The Fabelmans (2022)

DER HORIZONT DES FILMEMACHERS

7,5/10


thefabelmans2© 2022 Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: STEVEN SPIELBERG

BUCH: STEVEN SPIELBERG, TONY KUSHNER

CAST: GABRIEL LABELLE, MICHELLE WILLIAMS, PAUL DANO, SETH ROGEN, JULIA BUTTERS, KEELEY KARSTEN, JUDD HIRSCH, DAVID LYNCH, JEANNIE BERLIN, OAKES FEGLEY, GABRIEL BATEMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 31 MIN


Wie coacht man eigentlich die eigene Meinung zu einem Film, der bei Publikum und Kritikern bereits als Klassiker hofiert wird? Ist es da überhaupt möglich, die eigene, vielleicht gänzlich andere Meinung für sich selbst zu akzeptieren, wenn der Druck von außen, das Werk gut finden zu müssen, langsam unerträglich wird? Leicht ist das nicht, sich von all dem loszulösen, was in der Meinungsfindung befangen macht oder die Sicht auf das gerade Sehende beeinflusst. Am besten nichts mitbekommen, doch das klappt nur selten. Zwischen Das muss auch mir wahnsinnig gut gefallen und Das gefällt mir genau deswegen nicht mag die Treibjagd der eigenen Meinung losbrechen. Objektiv subjektiv zu bleiben: vergesst es.

Wie man auch zu welchem Entschluss kommt – es geht schließlich nur um Filme. Doch Filme können ein Leben sein. Oder das Leben beeinflussen. Auf jeden Fall sind sie leicht das Objekt einer – wie zum Beispiel meiner – Leidenschaft. Oder die des Steven Spielberg – nur vom anderen Ende aus betrachtet, vom anderen Punkt am Horizont, der tunlichst nicht in der Mitte liegen darf, denn sonst ist es „scheißlangweilig“.

Spielberg zählt für mich zu den aktuell besten Regisseuren der Welt. Ich würde sogar so weit gehen, ihn als ein Universalgenie zu bezeichnen, ein bisschen wie ein Leonardo, der nichts unversucht lässt; der sich in jedes Genre wagt, auch wenn es nicht unbedingt sein Steckenpferd ist. Der aber mit einem natürlichen Gespür für die goldene Mitte des Regieführens so gut wie immer überzeugt. Außer bei 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood vielleicht. Doch auch sowas macht einen Virtuosen wie ihn nur menschlich.

So menschlich wie virtuos ist auch The Fabelmans – Spielbergs Autobiografie in Bildern und ganz vielen erhellenden Worten, die damals wohl so oder ähnlich gefallen sind. Sie haben ihn die Dinge so sehen lassen, wie er sie vielleicht heute noch sieht. Sie haben ihn erkennen lassen, was Kunst eigentlich ist und wo ein Künstler seine Prioritäten setzen muss, um ganz oben anzukommen. Ruhm und Ehre sind dabei willkommene Türöffner, die das nötige Kleingeld lukrieren, um das geliebte Handwerk auch zu leben. Ein Handwerk, dass beim Super8 Film beginnt – bei der kleinen, tonlosen Kamera, die alles einfängt, was es wert ist, festgehalten zu werden: Zum Beispiel eine glückliche Familie.

Den Fabelmans scheint ja anfangs die Sonne aus dem Allerwertesten, dass es fast schon kitschig wirkt. Oder als hätte Wanda Maximoff eine neue Realität erschaffen. Doch wie so meistens trügt auch hier der Schein einer heilen Welt – all die Risse ziehen sich erst nach und nach durch dieses turbulente Harmoniebedürfnis, welches vor allem Mama Mitzi Fabelman (Michelle Williams) wie ein Zepter ganz hochhält – ist sie doch diejenige, die mit den meisten Dämonen zu kämpfen hat. Neben drei quirligen Schwestern und einem beruflich zukunftsorientierten Papa (Paul Dano) bleibt dem jungen Sammy (eine Entdeckung: Gabriel LaBelle) die früh entdeckte Leidenschaft für die inszenierte Illusion, für den Special Effect und all die Tricks, als wäre er sein eigenes ILM-Studio. Mit dieser Begeisterung hat er bald eine ganze Crew am Start – die Freude am Tun endet aber jäh, als Sammy hinter ein Geheimnis kommt, welches die ganze Familie wohl in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Anfangs ist die scheinbar biedere Fifties-Handschrift Spielbergs ja geradezu regressiv. Doch auch ein Meister wie er braucht so seine Zeit des Warm-Ups, um gerade einen Stoff, der ihn persönlich mit allerlei Emotionen wird aufgeladen haben, in gewohnter Professionalität umzusetzen. Und dann, wenn die ersten Filme über die hauseigene Leinwand flimmern, beseelt Spielberg seine Reise ins frühe Ich mit ganz viel Esprit, Gefühl und weisem Verstand. Und Respekt vor allen, die ihn zu dem gemacht haben, der er heute ist. Seine geliebte Mutter, sein geliebter Vater – The Fabelmans ist eine Widmung an sie beide. Und vielleicht auch an John Ford, der ihm diesen einen Moment der Erleuchtung beschert. The Fabelmans ist eine Danksagung an all die Umstände, auch an all die Entbehrungen, aber auch an all das Glück, getan haben zu dürfen, wonach ihm der Sinn stand.

In der gewohnten, aber unverwechselbaren Bildsprache Janusz Kamińskis ist ein sensibles, sehr privates Werk entstanden, ohne jegliches Tamtam aus Fantasy, History oder Science-Fiction. Fast schon mutet The Fabelmans wie ein Independentwerk an, so ungefällig kommt es daher, so intim mutet es an. Und manchmal wäre es dem Film lieber, er liefe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur im Kreise der Familie. Das muss nicht sein: Spielberg kompromittiert oder beschämt niemanden. Seine Erinnerungen sind voller Anstand, aber auch voller Selbsterkenntnis. Zum Beispiel jener, selbst ein Egoist zu sein. Falco hat mit seinem Song wohl recht gehabt, zum Egoisten muss man taugen, auch wenn es schmerzt. Diese ehrliche Kritik ans Ego zeugt von Reife. Auch die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion, und wie sich das Medium Film ausnutzen und benutzen lässt. Das ist Weisheit vom Fach, irgendwo zwischen American Graffiti und Wunderbare Jahre, nur ohne Stimme aus dem Off.

