The Dive (2023)

LUFT NACH OBEN

6,5/10


thedive© 2023 Protagonist Pictures


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, MALTA 2023

REGIE: MAXIMILIAN ERLENWEIN

DREHBUCH: MAXIMILIAN ERLENWEIN, NACH DEM FILM BREAKING SURFACE VON JOACHIM HEDÉN

CAST: LOUISA KRAUSE, SOPHIE LOWE, DVID SCICLUNA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Oberstes Gebot beim Tauchen: Immer mit Buddy. Der gegenseitige Check von Ausrüstung und Atemluft ist aber, je weiter man als Tauchprofi voranschreitet, nur noch vernachlässigbare Nebensache. Leicht kann es passieren, und der Übermut, der selten guttut, führt zu Situationen, die sich gerne als irreversibel herausstellen. Diesen Leichtsinn aber sucht man bei The Dive – Arbeitstitel machen Mode – auf den ersten Blick vergeblich. Musste man bei Adrenalinkick-Horrorfilmen wie 47 Meters Down bzw., Uncaged oder dem höhenluftschnuppernden Fall noch dabei zusehen, wie eine der beiden jungen Frauen die andere zur knackigen Mutprobe überreden muss, zum Leidwesen zuversichtlicher Lebensaussichten, bleibt der Hochmut bei diesem Thriller außen vor. Diese zwei Mittzwanzigerinnen  – mental recht unterschiedlich gelagerte Schwestern – machen sich nach längerer Zeit wieder mal gemeinsam zu einem Tauchgang auf, irgendwo an der Küste Maltas. Klar beginnen solche Filme stets mit einem psychosozialen Epilog, meistens auf der Fahrt im Auto zum Ort des Geschehens oder überhaupt nur via Smartphone (siehe The Shallows). Wir erfahren nicht viel von den beiden: Anscheinend hat die eine – May – ein viel angespannteres Verhältnis zur gemeinsamen Familie als die andere – Drew. Irgendetwas hat das Ganze auch mit einem womöglich verunglückten Vater zu tun, der die beiden Töchter wohl schon Zeit ihres Lebens mit dem nassen Element vertraut gemacht hat. Das Tauchen scheint also Routine zu sein, beide sind Vollprofis und dürfen auch legitimerweise irgendwo an einem geeigneten, aber wilden Tauchspot ins Wasser gehen.

Gesagt getan, Drew und May springen ins tiefe Blau, finden eine spektakuläre Höhle inmitten aufgetürmter Felsen und können Unterwasser gar kommunizieren, dank der technikaffigen May, die gleich mit zwei Interkom-Tauchmasken Eindruck schindet. Somit haben wir auch jede Menge Dialog, je tiefer beide sinken, und dann passiert das: Ein Felssturz an der Küste zieht die submarine Landschaft in Mitleidenschaft. Und nicht nur die: May wird in rund 28 Metern Tiefe zwischen zwei Gesteinsbrocken eingeklemmt. Ein Szenario, dass an Danny Boyles Verzweiflungsdrama 127 Hours erinnert. Doch keine Sorge, hier säbelt niemand irgendwem etwas ab. Es kommt ganz anders. Und dieses Andere dreht sich um ein wichtiges Element, dass beide einem Physiktest unterzieht, der sich gewaschen hat: Luft. Sei es komprimierte Atemluft aus der Flasche, sei es Stickstoff im Blut oder die frische Brise oberhalb der Wellen. Sauerstoff wird zum Feind auf Zeit, zum perfiden Stoppuhr-Drillmeister. Denn um überhaupt irgendwelche Überlegungen anzustellen, wie man Schwesterherz retten kann, muss Frau mal durchatmen können.

Stets entweicht die Luft in Maximilian Erlenweins spannendem Tauchsportthriller nach oben. Entweder, um das atembare Gemisch innerhalb natürlicher Taucherglocken auszugleichen oder wenn das Tarier-Jacket undicht wird. Irgendwo steigen immer irgendwelche Bläschen auf, und das ist in den meisten Fällen gar nicht gut. Erlenwein, der mit den Filmen Schwerkraft und Stereo vor allem das Genre des Buddyfilms gerne als Psychothriller inszeniert, findet hier, in der Neuverfilmung des schwedischen Streifens Breaking Surface aus dem Jahr 2020, nicht immer die richtige Balance zwischen Spannung und Drama. Die Backgroundstory der beiden Schwestern ist vernachlässigbar – so wirklich gerne will sich Erlenwein damit nicht auseinandersetzen. Einige romantisch-verklärte Rückblenden im Gegenlicht der Nachmittagssonne sollten reichen, um die Vergangenheit mit ins Spiel zu bringen – was den Film aber kaum bereichert. Erlenwein weiß aber, worauf er sich konzentrieren muss: Erstens auf das Ringen um Atemluft, und zweitens auf Sophia Lowe als die draufgängerische Schwester Drew, die formidabel widerspiegelt, wie man unter Zeitdruck, emotionalem Stress und Panik eine Lösung für ein schwieriges Problem finden muss. Dabei ist verblüffend, festzustellen, dass es kaum eine Aktion gegeben hätte innerhalb einer ganzen Reihe von Versuchen, die man nicht selbst probiert hätte. Das Gefühl, gehetzt zu sein; die extreme Verantwortung, um ein Leben zu retten – das ist das, was The Dive zelebriert. Zwar ist das schauspielerisch nicht das Gelbe vom Ei, denn da gibt es, um mit den Worten zu spielen, ordentlich Luft nach oben – die verzwickte, dicht gepackte Handlung und das psychische Dilemma wird aber zum spannenden, völlig plausiblen Survivaltrip.

The Dive (2023)

Nyad (2023)

ICH SCHWIMME, ALSO BIN ICH

6/10


NYAD© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ELIZABETH CHAI VASARHELYI, JIMMY CHIN

DREHBUCH: ANN BIEDERMAN, JULIA COX

CAST: ANNETTE BENING, JODIE FOSTER, RHYS IFANS, ANNA HARRIETTE PITTMAN, LUKE COSGROVE, KARLY ROTHENBERG, ERIC T. MILLER, GARLAND SCOTT, JEENA YI, JOHNNY SOLO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Ich bin schon stolz, wenn ich den burgenländischen Neufelder See durchschwimmen kann, und dabei nehme ich mir nicht mal die Länge, sondern die Breite vor, die deutlich geringer ausfällt. Erschwerend hinzu kommt hier natürlich die Tatsache, dass ich dieses Vorhaben allein durchziehen muss – und ganz ohne Entourage aus Bootscrew, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und des persönlichen Coachs. Dann würde die Strecke deutlich länger ausfallen, aber natürlich nicht so lang wie jene, die Diana Nyad (Nomen est Omen, denn Nyaden sind Wassernymphen) bewältigen will. Eines gleich vorweg: Sie wird es schaffen. Und das ist kein Spoiler. 2013 ist sie von Kuba nach Florida geschwommen, wobei mit Florida natürlich Key West gemeint ist, die südlichste der Inselkette der Florida Keys. Somit rückt die Entfernung auch wieder ein kleines Stück zusammen, doch nicht so weit, dass daraus eine Lappalie wird. Immerhin werden es 177 km gewesen sein, zurückgelegt in 53 Stunden und ohne Haikäfig, dafür aber mit anderen Mitteln, die verhindern sollen, dass Nyad nicht zum Frühstück für Knorpler wurde. Diese wiederum sind auch nicht das einzige Problem in der Floridastraße. Quallen sind ein noch viel größeres Übel. Und Strömungen. Und sowieso das ganze Salz, das die Haut aufschwemmt. 53 Stunden durchschwimmen – es ist schier unvorstellbar. Aber machbar. Wie so vieles, wenn Menschen wie Nyad in geradezu fanatischer Verbissenheit unbedingt Pioniere sein wollen, koste es, was es wolle, und vielleicht sogar das eigene Leben.

