King Richard

SELBSTWERT PUSHEN AM TENNISPLATZ

6/10


kingrichard© 2022 Telepool


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: REINALDO MARCUS GREEN

CAST: WILL SMITH, SANIYYA SIDNEY, DEMI SINGLETON, AUNJANUE ELLIS, TONY HOLDWYN, JON BERNTHAL, DYLAN MCDERMOTT, NOAH BEAN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 25 MIN


Ich sag’s ganz offen: Es gibt wohl kaum eine Fernsehsportart, die mich weniger begeistert als Tennis. Naja, vielleicht Baseball – ein Spiel, dessen Regeln ich wohl nie werde nachvollziehen können. Oder Golf. Da wird der Ball erst dann sichtbar, wenn das Fernsehgerät mehr als 50 Zoll hat. Darüber hinaus macht Mediensport aus ehrgeizigen Athleten Werbeträger ihrer Sponsormarken. Wie Influencer, nur am Sportplatz. Will man sowas werden, braucht es nicht nur Vitamin B, sondern bereits ein in die Wiege gelegtes Talent und die Begeisterung für die Sache. Ein Umstand, den Richard Williams seinen beiden Töchtern regelmäßig vorbetet: Habt Spaß! Und nicht: Siegt gefälligst! Ein Druck, dem Serena und Venus Williams allerdings nicht ausgesetzt sind. Auch Niederlagen sind da kein Thema, die gibt es. Mit Beharrlichkeit lassen sich diese locker wegstecken. Und schließlich gibt’s neben Sport noch Bildung und Schule. Diesen schmalen Grat zwischen Trainingspflicht und gelebter Kindheit zu gewährleisten, kostet Planung. In dieser Hinsicht, so vermittelt dieser gönnerhafte Sportfilm, hat King Richard alles richtig gemacht – im Sinne aller Beteiligten, die hier in würdiger Performance vertreten werden. Kein Wunder – Serena und Venus haben King Richard mitproduziert. Und beide scheinen mit dem sanften Tyrannen als Vaterfigur absolut im Reinen zu sein. Zu verdanken haben sie ihm schließlich alles. Den ganzen Ruhm, die ganzen Millionen, den Platz auf den Bestenlisten. Da stellt sich nicht mehr die Frage, ob Richard Williams jemand war, der im Grunde nur sein eigenes Ding durchgezogen hat. Das hat er. Und zwar aus gutem Grund: Um der Welt zu beweisen, dass man als Teil der schwarzen Minderheit auch im Sport Erfolg haben kann. Klar sieht sowas die Oscar-Academy gerne, muss diese doch die Quoten erfüllen. Dafür ist King Richard wie gemacht dafür. Ein Loblied auf gesellschaftliche Gleichheit.

Der Werdegang der Williams-Schwestern unter der Regie von Reinaldo Marcus Green (u. a. Joe Bell) ist wohl ein Film, den Coaches vielleicht gerne mal am Ende eines Persönlichkeits- oder Erfolgsseminars zeigen könnten. So fühlt sich King Richard manchmal an wie ein psychosozialer Werbefilm, der Geheimnisse zum großen Durchbruch preisgibt, die letzten Endes fast schon zu banal sind, um wahr zu sein. Sind sie aber. Müssen sie sein. Also sehen wir die beiden beherzt aufspielenden und aufschlagenden jungen Mädchen, wie sie, mit viel Verständnis und Folgsamkeit ihrem Daddy gegenüber, die Karriereleiter rauftänzeln, im weißen Faltenmini und mit Perlen in den Haaren. Der Daddy selbst, Will Smith, ist omnipräsent wie der Heilige Christophorus am Amaturenbrett eines Autos. Nervt unbändig, hat aber Charisma. Eine ambivalente Persönlichkeit, die mit Sturheit aneckt und mit Überheblichkeit vergrault. Die ihre Wahrheit als die einzig richtige empfindet, wie ein Missionar auf dem Dschungeltrip. Dabei gelingt Smith für einen wie ihn, dessen Gesicht man nur allzu gut kennt, das schier Unmögliche: nämlich, sich voll und ganz in der Rolle des patriarchalischen Sonderlings aufzulösen. Will Smith verschwindet, es bleibt dieser Adabei in kurzen Hosen. Ein Faktotum, über das man nachdenkt.

