The Secret Man

DER PORNOGRAPHISCHE INFORMANT 

6,5/10

 

secretman© 2017 Wild Bunch

 

LAND: USA 2017

REGIE: PETER LANDESMAN

MIT LIAM NEESON, DIANE LANE, TONY GOLDWYN, TOM SIZEMORE, BRUCE GREENWOOD U. A.

 

Kinogeher und Kinogeherinnen jüngeren Semesters werden es vermutlich gar nicht mehr wissen – aber Action-Opa Liam Neeson hat seine Karriere nicht mit Tschin Bumm begonnen, sondern mit der durchaus herausfordernden Darstellung des Oskar Schindler – eines Industriellen, der während des Holocaust mehr als 1000 jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordnung bewahrt hat. Steven Spielberg hat dieser Lichtgestalt im Dunkel des Krieges 1993 mit dem Meisterwerk Schindlers Liste ein Denkmal gesetzt. Im Zuge dessen ist es auch das einzige Mal gewesen, dass Liam Neeson für einen Oscar nominiert wurde. Was dem Iren aber ohnehin relativ egal gewesen sein muss, denn einer schicksalhaften Fügung gleich hat der Geist eines Charles Bronson am Gentleman mit dem markantem Nasenrücken seinen Gefallen gefunden. Charakterrollen sind eine Sache – bösen Buben das Handwerk zu legen eine andere, viel bequemere. Mit finsterer Entschlossenheit, gesunder Selbstjustiz und genugtuender Erbarmungslosigkeit lässt der gesetzte Berserker mit seinem ganz eigenen Sinn für Moral die Fetzen fliegen wie schon lange keiner mehr zuvor. Die 96 Hours-Trilogie war dann wohl seine Sternstunde und endgültige Etablierung zum Zugpferd eines französisch angehauchten Actionkinos zwischen Jean-Paul Belmondo und Chuck Norris. Dazwischen ähnlich gelagerte Eskapaden wie Run All Night oder eben kürzlich The Commuter, einer freien Interpretation des Fremde im Zug-Konzepts für latent aggressive Pendler.

Es kann aber auch vorkommen, dass sich Liam Neeson neben allerhand B-Movie-Schmarrn (wozu ihn womöglich Nicolas Cage oder John Cusack verleitet haben mögen), auch zu ganz anderen, besonderen Schauspielschmankerl vertraglich verpflichtet sieht. In Silence von Martin Scorsese war er der zwangsgeläuterte Pater Ferreira während der Japanischen Glaubensinquisition. Und in The Secret Man überrascht er abermals, und das in ungewohnter Erscheinung. Als Deep Throat, dem FBI-Vögelchen mit dem Decknamen eines Pornoklassikers. Mit bürgerlichem Namen Mark Felt. Ohne Mark Felt wäre die Watergate-Affäre gar nicht ins Rollen gekommen. Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post wären ohne Deep Throat gar nicht in der Lage gewesen, das amerikanische Weltbild zu verändern. Und schon wieder spannen wir hier den Bogen weiter, von Alan J. Pakula´s Die Unbestechlichen über Spielberg´s Die Verlegerin zu The Secret Man. Die Sache mit Watergate dürfte den Amerikanern noch so ziemlich in den Knochen stecken. Neben 9/11 wohl das Erschütterndste, was Übersee so auszuhalten hatte. Will man als Zuschauer also das Gesamtbild des Falls auf mehreren Wegen filmtechnisch untersuchen, sollte man alle drei Filme zur Rate ziehen. Jedes dieser drei Werke erzählt von Persönlichkeiten mit integrer Risikobereitschaft, einem ungetrübten Sinn für Gerechtigkeit und Verantwortung. Als Mark Felt ist Liam Neeson ein stark abgemagerter, noch größer wirkender, noch einschüchternder weißhaariger alter Mann geworden. Nichts ist mehr geblieben von Geheimagent Bryan Mills. Dass Neeson´s Mark Felt Leuten die sprichwörtlichen Unterhosen über den Kopf zieht, ist kaum mehr zu glauben. Und doch ist Neeson der richtige für diesen Job. Denn der Schauspieler kann mehr, als seine gängigen One-man-Actionpistolen vermuten lassen.