Auch wenn Filme wie Babylon – Rausch der Ekstase, Final Cut of the Dead oder Pan Nalins Das Licht, aus dem die Träume sind die Essenz des Filmemachens oder die Geschichte des Kinos zelebrieren, ist The Fabelmans doch nicht darauf aus, mit Getöse, flirrenden Bildern und üppiger Nostalgie einem globalen Kulturphänomen zu huldigen. Spielbergs Film ist Besinnung, eine innere Einkehr. Zu und für sich selbst, und nicht für das große Ganze.

The Fabelmans (2022)

Nomadland

HEIMKEHREN NACH IRGENDWO

7,5/10


nomadland© 2020 20th Century Fox Studios


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: CHLOÉ ZHAO

CAST: FRANCES MCDORMAND, DAVID STRATHAIRN, LINDA MAY, CHARLENE SWANKEY, BOB WELLS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Nomadland ist ein Western. Vielleicht ein Neo-Western, oder ein Spätwestern oder überhaupt ein Post-Millennial-Western. Aber ein Western. Dieses Bild des einsamen Cowboys oder Pistoleros oder Pioniers, der gegen den Sonnenuntergang reitet, immer weiter Richtung Pazifik. Der das ganze Land, all diese Wildnis dort in Nordamerika, sein Zuhause nennt. Umgeben von den Geräuschen der Natur und seinen Launen. Was für ein Mythos. Was für eine Romantik. Chloé Zhao gefällt das. Aber nicht dieses offensichtliche Bild, das ich hier  beschrieben habe. Sondern das Bewusstsein einer Nation dahinter, diese seit den alten Zeiten recht erfolgreich archivierte Gesinnung, die so oft mit Freiheit und allen möglichen Möglichkeiten verbunden wird. Dieses damit einhergehende, stereotype Bild der Männer und Frauen. Doch Chloé Zhao liebt ihr Land, in das sie emigriert ist; will das Nest, in dem sie selbst lebt, nicht beschmutzen; will auch niemanden, der scheinbar falsche Richtungen anpeilt, an den Haaren zurückhalten. Chloé Zhao will etwas nachspüren. Sie ist neugierig, wissbegierig. Will herausfinden, was diese Menschen antreibt, was sie straucheln lässt, wovon sie träumen, wohl wissend, diesen Traum niemals realisieren zu können.

Es ist zwar nichts faul, in diesem Staatenbund, zumindest aus Zhaos Sicht – aber nicht alles läuft nach Plan. Als Hemmschuh gilt der Mythos. Das war schon in ihrem beachtlichen, semidokumentarischen Spielfilm The Rider so. Das Draufgängertum des Rodeos; das toughe, unkaputtbare Männerbild des Westens. Nicht Indianer kennen keinen Schmerz, sondern der junge weiße Mann mit Hut und Halstuch. Ihr Blick darauf ist keiner des Mitleids, sondern des Mitgefühls. Zhao hält sich zurück, will beobachten, besetzt ihre Filme gerne mit Laiendarstellern oder mit genau den Darstellern, die diese ihre Geschichten tatsächlich erlebt haben. Viel Regie bedarf es dabei nicht – diese Menschen müssen nur sein, wie sie sind. Und Zhao bettet all das in eine Geschichte – die allerdings keinen Anfang und kein Ende hat, sondern Momentaufnahmen sind, mit ungewisser Zukunft.

In Nomadland hat Fern alias Francis McDormand (ausgezeichnet mit dem Oscar) ebenfalls einen Traum zu Grabe getragen, im Zuge ihrer existenziellen Not aber einen neuen ausgemacht – einen, der sich möglich und nicht verkehrt anfühlt, weil er dem Nationalbewusstsein entspricht. Sich dem Stolz der Pioniere bedient. So hat Fern also ihren Van, den sie sich recht kommod eingerichtet hat und mit welchem sie von einem saisonalen Job zum nächsten tingelt, quer durchs Land, durch die Prärie und durch die atemberaubend pittoreske Landschaft eines so reichen Kontinents. Sie trifft auf die Kommune der Nichtsesshaften, freundet sich mit urigen Originalen an, findet sogar etwas fürs Herz. Wir sehen den Alltag eines Lebensstils, der schon vor tausenden von Jahren als abgelegt gilt, den die Tuaregs noch praktizieren oder die Hirten der mongolischen Steppe. Nomadland ist ein in sich ruhender, unaufgeregter, sehr präziser Film, der völlig wertfrei einen Zustand widerspiegelt, der weder als trostloses Sozialdrama steht noch als idealisierte Aussteigerromantik. Von beidem hat McDormand etwas, unter beidem leidet und frohlockt sie gleichermaßen. Ihr Spiel ist ungekünstelt und zurücknehmend, direkt beiläufig – und ohne Scham vor kompromittierenden Alltagsszenen. Vielleicht hat ihr eben diese ungeschminkte, lockere Natürlichkeit den dritten Goldjungen eingebracht. Herausragend ist ihre Darstellung nicht, ungewöhnlich auch nicht. Dafür aber so angenehm normal. Diese Normalität sucht man im Kino fast schon vergeblich. Sowas kann McDormand. Und es könnte auch sein, dass sie und Zhao zu einem neuen Dreamteam werden, obwohl ich die Filmemacherin eher als jemanden einschätze, der viel lieber zu neuen Ufern aufbrechen möchte. Wie eben für den neuen Marvel-Film Eternals, der zu Weihnachten in die Kinos kommen soll. Auf ihren Filmstil, verbunden mit dem Disney-Franchise, kann man gespannt sein.