Tu es – oder stirb: Anders lässt sich dieser egomanische Drang kaum beschreiben. Die Welt rundherum, all die anderen, die einen umgeben, die vielleicht wichtig sind oder Teil einer intakten Familie – sie verblassen, werden unwichtig, einzig das Ziel zählt, und nicht mal der Weg. Erste(r) sein, Beste(r) sein, einzigartig sein: ist das wirklich das Credo, das die Menschheit in ihrer Entwicklung vorantreibt? Welchen Mehrwert hat diese Schwimmerei? Beweisen, dass es möglich ist. Beweisen, wozu Homo sapiens imstande ist, wie nah er dem Mythos eines Superhelden kommen kann. Was der Geist mit dem Körper alles anstellen kann, wenn man ihn nur lässt.

Das sind immerhin Gründe genug, Diana Nyads Vorhaben fasziniert und mit Interesse zu verfolgen. Und dann ertappt man sich wieder dabei, nichts von dieser Geisteshaltung verstanden zu haben. Diesen Raubbau am eigenen Körper nicht gutzuheißen, diese Verbissenheit und radikale Obsession abzulehnen, den bezahlten Preis für das eine Ziel niemals selbst zahlen zu wollen, denn wozu? Was muss die Psyche mitbringen, welche Erfahrungen aus der Kindheit, und wer hat diese Einstellung gelehrt? Auch darauf wären die Antworten aufschlussreich – und keine Sorge, sie finden ihren Platz, wenn auch nur in subtiler Andeutung. Die Drehbuchautorinnen Ann Biederman und Julia Cox hatten als Grundlage immerhin Diana Nyads Autobiografie Find a Way zur Hand, das Dokufilmer-Paar Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin haben das Abenteuer über die Überwältigung der eigenen psychischen wie physischen Grenzen schließlich umgesetzt.

Mit Extremen hatten die beiden bereits zu tun: Ihre Kletter-Doku Free Solo über die ungesicherte Besteigung des El Capitain kassierte 2019 den Oscar als bester Dokumentarfilm. Von der faktenbasierten Berichterstattung bis zum Sportlerinnen-Biopic Nyad ist vielleicht nicht so ein breiter Weg zurückzulegen wie von Kuba nach Florida, immerhin aber wechselt das Genre seine Mechanismen und die grundlegende Machart eines Films, der, mit Drehbuch, dramatisierten Szenen und Schauspielerinnen, die ganz andere, reale Personen verkörpern, durch ganz andere Gewässer pflügt. Können Vasarhelyi und Chin auch diese Art von Film meistern?

Im Grunde ja. Wobei: Der Drang zur Doku ist offensichtlich. Nyad ist die recht brave Chronik eines Selbstversuchs, dessen Zweckmäßigkeit, wie bereist erläutert, entweder nachvollziehbar wird oder eben nicht. Darüber lässt sich streiten – genauso wie über ihre errungene Leistung, über die so manche Kritik laut wurde, doch vielleicht ist das nur das Motzen der Neider, die sich womöglich niemals dazu durchringen könnten, so beharrlich ein Ziel zu verfolgen. Die zum Triumph führenden Eckpunkte abhakend, ereifert sich die souveräne Annette Bening mit sonnengebräuntem Teint und burschikosem Kurzhaarschnitt, bis der Arzt kommen könnte. Mit aufgeschwemmtem Gesicht, jedoch noch keinen Schwimmhäuten zwischen Zehen und Fingern, krault sie tage- und nächtelang, nebenher das Boot, obendrauf ihr untergebener Support. Die selten gesehene Jodie Foster tut als Nyads Freundin Bennie Stoll alles, was ihre Rolle verlangt – aber nicht mehr. Seltsamerweise bleibt ihr Schauspiel schon seit geraumer Zeit verhalten und sichtlich erprobt, von den Höchstleistungen zwischen den schweigenden Lämmern und Nell ist nichts mehr geblieben. Das schadet dem Film sowieso kaum, liegt doch der Fokus wie gebannt auf Trial und Error eines geradezu verzweifelten Drangs, durchs Meer zu pflügen. Berauscht von dieser Machbarkeit des Unmöglichen, könnte ich mich vielleicht dazu durchringen, nächstes Jahr das Längenmaß des burgenländischen Neufelder Sees gründlicher in Augenschein zu nehmen. Vielleicht mit Tretboot nebenher.

Nyad (2023)

Gran Turismo (2023)

VOM KINDERZIMMER AUF DIE RENNBAHN

7/10


Archie Madekwe (Finalized)© 2023 CTMG. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: NEILL BLOMKAMP

DREHBUCH: JASON DEAN HALL, ZACH BAYLIN

CAST: ARCHIE MADEKWE, DAVID HARBOUR, ORLANDO BLOOM, DJIMON HOUNSOU, GERI HALLIWELL, DARREN BARNET, JOSHA STRADOWSKI, MAEVE COURTIER-LILLEY, MAXIMILIAN MUNDT, THOMAS KRETSCHMANN U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Es gibt diesen von mir als Jugendlicher sehr geschätzten und dutzende Male gesehenen Film aus den Achtzigern: Starfight. Kennt Ihr den? Das Science Fiction-Abenteuer, welches erstmals ganze computeranimierte Passagen für seine Weltraumschlachten verwendet hat, besitzt zumindest anfangs eine vergleichbare Prämisse wie in der eben erst angelaufenen True Story über einen Gamer, der dank seiner exorbitanten Leistungen vor dem Monitor tatsächlich in einen Boliden steigen darf. In Starfight war ein auf Erden aufgestelltes Arcade-Spiel ebenfalls dazu da, um geeignete Kampfpiloten zu finden, die letztlich einen für die Erde kaum relevanten Krieg zwischen zwei Alien-Rassen ausfechten mussten. Alex Rogan war einer von ihnen – und durfte ins All.