The Secret Man von Regisseur und Drehbuchautor Peter Landesmann ist eine geschliffene Verfilmung von Mark Felt´s Autobiografie. Ein Politdrama mit sehr vielen Männern in dunkelgrauen Anzügen in schlecht beleuchteten Büros, die noch dazu sehr viel rauchen und das unbequeme Vakuum zwischen den gesprochenen Zeilen mit ungeschminkten Wahrheiten und versteckten Drohungen anreichern. The Secret Man erinnert sehr stark an den Inszenierungsstil eines Clint Eastwood. Neeson´s Rolle selbst ebenso. Nicht schwer vorzustellen, dass vor ein, zwei Jahrzehnten Eastwood selbst die Rolle von Deep Throat wie angegossen gepasst hätte. Andersrum aber wäre es schwer vorstellbar, dass ein militanter Republikaner wie Eastwood Filme solchen Contents drehen würde. Das hat jetzt wer anderer getan. Als alleinstehendes Werk vielleicht ein bisschen zu angestrengt bürokratisch, in Kombination mit völlig anders gelagerten, cineastischen Beiträgen zum Thema eine ratsame Ergänzung. Und vor allem für Neeson-Fans, die seiner Routineperformance als hemdsärmeliger Kick-Ass-Alltagscatcher langsam überdrüssig werden, ein willkommener Tapetenwechsel.

The Secret Man

Die Verlegerin

KEIN BLATT VOR DEM MUND

6/10

 

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© 2017 Universal Pictures

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2017

REGIE: STEVEN SPIELBERG

MIT MERYL STREEP, TOM HANKS, BOB ODENKIRK, ALISON BRIE, SARAH PAULSON U. A.

 

Im Jahre 1976 machte der US-Regisseur Alan J. Pakula mit seiner Verfilmung des Buches Die Watergate-Affäre nicht nur das in dieser Dekade umbruchgeneigte Kinopublikum, sondern auch die Academy auf sich aufmerksam. Die Unbestechlichen schildert die Aufdeckung des Nixon-Skandals unter Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei investigativen Journalisten bei der Washington Post. Der Film kann als vorweggenommene Fortsetzung des eben in den Kinos angelaufenen Tatsachendramas Die Verlegerin – im Original The Post – verstanden werden. Der Titel The Post ist klarerweise treffender, da nicht explizit die Rolle Meryl Streeps im Vordergrund steht. Man kann Steven Spielbergs neuesten Film, der selbstverständlich auch als Oscarnominee gehandelt wird, aber auch als Sequel von Pakula´s berühmtem Streifen ansehen. Wie auch immer.

Die Pentagon Papers zählen wohl zu den größten Lügengespinsten, die jemals von einer Regierung über eine medienorientierte Bevölkerung niedergegangen ist. Nach deren Veröffentlichung entpuppte sich der Vietnamkrieg als blutige Farce. Wofür die ganze Qual, das wusste damals niemand. Bis heute gilt das Image-Gemetzel der USA gemeinsam mit dem Irak-Einmarsch unter George W. Bush als Ressourcen- und Existenzen verzehrende Sinnlosigkeit in Sachen Weltpolitik. Dass es zum Vietnam-Einsatz eine langjährige Studie gegeben hat, die belegen konnte, dass der Krieg nicht zu „gewinnen“ war – was für eine sträfliche Verharmlosung, dieses Verb! – davon hat zuerst mal die New York Times etwas spitzgekriegt. Um sich nach ersten Artikeln zu diesem unerhörten Fall eine einstweilige Verfügung einzuhandeln. Was wiederum Die Washington Post zum Handeln zwang. Wie es dazu kam, und wer wem welche Geheimnisse anvertraut hat, und warum die Washington Post-Erbin Katharine „Kay“ Graham den Mut aufbringen konnte, die Freiheit der Presse mit einem Exempel zu manifestieren und den Weg zu ebnen in eine Zukunft der Presse, die nicht für die Regierenden, sondern für die Regierten eintritt – davon erzählt Regielegende Steven Spielberg in einem wortgewaltigen Dialogdrama in fast schon zitierender Tradition des unbequemen Siebzigerjahre-Kinos. Kann sein, dass Spielberg den Watergate-Skandal damals selber gerne verfilmt hätte. Doch er darf sich trösten – die Pentagon-Papiere sind nicht minder unfassbar unerhört wie der Spitzelskandal eines Richard Nixon. Wer da nicht an die Öffentlichkeit geht, hat im Journalismus eigentlich nichts mehr verloren. Und wer diesen Präzedenzfall nicht insofern ausnutzt, um sich den Knebelversuchen einer kaputt-korrupten Regierung hinwegzusetzen, ist wie eine Kassandra, die die Wahrheit kennt, sie aber niemanden mitteilt. Nur im Gegenzug zur mythologischen Figur findet die Leserschaft zu Recht Vertrauen in ihre Presse. Was Nixons Schergen zur Weißglut bringt.

