Gran Turismo (2023)

VOM KINDERZIMMER AUF DIE RENNBAHN

7/10


Archie Madekwe (Finalized)© 2023 CTMG. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: NEILL BLOMKAMP

DREHBUCH: JASON DEAN HALL, ZACH BAYLIN

CAST: ARCHIE MADEKWE, DAVID HARBOUR, ORLANDO BLOOM, DJIMON HOUNSOU, GERI HALLIWELL, DARREN BARNET, JOSHA STRADOWSKI, MAEVE COURTIER-LILLEY, MAXIMILIAN MUNDT, THOMAS KRETSCHMANN U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Es gibt diesen von mir als Jugendlicher sehr geschätzten und dutzende Male gesehenen Film aus den Achtzigern: Starfight. Kennt Ihr den? Das Science Fiction-Abenteuer, welches erstmals ganze computeranimierte Passagen für seine Weltraumschlachten verwendet hat, besitzt zumindest anfangs eine vergleichbare Prämisse wie in der eben erst angelaufenen True Story über einen Gamer, der dank seiner exorbitanten Leistungen vor dem Monitor tatsächlich in einen Boliden steigen darf. In Starfight war ein auf Erden aufgestelltes Arcade-Spiel ebenfalls dazu da, um geeignete Kampfpiloten zu finden, die letztlich einen für die Erde kaum relevanten Krieg zwischen zwei Alien-Rassen ausfechten mussten. Alex Rogan war einer von ihnen – und durfte ins All.

Was in der Fiktion vielleicht ein bisschen haarsträubend klingen mag, ist – umgemünzt auf den Rennsport – ähnlich passiert. Spontan würde man diese Methode des Marketings für fahrlässig erachten, denn wie sehr kann ein Stubenhocker, der zwar in der Theorie vieles über Autos weiß, denn wirklich und im echten Leben seine über 300 Sachen fahren, auch wenn er die Rennstrecken dieser Welt so gut wie auswendig kennt? Wer nichts wagt, der nicht gewinnt – doch für diesen PR-Gag akzeptiert der Aufsichtsrat von Nissan dann doch ein gewisses Risiko, dank der charismatischen Überzeugungskraft von Marketing Manager Danny Moore („Legolas“ Orlando Bloom). Natürlich ist die Auswahl des letztlich für den Autohersteller wettreitenden Testimonials kein 6 aus 45, sondern setzt sehr wohl gewaltiges Können voraus. Erstmal auf der Konsole, und dann auf dem Asphalt. Das Rennen macht ein dauerzockender Teenager aus Cardiff, Jann Mardenborough, um als einer von zehn Teilnehmern an der GT Academy unter der Obhut des grimmigen, aber herzensguten Ex-Rennfahrers Jack Salter (David Harbour) zum Bleifuß heranzureifen. In der Welt des Rennsports werden diese sogenannten Sim-Racer wenig willkommen geheißen. Und als während der ersten Rennen an den berüchtigtsten Strecken Europas die Nerven blank liegen, weil es um Leben und Tod geht, stößt sich – was unvermeidbar war –  Jann seine Hörner ab.