Was in der Fiktion vielleicht ein bisschen haarsträubend klingen mag, ist – umgemünzt auf den Rennsport – ähnlich passiert. Spontan würde man diese Methode des Marketings für fahrlässig erachten, denn wie sehr kann ein Stubenhocker, der zwar in der Theorie vieles über Autos weiß, denn wirklich und im echten Leben seine über 300 Sachen fahren, auch wenn er die Rennstrecken dieser Welt so gut wie auswendig kennt? Wer nichts wagt, der nicht gewinnt – doch für diesen PR-Gag akzeptiert der Aufsichtsrat von Nissan dann doch ein gewisses Risiko, dank der charismatischen Überzeugungskraft von Marketing Manager Danny Moore („Legolas“ Orlando Bloom). Natürlich ist die Auswahl des letztlich für den Autohersteller wettreitenden Testimonials kein 6 aus 45, sondern setzt sehr wohl gewaltiges Können voraus. Erstmal auf der Konsole, und dann auf dem Asphalt. Das Rennen macht ein dauerzockender Teenager aus Cardiff, Jann Mardenborough, um als einer von zehn Teilnehmern an der GT Academy unter der Obhut des grimmigen, aber herzensguten Ex-Rennfahrers Jack Salter (David Harbour) zum Bleifuß heranzureifen. In der Welt des Rennsports werden diese sogenannten Sim-Racer wenig willkommen geheißen. Und als während der ersten Rennen an den berüchtigtsten Strecken Europas die Nerven blank liegen, weil es um Leben und Tod geht, stößt sich – was unvermeidbar war –  Jann seine Hörner ab.

Lange schon war Gran Turismo als Verfilmung des gleichnamigen Simulators im Gespräch – für den nun endlich erschienenen Sport-Actioner holten die Geldgeber Science-Fiction-Visionär Neill Blomkamp aus der Versenkung, dessen besten Zeiten mit District 9, Chappie oder Elysium lange zurückliegen. Am Alien-Franchise hätte er herumprobieren sollen, doch daraus wurde nichts. Weg vom Phantastischen hin zu rauchendem Gummi klappt allerdings auch – gepaart mit dem richtigen Timing für das Zwischenmenschliche hinter dem Eifer des Sieges braucht sich Gran Turismo kaum hinter anderen Genrewerken zu verstecken, obwohl sich nicht alles, was wir hier zu sehen bekommen, wirklich so zugetragen hat. Dass David Harbours Figur aus rein dramaturgischen Gründen in die Story eingeflochten wurde und gar nicht wirklich existiert hat; dass Orlando Blooms Charakter auch ganz anders hieß und das 24 Stunden-Rennen statt in Les Mans in Dubai stattgefunden hat – alles Zugeständnisse für eine klassische Sportgeschichte, die von Ehrgeiz, dem Willen zum Sieg und dem Alles ist möglich-Motto erzählen. Es gibt die Freundin, die den Rücken stärkt, der reuevolle Vater, der die Skills des Sohnes nicht richtig zu schätzen wusste und der aufrechte Mentor, der zum Freund wird und Janns Glauben an sich selbst pusht: Alles Versatzstücke, die man gerne bedient – aber auch gerne bedient sieht. Denn Geschichten wie diese, die sind zwar simplifiziert und biedern sich den Wünschen der Geldgeber an, können aber auch ordentlich mitreißen. Wie Gran Turismo eben.

Wenn Mardenborough an den Start geht, wenn am Nürburgring ein spektakulärer Unfall den eingeschlagenen Weg des jungen Idealisten ins Wanken bringt – wenn fiese Wettstreiter wie das Capa-Team vielleicht gar die Oberhand gewinnen: All das ist packend inszeniert und tausendmal spannender als Live-Übertragungen diverser Rennen irgendwo am Planeten, auch wenn sie vielleicht von Heinz Prüller auf sympathische Weise kommentiert worden sind.

Explodieren die Boliden, ist das Publikum zufrieden – so singt es Rainhard Fendrich in seinem Klassiker Es lebe der Sport. Ja, so ist es, da lässt sich nichts schönreden und auch keine Entschuldigung finden. Ein Rennen ist wie das Ziehen in eine Schlacht – wenn dann ein Jungspund den Wagen lenkt, ist das wie Luke Skywalker in seinem X-Wing. Man fiebert mit. Und weiß, dass Rennsportfilme – sowie Sportfilme überhaupt – die bessere Wahl dafür sind, anderen beim Wettstreit um die beste Leistung zuzusehen. Das gilt zumindest für mich.

Gran Turismo (2023)

Air – Der große Wurf (2023)

GEHEILIGT WERDE DAS TESTIMONIAL

7/10


Air Jordan© 2023 Amazon Studios / Ana Carballosa


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: BEN AFFLECK

BUCH: ALEX CONVERY

CAST: MATT DAMON, BEN AFFLECK, JASON BATEMAN, CHRIS MESSINA, VIOLA DAVIS, CHRIS TUCKER, MARLON WAYANS, JULIUS TENNON, BARBARA SUKOWA, GUSTAF SKARSGÅRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Kam eigentlich nur mir der Umgang mit der Person Michael Jordan in diesem Film höchst irritierend vor, oder ging es Euch vielleicht genauso? Wie Ben Affleck tunlichst versucht hat, den wohl besten Basketballspieler aller Zeiten zu anonymisieren, ist nichts, was so nebenbei geschieht. Ganz deutlich und sichtlich bemüht wird Jordan in der Schlüsselszene rund um das erste Treffen mit ihm und den Verantwortlichen bei Nike aus dem Bild gedrängt, bevor jener Schauspieler, der die Sportikone verkörpert hat, berzweifelt versucht hat, sein Gesicht von der Kamera abzuwenden, um das leidlich interessante Interieur des Konferenzraumes zu begutachten. Ich kenne solche Maßnahmen eigentlich nur aus einer ganzen Reihe älterer Historienfilme, deren Timeline sich mit derer von Jesus kreuzen. Da ließ man das Konterfei des Heilands außen vor, um religiöse Befindlichkeiten nicht zu kompromittieren. Mittlerweile hat dieser ein Gesicht – Michael Jordan indes nicht. Woran kann das liegen? Und wie sehr hatte der Star wohl Mitspracherecht bei diesem Film, der sich doch nur von Anfang bis Ende um ihn dreht? Hat er auch hier Prozente am Umsatz eingefordert? Wollte er nicht, dass man ihn durch eine andere Person interpretiert? Oder ging es eher darum, den Fokus auf Jordans Eltern durch nichts anderes, schon gar nicht durch den Sohnemann selbst, abzulenken, der wiederum außer einem „Hallo“ keinerlei Worte von sich gibt, geschweige denn sich dazu äußert, wie es wohl wäre, mit Nike zu kooperieren. Das kann nicht so gewesen sein – oder doch?