Wer Spielberg kennt, identifiziert Die Verlegerin nur sehr schwer als sein Machwerk. Gut, einzig Janusz Kaminski liefert abermals virtuose Kamerafahrten, aber auch statische Totale, die wie aus einer anderen Zeit wirken. Kultverdächtig schon jetzt die Szene mit den davonwehenden Zeitungsseiten am Kiosk. Sachlich, bürozimmergrau, Neonlicht dort, wo schweißgebadet rund 400 Seiten enthüllendes Material gesichtet werden. Oder das Wählscheibentelefon rot blinkt. Attraktiv ist das nicht, fast schon etwas beklemmend. Doch da gibt es Tom Hanks und Meryl Streep, die in souverän abgestimmtem Timing ihren Rollen Respekt zollen. Dass „die Streep“, wie man sie nennt, tatsächlich wieder für den Oscar nominiert sein darf, gehört fast schon zum guten Ton der Academy – verdient hat sie die Auszeichnung aber diesmal nur bedingt. Auffallendes Schauspiel ist es keines, ein Leinwandliebling in gewohnter Spielfreude. Hingegen ist Tom Hanks erneut eine Ausnahmeerscheinung. Als Chefredakteur Ben Bradley zieht er komplett neue Seiten auf, wirkt geradezu etwas unsympathisch, getrieben, wie ein Workaholic, der nur für die Zeitung lebt. Selbstbewusst, improvisierend, mit graumelierten Haaren. Ich habe den ehemaligen Forrest Gump schon in vielen Rollen bewundert – die Rolle eines Journalisten ist neu. Und auch dieser Rolle gewinnt er ganz eigene Manierismen ab, die wiedermal bestätigen, dass Hanks im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielern niemals nur sich selbst spielt. Was mich eine Nominierung auch für ihn vermissen lässt. Aber was soll´s, aus der Academy wird man sowieso nicht schlau.

Kann sein, dass Die Verlegerin die Konzentration des Publikums ein bisschen über Gebühr strapaziert. Vieles wird nur ein oder zweimal wörtlich erwähnt, trägt aber immens zum Verständnis der Geschichte bei. Wer also einmal abschweift, muss zwingend seinen Sitznachbarn quälen. Ist man wieder am Laufenden, wird die zweite Hälfte des Filmes gefälliger und packender. Sofern man sich für das ewige Duell Politik gegen Presse interessiert. Was sich in Zeiten wie diesen, wo Regierungsparteien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verklagen und umgekehrt, umso brisanter verhält – und tatsächlich mehr Zuseher ins Kino locken wird als zu anderen Zeiten. Als bewegt-bewegendes Drama mit Nachhall bleibt Die Verlegerin aber nicht in Erinnerung. Spielberg hat seinen speziellsten Film ins Kino gebracht und einen Stoff dramatisch aufbereitet, der sich besser liest als gesehen zu werden. Seine Hommage an Alan J. Pakula hat er handwerklich gut gemacht, als bester Film des Jahres 2018 kommt er für mich von allen Kandidaten aber am wenigsten in Frage, auch wenn Die Unbestechlichen das Kunststück 1976 hinbekommen haben. Wohl aber auch nur deswegen, weil die Siebziger ganz andere Zeiten waren, die erzählten Fakten damals unmittelbar zurücklagen und die Art des New Cinema erst so richtig salonfähig wurde. Das ist in den 2000ern allerdings Business as usual. So wie Spielberg´s Film.

Die Verlegerin