Lange schon war Gran Turismo als Verfilmung des gleichnamigen Simulators im Gespräch – für den nun endlich erschienenen Sport-Actioner holten die Geldgeber Science-Fiction-Visionär Neill Blomkamp aus der Versenkung, dessen besten Zeiten mit District 9, Chappie oder Elysium lange zurückliegen. Am Alien-Franchise hätte er herumprobieren sollen, doch daraus wurde nichts. Weg vom Phantastischen hin zu rauchendem Gummi klappt allerdings auch – gepaart mit dem richtigen Timing für das Zwischenmenschliche hinter dem Eifer des Sieges braucht sich Gran Turismo kaum hinter anderen Genrewerken zu verstecken, obwohl sich nicht alles, was wir hier zu sehen bekommen, wirklich so zugetragen hat. Dass David Harbours Figur aus rein dramaturgischen Gründen in die Story eingeflochten wurde und gar nicht wirklich existiert hat; dass Orlando Blooms Charakter auch ganz anders hieß und das 24 Stunden-Rennen statt in Les Mans in Dubai stattgefunden hat – alles Zugeständnisse für eine klassische Sportgeschichte, die von Ehrgeiz, dem Willen zum Sieg und dem Alles ist möglich-Motto erzählen. Es gibt die Freundin, die den Rücken stärkt, der reuevolle Vater, der die Skills des Sohnes nicht richtig zu schätzen wusste und der aufrechte Mentor, der zum Freund wird und Janns Glauben an sich selbst pusht: Alles Versatzstücke, die man gerne bedient – aber auch gerne bedient sieht. Denn Geschichten wie diese, die sind zwar simplifiziert und biedern sich den Wünschen der Geldgeber an, können aber auch ordentlich mitreißen. Wie Gran Turismo eben.

Wenn Mardenborough an den Start geht, wenn am Nürburgring ein spektakulärer Unfall den eingeschlagenen Weg des jungen Idealisten ins Wanken bringt – wenn fiese Wettstreiter wie das Capa-Team vielleicht gar die Oberhand gewinnen: All das ist packend inszeniert und tausendmal spannender als Live-Übertragungen diverser Rennen irgendwo am Planeten, auch wenn sie vielleicht von Heinz Prüller auf sympathische Weise kommentiert worden sind.

Explodieren die Boliden, ist das Publikum zufrieden – so singt es Rainhard Fendrich in seinem Klassiker Es lebe der Sport. Ja, so ist es, da lässt sich nichts schönreden und auch keine Entschuldigung finden. Ein Rennen ist wie das Ziehen in eine Schlacht – wenn dann ein Jungspund den Wagen lenkt, ist das wie Luke Skywalker in seinem X-Wing. Man fiebert mit. Und weiß, dass Rennsportfilme – sowie Sportfilme überhaupt – die bessere Wahl dafür sind, anderen beim Wettstreit um die beste Leistung zuzusehen. Das gilt zumindest für mich.

Gran Turismo (2023)

Le Mans 66 – Gegen jede Chance

TREIBSTOFF IM BLUT

7,5/10

 

lemans66© 2019 Twentieth Century Fox

 

ORIGINAL: FORD VS FERRARI

LAND: USA 2019

REGIE: JAMES MANGOLD

CAST: CHRISTIAN BALE, MATT DAMON, TRACY LETTS, JON BERNTHAL, JOSH LUCAS, CAITRIONA BALFE, NOAH JUPE U. A.

 

Womöglich hätte ich mir James Mangolds Bolidenchronik ja gar nicht mal zu Gemüte geführt, hätte ich nicht einen rennwagenaffinen Neffen, der mit mir schon längere Zeit nicht im Kino war. Le Mans 66 – Gegen jede Chance hat sich für einen netten Abend zu zweit geradezu aufgedrängt, da konnte ich gar nichts machen. Mit Rennwägen der Marke Ford oder Ferrari habe ich allerdings wenig am Hut. Gut, ich durfte mal in einem knallroten Porsche halbliegend mitfahren, und ein Lamborghini mit Schweinsledersitzen war stets das Anschauungsbeispiel unseres Betriebswirtschaftslehrers an der Grafischen. Was sonst noch ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass Ron Howards Formel1-Drama Rush für mich zu den wohl besten Sportfilmen überhaupt zählt. Ein Thema, so fern von dem, was mich sonst die Tage beschäftigt, und dennoch so fesselnd. In erster Linie haben das die Schauspieler verschuldet, und zweitens jene Personen, die sie darstellen, wie zum Beispiel Niki Lauda, den niemand wohl besser hätte verkörpern können als Daniel Brühl. Ein außergewöhnlicher Film, und ich habe mir sagen lassen, dass Le Mans 66, der übrigens nichts mit dem Steve McQueen-Vehikel Le Mans aus den frühen Siebzigern gemeinsam hat, genauso ein außergewöhnlicher Film sein könnte, da musste ich nur diverse Rezensionen in einschlägigen Magazinen nachlesen. Großes Kino also. Und es stimmt – Le Mans 66 ist großes Kino, ist vor allem Schauspielkino par excellence, wie man es lange nicht mehr in Ensemble-Formation auf der großen Leinwand gesehen hat. Wen wundert’s – Christian Bale wandelt wieder mal auf chamäloiden Pfaden und interpretiert seinen Ken Miles mit Manierismen, die er sich anscheinend neu erarbeitet und von keiner seiner bisherigen Rollen geliehen hat.