Das Problem bei King Richard ist aber nicht vorrangig diese weichgezeichnete Vater-Tochter-Erfolgsachse, sondern, für Tennisuninteressierte wie mich, der Entschluss, dem Centre-Court breite Bühne zu bieten. Da ist viel Aufschlag, Schwung und Abschlag dabei. Der Filzball fliegt übers Netz, einmal noch und noch einmal. Ein Sportfilm, ganz klar. Der den Fokus nicht im gesellschaftlichen Konflikt verortet wie im Geschlechterdrama The Battle of the Sexes mit Emma Stone und Steve Carrell und diesen auch nicht austrägt, sondern eine famos rekapitulierende Sportshow bietet, mit anfeuerndem Familyclub auf den Tribünen, die Kenner und Selberspieler womöglich packt, mich aber zwar nicht unaufgeschlossen, aber doch nach 145 viel zu langen Minuten mit den Gedanken bereits woanders aus dem Kino entlässt.

King Richard

Klammer – Chasing the Line

HELDEN IN TIROL

6,5/10


klammer© 2021 Constantin Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2021

BUCH / REGIE: ANDREAS SCHMIED

CAST: JULIAN WALDNER, VALERIE HUBER, WOLFGANG OLIVER, FABIAN SCHIFFKORN, ROBERT REINAGL, HARRY LAMPL, RAPHAËL TSCHUDI U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Stell dir vor, es sind die Olympischen Winterspiele und keiner schaut hin. Vor 46 Jahren nicht auszudenken. Doch aktuell ist es so – wer nimmt sich schon für Olympia in Peking den Nachmittag frei? Noch dazu ist China in Sachen Menschenrechte und Wirtschaftsdumping ohnehin schwer auszuhalten. Und überhaupt: dort liegt nicht mal Schnee. Ein Umstand, der 1976, zu den Winterspielen in Innsbruck, aber zumindest zeitweise genauso gegolten hat. 

War das damals wirklich so? Ganz Österreich gebannt vor dem Fernseher, als gäbe es sonst nichts anderes? Keine Krankheiten, keine Inflation, gar nichts – nur unsere großen Österreicher am Patscherkofel, allen voran der Klammer Franzi, wie er schon im Trailer zum Film von Andreas Schmied genannt wird. Die wirklichen Helden Österreichs lassen sich mittlerweile nur noch im Sport verorten, und natürlich beanspruchen wir als Rotweißrot-Bekenner sowieso jede noch so akzeptable Leistung, wenn die Bretter, die die Welt bedeuten, ausnahmsweise mal nicht im Theater sind. Damals, in den Siebzigern, war Begeisterung noch verbindend und ein gewisses Nationalbewusstsein einer noch nicht ganz so alten neuen Republik geschuldet, die Figl damals am Balkon des Belvederes hinausposaunt hat. Nach Toni Sailer und Karl Schranz war eben Franz Klammer das Aushängeschild Österreichs, ob er nun wollte oder nicht. Denn – laut Drehbuch – wollte dieser doch nur schifahren. Der Ruhm war somit nur eine lästige Begleiterscheinung, genauso wie der Druck, der 1976 auf den jungen, etwas wortkargen Kerl gelastet haben muss. Etwas anderes als die Goldene hätte es nämlich nicht geben dürfen.

