Civil War (2024)

MAKE AMERICA BREAK AGAIN

8,5/10


civilwar© 2024 A24 / DCM


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: ALEX GARLAND

CAST: KIRSTEN DUNST, WAGNER MOURA, CAILEE SPAENY, STEPHEN MCKINLEY HENDERSON, JESSE PLEMONS, NICK OFFERMAN, SONOYA MIZUNO, JEFFERSON WHITE, NELSON LEE U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Der Sturm aufs Kapitol hätte der Anfang werden können für etwas, dass wohl die ganze Weltordnung neu geschrieben hätte. Denn wir wissen längst: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben diese immer schon mitbestimmt, war es nun der Erste oder der Zweite Weltkrieg, Operation Wüstensturm, der Sturz Saddam Husseins oder die Bereitschaft, die Ukraine gegen den russischen Aggressor mit allerhand Kriegsmaterial zu unterstützen. Das US-Amerika ist nicht nur Entscheidungskraft im weltpolitischen Handel, auch die Lebenswelt in Übersee ist uns dank des übereifrigen Outputs an Hollywood-Filmen so dermaßen vertraut, als würde man selbst dort drüben leben. Keine andere Staatengemeinschaft wie diese hat dermaßen viel Einfluss. Umso erschreckender muss es also sein, wenn die selbsternannte Weltpolizei, die geschlossen gegen die Achsen des Bösen angekämpft hat, plötzlich und im eigenen Land nicht mehr Herr der Lage ist und von innen heraus zerbricht. Es wäre eine Katastrophe langen Atems und alles umstürzend, was die Wohlstandswelt wertschätzt.

Als Anfang von etwas Neuem und zweifelhaft Gutem hätte der 6. Januar 2021 zwar nicht sogleich einen Krieg, dafür aber einen weitaus größeren Erdrutsch verursachen können, der Folgen nach sich ziehen hätte können, die Alex Garland nun in die existenzgefährdenden Albträume der US-amerikanischen Bevölkerung als böse Saat einpflanzt. Der Umbruch ist in Civil War längst nicht mehr aufhaltbar, die Ordnung ist dahin, der Notstand ein Euphemismus. Dieser Film ist nichts, was uns Europäer nicht angeht. Er bedient die größte Angst der westlichen Welt, ihre prachtvolle Convenience-Blase platzen zu sehen. Weil plötzlich ist, was nicht sein darf. Weil die Welt nur immer woanders zugrunde geht, nur nicht hier, wo der Überfluss alles richtet.

Civil War ist weniger ein politischer Film. Alex Garland ist es sowas von egal, wer nun wen bekämpft, welche politischen Agenden dahinterstecken, welche Ideale nun kolportiert werden und was sich der noch amtierende Präsident der Vereinigten Staaten eigentlich hat zuschulden kommen lassen, um jetzt um sein Leben zu bangen. Denn schließlich ist es ja so, dass jene Recht behalten, die dieses Gemetzel gewinnen. Kriege verlieren hingegen sehr schnell ihren Sinn, der Ausnahmezustand schafft ein Vakuum, in dem sich nur schwer ein gewisser Alltag leben lässt. Und wenn doch, erscheint er grotesker als alles andere. So einen Zustand müssen die vier Journalistinnen und Journalisten Lee, Jessie, Joel und Sammy erstmal verdauen und als gegeben akzeptieren. Sie sind unterwegs quer durchs Land, um zur rechten Zeit am richtigen Ort den schwindenden Präsidenten zu einigen letzten Worten zu bewegen, denn alles sieht danach aus, als stünden die Western Forces kurz davor, auch die letzte Bastion der alten Paradigmen niederzureissen. Es ist wie die Schlacht um Berlin, die Schlacht um Bagdad, die Schlacht um eine heile falsche Welt, die bald entbrennen wird. Das Quartett möchte vor allen anderen ins Weiße Haus gelangen, der Ehrgeiz des Reporters ruft, und die Versuchung, zu selbigem des Satans zu werden, lockt wie schnöder Mammon. Sie versuchen, Würde zu wahren und so zu tun, als würde sie der jeweils andere interessieren. Eine Zweckgemeinschaft, die während einer über 800 km langen Fahrt Zeuge einer Zombieapokalypse nur ohne Zombies wird, in der rechtsextreme Republikaner die Gelegenheit am Schopf packen, ihre Welt von allem Fremden zu säubern, Scharfschützen ohne Fraktion einander die Birne wegschießen und Lynchjustiz an der Tagesordnung steht. Es sind Bilder, die man von woanders kennt.