Nomadland ist vor allem auch in seiner Machart bemerkenswert. Zhao begleitet ihre Reisende rund ein Jahr lang, von Winter bis Winter. Und zeigt dabei sehr viel in sehr kurzen Szenen und Sequenzen, die aber, trotz des akkuraten Schnittstils, in ihrer Gesamtheit eine elegische, dahingleitende Ruhe ausstrahlen. Trotz der Umtriebigkeit, trotz der Rastlosigkeit ihrer Protagonistin. Mit Michael Glawogger hat Zhao einiges gemeinsam – vor allem wenn ich mir seinen letzten Film, Untitled, ins Gedächtnis rufe. Beide haben diese Kunstfertigkeit, über das Reale zu erzählen und sich dabei eines prosaischen Alphabets zu bedienen. Das gereicht zu einem geduldigen, wohlwollenden Beitrag für ein neues, altes Hollywood.

Nomadland

If Anything Happens I Love You

MUT ZUR ERINNERUNG

7/10


ifanythinghappensIloveyou© 2020 Netflix


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: MICHAEL GOVIER, WILL MCCORMACK

LÄNGE: 12 MIN


Wohl einer der tränenreichsten Filme, die ich jemals gesehen habe, ist Nanni Morettis Trauerdrama Das Zimmer meines Sohnes. Und dabei war ich damals, als der Film im Kino lief, noch nicht mal selbst Papa und kannte also all diese Emotionen nicht, derer man sich bereichert sieht, wenn man den eigenen Nachwuchs plötzlich in den Armen hält. Wie niederschmetternd wäre der Film wohl jetzt für mich, würde ich ihn heute zum ersten Mal sehen? Darüber nachzudenken, ob und wenn ja, wie man wohl mit dem Verlust eines Kindes umgehen würde, lässt einen gleichzeitig über das Unmögliche nachdenken. Ein Prozess, bei dem man sehr schnell an seine emotionalen Grenzen stößt.

Im Trickfilm If Anything Happens I Love You, der eben erst den Oscar für den besten animierten Kurzfilm entgegennehmen durfte, sind die Emotionen bei den am Boden zerstörten und mittlerweile resignierenden Eltern bereits erkaltet. Ihre gemeinsame Tochter wurde Opfer eines nicht näher definierten Amoklaufs an der Schule, das scheint schon einige Zeit zurückzuliegen. Natürlich ist nichts mehr wie vorher, und die gähnende Leere, die der Verlust verursacht hat, unüberbrückbar. Bis eines Tages, beim Wäschewaschen, ein T-Shirt der Tochter in Mamas Hände fällt. Dieses weckt lange nicht zugelassene Erinnerungen, und auch der Fußball, der plötzlich durch die Gegend rollt oder der abgebröckelte und blau überpinselte Verputz an der Hausmauer fordert die Eltern geradezu auf, ihre Tochter, auch wenn sie unwiederbringlich fort ist, nicht aus ihren Gedanken fernzuhalten.

Bei Kurzfilmen ist es meist recht schwierig, eine runde Geschichte zu erzählen und zumindest im dargestellten Prozess einen vorläufigen Schlusspunkt zu finden, weil der zeitliche Spielraum klarerweise enorm begrenzt ist. Noch schwieriger scheint es, sich einem Thema zu widmen, für das es eigentlich keine Worte gibt. Und das sonst normalerweise überlange Spielfilme füllt. Da Verlust, Trauer und deren Bewältigung enorm schwere Brocken sind, verzichten Michael Govier und WillMcCormick (Die Sopranos, Couchgeflüster) auch auf jeglichen verbalen Einsatz. Die einzige Zeile, die auf dem Display eines Mobiltelefons erscheint, ist jene des Filmtitels – sie bringt das Drama auf den Punkt und schnürt dabei die Kehle zu.

Sehr viel Weißraum, skizzenhafte Zeichnung, eine Animation so flüssig wie ein Daumenkino – diese optische Reduktion lässt Raum für dieses kleine Bilderbuch einer Suche nach dem Mut, schmerzliche Erinnerungen in einen erträglichen Zustand zu wandeln. Das ist mitfühlender, wenn auch zaghafter Optimismus, so trostspendend wie das handgeschriebene Beileidschreiben eines guten Freundes.

If Anything Happens I Love You

La Grande Belezza – Die große Schönheit

DIE ÄSTHETIK DES NICHTS

7,5/10

 

grandebelezza© Filmladen 2013

 

LAND: ITALIEN, FRANKREICH 2013

REGIE: PAOLO SORRENTINO

CAST: TONI SERVILLO, CARLO VERDONE, SABRINA FERILLI, CARLO BUCCIROSSO, IAIA FORTE U. A.

 