Also kämpft das Wunderkind gegen Fischers neue Ski und der Tücke einer Piste, die viele Kurven verträgt und mit Buckeln nur so prahlt. Mit der Sehnsucht nach seiner Freundin Eva, die leider anderweitig verpflichtet ist und dem Kärntner nicht zujubeln kann. Mit der Konkurrenz, dem Schweizer Bernhard Russi, der allerdings keine Feindseligkeit Klammer gegenüber empfindet, wie das vielleicht zwischen Niki Lauda und James Hunt in Rush der Fall gewesen war. Andreas Schmied findet für diesen Sportfilm – ein Genre, das ich eigentlich und vielleicht unfairerweise eher mit Vorsicht genieße, weil mich Promisport nur bedingt interessiert – einen Bildstil, der an die alten Fotoalben aus der Kindheit erinnert. Ausgewaschen, ein knappes Farbspektrum, alles ein bisschen grobkörnig. Da lässt sich verklärte Nostalgie erspüren, ganz besonders bei den Titelblättern der guten alten Kronenzeitung, die immer wieder ins Bild rutschen. Das Schifoan, wie Wolfgang Ambros es besingt, ist hier aber eine harte, unlustige Nuss, wo die Leidenschaft, die man sonst dazu hat, für alles andere instrumentalisiert wird – nur nicht für den, der fährt. Aber Helden braucht eben das Land, und die sind gerade in Tirol.

Ich bin überrascht, und muss zugeben, dass Julian Waldner eine tatsächlich gute Figur macht. Klammers straighten Charakter, mitunter aufbrausend und versonnen, gewährt dem Shootingstar durchaus eine Palette an Emotionen, an denen er herumprobieren kann. Durch den konsequent vorgetragenen Dialekt des Kärntner Bundeslands erfährt seine Rolle zusätzliche Authentizität. Und auch sonst ist Schmied lokales Sprachkolorit sehr wichtig. Da sieht man wieder, was das ausmacht. Neben Waldner überzeugen auch Valerie Huber (derzeit auf Netflix in Kitz zu sehen) und sonstige Randfiguren, da kann ich gar nicht meckern. Es ist nur eben ein Sportfilm, der das dramaturgische Rad nicht neu erfindet, der gar nichts ausloten möchte und wo zwischen Herzschmerz und Leistungsdruck die Unterhaltungsskala hochschnellt, während Fachbegriffe und Abfahrtstaktik nur Bahnhof bleiben. Es ist ein Film nach bewährtem Schema, ohne Rollenbilder zu hinterfragen – aber alles in allem gut durchkomponiert und am Ende, wenn Klammers große Stunde läutet, weiß man wieder, dass irgendwo doch noch so ein Krümel vorgestriger Nationalstolz vergraben liegt. Denn hier gar nicht mitzufiebern stellt sich als wirklich schwierig heraus.

Klammer – Chasing the Line

Fighting with my Family

RINGEN UM ERFOLG

6,5/10

fightingfamily© 2019 Universal Pictures Germany

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: STEPHEN MERCHANT

CAST: FLORENCE PUGH, LENA HEADEY, NICK FROST, VINCE VAUGHN, DWAYNE JOHNSON, STEPHEN MERCHANT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN

Ja, auch ich war mal großer Fan des Showcatchens. Bin unter der physischen Wucht eines Yokozuna in Deckung gegangen, hatte vor dem Undertaker richtig Respekt und konnte vor lauter Genugtuung gar nicht mal mehr richtig stillsitzen, wenn Adam Bomb seine Vergeltungswatschen im Ring verteilt hat: Die WWF lief allabendlich auf einschlägigen Sportkanälen, und das war weit mehr als nur Niederknüppeln im Moment. Das waren richtige Seifenopern. Mit Biographien, Schicksalsschlägen und dem Aufraffen von der Matte. Stets geht’s dabei um 5 Sekunden. Wer 5 Sekunden lang mit beiden Schultern am Boden liegt, kommt nicht mehr hoch. Dann ist der Fight verloren. Also: steh auf, wenn du am Boden bist. Das singen schon die Toten Hosen (klarerweise in anderem Kontext) aber dennoch: dieser Imperativ trifft es so ziemlich. Und den hat der junge Teenager namens Saraya bereits mit der Muttermilch getankt. Denn Sarayas Eltern, die waren mal gehörige Sozialfälle mit illegalem Kontext, und die haben sich dank des Wrestlings wieder aus dem Schlamassel gezogen. Ihrer Tochter sollte es besser gehen – und das geht nur mit der richtigen Dosis Fight. Dabei ist diese ganze Story hier eine, die auf wahren Begebenheiten beruht. Das unterstreicht auch Dwayne „The Rock“ Johnson, der hier als er selbst in Erscheinung tritt und ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert, was seine Sternstunden im Ring angeht.