Endlich sieht man mal wieder Kirsten Dunst in einer Rolle, die ihr auf den Leib geschneidert scheint. In längst abgestumpfter Professionalität einer Kriegsreporterin hat sie alles schon gesehen, nur sie selbst war noch nie wirklich Teil davon. Wagner Moura als jovialer Cowboy, Stephen Henderson als der amerikanische Christian Wehrschütz, der schon längst in den Ruhestand hätte treten sollen, es aber nicht lassen kann, und zuletzt Cailee Spaeny (Priscilla) als kindlicher Ehrgeizling, der zum einen eine Scheißangst vor dem Krieg hat, zum anderen aber bald die Gefahr als Droge missbraucht, um noch bessere Bilder zu machen als Lee Smith aka Kirsten Dunst, die es anfangs für keine Gute Idee hält, dieses Greenhorn mitzunehmen. Garland schafft mit diesen „Vieren im Jeep“ neben all der Kriegsstimmung und des Notstands ein Ensemblespiel in kunstvoller Effizienz, was das Portraitieren von Charakteren angeht. Civil War ist Kriegsreporter-Kino allererster Güte, so eindringlich wie Salvador oder The Killing Fields – und dann das: Anders als all die besten aus der Hochzeit des Politkinos Ende der Achtziger fühlt sich Civil War aufgrund seiner Nähe zu einer uns wohlbekannten Welt und einem unmittelbarem Zeitgeist tatsächlich so an, als sähe man das, worüber Garland berichtet, in den hauseigenen Nachrichten. Civil War ist das schweißtreibende Imitat einer nahen, möglichen Realität, die scheinbar Unzerstörbares aushebelt und niederringt. Immer wieder findet Garland Bilder von weltvergessener Schönheit und konterkariert seinen Krieg mit einer Compilation aus Countrysongs, Hip Hop- und Space Rock, die das Gesehene so irreal erscheinen lassen wie Napalmbomben am Morgen unter den Klängen von The Doors. Coppolas Antikriegs-Meisterwerk Apocalypse Now wirft Garland auch verstohlene Blicke zu – so manche Szene ist zu bizarr, um ihm Glauben zu schenken. Der Boden unter den Füßen findet kaum Halt.

Gegen Ende uns Zusehern vor die Füße geworfen, ist die Schlacht um Washington D.C ein Brocken selten gesehener, moderner Kriegsführung, sie gerät weder prätentiös noch pathetisch, sondern so authentisch wie der Lockdown oder Flüchtlingsströme vor der Haustür. Auf diesen Zug, in welchem Good News Bad News sind und Bad News irgendwann vielleicht Good News werden, springt Civil War auf und fährt die Achterschleife. Garland bringt seinen Plot dramaturgisch auf den Punkt, lässt weg, was den Höllenritt nur ausbremst, lässt manches im Geiste seines Publikums weiterspinnen, redet auch nicht lang drum herum. Als klar wird, dass die Härte und Arroganz der Kriegsführung im eigenen Land auch jener entspricht, mit der die USA bereits allerorts auf dieser Welt einfielen, wird einem so richtig mulmig. Die Zivilisation zeigt sich als Camouflage, der Altruismus in Krisenzeiten als Lippenbekenntnis. Wo es die Menschheit hinbringt, lässt Garland im Ungewissen. Was sie anstachelt, ist weniger der Mut zur Veränderung als lediglich die Gier nach einem wie auch immer gearteten Sieg.