Es ist Sommer, wir haben wieder Saison, und zwar in Salzburg, bei den Festspielen, wo Tobias Moretti die Paraderolle aus Hugo von Hofmannsthals Das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes verkörpert – des Jedermann. Eine metaphysische Geschichte rund um das Ringen mit dem Tod, ein Rückblick auf ein Leben voller Ausschweifungen, und ein Besinnen auf das Wesentliche, Gott sei Dank noch letzten Endes. Und der Teufel, der geht wieder mal leer aus. Klaus Maria Brandauer hat das Thema Hofmannsthals, das sich wiederum auf dem Konzept spätmittelalterlicher Mysterienspiele über Schuld, Unschuld und Vergebung orientiert, in dem von Fritz Lehner inszenierten Psychodrama Jedermanns Fest adaptiert und gibt sich dort als sterbenden Modezar, der noch mal die große Party seines Lebens schmeißen will. Der Italiener Paolo Sorrentino, der sich in seinen Werken sowieso grundsätzlich den Fragen über Moral, Sinnhaftigkeit und geborgter Existenz hingibt, hat mit dem oscarprämierten Epos La Grande Belezza etwas ähnliches entworfen, eine visuell überbordende Leinwandshow, die ganz klar ihre Motivation aus den Euvre eines Federico Fellini zieht, insbesondere aus dessen Werk Roma. Was aber nicht heißt, dass der Meister seiner Zunft seinem großen Vorbild im wahrsten Sinne des Wortes die Show stehlen will. Wie für Sorrentino üblich, lässt er seinen reichen Mann, der einen runden Geburtstag feiert und die dekadente Elite zu einem rauschenden Fest mit Blick auf Roms Kolosseum lädt, zwar nicht sterben – dafür aber knapp zweieinhalb Stunden lang durch die ewige Hauptstadt flanieren, immer wieder Feste feiern, eben wie sie fallen, und sein bisheriges Leben Revue passieren lassen, das ihm, wie er es des Öfteren erwähnt, hohl und leer vorkommt. Reichtum ist natürlich keine Schande, soll doch jeder seinem Leben den Sinn geben, den er für richtig hält, und sei es der Sinn des Sinnlosen. Das aber erscheint dem allseits bekannten Journalisten plötzlich zu wenig zu sein. Die Suche nach einer gewissen Ewigkeit beginnt, nach noch mehr Zeit, um sich neu zu orientieren. Dabei spielt der Glaube und die katholische Kirche eine ebenso wichtige Rolle wie die Geschichte der Ewigen Stadt, mit all ihrer atemberaubenden Kunst, Kultur und Geschichte.

Schon in seiner Fernsehserie The Young Pope hat Sorrentino die Institution der Kirche mit all ihrem Pomp von innen heraus skizziert, dabei über religiöse Eckpfeiler wie Wunder, Dogmen und Keuschheit philosophiert. Über päpstliche Moral und dem Konservativismus einer im Bibeltext verhafteten Gemeinschaft, die als obsolet verrufen ihre verlorenen Schäfchen sucht. Die Kirche ist auch in La Grande Belezza nicht wegzudenken. In Gestalt einer uralten, als heilig verehrten Klosterschwester, die von Afrika nach Rom pilgert, mündet die Frage nach dem Wert von Glauben und göttlicher Hingabe in die metaphorische Gestalt eines grotesken Wesens, das selbst in seiner Weisheit letzten Endes nur noch hohlen Riten folgt, deren Sinn jemand anderem gehören. Dieses Leben und Feiern für die anderen, diese selbstlose Selbstsucht nach Anerkennung und das Inszenieren der anderen, in der Erwartung, selbst inszeniert zu werden – diese Weise enttarnt Sorrentino in vielen episodenhaften, traumartigen Sequenzen, serviert auf bühnenhaften Tableaus, kunstvoll beleuchtet, wie sakrale Portale, die zu namenlosen Erkenntnissen führen sollen, die sich als sprachlos entpuppen, aber dennoch wunderschön sind.

Wunderschön ist La Grande Belezza tatsächlich, wenngleich sein Film viel Geduld erfordert. Das assoziative, irrlichternden Visionen erlegene Kaleidoskop in bunten Farben verpuffender Wohlstandswerte portraitiert eine Welt, die in ihrer verlogenen Affektiertheit für den Zuschauer unanknüpfbar scheint. Was hier abgeht, ist kommunikationsloses Theater, dessen Figuren uns Zusehern so gleichgültig gegenüberstehen, dass der Drang aufkommt, sich anderen Dingen zuzuwenden. Dazugehören will man ganz und gar nicht. Verlockend sind eher die installierten Bilder, die bis ins Detail durchkomponierten Arrangements aus Personen und Kulisse, unterlegt mit hypnotischen Klängen, dazwischen so weltfremd surreal wie antikes Maskentheater, das wir zum Beispiel auch in Fellinis Satyricon finden. Doch so ratlos die scheinbar in fremden Floskeln verlorene Seelenmesse auch anfangs macht, so sehr lässt sich die Wandlung des römischen Jedermann später verfolgen. Kann sein, dass Sorrentino zu sehr auf die Wirkung seiner visionären Bildideen setzt, und dabei in seiner Lust am Rätselhaften den Sinn seines Werkes aus den Augen verliert. Immerhin ergibt sich aber am Ende ein Gesamtbild, eine Umkehr zu neuen Werten, und die Möglichkeit eines neuen Aufbruchs. Rom jedenfalls, die ewige Stadt, die hat seit Fellini nicht mehr so intensiv ihren immer wiederkehrenden Frühling erlebt. Der Sinn dieser Metropole steckt nicht nur in, sondern auch zwischen den alten Mauern, nirgendwo lebt Geschichte so wuchtig wie hier, und das schon mehrere Jahrtausende lang. Sich hier mit seiner eigenen Geschichte nicht zurechtzufinden, ist nur verständlich. Und umso erstaunlicher, zuzusehen, wie sich die Art, im elitären Rausch zu leben, um die ewigen Zeiten hinweg gewandelt – oder gar nicht gewandelt hat. Die große Schönheit ist die, die sich eigentlich nicht darstellen lässt. Vielleicht ist es nur die Erinnerung an das Wichtige, wie bei Jedermann, der mit dem Gewissen ringt.

La Grande Belezza – Die große Schönheit

Zimmer mit Aussicht

FLANIEREN MIT MANIEREN

5/10

 

zimmermitaussicht© 1986 Kairos-Filmverleih

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 1986

REGIE: JAMES IVORY

CAST: HELENA BONHAM-CARTER, MAGGIE SMITH, JULIAN SANDS, JUDI DENCH, DANIEL DAY-LEWIS U. A.

 

Es müssen nicht immer die neuesten Kino-Releases sein. Die sind in den Print- und Online-Medien ohnehin zahlreich vertreten. Was nicht heissen soll, ich spar mir von nun an meinen Senf. Doch wie wäre es trotzdem mal mit einem etwas reiferen Werk, das, sagen wir mal, rund 30 Jahre auf dem Buckel hat? Da gibt es eines, das kennen wahrscheinlich gar nicht mal so viele, und wäre dieses Werk nicht einer der Lieblingsfilme eines guten Freundes von mir, hätte ich mit Sicherheit vergessen, es auf die Watchlist zu setzen: Zimmer mit Aussicht.