In ihrem Gothic Look kaum wiederzuerkennen ist Florence Pugh, die nicht erst seit ihrer oscarnominierten Rolle in Greta Gerwigs Little Women von sich reden machte (u. a. auch in Lady Macbeth oder demnächst zu sehen in Black Widow an der Seite von Scarlett Johansson) und hier den jüngsten Spross einer Familie verkörpert, die im Norden Englands als Wrestling-Familie das Leben schön findet. Alle waren (und sind) in diesem Biz, trainieren die Jugend oder schaffen es ab und an in landesweite Matches. Saraya bekommt allerdings die seltene Chance, bei den ganz Großen mitzumischen – in der WWE-Liga sozusagen. Und muss dafür nach Florida, um zu trainieren, wie sie bislang noch nie trainiert hat. Aber ob es genau das ist, was sie wirklich will? Ist es vielleicht doch nicht nur das Entsprechen des elterlichen Wunsches? Und was ist mit ihrem Bruder, dem Wrestling noch viel wichtiger scheint?

Stephen Merchants True Story ist einerseits eine Sozialdramödie aus der Mittel- bis Unterschicht und gleichzeitig tatschlich eine Art Sportfilm, an dem man aber auch als nicht sportaffiner Zuseher ganz gut andocken kann. Warum? Weil die Figuren und deren Besetzungen einfach noch viel interessanter sind als das Know How in Sachen Showfight. Ex-Cersei Lennister Lena Headey gibt die Mama, der wahnsinnig sympathische Nick Frost im Vikings-Look den Papa. Ein sehenswertes Gespann. Was aber ist Fighting with my Family unterm Strich? Ein Lifestyle-Song mit dem Refrain You can get it if you really want. Eine Phrase des unerschütterlichen Willens. Denn wenn man will, kann man alles erreichen. Oder so ähnlich. Merchant hat die True Story, so vermute ich mal, scripttechnisch vereinfacht und von allerlei Grautönen gesäubert. Entsprechend glatt ist die Erfolgsstory auch geworden. Gut, dass das Drehbuch nicht Sarayas Bruder ausgeklammert hat, denn der ist ein Beispiel dafür, dass nur die von Willen und Erfolg gut reden können, die es auch geschafft haben. Die anderen als Dunkelziffer liegen dazwischen. Man kann also doch nicht alles schaffen, wenn man nur will. Und muss sich letzten Endes nach der Decke strecken. Oder: pro Familie schafft es vielleicht eine(r) groß raus.

Fighting with my Family

Le Mans 66 – Gegen jede Chance

TREIBSTOFF IM BLUT

7,5/10

 

lemans66© 2019 Twentieth Century Fox

 

ORIGINAL: FORD VS FERRARI

LAND: USA 2019

REGIE: JAMES MANGOLD

CAST: CHRISTIAN BALE, MATT DAMON, TRACY LETTS, JON BERNTHAL, JOSH LUCAS, CAITRIONA BALFE, NOAH JUPE U. A.

 