Civil War (2024)

France (2021)

ANCHORWOMAN AM HAKEN

4,5/10


france© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, ITALIEN, DEUTSCHLAND, BELGIEN 2021

BUCH / REGIE: BRUNO DUMONT

CAST: LÉA SEYDOUX, BLANCHE GARDIN, BENJAMIN BIOLAY, EMANUELE ARIOLI, FRANÇOIS-XAVIER MÉNAGE, JULIANE KÖHLER, JAWAD ZEMMAR U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Voller Inbrunst dirigiert sich Cate Blanchett derzeit im Kino vom Olymp der Virtuosen in den Hades hinunter, hat akustische Halluzinationen und muss sich mit dem Vorwurf des Machtmissbrauchs herumschlagen. Todd Field hat mit Tár ein oscarnominiertes Psychogramm inszeniert, dass sich zu sehr auf seine Fachsimpelei verlässt und lieber den Alltag einer Musikerin verfolgt als die eigentliche Geschichte, die Brisanz genug hätte. Auf ähnliche Weise verschieben sich beim fiktiven französischen Ruhmes-Portrait France die Prioritäten, wobei hier die Skandalgeschichte eigentlich wegfällt – zumindest wird diese nicht als Kernstück des Filmes versprochen, ohne dann umgesetzt zu werden. Der Skandal in France ist nur eines von vielen Symptomen, die das gegenwärtige Leben der berühmten, aber fiktiven Star-Journalistin France du Meurs illustrieren. France steht also nicht für den Staat (oder vielleicht doch, irgendwie?), sondern für eine übertrieben ehrgeizige, bildschöne und virtuose Manipulatorin, die mit den Medien umgeht wie ein Profifußballer mit dem runden Leder. Alles tanzt nach ihrer Pfeife, will sogar den Anspruch auf Wahrheit opfern für geschickt arrangierte Beiträge im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die eigentlich nur France selbst in Szene setzen und nicht das zum Beispiel zerschundene Bürgerkriegsland, in welchem so vieles im Argen liegt.

Diese France also ist wie Tár, ganz oben an der Spitze des Erfolges, von wo aus es nur abwärts gehen kann. Die Boulevardpresse schlachtet ihr Leben aus, ihr Konterfei lächelt von allen möglichen Plakaten und ist omnipräsent. So viel Öffentlichkeit kann niemals guttun, also zieht sie sich nach einem Skandal für eine Zeit lang aus selbiger zurück, um sich in den Schweizer Alpen einer Psychotherapie zu unterziehen. Dort lernt sie einen attraktiven jungen Mann kennen, dem ihre Prominenz bislang entgangen zu sein scheint. Diese erfrischende Unvoreingenommenheit dieses Kerls und dessen verträumter Sinn für Poesie beeindrucken France sehr – und so fängt sie eine Beziehung an, obwohl selbst verheiratet und Mutter einer Tochter.