Dieser Aspekt des Films Air – Der große Wurf ist seltsam. Doch zum Glück haben wir auf der anderen Seite einen Matt Damon, der wieder mal zeigt, was in ihm steckt – unter anderem auch ein waschbärbäuchiger Talentscout mit Sinn für Marketing und dem Mut, Regeln zu brechen. Denn nur so lässt sich Pioniergeist umsetzen. Damon ist Sonny Vaccaro, der gemeinsam mit Marketingleiter Rob Strasser darüber nachgrübelt, wie man den Marktanteil Nikes von 17% im Verkaufsranking von Sportschuhen erhöhen und wie man Nike aus der Nische für ungeliebte Wirtschafts-Mauerblümchen hervorholen könnte. Da helfen kleine B-, C- oder D-Sportler – sondern nur einer, der bereits 1984 als Korb-Wunder galt: Michael Jordan, damals blutjunge achtzehn Jahre alt und vielversprechend. Leider mischen beim Rummel ums beste Angebot auch adidas und Converse mit, die deutlich bessere Chancen haben, den Zuschlag zu erhalten. Doch sie haben die Rechnung ohne Sonny Vaccaro gemacht, der so dreist genug ist, Jordans Agenten zu umgehen und direkt bei den Eltern des NBA-Talents aufzuschlagen. Das ist der Anfang eines Marketing-Märchens als True Story.

Und auch obwohl ich mit Basketball überhaupt nichts am Hut habe außer schmähliche Erinnerungen im Schulturnsaal, mich Markenware überhaupt nicht triggert und Schuhe so lange langweilig sind, bis man sie trägt, war die Exklusiv-Premiere auf amazon prime trotzdem Grund genug, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Vielleicht auch deswegen, weil Tetris, der letzte Behind the Scenes-Wirtschaftsfilm, alle Stückchen spielen hat lassen. Könnte das mit Air – Der große Wurf nicht auch so gelungen sein? Nicht ganz so gut, aber eigentlich: ja.

Ben Afflecks Markengeschichte ist kein Fachchinesisch für Interessensgruppen mit Vorabwissen (naja, vielleicht anfangs, wenn es um all die anderen Basketballer dieser Welt geht), sondern eine launige Dornröschen-Variation darüber, wie man Testimonials und wandelnde Werbeträger wachküsst, ohne sie auszuverkaufen. Allein schon aufgrund von Matt Damons kauzigem Spiel macht der Film Spaß. Affleck selbst, Justin Bateman und Chris Tucker beleben den Film aber ebenso – und nichts davon atmet den Turnsaal-Mief eines ungelüfteten Papierkram-Faktenchecks.

Air – Der große Wurf (2023)

King Richard

SELBSTWERT PUSHEN AM TENNISPLATZ

6/10


kingrichard© 2022 Telepool


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: REINALDO MARCUS GREEN

CAST: WILL SMITH, SANIYYA SIDNEY, DEMI SINGLETON, AUNJANUE ELLIS, TONY HOLDWYN, JON BERNTHAL, DYLAN MCDERMOTT, NOAH BEAN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 25 MIN


Ich sag’s ganz offen: Es gibt wohl kaum eine Fernsehsportart, die mich weniger begeistert als Tennis. Naja, vielleicht Baseball – ein Spiel, dessen Regeln ich wohl nie werde nachvollziehen können. Oder Golf. Da wird der Ball erst dann sichtbar, wenn das Fernsehgerät mehr als 50 Zoll hat. Darüber hinaus macht Mediensport aus ehrgeizigen Athleten Werbeträger ihrer Sponsormarken. Wie Influencer, nur am Sportplatz. Will man sowas werden, braucht es nicht nur Vitamin B, sondern bereits ein in die Wiege gelegtes Talent und die Begeisterung für die Sache. Ein Umstand, den Richard Williams seinen beiden Töchtern regelmäßig vorbetet: Habt Spaß! Und nicht: Siegt gefälligst! Ein Druck, dem Serena und Venus Williams allerdings nicht ausgesetzt sind. Auch Niederlagen sind da kein Thema, die gibt es. Mit Beharrlichkeit lassen sich diese locker wegstecken. Und schließlich gibt’s neben Sport noch Bildung und Schule. Diesen schmalen Grat zwischen Trainingspflicht und gelebter Kindheit zu gewährleisten, kostet Planung. In dieser Hinsicht, so vermittelt dieser gönnerhafte Sportfilm, hat King Richard alles richtig gemacht – im Sinne aller Beteiligten, die hier in würdiger Performance vertreten werden. Kein Wunder – Serena und Venus haben King Richard mitproduziert. Und beide scheinen mit dem sanften Tyrannen als Vaterfigur absolut im Reinen zu sein. Zu verdanken haben sie ihm schließlich alles. Den ganzen Ruhm, die ganzen Millionen, den Platz auf den Bestenlisten. Da stellt sich nicht mehr die Frage, ob Richard Williams jemand war, der im Grunde nur sein eigenes Ding durchgezogen hat. Das hat er. Und zwar aus gutem Grund: Um der Welt zu beweisen, dass man als Teil der schwarzen Minderheit auch im Sport Erfolg haben kann. Klar sieht sowas die Oscar-Academy gerne, muss diese doch die Quoten erfüllen. Dafür ist King Richard wie gemacht dafür. Ein Loblied auf gesellschaftliche Gleichheit.

Der Werdegang der Williams-Schwestern unter der Regie von Reinaldo Marcus Green (u. a. Joe Bell) ist wohl ein Film, den Coaches vielleicht gerne mal am Ende eines Persönlichkeits- oder Erfolgsseminars zeigen könnten. So fühlt sich King Richard manchmal an wie ein psychosozialer Werbefilm, der Geheimnisse zum großen Durchbruch preisgibt, die letzten Endes fast schon zu banal sind, um wahr zu sein. Sind sie aber. Müssen sie sein. Also sehen wir die beiden beherzt aufspielenden und aufschlagenden jungen Mädchen, wie sie, mit viel Verständnis und Folgsamkeit ihrem Daddy gegenüber, die Karriereleiter rauftänzeln, im weißen Faltenmini und mit Perlen in den Haaren. Der Daddy selbst, Will Smith, ist omnipräsent wie der Heilige Christophorus am Amaturenbrett eines Autos. Nervt unbändig, hat aber Charisma. Eine ambivalente Persönlichkeit, die mit Sturheit aneckt und mit Überheblichkeit vergrault. Die ihre Wahrheit als die einzig richtige empfindet, wie ein Missionar auf dem Dschungeltrip. Dabei gelingt Smith für einen wie ihn, dessen Gesicht man nur allzu gut kennt, das schier Unmögliche: nämlich, sich voll und ganz in der Rolle des patriarchalischen Sonderlings aufzulösen. Will Smith verschwindet, es bleibt dieser Adabei in kurzen Hosen. Ein Faktotum, über das man nachdenkt.

