den Kahn an Ort und Stelle, viele Kilometer von der Küste entfernt. Nur gut, dass die Seeleute ganz zufälligerweise eine junge, zum Leidwesen aller abergläubischen Fischer rothaarige Studentin an Bord haben, die anomale Verhaltensweisen der Meeresfauna beobachten soll. Da Seeleute selten schwimmen können, und schon gar nicht daran denken, ins unheimliche Nass zu tauchen, muss das Mädchen Siobhan ran – und entdeckt da unten in der Dunkelheit etwas, das, würde man es nicht selbst sehen, leider als Seemannsgarn durchgehen muss, das lauschendem Tavernenvolk ungläubiges Kopfschütteln entlockt. Dieses Seemannsgarn hat aber noch ganz andere Qualitäten auf Lager, und es dauert nicht lange und das erste Mitglied der Besatzung spuckt Blut. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, in welchem Siobhan ganz vorne mitrennen muss, hat sie doch das meiste Knowhow, um dem Organismus wissenschaftlich und auch rational auf den Leib zu rücken, ohne sich dabei hinreissen lassen zu müssen, Poseidon anzubeten.

Sea Fever – in deutscher Übersetzung mit Angriff aus der Tiefe relativ austauschbar betitelt – folgt nicht wirklich neuen Pfaden, wenngleich der Blick in die Tiefe und bei dem, was da so zum Vorschein kommt, Thassalophobikern feuchte Hände garantiert. Oberwasser holt sich der Aggressor, ganz ähnlich anderen physisch überlegenen Bioinvasoren in ganz ähnlichen Thrillern, einen nach dem anderen. Das ist routiniert inszeniert und macht trotz der tödlichen Lage Lust darauf, noch tiefer abzutauchen, um dem Ökosystem noch andere Mysterien dieser Art zu entlocken. Darüber hinaus schafft, und das hebt den Film dann doch noch auf eine ethische Ebene, Regisseurin Neasa Hardiman sich und ihrem Skript ausreichend Raum, um auch die Frage nach Verantwortung zu stellen, wenn viel mehr auf dem Spiel steht als nur, die eigene Haut zu retten.

Sea Fever

Der Leuchtturm

KEIN PLATZ AN NEPTUNS TAFEL

6,5/10

 

derleuchtturm© 2019 Universal Pictures International

 

LAND: USA 2019

REGIE: ROBERT EGGERS

CAST: WILLEM DAFORE, ROBERT PATTINSON, VALERIIA KARAMAN U. A. 

 

„Los gehen wir“ – „Wir können nicht.“ – „Warum?“ – „Wir warten auf Godot“. Zwei Seelen im Nirgendwo. Die eine dominant, die andere devot, irgendwann kommt noch ein namenloser Dritter, der sich wie ein Hund aufführt. Machtspiele auf engstem Raum, Suizidgedanken, nahe am Wahnsinn angesichts all der Sinnlosigkeit, die nur beendet werden kann, wenn der eine, dieser Godot, sich derer erbarmt, die auf ihn warten. Samuel Beckett hat seinen Klassiker, wie es scheint, als Allegorie auf die menschliche Existenz entworfen – zugegeben hat er das nie. Die Frage nach dem Zweck seiner Stücke blieb unkommentiert. Dabei macht gerade dieses Werk besonders Sinn – weil es die Episode unseres Daseins so gnadenlos verzerrt. Robert Eggers hat das mit seinem Inselkrieg in Schwarzweiß ungefähr ähnlich betrachtet. Ganz genau weiß ich das natürlich nicht, überhaupt blieben nach Sichtung von Der Leuchtturm manche Fragen offen. Was genau, und das haben sich, so vermute ich, auch andere Seher gedacht, hat dieses durchaus auffällige und gegen den Strom treibende Werk eigentlich zu bedeuten? Aller Zugang fällt schwer, man vergleicht mit bereits Gesehenem, das Grübeln über jedes Detail lässt sich nicht so schnell einstellen.

Für dieses surreale Theater eignet sich nichts besser als ein Eiland im Nirgendwo, umgeben von den unberechenbaren Launen des Meeres. In der Mitte ein Leuchtturm, mit dem Allerheiligsten ganz obendrauf, dem Licht, der Erleuchtung. Zwei Männer – wie bei Beckett: der eine dominant, der andere anfangs devot. Dem einen gehört das Licht, dem anderen die Drecksarbeit. Wie lange kann das gut gehen? Nun ja, es sind vier Wochen, das kann man schaffen. Doch nicht, wenn die Mythologie der Meere auch noch ein Wörtchen mitzureden hat, vor allem dann, wenn der eine – Ephraim – sich an den Seelen toter Seebären vergreift. Von da an tönt das Nebelhorn zum Endspiel. Ein Sturm zieht auf, Realität und Fiktion verschwimmen, das Dasein wird zur Belastungsprobe.

Mehr Plot gibt es nicht, in diesem Mikrokosmos des Kommens, Bleibens und Gehens. Robert Eggers macht aus dieser Allegorie einen wuchtigen, wenn auch in lahmen Leerläufen keuchenden Schreckensreigen, der von ganz klein auf anfängt, und der in arglos sittsamer Orientierung seinen Anfang nimmt, bevor Macht, Gier, Sünde und die Suche nach der Wahrheit zur Geißel werden. Da eignet sich besonders Schwarzweiß, und Eggers hat was ganz Spezielles probiert: so zu filmen, wie seinerzeit die alten Meister  – Murnau, Lang, Wegener, Wiene. In 4:3, analog und in expressionistischem Hell/Dunkel, das vorwiegend in der Hütte unter dem Licht der Petroleumlampe geisterhaft gut zur Geltung kommt. Der Leuchtturm ist ein entrücktes Stück Kino, eine Kopfgeburt und artifizielle Spielerei. Mit Willem Dafoe als Inkarnation aus Iglo-Seebär und Meeresgott Neptun hat er den ungekrönten König der Insel auf der einen Seite gefunden, auf der anderen Seite den argwöhnischen, sich duckenden, durchaus psychopathischen Robert Pattinson, der diesmal so richtig aus sich herausgeht, bis zum Exzess und viel weiter. Beide schenken sich nichts, da ist das Warten auf Godot lieber als das Warten auf das Nachlassen des Sturms. Doch der formlose Leviathan, die Welt der Toten und der vereitelnden Ankläger für welche Sünde auch immer, brechen auf diesen Felsen herein, pflügen die Erde um, lassen Wasser fließen und Blut vergießen. Über allem das gleißende Licht des Leuchtturms. Eine verheißungsvolle Wahrheit, die den Tod bringt, sich maximal posthum erschließt oder im Todeskampf. Ein ernüchterndes Zeugnis, das Eggers hier ausstellt: Der Mensch als geblendeter Sünder, der das Legendenhafte verlacht. Ist Eggers so gelagert? Glaubt er an das Paranormale, Transzendente? Ein Däniken des Kinos? Oder eher Lovecraft?