Womöglich hätte ich mir James Mangolds Bolidenchronik ja gar nicht mal zu Gemüte geführt, hätte ich nicht einen rennwagenaffinen Neffen, der mit mir schon längere Zeit nicht im Kino war. Le Mans 66 – Gegen jede Chance hat sich für einen netten Abend zu zweit geradezu aufgedrängt, da konnte ich gar nichts machen. Mit Rennwägen der Marke Ford oder Ferrari habe ich allerdings wenig am Hut. Gut, ich durfte mal in einem knallroten Porsche halbliegend mitfahren, und ein Lamborghini mit Schweinsledersitzen war stets das Anschauungsbeispiel unseres Betriebswirtschaftslehrers an der Grafischen. Was sonst noch ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass Ron Howards Formel1-Drama Rush für mich zu den wohl besten Sportfilmen überhaupt zählt. Ein Thema, so fern von dem, was mich sonst die Tage beschäftigt, und dennoch so fesselnd. In erster Linie haben das die Schauspieler verschuldet, und zweitens jene Personen, die sie darstellen, wie zum Beispiel Niki Lauda, den niemand wohl besser hätte verkörpern können als Daniel Brühl. Ein außergewöhnlicher Film, und ich habe mir sagen lassen, dass Le Mans 66, der übrigens nichts mit dem Steve McQueen-Vehikel Le Mans aus den frühen Siebzigern gemeinsam hat, genauso ein außergewöhnlicher Film sein könnte, da musste ich nur diverse Rezensionen in einschlägigen Magazinen nachlesen. Großes Kino also. Und es stimmt – Le Mans 66 ist großes Kino, ist vor allem Schauspielkino par excellence, wie man es lange nicht mehr in Ensemble-Formation auf der großen Leinwand gesehen hat. Wen wundert’s – Christian Bale wandelt wieder mal auf chamäloiden Pfaden und interpretiert seinen Ken Miles mit Manierismen, die er sich anscheinend neu erarbeitet und von keiner seiner bisherigen Rollen geliehen hat.

Dazu James Mangold, der sich als ungemein empathischer Regisseur bemerkbar macht. Sowohl die Biografien, die er inszeniert, als auch die Künstler und Künstlerinnen dahinter gewinnen ihr Publikum durch eine selten erreichte Lebensnähe, durch ein gewisses Naturell und einer narrativen Griffigkeit. Mangolds Zeitgeschichten sind längst nicht nur die Abbildung des Gewesenen, sondern sie sind auf eine rustikale, traditionelle Art enorm ausgewogene Dramen, die sich an die Erzählfertigkeit früher amerikanischer Größen orientiert, wie Tennessee Williams oder Eugene O´Neill. Hätte einer von beiden ein Sportdrama geschrieben, wäre ähnliches entstanden wie Le Mans 66. Und Mangold weiß: Mit einem nerdigen Sportfilm alleine wird er dem Imperativ eines klassischen Kinos nicht gerecht werden. Das lässt sich schwer auffüllen, nur mit dem Brummen der Motoren, explodierenden Boliden und dem glühenden Asphalt der Rennstrecke, Tachos groß im Bild und was sonst noch alles. Klar, Le Mans 66 hat das natürlich, und inszeniert es auch auf filmtechnisch erlesene Art, am liebsten aus der Sicht des linken oder rechten Kotflügels. Doch was viel wichtiger ist, und viel mehr daraus macht als ein Film über Sportwägen und ihre Leistungsfähigkeit: das ist die Harmonie oder bewusst gesetzte Disharmonie zwischen den Protagonisten, die oftmals sogar unerwartet humorvoll ausfallen. Christian Bale und Matt Damon sind ein fabelhaftes Duo, das ist reinster Genuss, sowohl ihrem jovialen Geplänkel als auch ihren brüderlichen Zugeständnissen beizuwohnen. Bale ist sowieso, wie schon eingangs erwähnt, unglaublich stark, sehr differenziert und auch wenn er den erdigen, Tacheles redenden Rennfahrer genussvoll zitiert, niemals überzeichnet. Seine Rolle ruht in einer greifbaren Plausibilitätsblase, in der sich eben auch Damon wiederfindet – und ganz besonders Tracy Letts als Henry Ford II, dem ich schon jetzt liebend gerne für den Nebenrollen-Oscar gratulieren würde. Unvergessen seine Probefahrt mit Matt Damon und der darauffolgende Aha-Moment – eine Szene, die mir jetzt schon länger in Erinnerung bleiben wird als viele andere.

Die ölverschmierte Leidenschaft für fahrbare Untersätze, vor allem fahrbare Untersätze aus vergangenen Jahrzehnten, die ist in Le Mans 66 so richtig daheim. Und auch wenn die Leidenschaft des Publikums dafür nicht so groß ist, wie zum Beispiel bei mir: Wer Rush mochte, wem es um den menschlichen Faktor dahinter geht, wer mit Fast & Furios zwar nichts anfangen kann, dafür aber mit Fast & Serious, der sollte Le Mans 66 genießen können, ohne gleich 24 Stunden dem Röhren sämtlicher Getriebe zuhören zu müssen. Die aber zumindest zweieinhalb Stunden lang erquickend brummeln.