Das Problem bei King Richard ist aber nicht vorrangig diese weichgezeichnete Vater-Tochter-Erfolgsachse, sondern, für Tennisuninteressierte wie mich, der Entschluss, dem Centre-Court breite Bühne zu bieten. Da ist viel Aufschlag, Schwung und Abschlag dabei. Der Filzball fliegt übers Netz, einmal noch und noch einmal. Ein Sportfilm, ganz klar. Der den Fokus nicht im gesellschaftlichen Konflikt verortet wie im Geschlechterdrama The Battle of the Sexes mit Emma Stone und Steve Carrell und diesen auch nicht austrägt, sondern eine famos rekapitulierende Sportshow bietet, mit anfeuerndem Familyclub auf den Tribünen, die Kenner und Selberspieler womöglich packt, mich aber zwar nicht unaufgeschlossen, aber doch nach 145 viel zu langen Minuten mit den Gedanken bereits woanders aus dem Kino entlässt.

King Richard

Klammer – Chasing the Line

HELDEN IN TIROL

6,5/10


klammer© 2021 Constantin Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2021

BUCH / REGIE: ANDREAS SCHMIED

CAST: JULIAN WALDNER, VALERIE HUBER, WOLFGANG OLIVER, FABIAN SCHIFFKORN, ROBERT REINAGL, HARRY LAMPL, RAPHAËL TSCHUDI U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Stell dir vor, es sind die Olympischen Winterspiele und keiner schaut hin. Vor 46 Jahren nicht auszudenken. Doch aktuell ist es so – wer nimmt sich schon für Olympia in Peking den Nachmittag frei? Noch dazu ist China in Sachen Menschenrechte und Wirtschaftsdumping ohnehin schwer auszuhalten. Und überhaupt: dort liegt nicht mal Schnee. Ein Umstand, der 1976, zu den Winterspielen in Innsbruck, aber zumindest zeitweise genauso gegolten hat. 

War das damals wirklich so? Ganz Österreich gebannt vor dem Fernseher, als gäbe es sonst nichts anderes? Keine Krankheiten, keine Inflation, gar nichts – nur unsere großen Österreicher am Patscherkofel, allen voran der Klammer Franzi, wie er schon im Trailer zum Film von Andreas Schmied genannt wird. Die wirklichen Helden Österreichs lassen sich mittlerweile nur noch im Sport verorten, und natürlich beanspruchen wir als Rotweißrot-Bekenner sowieso jede noch so akzeptable Leistung, wenn die Bretter, die die Welt bedeuten, ausnahmsweise mal nicht im Theater sind. Damals, in den Siebzigern, war Begeisterung noch verbindend und ein gewisses Nationalbewusstsein einer noch nicht ganz so alten neuen Republik geschuldet, die Figl damals am Balkon des Belvederes hinausposaunt hat. Nach Toni Sailer und Karl Schranz war eben Franz Klammer das Aushängeschild Österreichs, ob er nun wollte oder nicht. Denn – laut Drehbuch – wollte dieser doch nur schifahren. Der Ruhm war somit nur eine lästige Begleiterscheinung, genauso wie der Druck, der 1976 auf den jungen, etwas wortkargen Kerl gelastet haben muss. Etwas anderes als die Goldene hätte es nämlich nicht geben dürfen.

Also kämpft das Wunderkind gegen Fischers neue Ski und der Tücke einer Piste, die viele Kurven verträgt und mit Buckeln nur so prahlt. Mit der Sehnsucht nach seiner Freundin Eva, die leider anderweitig verpflichtet ist und dem Kärntner nicht zujubeln kann. Mit der Konkurrenz, dem Schweizer Bernhard Russi, der allerdings keine Feindseligkeit Klammer gegenüber empfindet, wie das vielleicht zwischen Niki Lauda und James Hunt in Rush der Fall gewesen war. Andreas Schmied findet für diesen Sportfilm – ein Genre, das ich eigentlich und vielleicht unfairerweise eher mit Vorsicht genieße, weil mich Promisport nur bedingt interessiert – einen Bildstil, der an die alten Fotoalben aus der Kindheit erinnert. Ausgewaschen, ein knappes Farbspektrum, alles ein bisschen grobkörnig. Da lässt sich verklärte Nostalgie erspüren, ganz besonders bei den Titelblättern der guten alten Kronenzeitung, die immer wieder ins Bild rutschen. Das Schifoan, wie Wolfgang Ambros es besingt, ist hier aber eine harte, unlustige Nuss, wo die Leidenschaft, die man sonst dazu hat, für alles andere instrumentalisiert wird – nur nicht für den, der fährt. Aber Helden braucht eben das Land, und die sind gerade in Tirol.

Ich bin überrascht, und muss zugeben, dass Julian Waldner eine tatsächlich gute Figur macht. Klammers straighten Charakter, mitunter aufbrausend und versonnen, gewährt dem Shootingstar durchaus eine Palette an Emotionen, an denen er herumprobieren kann. Durch den konsequent vorgetragenen Dialekt des Kärntner Bundeslands erfährt seine Rolle zusätzliche Authentizität. Und auch sonst ist Schmied lokales Sprachkolorit sehr wichtig. Da sieht man wieder, was das ausmacht. Neben Waldner überzeugen auch Valerie Huber (derzeit auf Netflix in Kitz zu sehen) und sonstige Randfiguren, da kann ich gar nicht meckern. Es ist nur eben ein Sportfilm, der das dramaturgische Rad nicht neu erfindet, der gar nichts ausloten möchte und wo zwischen Herzschmerz und Leistungsdruck die Unterhaltungsskala hochschnellt, während Fachbegriffe und Abfahrtstaktik nur Bahnhof bleiben. Es ist ein Film nach bewährtem Schema, ohne Rollenbilder zu hinterfragen – aber alles in allem gut durchkomponiert und am Ende, wenn Klammers große Stunde läutet, weiß man wieder, dass irgendwo doch noch so ein Krümel vorgestriger Nationalstolz vergraben liegt. Denn hier gar nicht mitzufiebern stellt sich als wirklich schwierig heraus.

Klammer – Chasing the Line

Fighting with my Family

RINGEN UM ERFOLG

6,5/10

fightingfamily© 2019 Universal Pictures Germany

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: STEPHEN MERCHANT

CAST: FLORENCE PUGH, LENA HEADEY, NICK FROST, VINCE VAUGHN, DWAYNE JOHNSON, STEPHEN MERCHANT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN

Ja, auch ich war mal großer Fan des Showcatchens. Bin unter der physischen Wucht eines Yokozuna in Deckung gegangen, hatte vor dem Undertaker richtig Respekt und konnte vor lauter Genugtuung gar nicht mal mehr richtig stillsitzen, wenn Adam Bomb seine Vergeltungswatschen im Ring verteilt hat: Die WWF lief allabendlich auf einschlägigen Sportkanälen, und das war weit mehr als nur Niederknüppeln im Moment. Das waren richtige Seifenopern. Mit Biographien, Schicksalsschlägen und dem Aufraffen von der Matte. Stets geht’s dabei um 5 Sekunden. Wer 5 Sekunden lang mit beiden Schultern am Boden liegt, kommt nicht mehr hoch. Dann ist der Fight verloren. Also: steh auf, wenn du am Boden bist. Das singen schon die Toten Hosen (klarerweise in anderem Kontext) aber dennoch: dieser Imperativ trifft es so ziemlich. Und den hat der junge Teenager namens Saraya bereits mit der Muttermilch getankt. Denn Sarayas Eltern, die waren mal gehörige Sozialfälle mit illegalem Kontext, und die haben sich dank des Wrestlings wieder aus dem Schlamassel gezogen. Ihrer Tochter sollte es besser gehen – und das geht nur mit der richtigen Dosis Fight. Dabei ist diese ganze Story hier eine, die auf wahren Begebenheiten beruht. Das unterstreicht auch Dwayne „The Rock“ Johnson, der hier als er selbst in Erscheinung tritt und ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert, was seine Sternstunden im Ring angeht.