Was bleibt, ist eine nihilistische Sperrigkeit und das Auskosten eines Wahns, ähnlich wie in Roman Polanskis Psychohorror Ekel oder Der Mieter.  Während bei Polanski die Heimgesuchten schuldlos in den Untergang steuern, und bei Beckett naive Clowns bis in alle Ewigkeit ausharren, streunt in Eggers Film der Mensch als Sünder um den Leuchtturm herum. Die Gültigkeit dessen aber, was man sieht, wird zur Gänze zum Seemansgarn. Kein leichtes Stück Kino also – manisch egozentrisch, panisch und affektiert. Eine Filmerfahrung, das schon – für Liebhaber des schauerlich Abnormalen und für alle Philosophen der Leinwand, die Hochprozentiges gewohnt sind.

Der Leuchtturm

Underwater – Es ist erwacht

BLAUE WUNDER DER TIEFE

6/10

 

underwater© 2020 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2019

REGIE: WILLIAM EUBANK

CAST: KRISTEN STEWART, VINCENT CASSEL, T.J. MILLER, JOHN GALLAGHER JR., JESSICA HENWICK U. A. 

 

Und wieder könnten wir das Zitat von Friedrich Nietzsche bemühen: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. Der wirtschaftlich orientierte Mensch will es einfach wissen, er bohrt und bohrt, und gräbt und gräbt, und stößt irgendwann auf etwas, das sich lieber in Ruhe und Frieden auf die Sandbank geknotzt hätte. In James Camerons Abyss waren es zum Beispiel extraterrestrische Kolonisten, die da ganz tief unten einen auf Zwergstaat machten. In Guillermo del Toros Pacific Rim hat sich der monströse Gigantismus durch die Erdspalten gezwängt, um ganze Städte zu Schutt und Asche zu legen. Ich erinnere mich auch gerne an diese submarinen Horrorszenarien wie Deep Star Six, natürlich alles Trittbrettfahrer zur erfolgreichen Alien-Reihe mit ihrem so simplen wie genialen Konzept „Haushoch überlegenes Monster gegen einen Haufen Amateure“. Wenn dann der Fachidiot über sich hinauswächst und zum Survivalexperten wird, dann ist das schon packend. Und die Tiefsee, wie wir wissen, ist einfach nur ein anderer Kosmos, funktioniert also genauso wie die unendlichen Weiten. Warum dann also in die Ferne schweifen – das Unbekannte lauert in der Tiefe, und gerne kann dies auch mit dem eigenen Unterbewusstsein interpretiert werden.

Was haben wir also? Natürlich die tiefste aller Erdspalten – den Marianengraben. Der Mensch bohrt hier also nach Rohstoffen und hat dafür eine ganze Stadt versenkt. Mittendrin in diesem Gewusel: Ex-Bella Kristen Stewart als Ingenieurin im wasserstoffblonden Kurzhaarschnitt, den sie mit Jean Seberg zum dritten Mal wiederverwerten wird (steht ihr aber verdammt gut, wie ich finde). Sie putzt sich gerade die Zähne, als der ganze Kobel in die Luft fliegt. Underwater lässt sich maximal zwei, drei Minuten Zeit, dann brescht der Film mit Volldampf voraus. Es kracht, splittert und plätschert. Und es kracht, splittert und plätschert auch die nächsten neunzig Minuten. William Eubank ist mit diesem Quick and Dirty-Reißer sowieso in seinem Element. Der Mann liebt Science-Fiction und das Kreatürliche, das Isolationsdrama des Menschen und die Überraschung. Mit Love hat er eine Major-Tom-Figur mit der Einsamkeit des Alls konfrontiert, und mit The Signal, einer kafkaesken Alien-Mystery, seine Genialität für das Verstörende bewiesen. Underwater ist sein simpelster Film, sein verspätetes Gesellenstück, grob behauen, aber das Talent ist erkennbar. Doch auch hier: High-Tech als humaner Fremdkörper, die stets versagt, und die Ohnmacht gegenüber unberechenbaren Kräften. Der Plot ist vom Alien-Pannenstreifen aufgesammelt. Dort, wo Pacific Rim geklotzt hat, versetzt das adäquate Kammerspiel einen Haufen Verlorener in die Grottenbahn. Neben Kristen Stewart versucht Vincent Cassel, Haltung zu bewahren, doch wie, wenn die bedrohliche Stille überfluteter Gänge nie lange anhält, um einen klaren Gedanken zu fassen, sondern in hektischer Zerstörungswut gleich die nächste Wand aus der Senkrechten holt. Das ist wie ein Hornbach-Werbespot auf Technikblau und Wassergrün, und die Sanitäranlagen sind hinter uns her. Doch nicht nur die: das Monströse ist auch nicht weit, und da gedenkt Eubank all der kryptozoologischen Easter Eggs in der plankton- und partikelgesättigten Finsternis, die da unten vielleicht noch auf uns warten, und gekonnt dem Strahl der U-Boot-Scheinwerfer bislang entgangen sind. Ein wahres Fest lässt er da veranstalten, del Toro hätte oder hatte schon längst seine Freude daran.

Underwater holt sich die Essenz aus dem Horror technischen Versagens, dabei plagt dem ökologischen Zeigefinger die Gicht, und die böse Absicht des Unbekannten ruht sich auf plattgedrückten Lorbeeren aus. Raffiniert geht anders, die panische Nullzeit-Flucht aus lebensfeindlichen Gefilden und vor der eigenen Fantasie, die der Blick ins diffuse Dunkel in uns hervorruft, geht aber vielleicht genau so.

Underwater – Es ist erwacht

Ein griechischer Sommer

FERIEN WIE DAMALS

6/10

 

Ein griechischer Sommer© 2012 obs/ZDF/LAURENT THURIN NAL

 

ORIGINALTITEL: NICOSTRATOS LE PÉLICAN

LAND: FRANKREICH, GRIECHENLAND 2012

REGIE: OLIVIER HORLAIT

CAST: EMIR KUSTURICA, THIBAULT LE GUELLEC, JADE-ROSE PARKER, FRANÇOIS-XAVIER DEMAISON U. A.