Der zumindest für Pauschaurlauber höchst verlockende Titel steht für das bekannteste Frühwerk des amerikanischen Filmemachers James Ivory, der Zeit seines künstlerischen Schaffens eine ausgeprägte Vorliebe für britische Literatur an den Tag gelegt hat. Nicht zu glauben, dass Ivory eigentlich Amerikaner ist, so europäisch, wie er sich in seinen Filmen gibt. Ich kann mich auch noch sehr gut an die Oscarverleihung 1993 erinnern, als das distinguierte Meisterwerk Was vom Tage übrig blieb nach dem Roman des japanischstämmigen Briten Kazuo Ishiguro achtmal für den Goldjungen nominiert war und dann doch leer ausging. Der Film mit Emma Thompson und Anthony Hopkins in seiner wahrscheinlich besten Rolle ist eine Sternstunde der Schauspielkunst, aber auch der leisen, zarten Inszenierung. Für große Gefühle in kleinen Dosen war James Ivory stets ein Spezialist. Im Jahr davor wurde immerhin Wiedersehen in Howards End ausgiebigst prämiert – für Emma Thompson, Szenenbild und Drehbuch. Howards End war eine Verfilmung eines der Romane des Briten E. M. Forster – und nicht die erste. Zimmer mit Aussicht war 6 Jahre früher dran, und konnte bei den Oscars 1987 ebenfalls punkten, zumindest in den Nebenkategorien. Soviel also zu den Fakten, die in ihrer trockenen Aufzählung jetzt vielleicht ein bisschen für Langeweile gesorgt haben könnten, vor allem bei jenen, die ohnehin über James Ivorys Œuvre Bescheid wissen. Allerdings stimmt dieser kleine, recht langatmige Einblick bestens auf vorliegenden Film ein, der vorrangig eines ist: langatmig.

Dieser Müßiggang, um ein anderes Wort dafür zu finden, kann durchaus ein gepflegter sein. In Zimmer mit Aussicht sogar vom pedikürten Zeh in weißen Socken und Schnallenschuhen bishin zum Spitzenschirmchen, das unter der Sonne der Toskana vor allzu sengender Frühlingshitze schützen soll. Und diese Frisuren – das waren sicher Stunden beim Hairstylisten, der vor allem bei Helena Bonham-Carters sperriger Mähne ins Schwitzen gekommen sein muß. Die damals blutjunge Schauspielerin, gerade mal 19 Jahre alt, feierte mit Zimmer mit Aussicht ihr Kinodebüt. Ihr zur Seite als Anstandswauwau: die legendäre Maggie Smith, oscarnominiert und erschreckend etepetete, fast schon so wie in ihrer späteren Performance als Zauberin Minerva McGonagall, nur in Ivorys Sittenbild bereits schon pikiert, wenn Männer jungfräuliche Damen einfach so von der Seite her anquatschen. Eine zugeknöpfte Zeit, dieses anfängliche 20te Jahrhundert. Und ein Sittenbild, dass vor lauter Kostümen gar nicht mehr weiß, wo der Kleiderhaken hängt. Das künstlerische Florenz mit all seinen Meisterwerken der Renaissance und das dazugehörige flanierende, kunstbeflissene Klientel präsentiert eine Gesellschaft auf fein ziseliertem Silbertablett. Wenn dann die frühsommerlichen Wiesen mit all ihren Mohn- und sonstigen Blumen der Ort eines verstohlenen Kusses sind, werden die impressionistischen Bilder eines Auguste Renoir zum Leben erweckt. Da greift das weiß behandschuhte Filmteam tief in die Requisitenkiste und rückt akribisch ausgesuchte Locations wie handkolorierte Postkarten ins richtige Licht. Das ist natürlich geschmackvoll. Und nach wie vor langatmig.

Beworben wird Zimmer mit Aussicht als zauberhafter Film über die Macht der Gefühle, als große Liebesgeschichte. Das kommt meines Erachtens nicht wirklich hin. E. M. Forsters Roman mag da vielleicht anders ticken, mag da vielleicht die Gefühle von George und Lucy, der beiden Liebenden, die im Zentrum des Filmes stehen, besser umschreiben. In Ivorys Verfilmung ist die leidenschaftliche Liebe bar jeder Leidenschaft und maximal ein halbherziges Geplänkel. Julian Sands, der den liberalen Freigeist George spielt, fährt noch etwas mehr Drive auf, der ist aber mehr dem Anspruch seiner eigenen Quergedanken geschuldet als einer hingebungsvollen Schwärmerei. Und Bonham-Carter? Sie steckt mit ihrer Sehnsucht im besten Wortsinn noch in den Kinderschuhen. Für eine Liebesgeschichte mangelt es zwischen Florenz und der britischen Heimat zu sehr an empfundener Leidenschaft, da sind Hopkins und Thompson als emotional verschlossenes Hauspersonal im Vergleich dazu geradezu in euphorischer Ekstase. Rund um diesen gedehnten „Lamourhatscher“ schlägt ein edler Cast in nobel eingerichteten Zimmern, auf Wiesen und in Gärten eigentlich die Zeit tot, und stellt die Steifheit einer elitären Zwangsgesellschaft voller hemmender Etiketten lustvoll aufgedonnert zur Schau. Wenn schon kein Kuppler, dann ist James Ivory immerhin ein genauer Beobachter einer Zeit, die in strenger Pietäthaftigkeit Lyrik zitiert oder mit gespreizten Fingern Tee trinkt. Daniel Day-Lewis ist in Zimmer mit Aussicht noch der kurioseste Hingucker schlechthin – seine geckenhafte Performance eines fast schon asexuellen Feingeist-Faktotums wäre schon damals auszeichnungswürdig gewesen und fügt sich fabelhaft ein in das wortlastige, zögerliche und ewig flanierende Porträt eines verstockten Establishments.