In ihrem Gothic Look kaum wiederzuerkennen ist Florence Pugh, die nicht erst seit ihrer oscarnominierten Rolle in Greta Gerwigs Little Women von sich reden machte (u. a. auch in Lady Macbeth oder demnächst zu sehen in Black Widow an der Seite von Scarlett Johansson) und hier den jüngsten Spross einer Familie verkörpert, die im Norden Englands als Wrestling-Familie das Leben schön findet. Alle waren (und sind) in diesem Biz, trainieren die Jugend oder schaffen es ab und an in landesweite Matches. Saraya bekommt allerdings die seltene Chance, bei den ganz Großen mitzumischen – in der WWE-Liga sozusagen. Und muss dafür nach Florida, um zu trainieren, wie sie bislang noch nie trainiert hat. Aber ob es genau das ist, was sie wirklich will? Ist es vielleicht doch nicht nur das Entsprechen des elterlichen Wunsches? Und was ist mit ihrem Bruder, dem Wrestling noch viel wichtiger scheint?

Stephen Merchants True Story ist einerseits eine Sozialdramödie aus der Mittel- bis Unterschicht und gleichzeitig tatschlich eine Art Sportfilm, an dem man aber auch als nicht sportaffiner Zuseher ganz gut andocken kann. Warum? Weil die Figuren und deren Besetzungen einfach noch viel interessanter sind als das Know How in Sachen Showfight. Ex-Cersei Lennister Lena Headey gibt die Mama, der wahnsinnig sympathische Nick Frost im Vikings-Look den Papa. Ein sehenswertes Gespann. Was aber ist Fighting with my Family unterm Strich? Ein Lifestyle-Song mit dem Refrain You can get it if you really want. Eine Phrase des unerschütterlichen Willens. Denn wenn man will, kann man alles erreichen. Oder so ähnlich. Merchant hat die True Story, so vermute ich mal, scripttechnisch vereinfacht und von allerlei Grautönen gesäubert. Entsprechend glatt ist die Erfolgsstory auch geworden. Gut, dass das Drehbuch nicht Sarayas Bruder ausgeklammert hat, denn der ist ein Beispiel dafür, dass nur die von Willen und Erfolg gut reden können, die es auch geschafft haben. Die anderen als Dunkelziffer liegen dazwischen. Man kann also doch nicht alles schaffen, wenn man nur will. Und muss sich letzten Endes nach der Decke strecken. Oder: pro Familie schafft es vielleicht eine(r) groß raus.

Fighting with my Family

Le Mans 66 – Gegen jede Chance

TREIBSTOFF IM BLUT

7,5/10

 

lemans66© 2019 Twentieth Century Fox

 

ORIGINAL: FORD VS FERRARI

LAND: USA 2019

REGIE: JAMES MANGOLD

CAST: CHRISTIAN BALE, MATT DAMON, TRACY LETTS, JON BERNTHAL, JOSH LUCAS, CAITRIONA BALFE, NOAH JUPE U. A.

 

Womöglich hätte ich mir James Mangolds Bolidenchronik ja gar nicht mal zu Gemüte geführt, hätte ich nicht einen rennwagenaffinen Neffen, der mit mir schon längere Zeit nicht im Kino war. Le Mans 66 – Gegen jede Chance hat sich für einen netten Abend zu zweit geradezu aufgedrängt, da konnte ich gar nichts machen. Mit Rennwägen der Marke Ford oder Ferrari habe ich allerdings wenig am Hut. Gut, ich durfte mal in einem knallroten Porsche halbliegend mitfahren, und ein Lamborghini mit Schweinsledersitzen war stets das Anschauungsbeispiel unseres Betriebswirtschaftslehrers an der Grafischen. Was sonst noch ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass Ron Howards Formel1-Drama Rush für mich zu den wohl besten Sportfilmen überhaupt zählt. Ein Thema, so fern von dem, was mich sonst die Tage beschäftigt, und dennoch so fesselnd. In erster Linie haben das die Schauspieler verschuldet, und zweitens jene Personen, die sie darstellen, wie zum Beispiel Niki Lauda, den niemand wohl besser hätte verkörpern können als Daniel Brühl. Ein außergewöhnlicher Film, und ich habe mir sagen lassen, dass Le Mans 66, der übrigens nichts mit dem Steve McQueen-Vehikel Le Mans aus den frühen Siebzigern gemeinsam hat, genauso ein außergewöhnlicher Film sein könnte, da musste ich nur diverse Rezensionen in einschlägigen Magazinen nachlesen. Großes Kino also. Und es stimmt – Le Mans 66 ist großes Kino, ist vor allem Schauspielkino par excellence, wie man es lange nicht mehr in Ensemble-Formation auf der großen Leinwand gesehen hat. Wen wundert’s – Christian Bale wandelt wieder mal auf chamäloiden Pfaden und interpretiert seinen Ken Miles mit Manierismen, die er sich anscheinend neu erarbeitet und von keiner seiner bisherigen Rollen geliehen hat.