 

Die Ferien sind vorüber, die Schule hat begonnen. Kann sein, dass der sogenannte Altweibersommer zurückkehrt. Der erinnert dann noch mal an die schönen Stunden, die der mittjährliche Urlaub so mit sich brachte, abgesehen vom An- und Abreisestress, vom Ein- und Auspacken und vom Waschen der ganzen Urlaubswäsche. Aber das gehört schließlich dazu. Man würde es vermissen, hätte man nicht alle Hände voll zu tun, um durchschnittlich zwei Wochen irgendwo anders abzuhängen, ob in den Bergen oder am Meer, stets in Reichweite diverser mobiler Endgeräte. Dabei kann natürlich sein, dass, war man in den Bergen, in Balkonien oder im eigenen Land, das Meer immer noch Fokus diverser Sehnsüchte bleibt, so richtig Marke STS und im Sinne von Irgendwann bleib I dann dort, mit den Füßen im weißen Sand, eine Bottle Rotwein in der Hand und so weiter. Austropop-Kenner wissen, was ich meine, kaum ein Lied nährt mehr den Traum, auszusteigen als dieses. Bevor der Herbstalltag also einem Damoklesschwert gleich über uns hereinbricht, ließe sich unter Umständen mit vorliegendem Film der Sommer zumindest in den eigenen vier Wänden noch etwas hinauszögern. Ein griechischer Sommer ist genau das, was der Film beschreibt – eine strahlend schöne Jahreszeit irgendwo in der Ägäis, auf einer kleinen, unbekannten Insel voller pittoresker Küsten und verführerischen Lagunen, versteckt hinter strahlend blauem Meer.

Allerdings geht’s in dem französisch-griechischen Coming-of-Age-Filmchen weniger ums Urlaubmachen und Aussteigen, sondern um einen Vogel. Genauer gesagt um einen Pelikan, und der ins Deutsche übersetzte Titel Ein griechischer Sommer verbirgt im Gegensatz zum Originaltitel, was dahintersteckt. Diesen Pelikan, den findet der Halbwaise Yannis, der mit seinem griesgrämigen Fischervater irgendwo in einem einsamen Häuschen an der Küste lebt, bei einem Matrosen an Bord eines Frachtkahns. Allerdings ist der da noch ein kieliger Jungvogel – im Austausch gegen das Erbstück seiner Mutter kann er diesen aber freikaufen. Der Vater, der weiß natürlich nichts davon. Gut versteckt zieht Yannis den Vogel auf – bis die ganze Insel von der ornithologischen Sensation Wind bekommt.

Überraschend an diesem mediterranen Jugendfilm ist der Auftritt Emir Kusturicas. Der serbische Cannes-Gewinner und Autorenfilmer so schrill-schräger Kunststücke wie Underground oder Time of the Gypsies ist, wie ich zuletzt in On the Milky Road feststellen musste, alles andere als ein guter Schauspieler. In Ein griechischer Sommer schlägt er sich so halbwegs brauchbar mit seiner Rolle herum, sein verzotteltes Aussehen sorgt für mildernde Umstände. Was sonst noch zu sehen ist, passt auf eine Freilichtbühne neben obligatorischem Ausschank, wo es logischerweise auch Ouzo geben sollte. Denn so klischeehaft, wie das kleine Hafenstädtchen und seine aus der Zeit gefallenen Bürger, so kauzig ist das Ganze auch – erst vor einigen Jahren hat sich Christoph Maria Herbst in Highway to Hellas per Esel durch den mediterranen Karst geschleppt. Ähnlich geht es auch hier zu. Außer Fische fangen, dem Ausschenken von Rebensaft und dem Improvisieren mit dem wenigen, was da ist, bleibt nur noch, aufs Meer zu schauen und nichts zu tun. Und auch nichts zu erwarten. Wären da nicht die beiden Teenies Yannis, wie schon eingangs erwähnt, und Angeliki, dem Mädel vom Festland, Nichte des einzigen Barbesitzers der Insel und bald dicke Freundin des frisch gebackenen Vogelvaters. War das Tier anfangs noch eigenartig mechatronisch, ist es als adultes Federvieh ein tatsächlich dressiertes Unikum. Und wäre der Pelikan nicht, wäre der Film ein relativ belangloser Zwischenstopp in den blauweißen Farben von Griechenland, der wenig aufgeweckte Jugenderinnerungen hervorholt. Diese wiederum erinnern an einen ganz anderen Film, nämlich an Wie Brüder im Wind, in welchem ein Junge, der ebenfalls alleine mit seinem griesgrämigen Vater im unwirtlichen Gebirge haust, ein Adlerjunges findet – und großzieht. Im Grunde ist das die gleiche narrative Basis, nur mit weniger Personal. In Ein griechischer Sommer nimmt man die Metapher des Flüggewerdens allerdings leichter, humorvoller, weniger grüblerischer, aber auch leicht hysterischer. Das ist angenehm anders, und somit irgendwie noch eine kleine, filmische Auszeit vor dem Alltag.

Ein griechischer Sommer

Styx

SCHIFFE VERSENKEN FÜR ALTRUISTEN

7/10

 

styx© 2018 Benedict Neuenfels, Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: WOLFGANG FISCHER

CAST: SUSANNE WOLFF, GEDION WESEKA ODUOR U. A.