Le Mans 66 – Gegen jede Chance

Styx

SCHIFFE VERSENKEN FÜR ALTRUISTEN

7/10

 

styx© 2018 Benedict Neuenfels, Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: WOLFGANG FISCHER

CAST: SUSANNE WOLFF, GEDION WESEKA ODUOR U. A.

 

Willkommen in der Unterwelt. Bevor wir in den Hades vordringen können, müssen wir einen Fluss überqueren, der das Totenreich neunmal umfließt. Schwimmend geht das nicht, dazu braucht es einen Fährmann. Charon heißt er, und er will einen Obulus, eine Münze. Die legten die alten Griechen auf die Zunge des Toten, damit er eingeht in das Reich der Finsternis, in welchem schon Orpheus und Eurydike vorgedrungen und niemals wieder zurückgekehrt waren. Der Fluss, dessen Name ist Styx, übersetzt Wasser des Grauens. Styx ist auch der Name einer Göttin, der Tochter von Okeanos. Abgeleitet davon: Ozean. Auf solchem kurvt der Segler Asa Gray, unterwegs von Gibraltar nach Asuncion, einer kleinen Insel südlich von Sankt Helena, unberührtes Paradies und schon seinerzeit Faszinosum von Charles Darwin, der hier angelegt hat. Die Ärztin Rike, die macht sich alleine auf den Weg, wie vor einigen Jahren Robert Redford in All is Lost. Doch Redford, der konnte dem Sturm auf offener See nicht standhalten. Rike, gespielt von Theaterschauspielerin Susanne Wolff, schafft es zwar, Wind und Wetter zu trotzen, ist aber ungefähr auf der Höhe der Kapverdischen Inseln einer ganz anderen Katastrophe ausgesetzt, die nicht weniger verheerend ist. Und für die es eigentlich keine Lösung gibt, zumindest nicht für das kleine Boot, konzipiert für maximal zwei Personen.
Dieses Unglück ist ein havarierter Fischkutter, bis über die Grenze der Belastbarkeit vollbeladen mit Flüchtlingen, die, dehydriert und am Ende ihrer Kräfte, verzweifelt rufen und winken, ins Wasser stürzen, untergehen. Das ist ein menschliches Desaster, das können wir uns nicht vorstellen. Das kann sich Ärztin Rike genauso wenig vorstellen. Besonnen, wie sie ist, funkt sie die Küstenwache an. Mayday Mayday, heißt es. Der Notruf wird gehört, Hilfe ist am Weg. Doch das rettende Schiff, das kommt nicht. Und die junge Nautikerin muss eine Entscheidung treffen, der sie nicht entkommen kann. Denn was sie erst später merkt: Das Gewässer des Styx, das liegt unter ihr, gluckert in kleinen Wellen um den Bootskiel herum. Chiron fragt nach dem Obulus. Doch den gibt es nicht. Nicht für alle.