Dazu James Mangold, der sich als ungemein empathischer Regisseur bemerkbar macht. Sowohl die Biografien, die er inszeniert, als auch die Künstler und Künstlerinnen dahinter gewinnen ihr Publikum durch eine selten erreichte Lebensnähe, durch ein gewisses Naturell und einer narrativen Griffigkeit. Mangolds Zeitgeschichten sind längst nicht nur die Abbildung des Gewesenen, sondern sie sind auf eine rustikale, traditionelle Art enorm ausgewogene Dramen, die sich an die Erzählfertigkeit früher amerikanischer Größen orientiert, wie Tennessee Williams oder Eugene O´Neill. Hätte einer von beiden ein Sportdrama geschrieben, wäre ähnliches entstanden wie Le Mans 66. Und Mangold weiß: Mit einem nerdigen Sportfilm alleine wird er dem Imperativ eines klassischen Kinos nicht gerecht werden. Das lässt sich schwer auffüllen, nur mit dem Brummen der Motoren, explodierenden Boliden und dem glühenden Asphalt der Rennstrecke, Tachos groß im Bild und was sonst noch alles. Klar, Le Mans 66 hat das natürlich, und inszeniert es auch auf filmtechnisch erlesene Art, am liebsten aus der Sicht des linken oder rechten Kotflügels. Doch was viel wichtiger ist, und viel mehr daraus macht als ein Film über Sportwägen und ihre Leistungsfähigkeit: das ist die Harmonie oder bewusst gesetzte Disharmonie zwischen den Protagonisten, die oftmals sogar unerwartet humorvoll ausfallen. Christian Bale und Matt Damon sind ein fabelhaftes Duo, das ist reinster Genuss, sowohl ihrem jovialen Geplänkel als auch ihren brüderlichen Zugeständnissen beizuwohnen. Bale ist sowieso, wie schon eingangs erwähnt, unglaublich stark, sehr differenziert und auch wenn er den erdigen, Tacheles redenden Rennfahrer genussvoll zitiert, niemals überzeichnet. Seine Rolle ruht in einer greifbaren Plausibilitätsblase, in der sich eben auch Damon wiederfindet – und ganz besonders Tracy Letts als Henry Ford II, dem ich schon jetzt liebend gerne für den Nebenrollen-Oscar gratulieren würde. Unvergessen seine Probefahrt mit Matt Damon und der darauffolgende Aha-Moment – eine Szene, die mir jetzt schon länger in Erinnerung bleiben wird als viele andere.

Die ölverschmierte Leidenschaft für fahrbare Untersätze, vor allem fahrbare Untersätze aus vergangenen Jahrzehnten, die ist in Le Mans 66 so richtig daheim. Und auch wenn die Leidenschaft des Publikums dafür nicht so groß ist, wie zum Beispiel bei mir: Wer Rush mochte, wem es um den menschlichen Faktor dahinter geht, wer mit Fast & Furios zwar nichts anfangen kann, dafür aber mit Fast & Serious, der sollte Le Mans 66 genießen können, ohne gleich 24 Stunden dem Röhren sämtlicher Getriebe zuhören zu müssen. Die aber zumindest zweieinhalb Stunden lang erquickend brummeln.

Le Mans 66 – Gegen jede Chance

Styx

SCHIFFE VERSENKEN FÜR ALTRUISTEN

7/10

 

styx© 2018 Benedict Neuenfels, Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: WOLFGANG FISCHER

CAST: SUSANNE WOLFF, GEDION WESEKA ODUOR U. A.

 

Willkommen in der Unterwelt. Bevor wir in den Hades vordringen können, müssen wir einen Fluss überqueren, der das Totenreich neunmal umfließt. Schwimmend geht das nicht, dazu braucht es einen Fährmann. Charon heißt er, und er will einen Obulus, eine Münze. Die legten die alten Griechen auf die Zunge des Toten, damit er eingeht in das Reich der Finsternis, in welchem schon Orpheus und Eurydike vorgedrungen und niemals wieder zurückgekehrt waren. Der Fluss, dessen Name ist Styx, übersetzt Wasser des Grauens. Styx ist auch der Name einer Göttin, der Tochter von Okeanos. Abgeleitet davon: Ozean. Auf solchem kurvt der Segler Asa Gray, unterwegs von Gibraltar nach Asuncion, einer kleinen Insel südlich von Sankt Helena, unberührtes Paradies und schon seinerzeit Faszinosum von Charles Darwin, der hier angelegt hat. Die Ärztin Rike, die macht sich alleine auf den Weg, wie vor einigen Jahren Robert Redford in All is Lost. Doch Redford, der konnte dem Sturm auf offener See nicht standhalten. Rike, gespielt von Theaterschauspielerin Susanne Wolff, schafft es zwar, Wind und Wetter zu trotzen, ist aber ungefähr auf der Höhe der Kapverdischen Inseln einer ganz anderen Katastrophe ausgesetzt, die nicht weniger verheerend ist. Und für die es eigentlich keine Lösung gibt, zumindest nicht für das kleine Boot, konzipiert für maximal zwei Personen.
Dieses Unglück ist ein havarierter Fischkutter, bis über die Grenze der Belastbarkeit vollbeladen mit Flüchtlingen, die, dehydriert und am Ende ihrer Kräfte, verzweifelt rufen und winken, ins Wasser stürzen, untergehen. Das ist ein menschliches Desaster, das können wir uns nicht vorstellen. Das kann sich Ärztin Rike genauso wenig vorstellen. Besonnen, wie sie ist, funkt sie die Küstenwache an. Mayday Mayday, heißt es. Der Notruf wird gehört, Hilfe ist am Weg. Doch das rettende Schiff, das kommt nicht. Und die junge Nautikerin muss eine Entscheidung treffen, der sie nicht entkommen kann. Denn was sie erst später merkt: Das Gewässer des Styx, das liegt unter ihr, gluckert in kleinen Wellen um den Bootskiel herum. Chiron fragt nach dem Obulus. Doch den gibt es nicht. Nicht für alle.

Der Österreicher Wolfgang Fischer hat ein konzentriertes, und doch episch weites Kammerspiel entworfen, selbst verfasst und gedreht. Gesprochen wird wenig, fast ausnahmslos über Funk. Sein Film Styx ist in Zeiten wie diesen höchst brisant, vermeidet es aber, was bei Filmen wie solchen leicht passieren kann, den Moralapostel zu spielen oder gar auf zu simple Art und Weise den erhobenen Zeigefinger zu recken. Was Fischer will, ist ein Gleichnis errichten, auf instabilem Grund. Eine Parabel über Ignoranz und Zivilcourage. Über die Selbstlosigkeit des Einzelnen im Angesicht einer humanitären Katastrophe und der eiskalten Erbarmungslosigkeit vieler, nämlich jener, die eine Nation erst ausmachen, die wiederum von einer dem Fremden ablehnenden Politik geprägt wird, unter dem Vorwand, erstmal auf sich selbst schauen zu müssen. Es sind die Flüchtlinge, die keiner will, für die niemand verantwortlich ist, da wir schließlich nicht als Weltenbürger auf die Welt gekommen sind, sondern als Patriot eines Staates, der sich künstlich abgrenzt. Dass unser Planet im Grunde gar keine Grenzen hat, sieht niemand mehr. Das sehen vielleicht nur die, die über die Weite segeln, wie einst Odysseus, wie einst Christoph Kolumbus oder Magellan. Der Mensch ist in Fischers Styx längst nicht mehr von gleicher Wichtigkeit. Flüchtlinge werden zu Untermenschen, sie werden wieder zu Sklaven eines Ungleichgewichts. Mittendrin eine wohlhabende Weiße, die als einzige den Obulus hat, um in die Unterwelt vorzudringen. Aber will sie das denn? Das ist nicht die Frage. Sie muss. Weil es menschlich ist. Weil genau das uns besonders macht.