 

Willkommen in der Unterwelt. Bevor wir in den Hades vordringen können, müssen wir einen Fluss überqueren, der das Totenreich neunmal umfließt. Schwimmend geht das nicht, dazu braucht es einen Fährmann. Charon heißt er, und er will einen Obulus, eine Münze. Die legten die alten Griechen auf die Zunge des Toten, damit er eingeht in das Reich der Finsternis, in welchem schon Orpheus und Eurydike vorgedrungen und niemals wieder zurückgekehrt waren. Der Fluss, dessen Name ist Styx, übersetzt Wasser des Grauens. Styx ist auch der Name einer Göttin, der Tochter von Okeanos. Abgeleitet davon: Ozean. Auf solchem kurvt der Segler Asa Gray, unterwegs von Gibraltar nach Asuncion, einer kleinen Insel südlich von Sankt Helena, unberührtes Paradies und schon seinerzeit Faszinosum von Charles Darwin, der hier angelegt hat. Die Ärztin Rike, die macht sich alleine auf den Weg, wie vor einigen Jahren Robert Redford in All is Lost. Doch Redford, der konnte dem Sturm auf offener See nicht standhalten. Rike, gespielt von Theaterschauspielerin Susanne Wolff, schafft es zwar, Wind und Wetter zu trotzen, ist aber ungefähr auf der Höhe der Kapverdischen Inseln einer ganz anderen Katastrophe ausgesetzt, die nicht weniger verheerend ist. Und für die es eigentlich keine Lösung gibt, zumindest nicht für das kleine Boot, konzipiert für maximal zwei Personen.
Dieses Unglück ist ein havarierter Fischkutter, bis über die Grenze der Belastbarkeit vollbeladen mit Flüchtlingen, die, dehydriert und am Ende ihrer Kräfte, verzweifelt rufen und winken, ins Wasser stürzen, untergehen. Das ist ein menschliches Desaster, das können wir uns nicht vorstellen. Das kann sich Ärztin Rike genauso wenig vorstellen. Besonnen, wie sie ist, funkt sie die Küstenwache an. Mayday Mayday, heißt es. Der Notruf wird gehört, Hilfe ist am Weg. Doch das rettende Schiff, das kommt nicht. Und die junge Nautikerin muss eine Entscheidung treffen, der sie nicht entkommen kann. Denn was sie erst später merkt: Das Gewässer des Styx, das liegt unter ihr, gluckert in kleinen Wellen um den Bootskiel herum. Chiron fragt nach dem Obulus. Doch den gibt es nicht. Nicht für alle.

Der Österreicher Wolfgang Fischer hat ein konzentriertes, und doch episch weites Kammerspiel entworfen, selbst verfasst und gedreht. Gesprochen wird wenig, fast ausnahmslos über Funk. Sein Film Styx ist in Zeiten wie diesen höchst brisant, vermeidet es aber, was bei Filmen wie solchen leicht passieren kann, den Moralapostel zu spielen oder gar auf zu simple Art und Weise den erhobenen Zeigefinger zu recken. Was Fischer will, ist ein Gleichnis errichten, auf instabilem Grund. Eine Parabel über Ignoranz und Zivilcourage. Über die Selbstlosigkeit des Einzelnen im Angesicht einer humanitären Katastrophe und der eiskalten Erbarmungslosigkeit vieler, nämlich jener, die eine Nation erst ausmachen, die wiederum von einer dem Fremden ablehnenden Politik geprägt wird, unter dem Vorwand, erstmal auf sich selbst schauen zu müssen. Es sind die Flüchtlinge, die keiner will, für die niemand verantwortlich ist, da wir schließlich nicht als Weltenbürger auf die Welt gekommen sind, sondern als Patriot eines Staates, der sich künstlich abgrenzt. Dass unser Planet im Grunde gar keine Grenzen hat, sieht niemand mehr. Das sehen vielleicht nur die, die über die Weite segeln, wie einst Odysseus, wie einst Christoph Kolumbus oder Magellan. Der Mensch ist in Fischers Styx längst nicht mehr von gleicher Wichtigkeit. Flüchtlinge werden zu Untermenschen, sie werden wieder zu Sklaven eines Ungleichgewichts. Mittendrin eine wohlhabende Weiße, die als einzige den Obulus hat, um in die Unterwelt vorzudringen. Aber will sie das denn? Das ist nicht die Frage. Sie muss. Weil es menschlich ist. Weil genau das uns besonders macht.

Styx führt zu einem völlig anderen Umkehrschluss als das thematisch sehr ähnliche, französische Seglerdrama Turning Tide mit François Cluzet. Weil Sytx mehr erzählen will. Fischer sucht einen gemeinsamen Nenner der Beschützenden und zu Schützenden, und dabei wagt er sich durchaus vor in den Versuch einer metaphorischen Darstellung, die auf den ersten Blick ratlos zurücklassen könnte, mit ein bisschen Abstand aber den Eindruck erweckt, zu Ende gedacht zu sein. Styx ist kein filmisches Mahnmal, vielmehr eine Reinigung des Blickes und ein Wiederfinden des Anstands. Ein kluger Film, der sich zwischen den Bildern liest. Und der die Segel so setzt, um am Weltproblem nicht vorbeizuschippern.

Styx

303

LIEBE GEHT DURCH DEN WAGEN

5,5/10

 

303© 2018 Alamode

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: HANS WEINGARTNER

CAST: MALA EMDE, ANTON SPIEKER, MARTIN NEUHAUS U. A.

 

Ab in den Süden! – Ich kann es kaum erwarten, bis Buddy vs. DJ the Wave wieder aus dem Radio scheppert, bis die Uhren endlich umgestellt sind und es langsam wieder nach Sommer riecht. Mit Ab in den Süden ist das Urlaubsfeeling in der Zielgeraden, da freut man sich, endlich ausbrechen und den ganzen Alltag hinter sich lassen zu dürfen. So wie die 24jährige Biologiestudentin Jule, die gerade ihre letzte Prüfung vor der große Pause versemmelt hat und sich nun mit einem Wohnmobil der Marke Mercedes Homer 303 aufmacht, ihren Freund zu besuchen, der in Portugal weilt und noch gar keine Ahnung davon hat, dass er womöglich Vater wird. Doch ganz sicher ist sich Jule da nicht – ob sie die Schwangerschaft nicht abbrechen soll? Kurz nach Berlin gabelt die junge Frau an einer Tankstelle den Tramper  Jan auf – ebenfalls Student, ebenfalls mit einem Projekt gescheitert, und eigentlich vaterlos. Sein unbekannter, biologischer Erzeuger, der weilt auch im Süden, und zwar in Spanien. Sommerferien sind also da, um das zu tun, was man irgendwie tun muss − wobei der Weg als Ziel eigentlich viel schöner ist als das, was wartet, wenn man ankommt.