Der Österreicher Wolfgang Fischer hat ein konzentriertes, und doch episch weites Kammerspiel entworfen, selbst verfasst und gedreht. Gesprochen wird wenig, fast ausnahmslos über Funk. Sein Film Styx ist in Zeiten wie diesen höchst brisant, vermeidet es aber, was bei Filmen wie solchen leicht passieren kann, den Moralapostel zu spielen oder gar auf zu simple Art und Weise den erhobenen Zeigefinger zu recken. Was Fischer will, ist ein Gleichnis errichten, auf instabilem Grund. Eine Parabel über Ignoranz und Zivilcourage. Über die Selbstlosigkeit des Einzelnen im Angesicht einer humanitären Katastrophe und der eiskalten Erbarmungslosigkeit vieler, nämlich jener, die eine Nation erst ausmachen, die wiederum von einer dem Fremden ablehnenden Politik geprägt wird, unter dem Vorwand, erstmal auf sich selbst schauen zu müssen. Es sind die Flüchtlinge, die keiner will, für die niemand verantwortlich ist, da wir schließlich nicht als Weltenbürger auf die Welt gekommen sind, sondern als Patriot eines Staates, der sich künstlich abgrenzt. Dass unser Planet im Grunde gar keine Grenzen hat, sieht niemand mehr. Das sehen vielleicht nur die, die über die Weite segeln, wie einst Odysseus, wie einst Christoph Kolumbus oder Magellan. Der Mensch ist in Fischers Styx längst nicht mehr von gleicher Wichtigkeit. Flüchtlinge werden zu Untermenschen, sie werden wieder zu Sklaven eines Ungleichgewichts. Mittendrin eine wohlhabende Weiße, die als einzige den Obulus hat, um in die Unterwelt vorzudringen. Aber will sie das denn? Das ist nicht die Frage. Sie muss. Weil es menschlich ist. Weil genau das uns besonders macht.

Styx führt zu einem völlig anderen Umkehrschluss als das thematisch sehr ähnliche, französische Seglerdrama Turning Tide mit François Cluzet. Weil Sytx mehr erzählen will. Fischer sucht einen gemeinsamen Nenner der Beschützenden und zu Schützenden, und dabei wagt er sich durchaus vor in den Versuch einer metaphorischen Darstellung, die auf den ersten Blick ratlos zurücklassen könnte, mit ein bisschen Abstand aber den Eindruck erweckt, zu Ende gedacht zu sein. Styx ist kein filmisches Mahnmal, vielmehr eine Reinigung des Blickes und ein Wiederfinden des Anstands. Ein kluger Film, der sich zwischen den Bildern liest. Und der die Segel so setzt, um am Weltproblem nicht vorbeizuschippern.

Styx

I, Tonya

DREIFACHER AXEL AUF DÜNNEM EIS

7/10

 

I_Tonya© 2018 DCM

 

LAND: USA 2017

REGIE: CRAIG GILLESPIE

MIT MARGOT ROBBIE, SEBASTIAN STAN, ALLISON JANNEY, MCKENNA GRACE U. A.

 

Lillehammer 1994 – nur in Bruchstücken kann ich mich an jene Ausgabe der Olympischen Winterspiele erinnern. Woran ich mich wirklich erinnern kann, ist Katharina Witt – warum auch immer. Und tatsächlich sieht man die Eiskunstläuferin in Craig Gillespie´s True-Story-Farce zumindest eine Sekunde lang auf einer einmontierten Archivaufnahme. Das ist dann aber auch schon der einzige persönliche Bezug zu zeitnahen, realen Ereignissen – und ich weiß nicht, ob der ganze Skandal rund um Tonya Harding auch wirklich bis in die Medienlandschaft Österreichs so flächendeckend vorgedrungen ist. Das war wohl nur Sportinteressierten bekannt. Da kenn ich in meinem Bekanntenkreis so einige, und die gelten sowieso längst als fixer Telefonjoker für einen möglichen Auftritt in der Millionenshow. Die würden auch wissen, ohne I, Tonya gesehen zu haben, womit diese junge Dame damals in Verbindung gebracht wurde – mit dem vor Gericht ausgefochtenem Vorwurf, eine Konkurrentin mithilfe von grenzdebilen Schlägertypen per Schlagstock außer Gefecht gesetzt zu haben. Also zumindest das Knie von Nancy Kerrigan. Was Kerrigan´s Karriere letzten Endes zumindest bis Lillehammer glücklicherweise nicht wirklich geschadet hat, der Karriere von Tonya Harding allerdings schon.