Von satirischen Spitzen und Demaskierungen der Medienwelt wie in Wag the Dog oder dem bitterbösen Network fehlt in Bruno Dumonts Prominentendrama jede Spur. Die Darstellung von Frances Selbstinszenierung hat nicht mehr zu sagen als sie darstellt, was Ruhm für manche bedeuten und nicht bedeuten kann, welche Werte dabei vorrangig sind und welche nicht. Léa Seydoux (u. a. An einem schönen Morgen) gibt diese exaltierte, selbstbewusste Person mit den immer größer werden Sprüngen in ihrem Ego als eine im Leerlauf befindliche Erfolgsperson, die sich neu sortieren muss. Klar ist alles nur Fassade, oder zumindest meistens. Und so zelebriert Dumont ( u. a. Eine feine Gesellschaft) auch wirklich des Öfteren und später viel zu oft die inflationäre Omnipräsenz von Seydoux‘ ansprechendem Gesicht in allen Lebenslagen. Ob Lachen, Weinen oder Verzweifeln – France ist ein Film, der sich über zwei Stunden lang nur um eine einzige Person dreht, ohne je wirklich gegen das zum Showbiz verkommene Nachrichtensegment in den Medien loszutreten. So viel Personenkult ohne entsprechenden Wandel ermüdet auf Dauer – und dreht sich im Kreis, auch wenn der guten Dame letztendlich nichts erspart bleibt und die Schicksalsschläge alle für ein Drama der Extraklasse reichen. France betrachtet diese gelangweilt aus der Distanz. Und wir mit ihr.

France (2021)

Die Frau des Nobelpreisträgers

RINGEN UM ACHTUNG

5/10

 

© Meta Film London ltd© 2018 Constantin Film

 

ORIGINAL: THE WIFE

LAND: GROSSBRITANNIEN, SCHWEDEN, USA 2018

CAST: GLENN CLOSE, JONATHAN PRYCE, CHRISTIAN SLATER, MAX IRONS, HARRY LLOYD, ANNIE STARKE U. A.

 

Marie Curie hatte ihn, Barack Obama hat ihn, Gabriel Garcia Marquez zum Beispiel ebenso. Und die Österreicherin Elfriede Jelinek (u. a. Die Klavierspielerin): den Nobelpreis. Die Auszeichnung aller Auszeichnungen, die Ehrung aller Ehrungen, im Grunde der Oscar für literarische, wissenschaftliche und politische Disziplinen und da es den Oscar fürs Filmschaffen gibt, braucht es nicht hierfür nicht auch noch Standing Ovations in Stockholm. In vorliegendem Film ist der Nobelpreis der Literatur gefragt – und der geht an den fiktiven Buchstabenvirtuosen Joe Castleman, gespielt vom langjährigen Profi Jonathan Pryce, der vor nicht allzu langer Zeit sogar noch in Game of Thrones mitwirken und unter der Regie Terry Gilliams die Lanze gegen Windmühlen erheben durfte. Pryce, der hat an seiner Seite eine ebenfalls schon selten zu Gesicht bekommene Dame, nämlich Glenn Close. Auch sie mittlerweile legendär, und zuletzt in der Agatha Christie-Verfilmung Das krumme Haus seltsam undurchschaubar unterwegs. Beide zusammen in einem Drama um den begehrten Preis der intellektuellen Elite, da kann nicht viel schief gehen. Der Schwede Björn Runge hat sich dafür den US-Roman The Wife von Meg Wolitzer zur Brust genommen, in Zeiten wie diesen ein brisanter Stoff, aus dem in Wahrheit die Heldinnen sind. Und die sind selten in den ersten Reihen zu finden, geben sich selten selbstgerecht und lassen die selbstverliebte und zur Anhimmelung auffordernde Arroganz des Mannes außen vor. Frauen wie Glenn Close, die haben so etwas gefälligst nicht notwendig. Frauen wie Glenn Close, die sollten lieber nicht in die erste Reihe vordringen, vielleicht sogar vor dem eitlen Geck treten, der sich seines Könnens mehr als bewusst zu sein scheint. Doch ist es wirklich sein Können? Und darf Glenn Close, die Frau, erwachsen geworden in einem Zeitalter, wo die Weiblichkeit etwas war, das hinter den Herd gehört, sich nicht vielleicht doch so platzieren, dass ihr Schatten auf den Patriarchen fällt?