Fatih Akin hat schon Anfang der 90er mit der Sommerkomödie Im Juli so ein launiges, verliebtes Roadmovie inszeniert, mit einer traumhaft quirligen Besetzung, und mit einer kurzweiligen Story, die nah an der hollywoodtauglichen Krimikomödie entlangflaniert. 25km/h, die Reise auf zwei Mofas Richtung Nordsee, war auch so ein Selbst- und Wiederfindungstrip. Und 303 – der liegt auch irgendwo auf dieser Schiene, nähert sich aber thematisch fast schon mehr den Dialogkomödien eines Richard Linklater an, insbesondere der Before-Trilogie, bestehend aus Sunrise, Sunset und Midnight. Ethan Hawke und Julie Delpy trafen sich da in Wien, Paris oder letztendlich in Griechenland, um einfach miteinander zu reden, Diskussionen vom Zaun zu brechen und an den Erkenntnissen zu wachsen. Das ist auch der Punkt, warum Linklaters Dialog-Trilogie in allen Teilen so gut funktioniert. Weil einfach die Chemie zwischen den beiden gestimmt hat – und beide auch bereit waren, ihren Standpunkt zu verändern, aus einem anderen Licht zu betrachten, sich selbst zu hinterfragen.

Die Chemie zwischen Mala Emde und Anton Spieker scheint erstmal auch zu stimmen. Beide Schauspieler lassen sich gut aufeinander ein, und sehr wahrscheinlich lief das Casting für diesen Film nicht getrennt voneinander ab, wie vielleicht bei Herzblatt. Die beiden mögen sich, das ist klar, zumindest nach dem zweiten Anlauf, denn beim ersten Mal hat Jan noch den Beifahrersitz räumen müssen, weil er bei Jule einen wunden Punkt getroffen hat. Gut aber, dass der Zufall es so wollte und beide wieder zusammengeführt hat. Und so tingeln sie quer durch Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien. Wir sehen, wie sie die offenen EU-Grenzen passieren, wenn der Kölner Dom oder rustikale französische Dörfer vorbeirauschen und das Meer zum Greifen nah ist. Während sie so von einer Landschaft in die nächste reisen, rund eine Woche lang, wird viel geredet, diskutiert und sinniert. Und genau darin liegt das Problem in diesem deutlich überlangen und auch viel zu langen Reisefilm vom Österreicher Hans Weingartner (Das weiße Rauschen, Die fetten Jahre sind vorbei). Sein mobiler Liebesfilm nimmt sich einerseits und vollkommen nachvollziehbar genügend Zeit, die Zuneigung der beiden füreinander langsam, aber stetig und glaubhaft wachsen zu lassen. Das ist das Kernstück, das tatsächlich auch so gemeinte Herzstück des Films – denn das Herz, das spielt hier eine große Rolle. Und was das Herz will, das, so wünscht man sich, soll es bei Jule und Jan auch bekommen. Andererseits aber sind die Dialoge nicht das, was sie sein sollten, da hätte Weingartner von Linklater mehr lernen sollen. Insbesondere bei den Gesprächen, die so aussehen sollen wie jene über Gott und die Welt. Wenn es um Suizid, Sexualität und Massenkonsum geht, wirken die Diskussionen so klischeehaft, vorbereitet und in den Mund gelegt wie durchkonzipiertes Schulfernsehen. Kann sein, dass Mala Emde und Anton Spieker hier aus dem Stegreif plaudern, aber wie Stegreif mutet das ganze nicht an. Eher wie eine Umfrage zu trendigen Jugendthemen. Da fehlt das Unmittelbare, das Aufgreifen des Gesprächs aus der Situation heraus. So hat man das Gefühl, einem Schulprojekt aus der Oberstufe beizuwohnen, das gerade mal ein Wochenende Zeit gehabt hat, sich stichwortartig die Fragen zu überlegen.

Liebens- und sehenswert sind die beiden ja trotzdem, und es sei ihnen das Glück in ihrem jungen Leben vergönnt, aber vielleicht bin ich diese Art der Twentysomething-Diskussionskultur schon durch und muss niemandem mehr meinen Standpunkt klarmachen. Weingartners Verliebte müssen das, und so ist sein Film auch durch den Eifer seiner populären, recht aufgepappten Topics ein reiner Jugendfilm, der weder überrascht, erstaunt oder Reibungsflächen bietet, der einfach nur  – und das kann er aber –- vom Gefühl einer Sommerliebe erzählt, und vom Alltag, den man gerne zurücklassen würde. Was aber nicht ganz klappt, denn die Hürden des Lebens sind mit dabei, wobei diese in 303 aber kleiner werden, sich anders verlagern oder von selbst lösen. Das ist wohl das, was das Reisen ausmacht – Distanz hinter sich und dem Status Quo zu bringen, während man sich neuen Horizonten auf der Landkarte und im Kopf zuwendet.

303

Aquaman

WENN SUPERHELDEN IM TRÜBEN FISCHEN

3/10

 

aquaman© 2018 Warner Bros. Pictures Germany

 

LAND: USA 2018

REGIE: JAMES WAN

CAST: JASON MOMOA, AMBER HEARD, WILLEM DAFOE, PATRICK WILSON, NICOLE KIDMAN U. A.

 

Gegenwärtig ist nur ein Bruchteil unserer Meere eingehend erforscht worden. Die Tiefsee ist gar ein Buch mit sieben Siegeln – diese lebensfeindliche lichtlose Welt lässt sich ohnehin nur in einzelnen Kubikmetern genauer betrachten. Dennoch – so blind könnten nicht mal wir Menschen sein, um nicht irgendetwas von irgendeinem dieser sieben gigantischen unterseeischen Königreiche zumindest aus den Augenwinkeln spitzzukriegen. Nach den DC Comics über Aquaman dürfte die Menschheit auf trockenem Fuß so sehr mit sich selbst beschäftigt sein, dass bisher nichts über die Existenz mehr oder weniger evolutionär begünstigter Fischmenschen durchsickern konnte. Schön für Atlantis, schön für alle anderen, die Haie, Riesenseepferdchen und Buckelwale domestizieren konnten und Städte aus Medusenschirmen und Fischblasen erbauen. Die Rätsel solcher Koexistenzen, die hat zum Beispiel die Wizarding World einer Jeanne K. Rowling geschickter gesponnen. Und auch Marvel hat sich mit seiner unter einem Tarnschirm verborgenen afrikanischen Stadt Wakanda ein bisschen mehr für eine der alternativen Realität inhärente Logik bemüht. Aber sei’s drum, ist nicht so wichtig. Das phantastische Kino darf fast alles – wenn der Rest irgendwie passt, soll von mir aus alles, was sich unter dem Meeresspiegel abspielt, ein Geheimnis bleiben.