Dabei kommt die in Intervallen des Ehrgeizes aufblühende Blondine völlig unverschuldet zum Handkuss. Das beteuert sie jedenfalls. Also das beteuert Margot Robbie, in Gestalt einer gesetzten, in den zynischen Winkel gedrängte Tonya, die ein fiktives Interview gibt. Und nicht nur sie kommt zu Wort – auch ihr Liebhaber, ihr größenwahnsinniger Bodyguard (so einen Bodyguard habt ihr noch nicht gesehen) und die Schreckschraube namens Mutter, die stets betont, ihrem unfähigen Kind die größte Mutterliebe überhaupt zugestanden zu haben. Allison Janney spielt das verknöcherte Hassobjekt mit Hingabe. Außer Flüchen, Drill und Liebesentzug hat die kettenrauchende Matrone für ihre Tochter sichtlich nichts übrig. Vertrauensvorschuss an der Kassa. Da kann man sich als Kind entweder völlig zurückziehen und sich selbst als wertlos empfinden – oder man trotzt der dauerbeschallenden Demotivation und zeigt, was in einem steckt. Harding hat das versucht. Ohne aber die Rechnung mit ihrem Ehemann zu machen. Der schnauzbärtige Schlägertyp lässt sich mit dem hübschen Sportsternchen Tonya auf eine Never Ending Lovestory ein – im Grunde auf eine ähnliche Hassliebe wie jene mit der alles in den Dreck ziehenden Übermutter. Auf Blutergüssen folgt traute Zweisamkeit. Eine Amour fou, die schon ziemlich bezeichnend ist für ein Leben, das letzten Endes zum Scheitern verurteilt sein muss. Da reißt auch ein dreifacher Axel nur kurzzeitig das Leben der im Grunde ehrgeizigen Sportlerin aus dem verkorksten Alltag. Weil man nur so kann, wie die anderen wollen. Und Harding kann wieder mal nichts dafür.

Ein Biopic rund um ein Attentat im Schlittschuhmilieu – das ist normalerweise ein Plot, den Studios dahergelaufenen Filmemachern und Drehbuchautoren nachschmeißen müssten. Nicht aber, wenn solch eine auf den ersten Blick schale Geschichte dermaßen pfiffig aufbereitet wird. Da sieht man wieder, dass die Faszination eines Stoffes, der nur bedingt was hergeben kann, davon abhängt, wie man ihn erzählt. Autor Steven Rogers hat ein Musterbeispiel dafür abgeliefert, wie biografische Puzzleteile zu einem schnittigen Ganzen komponiert werden können. Aus der Chronik eines Scheiterns lassen sich Filme wie The Wrestler machen – tristes Sozialdrama, autoaggressive Lebensüberdrüssigkeit. Oder Filme wie I, Tonya. Realsatire, aufbereitet wie eine Episode Gossip-TV. Eine semidokumentarische Ironie des Schicksals, so absurd, man glaubt es kaum. Craig Gillespie (Lars und die Frauen) schaltet niemals auf resignierendes Pathos. Margot Robbie´s Interpretation von Tonya Harding ist aufmüpfig, trotzig, durchaus jammernd und unschuldig an allem – womöglich ist das aber der einzige Selbstschutz, den Robbie ihrer Tonya gewährt – und der sich ausnehmend glaubhaft einsetzen lässt. Die Harley Quinn des DC-Universums ist auch ohne Baseballschläger, dafür aber mit scharfkantigen Schlittschuhen eine Haudrauf-Person, die sich in Wahrheit immer nur selbst schlagen lässt. Von jenen, deren sporadische Nähe alle Entbehrungen vergessen lässt. Ein gelungenes Portrait, und nicht weniger gelungen Sebastian Stan und Allison Janney, herrlich garstig und eigennützig um das Geheimnis eines Erfolges ringend, dass sie selber nie haben werden.

Zwischen gefakten Fernsehinterviews und Spielszenen sorgt dieses Beispiel, wie sehr man dem Undank des Lebens trotzen kann, für kopfschüttelndes Staunen und seltsam schadenfroher Neugier. I, Tonya unterhält dort, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt. Eine eisglatte, unerhörte Satire, teils frei erfunden, und trotzdem nah am Leben. Ein Film wie ein Sturz auf dem Eis. Es schmerzt, man rappelt sich auf – und lächelt. Und bestenfalls ist nichts gebrochen.

I, Tonya