Dazu James Mangold, der sich als ungemein empathischer Regisseur bemerkbar macht. Sowohl die Biografien, die er inszeniert, als auch die Künstler und Künstlerinnen dahinter gewinnen ihr Publikum durch eine selten erreichte Lebensnähe, durch ein gewisses Naturell und einer narrativen Griffigkeit. Mangolds Zeitgeschichten sind längst nicht nur die Abbildung des Gewesenen, sondern sie sind auf eine rustikale, traditionelle Art enorm ausgewogene Dramen, die sich an die Erzählfertigkeit früher amerikanischer Größen orientiert, wie Tennessee Williams oder Eugene O´Neill. Hätte einer von beiden ein Sportdrama geschrieben, wäre ähnliches entstanden wie Le Mans 66. Und Mangold weiß: Mit einem nerdigen Sportfilm alleine wird er dem Imperativ eines klassischen Kinos nicht gerecht werden. Das lässt sich schwer auffüllen, nur mit dem Brummen der Motoren, explodierenden Boliden und dem glühenden Asphalt der Rennstrecke, Tachos groß im Bild und was sonst noch alles. Klar, Le Mans 66 hat das natürlich, und inszeniert es auch auf filmtechnisch erlesene Art, am liebsten aus der Sicht des linken oder rechten Kotflügels. Doch was viel wichtiger ist, und viel mehr daraus macht als ein Film über Sportwägen und ihre Leistungsfähigkeit: das ist die Harmonie oder bewusst gesetzte Disharmonie zwischen den Protagonisten, die oftmals sogar unerwartet humorvoll ausfallen. Christian Bale und Matt Damon sind ein fabelhaftes Duo, das ist reinster Genuss, sowohl ihrem jovialen Geplänkel als auch ihren brüderlichen Zugeständnissen beizuwohnen. Bale ist sowieso, wie schon eingangs erwähnt, unglaublich stark, sehr differenziert und auch wenn er den erdigen, Tacheles redenden Rennfahrer genussvoll zitiert, niemals überzeichnet. Seine Rolle ruht in einer greifbaren Plausibilitätsblase, in der sich eben auch Damon wiederfindet – und ganz besonders Tracy Letts als Henry Ford II, dem ich schon jetzt liebend gerne für den Nebenrollen-Oscar gratulieren würde. Unvergessen seine Probefahrt mit Matt Damon und der darauffolgende Aha-Moment – eine Szene, die mir jetzt schon länger in Erinnerung bleiben wird als viele andere.

Die ölverschmierte Leidenschaft für fahrbare Untersätze, vor allem fahrbare Untersätze aus vergangenen Jahrzehnten, die ist in Le Mans 66 so richtig daheim. Und auch wenn die Leidenschaft des Publikums dafür nicht so groß ist, wie zum Beispiel bei mir: Wer Rush mochte, wem es um den menschlichen Faktor dahinter geht, wer mit Fast & Furios zwar nichts anfangen kann, dafür aber mit Fast & Serious, der sollte Le Mans 66 genießen können, ohne gleich 24 Stunden dem Röhren sämtlicher Getriebe zuhören zu müssen. Die aber zumindest zweieinhalb Stunden lang erquickend brummeln.

Le Mans 66 – Gegen jede Chance