Die Frau des Nobelpreisträgers hat interessante Ansätze und funktioniert nicht nur auf der offensichtlichen Ebene, die von Verrat und Wertschätzung erzählt. Die andere Ebene, die noch viel interessanter ist, stellt die Frage: Definiert sich die Qualität einer Kunst, das Glück eines Künstlers oder einer Künstlerin, tatsächlich nur durch das Lob der Kunstkonsumierer? Durch die Leserschaft, das Auditorium, der Fans? Braucht Kunst nicht nur dann ein Publikum, wenn es die Existenz finanzieren soll? Oder sind Künstler Menschen, die sich längst nicht mehr selbst und ihrem Talent genügen, sondern am Response der anderen ihren Selbstwert definieren? Das ist die eine Seite, die Die Frau des Nobelpreisträgers zu einem anregenden Diskurs über Ruhm, Ehre und Öffentlichkeit führt. Die andere Seite stellt die Frage: Wie viel Achtsamkeit braucht der Mensch? Und brauchen Mann und Frau gleich viel? Natürlich, was ist das für eine Frage. Nur – Glenn Close, die kommt zu kurz. Und als der große Preis verliehen wird, das Paar dem schwedischen Monarchen die Hand schüttelt und von vorne bis hinten geehrt und bedient wird, da wärmt das Licht unter dem Scheffel niemanden mehr, da hat die Genügsamkeit und die Ich-Definition ihre Grenzen. Wer genau wissen will, was in diesem Künstlerdrama wirklich vorfällt, der sollte sich bei der Nobelpreis-Ehrung filmtechnisch auf die Gästeliste setzen lassen, denn genauer ins Detail werde ich in meiner Review nicht gehen können, ohne die Katze aus dem Sack zu lassen. Ohnehin bleibt die Vorahnung sowieso omnipräsent. Und die aparte, unverwechselbare Ausnahme-Akteurin Close wird mit Engeln und Teufeln ringen müssen, die entweder ihre Persönlichkeit neu definieren wollen oder an ihre Verbundenheit zu ihrem Gatten, den größten Literaten des Jahres, appellieren.

Trotz all dieser Zerwürfnisse, dieser spitzen Bemerkungen am Hotelzimmer und den anmutigen Aufnahmen eines vorweihnachtlichen Stockholm bleibt Runges Film ein zwar opulentes und famos besetztes, aber irgendwie auch emotional beengtes Kammerspiel, das sich relativ leicht für die Bühne adaptieren ließe. Viel störender hingegen ist die dramaturgische Gliederung des Filmes, insbesondere die eingestreuten Rückblenden, die so gar nicht in das intensive Spiel von Pryce und Close passen und die besondere, angespannte und diskussionsbereite Intimität der beiden immer wieder aufs Neue zerreißt. So sehr die Zeitebene der Gegenwart auch aus einem gehaltvollen Guss zu sein scheint, so hölzern hinkt das Damals hinterher. So bemüht schielen die beiden Jungstars auf Schreibmaschine und Ehebett, um das ganze akute Schlamassel überhaupt erst zu erklären, was sie eigentlich nicht müssten. Die beiden Ebenen passen nicht zusammen, sind sich stets im Weg, behindern ein Werk, das einiges zu erzählen hat, aber nie wirklich bis zur Mitte der Geschichte kommt. Die Gedanken zu all den vorhin aufgeworfenen Fragen, die machen sich selbstständig, die suchen sich Referenzen in der eigenen Lebensagenda, die lassen den Film Film sein. Dafür, dass dieser sie allerdings aufwirft, verdient er meinen Respekt – alles andere daran sind Fragmente, die sich gegenseitig ausbremsen.

Die Frau des Nobelpreisträgers

Vor uns das Meer

MÜNCHHAUSEN STREICHT DIE SEGEL

7,5/10

 

VOR UNS DAS MEER© 2018 STUDIOCANAL GmbH

 

ORIGINAL: THE MERCY

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: JAMES MARSH

MIT COLIN FIRTH, RACHEL WEISZ, DAVID THEWLIS, KEN STOTT, MARK GATISS U. A.