Dieses Geheimnis, das hätte Aquaman am Besten für sich bewahren sollen. Denn sein Solo-Abenteuer unter der Regie von Saw und Fast&Furious-Virtuose James Wan unterliegt qualitativ sogar der Keilerei Batman vs. Superman (die ich ohnehin gar nicht mal so misslungen fand) und donnert noch kurz vor Ende des Kinojahres 2018 kalter Gischt gleich als quälend trivialer Trashfilm gegen die Wellenbrecher des guten Filmgeschmacks. Dabei trifft Muskelpaket Jason Momoa eigentlich gar keine Schuld. Nicht nur einmal beweist er während der überlangen 145 Minuten Spielfilmlänge, wie sehr ein schöner Rücken nicht entzücken kann, und der Understatement-Blick über die Schulter ist das Beste, was Aquaman zu bieten hat. Alles andere ist eine Panscherei wie bei einem Science-Workshop für Vorschulkinder, die mal ausprobieren wollen, welche Substanzen nicht alle miteinander effektiv reagieren können. James Wan führt sich dabei auf wie ein entfesselter Lausbub, der sehr von den schwankend qualitativen CGI-Orgien eines George Lucas aus Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger beeindruckt gewesen zu sein scheint und genauso breitenwirksam in die Schlacht ziehen will wie der Schöpfer von Luke Skywalker und Co. Nur – System hat das ganze nicht mehr. Frozen Stills wechseln mit Superzeitlupe, und jene wechselt mit tosenden Bilderstrudeln, die für gähnende Übersättigung beim Publikum sorgen. Doch die wahre Leistung für einen der schwächsten Comic-Verfilmungen aus dem DC-Universum ist sprachlicher Natur. Schauspielgrößen wie Nicole Kidman und der allen Genres aufgeschlossene Willem Dafoe, der so wie Ben Kingsley überhaupt schon alles spielt, was er in die Finger bekommt, haben womöglich die Dreharbeiten zu Aquaman unbeabsichtigt in die Länge gezogen – bei diesen Dialogen reicht ein Take nicht aus, um nicht noch nach dem zehnten Mal in Gelächter auszubrechen. Selbst ein Profi tut sich dabei schwer, ernst zu bleiben. Das Dumme: Aquaman möchte gar nicht mal so sein wie Thor: Tag der Entscheidung, andererseits aber auch nicht spaßbefreit, am Besten etwas selbstironisch wie Deadpool. Ist er aber nicht. Komische Kalauer zu schieben ist eine Sache, genau dann unfreiwillig komisch zu sein, wenn es dramatisch zugehen soll, ist ein Fettnäpfchen, das seine Bremsspur durch den ganzen Film zieht.

Wer sich noch an den Achtziger-Sci-Fi-Gschnas Flash Gordon erinnern kann, darf davon ausgehen, dass der Solo-Auftritt der laut Big Bang Theory wohl unbeliebtesten Figur des Superhelden-Universums ähnlich verbraten wird. Der Trash-Sender Tele 5 wird sich womöglich rechtzeitig und unter lautem Jubel die Free-TV-Rechte dafür sichern wollen. Und all die Unkenrufer gegen den drögen Superhelden-Overkill, die gerne alles über einen Kamm scheren, bekommen mit Aquaman wieder jede Menge unterstützenden Zündstoff für die Legitimation ihrer heftigen Kritik. Ja, bei dieser Gurke hier gebe ich Ihnen recht. So macht man keinen Superhelden-Film, so rückt man das Genre wieder ins falsche Licht. Jason Momoa, den können wir als Aquaman gerne behalten, das ganze chaotische, erschreckend undurchdachte Brimborium drumherum kann gerne unbefristet auf Tauchstation gehen, bei aller Liebe zu den Kreaturen des Meeres, die von mir aus jedem Evolutionsgedanken trotzen.

Aquaman

Meg

REVOLVERGEBISS MIT LADEHEMMUNG

2/10

 

meg© 2000-2018 Warner Bros.

 

LAND: USA 2018

REGIE: JON TURTELTAUB

MIT JASON STATHAM, LI BINGBING, RUBY ROSE, CLIFF CURTIS, RAINN WILSON U. A.

 

Zugegeben – letztwöchiges Baden auf den Balearen hatte schon so seinen leichten Urlaubs-Thrill, wissen wir doch dank objektiver News, dass weiße und blaue Haie rund um die Inselgruppe des westlichen Mittelmeers vermehrt gesichtet wurden. Die Bilder im Kopf beim Schnorcheln durch relativ artenfreie Zonen brachten exorbitant mehr Spannung in den Alltag als der neueste, weitgehend familienfreundliche Tierhorror aus amerikanischen Landen, vorwiegend unter Beteiligung der chinesischen Film- und Fremdenverkehrsindustrie. Was Stoppelbart Jason Statham da ausbaden muss, geht auf keine Haifischflosse – und zählt mit aktuellem Datum zu den misslungensten Filmen dieses Jahres.

Der Meg oder Megalodon, wie der prähistorische maritime Urzeitriese nicht nur taxonomisch, sondern auch umgangssprachlich genannt wird, steckt natürlich alle rezenten Knorpelfische in die Kiementasche. Früher war alles größer, das freut natürlich den Mainstream, denn der kann ungeachtet der Naturgesetze all das schreckliche Vergangene wiederaufleben lassen. Ein Riesenhai wie Megalodon – das war, soweit ich weiß, bis dato noch nicht da. Keine Ahnung, ob es den bereits in irgendeinem Sharknado-Teil vom Himmel geregnet hat. Fürs Big Budget pflügt der Allesfresser erstmals durchs chinesische Meer – und sollte aber angesichts der versenkten Gurke von Film schnellstmöglich wieder in die Erdgeschichte abtauchen. Das weiß der Zuseher natürlich in den ersten Minuten des Filmes noch nicht, da erfreut man sich sogar noch des gewieften Suspense-Faktors, wenn das Tier in der ersten halben Stunde noch nicht zu sehen ist. Gut gemacht, fast schon Spielberg, möchte man meinen. Das „Fast“ wächst sich aber zu einem niederschmetternden „Absolut nicht“ aus, angesichts eines Drehbuchs, das von Nasenspitze bis Schwanzflosse einfach nicht versteht, wie Spannungsbögen aufzubauen sind. Dem Möchtegern-Haithriller Meg liegt ein storytechnisches Konzept zugrunde, das anmutet wie eine Aneinanderreihung halb ausgearbeiteter Episoden, die dann mangels weiterführenden kreativen Inputs einfach aneinandergeknüpft wurden. In regelmäßigen Intervallen von sagen wir 20 Minuten sackt das bisschen Spannung auf den Nullpunkt ab, um sich erneut wieder hochzuarbeiten zu katastrophalen Ist-Zuständen Marke Mensch gegen Hai, die wir seit Spielbergs Der weiße Hai aus dem Jahre 1975 alle schon mal viel besser und innovativer gesehen haben. Boote kentern, irgendwer fällt irgendwo ins Wasser, entbehrliche Nebenrollen, die von der ersten Sekunde ihres Auftretens an das Stigma der Opferrolle tragen, werden relativ unblutig am Stück verzehrt. Offshore-Forschungsstationen wurden bereits mit weitaus kleineren marinen Killern spätestens ins Deep Blue Sea von Renny Harlin weitaus knackiger und fieser in die Mangel genommen.