Styx führt zu einem völlig anderen Umkehrschluss als das thematisch sehr ähnliche, französische Seglerdrama Turning Tide mit François Cluzet. Weil Sytx mehr erzählen will. Fischer sucht einen gemeinsamen Nenner der Beschützenden und zu Schützenden, und dabei wagt er sich durchaus vor in den Versuch einer metaphorischen Darstellung, die auf den ersten Blick ratlos zurücklassen könnte, mit ein bisschen Abstand aber den Eindruck erweckt, zu Ende gedacht zu sein. Styx ist kein filmisches Mahnmal, vielmehr eine Reinigung des Blickes und ein Wiederfinden des Anstands. Ein kluger Film, der sich zwischen den Bildern liest. Und der die Segel so setzt, um am Weltproblem nicht vorbeizuschippern.

Styx

I, Tonya

DREIFACHER AXEL AUF DÜNNEM EIS

7/10

 

I_Tonya© 2018 DCM

 

LAND: USA 2017

REGIE: CRAIG GILLESPIE

MIT MARGOT ROBBIE, SEBASTIAN STAN, ALLISON JANNEY, MCKENNA GRACE U. A.

 

Lillehammer 1994 – nur in Bruchstücken kann ich mich an jene Ausgabe der Olympischen Winterspiele erinnern. Woran ich mich wirklich erinnern kann, ist Katharina Witt – warum auch immer. Und tatsächlich sieht man die Eiskunstläuferin in Craig Gillespie´s True-Story-Farce zumindest eine Sekunde lang auf einer einmontierten Archivaufnahme. Das ist dann aber auch schon der einzige persönliche Bezug zu zeitnahen, realen Ereignissen – und ich weiß nicht, ob der ganze Skandal rund um Tonya Harding auch wirklich bis in die Medienlandschaft Österreichs so flächendeckend vorgedrungen ist. Das war wohl nur Sportinteressierten bekannt. Da kenn ich in meinem Bekanntenkreis so einige, und die gelten sowieso längst als fixer Telefonjoker für einen möglichen Auftritt in der Millionenshow. Die würden auch wissen, ohne I, Tonya gesehen zu haben, womit diese junge Dame damals in Verbindung gebracht wurde – mit dem vor Gericht ausgefochtenem Vorwurf, eine Konkurrentin mithilfe von grenzdebilen Schlägertypen per Schlagstock außer Gefecht gesetzt zu haben. Also zumindest das Knie von Nancy Kerrigan. Was Kerrigan´s Karriere letzten Endes zumindest bis Lillehammer glücklicherweise nicht wirklich geschadet hat, der Karriere von Tonya Harding allerdings schon.

Dabei kommt die in Intervallen des Ehrgeizes aufblühende Blondine völlig unverschuldet zum Handkuss. Das beteuert sie jedenfalls. Also das beteuert Margot Robbie, in Gestalt einer gesetzten, in den zynischen Winkel gedrängte Tonya, die ein fiktives Interview gibt. Und nicht nur sie kommt zu Wort – auch ihr Liebhaber, ihr größenwahnsinniger Bodyguard (so einen Bodyguard habt ihr noch nicht gesehen) und die Schreckschraube namens Mutter, die stets betont, ihrem unfähigen Kind die größte Mutterliebe überhaupt zugestanden zu haben. Allison Janney spielt das verknöcherte Hassobjekt mit Hingabe. Außer Flüchen, Drill und Liebesentzug hat die kettenrauchende Matrone für ihre Tochter sichtlich nichts übrig. Vertrauensvorschuss an der Kassa. Da kann man sich als Kind entweder völlig zurückziehen und sich selbst als wertlos empfinden – oder man trotzt der dauerbeschallenden Demotivation und zeigt, was in einem steckt. Harding hat das versucht. Ohne aber die Rechnung mit ihrem Ehemann zu machen. Der schnauzbärtige Schlägertyp lässt sich mit dem hübschen Sportsternchen Tonya auf eine Never Ending Lovestory ein – im Grunde auf eine ähnliche Hassliebe wie jene mit der alles in den Dreck ziehenden Übermutter. Auf Blutergüssen folgt traute Zweisamkeit. Eine Amour fou, die schon ziemlich bezeichnend ist für ein Leben, das letzten Endes zum Scheitern verurteilt sein muss. Da reißt auch ein dreifacher Axel nur kurzzeitig das Leben der im Grunde ehrgeizigen Sportlerin aus dem verkorksten Alltag. Weil man nur so kann, wie die anderen wollen. Und Harding kann wieder mal nichts dafür.

Ein Biopic rund um ein Attentat im Schlittschuhmilieu – das ist normalerweise ein Plot, den Studios dahergelaufenen Filmemachern und Drehbuchautoren nachschmeißen müssten. Nicht aber, wenn solch eine auf den ersten Blick schale Geschichte dermaßen pfiffig aufbereitet wird. Da sieht man wieder, dass die Faszination eines Stoffes, der nur bedingt was hergeben kann, davon abhängt, wie man ihn erzählt. Autor Steven Rogers hat ein Musterbeispiel dafür abgeliefert, wie biografische Puzzleteile zu einem schnittigen Ganzen komponiert werden können. Aus der Chronik eines Scheiterns lassen sich Filme wie The Wrestler machen – tristes Sozialdrama, autoaggressive Lebensüberdrüssigkeit. Oder Filme wie I, Tonya. Realsatire, aufbereitet wie eine Episode Gossip-TV. Eine semidokumentarische Ironie des Schicksals, so absurd, man glaubt es kaum. Craig Gillespie (Lars und die Frauen) schaltet niemals auf resignierendes Pathos. Margot Robbie´s Interpretation von Tonya Harding ist aufmüpfig, trotzig, durchaus jammernd und unschuldig an allem – womöglich ist das aber der einzige Selbstschutz, den Robbie ihrer Tonya gewährt – und der sich ausnehmend glaubhaft einsetzen lässt. Die Harley Quinn des DC-Universums ist auch ohne Baseballschläger, dafür aber mit scharfkantigen Schlittschuhen eine Haudrauf-Person, die sich in Wahrheit immer nur selbst schlagen lässt. Von jenen, deren sporadische Nähe alle Entbehrungen vergessen lässt. Ein gelungenes Portrait, und nicht weniger gelungen Sebastian Stan und Allison Janney, herrlich garstig und eigennützig um das Geheimnis eines Erfolges ringend, dass sie selber nie haben werden.

Zwischen gefakten Fernsehinterviews und Spielszenen sorgt dieses Beispiel, wie sehr man dem Undank des Lebens trotzen kann, für kopfschüttelndes Staunen und seltsam schadenfroher Neugier. I, Tonya unterhält dort, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt. Eine eisglatte, unerhörte Satire, teils frei erfunden, und trotzdem nah am Leben. Ein Film wie ein Sturz auf dem Eis. Es schmerzt, man rappelt sich auf – und lächelt. Und bestenfalls ist nichts gebrochen.

I, Tonya