 

Das Subgenre des nautischen Kinos hat bereits so einige sehenswerte Werke vorzuweisen, die noch dazu meist auf Fakten beruhen. Da brauchen die Masterminds am Drehbuch gar nicht mal wirklich viel brainstormen, die Geschichten der privat motivierten Abenteurer, Entdecker und Aussteiger müssen nur gut recherchiert werden, da findet sich einiges. Zum Beispiel – und vielleicht sogar noch im Kino zu sehen: die True Story eines jungen Paares, das nach einem Sturm so ziemlich verloren in den Weiten des Pazifiks herumschippert. Shaileene Woodley gibt da in Die Farbe des Horizonts eine überzeugend verzweifelte Performance ab. Noch nie allerdings hat das Kino eine Geschichte erzählt wie in Vor uns das Meer, inszeniert von James Marsh, der bereits mit Die Entdeckung der Unendlichkeit Eddie Redmayne alias Stephen Hawking zum Oscar verholfen hat. Das britische, konventionell erzählte Drama in stimmigem 60er-Jahre-Kolorit ist längst nicht nur ein Abenteuerfilm, und schon gar kein Survival-Drama. Der im Original als The Mercy betitelte, biographische Streifen ist so tragisch wie faszinierend, und wenn die Geschichte nicht wahr wäre, dann wäre sie eine brillant erfundene Ballade auf falschen Stolz, abstrakter Sehnsüchte, Ruhm und den Horror medialen Drucks.

Colin Firth, der wohl distinguierteste Gentleman im Promipool des britischen Kinos, spielt in diesem Abgesang auf den Seemann, der das Träumen lieber lassen hätte sollen, den Erfinder und Geschäftsmann Donald Crowhurst, dreifacher Vater und liebevoller Ehemann, der im Grunde ohnehin alles realisiert, was ihm durch den Kopf geht, und stets noch mehr will, vielleicht um sich selbst oder den anderen zu beweisen, was für ein sagenhafter Virtuose des Alltags er doch nicht ist. Aber was heißt Alltag – Crowhurst will den Absprung aus dem Hamsterrad wagen und bewirbt sich für eine Segelregatta rund um den Erdball, die noch nie Dagewesenes menschenmöglich machen soll: Nämlich die Umrundung der Welt ohne Landgang. Crowhurst ist die Teilnahme an der schon theoretisch schweißtreibenden Challenge nicht genug – er lässt auch sein eigenes Boot bauen. Und immer ist noch nicht genug. Der verträumte Idealist mit dem Geltungsdrang eines Superhelden lässt sich von der Presse hofieren und verpfändet für die Finanzierung seines Traumes sogar Haus und Hof. Kleine Notiz am Rande: Der unruhige Tausendsassa hat als Seemann und Nautiker nicht die geringste Erfahrung. Und so tritt er eine Lawine aus Sensationslust, Erwartungen und Versprechungen los, aus dem es bald kein Entrinnen mehr gibt. Sponsoren und Gläubiger steigen dem kurz vor Abfahrt kneifenden Crowhurst ordentlich auf den Schlips. Die geweckten Hunde, die den Schlitten ziehen sollen, beginnen plötzlich zu beißen. Erfolg oder Untergang, heißt das sofortige Dogma. Nur die Familie, die bangt auf der Seite des Biedermanns, der sich wie Ikarus gnadenlos selbst überschätzt und höher fliegt, als die legendären Wachsflügel es erlauben.