Zimmer mit Aussicht

Tanna

LIEBE AUF DEM VULKAN

7/10

 

tanna© 2017 Kairos Filmverleih

 

LAND: AUSTRALIEN, VANUATU 2016

REGIE: BENTLEY DEAN, MARTIN BUTLER

MIT MARIE WAWA, MUNGAU DAIN, MARCELINE ROFIT, CHARLIE KAHLA U. A.

 

Globetrotter und Atlas-Junkies können sich entspannt zurücklehnen, wenn es um die Frage geht: Wo liegt Vanuatu? Und was ist Vanuatu überhaupt? Die Antwort: ein Archipel, nordöstlich von Australien. Zählt zur Inselgruppe Melanesien und wurde erstmals von den Portugiesen gesichtet, die die dicht bewaldeten Eilande am Feuergürtel als Teil der Terra Australis vermutet hatten. Das hat der französische Seefahrer Louis Antoine de Bougainville dann widerlegen können, und im Zuge der zweiten Weltreise von James Cook kamen auch weiße Siedler in diese Gegend. Das wissen die Insulaner der kleinen Insel Tanna natürlich alles. Und sie wissen auch alles über das britische Königshaus. Prinz Philipp ist da ein ganz wichtiges Vorbild in Sachen Loyalität und Tradition.

Mit der Tradition, da nimmt es das Volk der Yakel sehr genau. Allen westlichen Einflüssen zum Trotz sind die Einwohner Tannas ihrer Geschichte treu geblieben, verschmähen Veränderungen und den verlockenden Fortschritt. Leben also, wie vor hunderten von Jahren. Mich erinnert dieser Zustand an Eindrücke, die ich während meiner Reise durch das Baliem-Tal im Hochland West Papuas selbst sammeln konnte. Auch dort bin ich neben Gemeinden, die den Zivilisationseinflüssen der westlichen Welt aufgeschlossen waren, auch auf wenig beeinflusste Dörfer gestoßen, die teilweise immer noch in traditioneller Tracht – mit Penisfutteral und Kopfschmuck, sonst gänzlich ohne Kleidung – durch den feuchtkühlen Bergregenwald wandern. Nachzulesen ist mein Bericht über das Volk der Dani auf meiner Reportage-Website biodiversity. Besonders interessant war ein bewusst traditionell gehaltenes Dorf, dass vor allem Touristen einen Einblick in das Kulturgut der Papua geben sollte. Natürlich, die scheinbar unverfälschte Demonstration von Traditionen, die noch nicht von außen verzerrt wurden, ist eine Inszenierung. Aber eine, die sehr authentisch wirkt, ganz so wie ein Film.

Genau das ist Tanna auch. Eine Inszenierung von etwas unmittelbar Verlorenem. Im Grunde unterscheiden sich beide Völker, die Dani und die Yakel, zumindest nach außen hin nicht sehr voneinander. Gesellschaftspolitisch mag es natürlich Differenzen geben. Ob die Zwangsheirat dazugehört, müsste ich selbst noch recherchieren. Jedenfalls aber ist das große Problem die politische Verheiratung. Wie die Caldera eines Vulkans, die zu bröckeln beginnt. Auf ihr tanzen die Häuptlingstochter Wawa und der stattliche Dain einen Liebesreigen der ganz bezaubernden Art. Es sind Bilder wie aus den Büchern des österreichischen Ethnografen Hugo Bernatzik, der unter anderem auch die Völker der Südsee besucht hat. Paradiesisch, wie und wo es nur geht. Da sehnt man sich in die Schwüle des Dschungels, schwärmt von der Farbenpracht der Korallen. Das ist weder Kitsch noch Schönfärberei – die Tropen sind tatsächlich so. Zu schön, um wahr zu sein. Doch die dunkle Seite liegt unter den Auflagen der Menschen, die dort leben. Diese sind zwar auch im Einklang mit ihrer Natur, die beseelt ist von Geistern aller Art, aber blind und taub für die Bedürfnisse des einzelnen. Viel zu viel steht auf dem Spiel, um scheinbar triviale Wünsche zu erfüllen.

Gerne wird Tanna in seiner Bewerbung mit Romeo und Julia in der Südsee verglichen. Da ist was Wahres dran. Die beiden unglücklich Verliebten versuchen dem Unausweichlichen, nämlich die Verheiratung Wawas mit einem Mitglied des verfeindeten Stammes der Imedin, zu entgehen. Und stürzen beinahe zwei ganze Völker in den brodelnden Kessel aus Stein, der über Tanna aufragt wie eine Art Olymp, ein Thron für den Geist aller Geister, für die stärkste metaphysische Macht im ganzen Land. Nebel- und wolkenverhangen, aus grauem Sand wie der Krakatau, die rotglühenden Funken, die aus dem Krater des Vulkans stoben und die Macht von Mutter Erde demonstrieren. Wenn die beiden verlorenen Seelen dann da oben stehen, Hand in Hand, mit traurigen, aber entschlossenen Blicken, lädt das exotische Kino von der anderen Seite der Welt zum Staunen und im wahrsten Sinne des Wortes zum Horizonterweitern ein. Was Disney mit Vaiana versucht hat, nämlich das ferne Elsewhere, die Philosophie der Polynesier,  medienverwöhnten Familien stark vereinfacht näherzubringen, ergänzt Tanna mit der Erzählung eines zugrundeliegenden wahren Ereignisses, der die Stämme Vanuatus folglich dazu bewogen hat, Zwangsheiraten abzuschaffen. Womöglich waren Wawa und Dain nicht die einzigen Romeo und Julias der Südsee.