Wäre es nicht der ungelenke, hanebüchene Patchwork-Plot des Films, dann wären es die halbgaren CGI-Effekte aus dem Diskonter, die mit 3D-Brille noch zusätzlich um einiges unschärfer und diffuser wirken. Brillanz ist was anderes, das Ausbleiben selbiger fügt sich aber nahtlos an das hölzerne Schauspiel der Protagonisten an, die wohl lieber bei Piranha 3D mitgewirkt hätten als bei dieser zahnlosen Produktion, für die sich ein Regisseur verantwortlich zeichnet, der Romanzen wie Während du schliefst in seinem Oeuvre hat. Dementsprechend genreverwirrt lässt er seine Schauspieler Dinge sagen, die wir aus billigen Asia-Soaps kennen (sofern man die überhaupt kennen will) und eiert über die algigen Planken eines unmotivierten Ökothrillers, bei dem man sich gewünscht hätte, der Peilsender für den Hai hätte bereits das Gift enthalten, das ihm injiziert werden soll. Das hätte allen ein früheres Ende beschert, auch wenn sich der konstante Filmcharakter Jason Statham als barfüßiger Held im Neopren, der anfangs ein bisschen an Terence Hill erinnert, halbgottgleich der 13ten Herkulesaufgabe nur zu gerne gegenüberstellt.

Meg ist eine ärgerliche Enttäuschung, auch wenn Unkenrufer gerne darauf plädieren, dass nichts anderes zu erwarten gewesen wäre. Oh doch, kann ich nur entgegnen. Das ganze Szenario hätte man ordentlich würzen können, so ein Urzeitmonster hätte schon Potenzial für überdimensionierten Tierhorror, der seine Zielgruppe nicht so schamlos unterschätzen müsste und Erwartungshaltungen durchaus untergraben könnte, ohne sich sinkende Besucherzahlen einzutreten. Trotz einiger weniger Schrecksekunden ist Turteltaub´s Hai-Ausflug so prickelnd wie ein Gratis-Cluburlaub mit zwangsbeglückender Heizdecken-Verkaufsshow. Trotz all der vielen Zähne, die da zubeißen, fehlt dem Machwerk jeglicher Biss.

Meg

Die Farbe des Horizonts

SEGELN UM KOPF UND KRAGEN

7/10

 

Sam Claflin and Shailene Woodley star in ADRIFT 
Courtesy of STXfilms© 2018 Weltkino

 

ORIGINAL: ADRIFT

LAND: USA 2018

REGIE: BALTASAR KORMÁKUR

MIT SHAILENE WOODLEY, SAM CLAFLIN, GRACE PALMER U. A.

 

Neidisch könnte ich werden. Junge Menschen an den Stränden Tahitis, ungebunden und nur für sich selbst verantwortlich. Einfach zu jung, um sich Sorgen zu machen. Manche haben sogar ihr eigenes Boot, wenn geht selbst gebaut, mit dem sie die Meere durchkreuzen, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Eindrücken, oder gleich nach der Frau fürs Leben. Die findet der junge Richard, als er in der Südsee einen Zwischenstopp macht. Die Kalifornierin Tami ist auch so eine losgelöste Seele, mal da mal dort ein bisschen Geld verdienen, um nur das zu machen, was wirklich auf der Willhaben-Liste steht. Gefunden haben sich die beiden schnell, ihre Liebe zueinander ist bald gestanden. Auf geht’s übers Meer.

Bis dahin klingt die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte ein bisschen – was heißt ein bisschen – nach Nicholas Sparks oder Rosamunde Pilcher, vielleicht sogar ein bisschen nach einem Ferienfilm von Richard Linklater, in dem ganz viel gequatscht wird, während den jungen Dauerurlaubern die Sonne auf den Bauch scheint. Doch ein Werk von Studenten-Philosoph Linklater ist dieser Film keiner. Obwohl von Schauspielerin Shailene Woolley höchstselbst produziert, trägt das romantische Abenteuerdrama Die Farbe des Horizonts die Handschrift eines Genre-Experten, der mit unglaublichen Outdoor- und Survival-Geschichten bereits seinen Beitrag zur Filmgeschichte geleistet hat: Balthasar Kormákur. Der Isländer hat mit seinem True Story-Debüt The Deep schon so ziemlich überzeugt. Sein letzter „Land der Berge“-Horror Everest war intensiv und fesselnd. Die Dimensionen der Kälte im Rücken, hat Kormakur nun seinen menschlichen Kreuzweg in den warmen Pazifik verfrachtet, genau dorthin, wo nämlich nichts ist, außer Himmel und Meer, quälende Sonne und verlockende Resignation. Dass dieses ach so verliebte, turtelnde Paar dann, statt bis nach Japan, quer über den Pazifik segelt, um das Boot eines Bekannten in den sicheren Hafen von San Diego zu bringen, ist der Wink eines Schicksals, welches später gnadenlos zuschlagen wird. In der schwer zu fassenden Gestalt eines Hurrikans, mitten auf hoher See. Das möchte ich nicht mal im Traum erleben, mir selbst reicht schon ein böiger Wind, der das Boot einer Attraktion im Vergnügungspark gleich hin und her schaukeln lässt, weit entfernt von lebensbedrohlichen Szenarien. Doch die Ratio kommt im Kopf nicht an, vor manchen Dingen hat man einfach mehr Angst als vor anderen. Dennoch lockt es mich immer wieder in solche Filme, vielleicht, weil ich in diese Richtung bereits Erlebtes gut verarbeiten kann, oder weil es mich einfach fasziniert, wie Menschen über sich herauswachsen, um Unmögliches durchzustehen.