Was folgt, ist die bittere, selbstzerfleischende Chronik eines siegeswilligen Münchhausen, der letzten Endes der Wahrheit ins Auge sehen muss, sei es aus Stolz oder Feigheit. Die Quadratur des Äquators ist aber etwas, was sich nicht verbiegen lässt, und so verharrt der verblendete Anti-Abenteurer in einem Fegefeuer, in dem es kein Vor und kein Zurück mehr gibt. Colin Firth liefert nach seinem bravourös stotternden Auftritt als britischer Monarch mit dem gescheiterten, von allen Göttern verlassenen Lügenbaron seine bislang beste Performance ab – die Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit und die Gier nach einem Rettungsanker, der sich als quälende Fata Morgana der Erfüllung darstellt, steht Firth jede Sekunde ins Gesicht geschrieben. Ebenso die Überforderung, der Irrsinn, die schlussendliche Leere wie Lehre. die der einsame Mann aus seinem Handeln ziehen muss. Eine Story wie von Ernest Hemingway, ein Gleichnis wie aus der griechischen Mythologie, ein Requiem auf das Prinzip Abenteuer. Wer wagt, gewinnt also auch nicht immer.

Vor uns das Meer

Die Verlegerin

KEIN BLATT VOR DEM MUND

6/10

 

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© 2017 Universal Pictures

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2017

REGIE: STEVEN SPIELBERG

MIT MERYL STREEP, TOM HANKS, BOB ODENKIRK, ALISON BRIE, SARAH PAULSON U. A.

 

Im Jahre 1976 machte der US-Regisseur Alan J. Pakula mit seiner Verfilmung des Buches Die Watergate-Affäre nicht nur das in dieser Dekade umbruchgeneigte Kinopublikum, sondern auch die Academy auf sich aufmerksam. Die Unbestechlichen schildert die Aufdeckung des Nixon-Skandals unter Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei investigativen Journalisten bei der Washington Post. Der Film kann als vorweggenommene Fortsetzung des eben in den Kinos angelaufenen Tatsachendramas Die Verlegerin – im Original The Post – verstanden werden. Der Titel The Post ist klarerweise treffender, da nicht explizit die Rolle Meryl Streeps im Vordergrund steht. Man kann Steven Spielbergs neuesten Film, der selbstverständlich auch als Oscarnominee gehandelt wird, aber auch als Sequel von Pakula´s berühmtem Streifen ansehen. Wie auch immer.

Die Pentagon Papers zählen wohl zu den größten Lügengespinsten, die jemals von einer Regierung über eine medienorientierte Bevölkerung niedergegangen ist. Nach deren Veröffentlichung entpuppte sich der Vietnamkrieg als blutige Farce. Wofür die ganze Qual, das wusste damals niemand. Bis heute gilt das Image-Gemetzel der USA gemeinsam mit dem Irak-Einmarsch unter George W. Bush als Ressourcen- und Existenzen verzehrende Sinnlosigkeit in Sachen Weltpolitik. Dass es zum Vietnam-Einsatz eine langjährige Studie gegeben hat, die belegen konnte, dass der Krieg nicht zu „gewinnen“ war – was für eine sträfliche Verharmlosung, dieses Verb! – davon hat zuerst mal die New York Times etwas spitzgekriegt. Um sich nach ersten Artikeln zu diesem unerhörten Fall eine einstweilige Verfügung einzuhandeln. Was wiederum Die Washington Post zum Handeln zwang. Wie es dazu kam, und wer wem welche Geheimnisse anvertraut hat, und warum die Washington Post-Erbin Katharine „Kay“ Graham den Mut aufbringen konnte, die Freiheit der Presse mit einem Exempel zu manifestieren und den Weg zu ebnen in eine Zukunft der Presse, die nicht für die Regierenden, sondern für die Regierten eintritt – davon erzählt Regielegende Steven Spielberg in einem wortgewaltigen Dialogdrama in fast schon zitierender Tradition des unbequemen Siebzigerjahre-Kinos. Kann sein, dass Spielberg den Watergate-Skandal damals selber gerne verfilmt hätte. Doch er darf sich trösten – die Pentagon-Papiere sind nicht minder unfassbar unerhört wie der Spitzelskandal eines Richard Nixon. Wer da nicht an die Öffentlichkeit geht, hat im Journalismus eigentlich nichts mehr verloren. Und wer diesen Präzedenzfall nicht insofern ausnutzt, um sich den Knebelversuchen einer kaputt-korrupten Regierung hinwegzusetzen, ist wie eine Kassandra, die die Wahrheit kennt, sie aber niemanden mitteilt. Nur im Gegenzug zur mythologischen Figur findet die Leserschaft zu Recht Vertrauen in ihre Presse. Was Nixons Schergen zur Weißglut bringt.