Tanna ist eine pittoreske Fernreise in die Mythen fremder Völker, delegiert mit Laiendarstellern der jeweiligen Stämme. Ein einfach erzähltes, faszinierendes Lehrstück über Frieden, Selbstbestimmung und die fragwürdige Sinnhaftigkeit alteingesessener Traditionen.

Tanna

Die Verlegerin

KEIN BLATT VOR DEM MUND

6/10

 

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© 2017 Universal Pictures

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2017

REGIE: STEVEN SPIELBERG

MIT MERYL STREEP, TOM HANKS, BOB ODENKIRK, ALISON BRIE, SARAH PAULSON U. A.

 

Im Jahre 1976 machte der US-Regisseur Alan J. Pakula mit seiner Verfilmung des Buches Die Watergate-Affäre nicht nur das in dieser Dekade umbruchgeneigte Kinopublikum, sondern auch die Academy auf sich aufmerksam. Die Unbestechlichen schildert die Aufdeckung des Nixon-Skandals unter Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei investigativen Journalisten bei der Washington Post. Der Film kann als vorweggenommene Fortsetzung des eben in den Kinos angelaufenen Tatsachendramas Die Verlegerin – im Original The Post – verstanden werden. Der Titel The Post ist klarerweise treffender, da nicht explizit die Rolle Meryl Streeps im Vordergrund steht. Man kann Steven Spielbergs neuesten Film, der selbstverständlich auch als Oscarnominee gehandelt wird, aber auch als Sequel von Pakula´s berühmtem Streifen ansehen. Wie auch immer.

Die Pentagon Papers zählen wohl zu den größten Lügengespinsten, die jemals von einer Regierung über eine medienorientierte Bevölkerung niedergegangen ist. Nach deren Veröffentlichung entpuppte sich der Vietnamkrieg als blutige Farce. Wofür die ganze Qual, das wusste damals niemand. Bis heute gilt das Image-Gemetzel der USA gemeinsam mit dem Irak-Einmarsch unter George W. Bush als Ressourcen- und Existenzen verzehrende Sinnlosigkeit in Sachen Weltpolitik. Dass es zum Vietnam-Einsatz eine langjährige Studie gegeben hat, die belegen konnte, dass der Krieg nicht zu „gewinnen“ war – was für eine sträfliche Verharmlosung, dieses Verb! – davon hat zuerst mal die New York Times etwas spitzgekriegt. Um sich nach ersten Artikeln zu diesem unerhörten Fall eine einstweilige Verfügung einzuhandeln. Was wiederum Die Washington Post zum Handeln zwang. Wie es dazu kam, und wer wem welche Geheimnisse anvertraut hat, und warum die Washington Post-Erbin Katharine „Kay“ Graham den Mut aufbringen konnte, die Freiheit der Presse mit einem Exempel zu manifestieren und den Weg zu ebnen in eine Zukunft der Presse, die nicht für die Regierenden, sondern für die Regierten eintritt – davon erzählt Regielegende Steven Spielberg in einem wortgewaltigen Dialogdrama in fast schon zitierender Tradition des unbequemen Siebzigerjahre-Kinos. Kann sein, dass Spielberg den Watergate-Skandal damals selber gerne verfilmt hätte. Doch er darf sich trösten – die Pentagon-Papiere sind nicht minder unfassbar unerhört wie der Spitzelskandal eines Richard Nixon. Wer da nicht an die Öffentlichkeit geht, hat im Journalismus eigentlich nichts mehr verloren. Und wer diesen Präzedenzfall nicht insofern ausnutzt, um sich den Knebelversuchen einer kaputt-korrupten Regierung hinwegzusetzen, ist wie eine Kassandra, die die Wahrheit kennt, sie aber niemanden mitteilt. Nur im Gegenzug zur mythologischen Figur findet die Leserschaft zu Recht Vertrauen in ihre Presse. Was Nixons Schergen zur Weißglut bringt.

Wer Spielberg kennt, identifiziert Die Verlegerin nur sehr schwer als sein Machwerk. Gut, einzig Janusz Kaminski liefert abermals virtuose Kamerafahrten, aber auch statische Totale, die wie aus einer anderen Zeit wirken. Kultverdächtig schon jetzt die Szene mit den davonwehenden Zeitungsseiten am Kiosk. Sachlich, bürozimmergrau, Neonlicht dort, wo schweißgebadet rund 400 Seiten enthüllendes Material gesichtet werden. Oder das Wählscheibentelefon rot blinkt. Attraktiv ist das nicht, fast schon etwas beklemmend. Doch da gibt es Tom Hanks und Meryl Streep, die in souverän abgestimmtem Timing ihren Rollen Respekt zollen. Dass „die Streep“, wie man sie nennt, tatsächlich wieder für den Oscar nominiert sein darf, gehört fast schon zum guten Ton der Academy – verdient hat sie die Auszeichnung aber diesmal nur bedingt. Auffallendes Schauspiel ist es keines, ein Leinwandliebling in gewohnter Spielfreude. Hingegen ist Tom Hanks erneut eine Ausnahmeerscheinung. Als Chefredakteur Ben Bradley zieht er komplett neue Seiten auf, wirkt geradezu etwas unsympathisch, getrieben, wie ein Workaholic, der nur für die Zeitung lebt. Selbstbewusst, improvisierend, mit graumelierten Haaren. Ich habe den ehemaligen Forrest Gump schon in vielen Rollen bewundert – die Rolle eines Journalisten ist neu. Und auch dieser Rolle gewinnt er ganz eigene Manierismen ab, die wiedermal bestätigen, dass Hanks im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielern niemals nur sich selbst spielt. Was mich eine Nominierung auch für ihn vermissen lässt. Aber was soll´s, aus der Academy wird man sowieso nicht schlau.