Shailene Woodley´s Jung-Amerikanerin Tami gelingt genau das – sie steht das Fernweh, das diesmal so richtig wehtut, bis zur Selbstaufgabe durch. Ihr sonnengebleichtes Haar, ihr tropengebräunter Teint macht sie zu einer Ali McGraw des authentischen Abenteuerfilms, mit Mut zur leidensfähigen Expressivität, die wir normalerweise von Jennifer Lawrence gewohnt sind. Woodley holt das Publikum aber sogar noch besser ab, vertraut ihrer Rolle und ihrem Zugang dazu. Lässt teilhaben an dieser Entbehrung in einer lebensfeindlichen Unendlichkeit, wie damals Robert Redford in All is Lost, allerdings mit dem Faktor einer Liebenden, die mehr zu verlieren hat als „nur“ die eigene Existenz.

Die Farben des Horizonts, die leicht als kitschig fehlinterpretiert werden und die als Titel eines Filmes die falschen Hoffnungen für einen Schmachtfetzen hegen, ist ein unchronologisch erzähltes Südseedrama mit dem Geschmack von Meersalz, das mit dem Höhepunkt beginnt und das Gestern und Morgen behutsam zusammenführt. Das mag erstmal etwas verwirrend und vielleicht auch zu willkürlich und unmotiviert anmuten, erhält aber gegen Ende seine Berechtigung und bleibt als packender Überlebenskampf gegen Wellen, Meer und Himmelsrichtung auf schmerzvolle wie trotzige Weise in guter Erinnerung.

Die Farbe des Horizonts

Atlantic

DES MEERES UND DER LIEBE WELLEN

7/10

 

Atlantic© 2014 Thimfilm

 

LAND: NIEDERLANDE / BELGIEN / DEUTSCHLAND / MAROKKO 2014

REGIE: JAN-WILLEM VAN EWIJK

MIT FETTAH LAMARA, THEKLA REUTEN, MOHAMED MAJD, BOUJMAA GUILLOUL U. A.

 

Stürmisch ist er. Saukalt. Strömungs- und nährstoffreich – der atlantische Ozean. Nicht gerade das Meer zum Chillen, aber das Meer, um den starken Sportler zu markieren und zu surfen, was das Zeug hält. Die Küsten Marokkos und jene der kanarischen Inseln sind das Paradies für Wellen-Junkies schlechthin. Wer ein Surfbrett hat, hat den Sinn seines Lebens gefunden. Und gehört fortan zu einer Gruppe von Menschen, die mit Dreadlocks, kurzen Schlabberhosen und einer gehörigen Portion Lässigkeit das Leben auf die leichte Schulter nehmen. Um meterhohen Wasserbergen zu trotzen gehört schon eine Portion rotzfrecher Todesmut. Und nach jeder unversehrten Rückkehr an den Strand ist die Existenz um einige Fuhren Küstensand leichter. Womit wir beim Subgenre des Surfer-Films wären. Tatsächlich gibt es Festivals wie jene des Bergfilms, die sich ausschließlich den gefilmten Loops mit Brett und Segel widmen. Womöglich nur was für Surfer-Nerds, obwohl auch Nicht-Dudes so mancher cineastischen Spezialität neben all den atemberaubenden Stunts auch andere Aspekte abgewinnen können. So gesehen bei Atlantic, einer entrückend poetischen Filmerzählung, die den Wassermassen zwischen alter und neuer Welt in den schönsten Lichtreflexionen huldigt und einen Fischersohn namens Fettah auf eine Reise schickt, von welcher er womöglich nicht mehr zurückkehren wird.

Der niederländische Filmemacher Jan-Willem van Ewijk hat ein elegisches Essay über die Sehnsucht nach einem besseren Leben inszeniert, ohne sich dabei aber explizit auf die Charakterisierung des Flüchtlings an sich zu beschränken. Sein Film fordert mehr Fragen und Skepsis zutage als es anfangs den Anschein hat. Denn der Laiendarsteller und Surfer Fettah, der von van Ewijk für eine Rolle selbes Namens gecastet wurde, gibt sich seinen Träumen hin. Den Träumen von einem Leben in einem Elysium des Westens, in einem gelobten Land, wo Milch und Honig fließen, wo es allen besser geht, wo das einzig erstrebenswerte Ziel des materiellen Wohlstands so nah ist wie nirgendwo sonst. Es ist weniger die Schwärmerei für eine junge Frau, die den jungen Fischer und Surfer beeindruckt, sondern der Ort, von wo dieses Wesen aus dem Westen herzukommen scheint. Längst an einen Freund Fettah´s vergeben, entspinnt sich zwischen beiden dennoch eine fast schon intime Vertrautheit – die aber nicht mehr sein kann als ein sommerlicher Flirt, dessen Buschfeuer relativ schnell verraucht. Der Mann aus Afrika will aber mehr. Was genau, darüber lässt uns van Ewijk eigentlich im Unklaren. Sein Abenteurer will das, was durch den Besuch sämtlicher Touristen plötzlich so greifbar nah erscheint. Will das, was er eigentlich gar nicht kennt, und über die Maßen idealisiert. Es ist die eigene Unzufriedenheit, die das Auswandern in ein besseres Leben rechtfertigen soll. Das eigene kleine Glück, die Wertschätzung vertrauter Menschen, greifbare Werte, die bleiben, wenn nichts mehr bleibt – selbst die einfordernden Rufe nach Rückkehr bleiben angesichts des Wagemuts, die Grundrechte auf das Menschenmögliche einzufordern, ungehört.

So fängt der junge Mann und das Meer keinen Marlin, der an der Angel hängt und wie bei Hemingway während der Fahrt zurück ans Ufer aufgefressen wird – vielmehr orientiert sich der Glückssucher an den Gestirnen, und verliert dennoch die Orientierung. Mag sein, dass ich Atlantic völlig falsch eingeschätzt habe. Doch das, was mir van Ewijk´s Film vermittelt, ist kein Manifest, dass Mut macht oder den Mutigen bemitleidet. Nichts, was den Flüchtenden besser verstehen lässt. Im Gegenteil. Die Sehnsucht nach dem Mehr im Leben taucht im Meer des Lebens auf poetische, zurücknehmend kritische Weise als Fragment in der kalten Strömung unter.

Atlantic