Wer Spielberg kennt, identifiziert Die Verlegerin nur sehr schwer als sein Machwerk. Gut, einzig Janusz Kaminski liefert abermals virtuose Kamerafahrten, aber auch statische Totale, die wie aus einer anderen Zeit wirken. Kultverdächtig schon jetzt die Szene mit den davonwehenden Zeitungsseiten am Kiosk. Sachlich, bürozimmergrau, Neonlicht dort, wo schweißgebadet rund 400 Seiten enthüllendes Material gesichtet werden. Oder das Wählscheibentelefon rot blinkt. Attraktiv ist das nicht, fast schon etwas beklemmend. Doch da gibt es Tom Hanks und Meryl Streep, die in souverän abgestimmtem Timing ihren Rollen Respekt zollen. Dass „die Streep“, wie man sie nennt, tatsächlich wieder für den Oscar nominiert sein darf, gehört fast schon zum guten Ton der Academy – verdient hat sie die Auszeichnung aber diesmal nur bedingt. Auffallendes Schauspiel ist es keines, ein Leinwandliebling in gewohnter Spielfreude. Hingegen ist Tom Hanks erneut eine Ausnahmeerscheinung. Als Chefredakteur Ben Bradley zieht er komplett neue Seiten auf, wirkt geradezu etwas unsympathisch, getrieben, wie ein Workaholic, der nur für die Zeitung lebt. Selbstbewusst, improvisierend, mit graumelierten Haaren. Ich habe den ehemaligen Forrest Gump schon in vielen Rollen bewundert – die Rolle eines Journalisten ist neu. Und auch dieser Rolle gewinnt er ganz eigene Manierismen ab, die wiedermal bestätigen, dass Hanks im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielern niemals nur sich selbst spielt. Was mich eine Nominierung auch für ihn vermissen lässt. Aber was soll´s, aus der Academy wird man sowieso nicht schlau.

Kann sein, dass Die Verlegerin die Konzentration des Publikums ein bisschen über Gebühr strapaziert. Vieles wird nur ein oder zweimal wörtlich erwähnt, trägt aber immens zum Verständnis der Geschichte bei. Wer also einmal abschweift, muss zwingend seinen Sitznachbarn quälen. Ist man wieder am Laufenden, wird die zweite Hälfte des Filmes gefälliger und packender. Sofern man sich für das ewige Duell Politik gegen Presse interessiert. Was sich in Zeiten wie diesen, wo Regierungsparteien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verklagen und umgekehrt, umso brisanter verhält – und tatsächlich mehr Zuseher ins Kino locken wird als zu anderen Zeiten. Als bewegt-bewegendes Drama mit Nachhall bleibt Die Verlegerin aber nicht in Erinnerung. Spielberg hat seinen speziellsten Film ins Kino gebracht und einen Stoff dramatisch aufbereitet, der sich besser liest als gesehen zu werden. Seine Hommage an Alan J. Pakula hat er handwerklich gut gemacht, als bester Film des Jahres 2018 kommt er für mich von allen Kandidaten aber am wenigsten in Frage, auch wenn Die Unbestechlichen das Kunststück 1976 hinbekommen haben. Wohl aber auch nur deswegen, weil die Siebziger ganz andere Zeiten waren, die erzählten Fakten damals unmittelbar zurücklagen und die Art des New Cinema erst so richtig salonfähig wurde. Das ist in den 2000ern allerdings Business as usual. So wie Spielberg´s Film.

Die Verlegerin