Kann sein, dass Die Verlegerin die Konzentration des Publikums ein bisschen über Gebühr strapaziert. Vieles wird nur ein oder zweimal wörtlich erwähnt, trägt aber immens zum Verständnis der Geschichte bei. Wer also einmal abschweift, muss zwingend seinen Sitznachbarn quälen. Ist man wieder am Laufenden, wird die zweite Hälfte des Filmes gefälliger und packender. Sofern man sich für das ewige Duell Politik gegen Presse interessiert. Was sich in Zeiten wie diesen, wo Regierungsparteien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verklagen und umgekehrt, umso brisanter verhält – und tatsächlich mehr Zuseher ins Kino locken wird als zu anderen Zeiten. Als bewegt-bewegendes Drama mit Nachhall bleibt Die Verlegerin aber nicht in Erinnerung. Spielberg hat seinen speziellsten Film ins Kino gebracht und einen Stoff dramatisch aufbereitet, der sich besser liest als gesehen zu werden. Seine Hommage an Alan J. Pakula hat er handwerklich gut gemacht, als bester Film des Jahres 2018 kommt er für mich von allen Kandidaten aber am wenigsten in Frage, auch wenn Die Unbestechlichen das Kunststück 1976 hinbekommen haben. Wohl aber auch nur deswegen, weil die Siebziger ganz andere Zeiten waren, die erzählten Fakten damals unmittelbar zurücklagen und die Art des New Cinema erst so richtig salonfähig wurde. Das ist in den 2000ern allerdings Business as usual. So wie Spielberg´s Film.

Die Verlegerin

Hell or High Water

DIE RÜCKKEHR DES NEW HOLLYWOOD

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hellorhighwater

Es war ungefähr gegen Ende der Sechziger – eine Gruppe junger, aufstrebender Filmkünstler erteilten dem starren Korsett vorangegangener Kinojahrzehnte eine Absage. Angeregt durch die in Frankreich um sich greifende Ära der Nouvelle Vague mit Vorreiter Francois Truffaut, der mit dem urbanen Thriller Außer Atem den Grundstein für einen Paradigmenwechsel gelegt hat, scharten sich die jungen Wilden, wie sie genannt wurden, um den Regiestuhl und gingen darauffolgend mit ihren Werken in die Filmgeschichte ein. Zu diesen jungen Wilden gehörten Steven Spielberg, George Lucas, Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Sidney Lumet, um nur eine Handvoll zu erwähnen. Natürlich, einige von Ihnen sind mittlerweile im Blockbusterkino gelandet. Andere widmen sich nur mehr sehr persönlichen Themen, die sie ungeachtet irgendeines zu erwartenden Einspielergebnisses selbst produzieren können. Doch damals war aller Anfang neu, ungestüm und unbequem. Und vor allem eines – er zeigte das Bild eines Amerika, wie es im Grunde niemand sehen wollte. Frei von Illusionen, fern vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das soziale Ungleichgewicht, das Versinken der amerikanischen Mittelschicht in der Armut, die Verzweiflung und die Lust, auszusteigen und dem System den Rücken zu kehren. Es waren Bilder, die ein Land im Niedergang und gleichzeitig aber auch im Umbruch zeigten. Revolutionäre des Films widmeten sich der kleinen Revolution, der aufmüpfigen Anarchie, die imstande war, aufzuzeigen, das irgendetwas verdammt falsch läuft. 

Jetzt, nach der Amtszeit Barack Obamas, der Finanzkrise 2008 und dem schwindenden Licht der neuen Regierungszeit unter Donald Trump kommen wieder Themen auf den Spielplan, die so gar nicht optimistisch in die Zukunft blicken. Der britische Künstler David Mackenzie (Young Adam, Hallam Foe) lässt in seinem sozialkritischen Neo-Western einen alternden Jeff Bridges mit Hang zur Selbstparodie einem kriminellen Brüderpaar hinterherjagen. Mackenzie schafft es sogar, mit seinem Werk in den Olymp der Oscar-Nominierten für den besten Film des Jahres 2017 einzuziehen. Ein Geheimtipp, der das große Rennen womöglich nicht gewinnen wird, sich aber wie ein Zugeständnis für die Rückkehr des New Hollywood anfühlt. So ähnlich, und mit unverhohlener Liebe zum Genre des nihilistischen Spätwestern, dirigiert Mackenzie einen sehr stimmigen Abgesang auf die Ideale aus einer Zeit, in der Revolverhelden und Outlaws zu Antihelden verklärt wurden. Diese kämpfende Klasse aber, reduziert auf ihr kriminelles Tun, hat an Beliebtheit verloren. Obwohl Mackenzie vieles, aber nicht alles so pessimistisch sieht wie seinerzeit Dennis Hopper in Easy Rider.

Chris Pine und Ben Foster spielen zwei Verlierer, die, von Kindheit an traumatisiert, in ihrem Leben die Arschkarte gezogen haben. Der eine ein Vatermörder, der andere pleite und nicht fähig, seine Familie zu ernähren. Der eine hat nichts mehr zu verlieren, der andere versucht verbissen, dem trostlosen Ist-Zustand eine Wendung zu geben. Umgeben vom staubigen Nirgendwo des Bundesstaates Texas suchen beide nach Genugtuung für ihr verpfuschtes Leben, auf ihren Fersen der Texas Ranger. Das Outlawdrama erinnert stark an Clint Eastwoods Meisterwerk Perfect World, nur ohne Geisel und dem Zynismus des 1993 entstandenen Thrillers. Zynismus gibt es übrigens so gut wie gar nicht in Mackenzie´s atmosphärischem Film, außer einigen Spitzen gegen den sozialen Missstand der Vereinigten Staaten – vor allem wenn Pine und Foster in ihrem Fluchtauto über verlassene Straßen brettern, gesäumt von überdimensionalen Werbeschildern, die Spitzenkredite von den Banken versprechen. Spätestens da wird klar – der amerikanische Traum ist ein schlechter Scherz und wird zum Ding der Unmöglichkeit. Was aber statt Zynismus dominiert, ist die gnädige Melancholie des drohenden Untergangs.

Das karge Kino des ausweglosen Aufstands bekommt mit Hell or High Water ein neues Lebenszeichen – allerdings eines, das mehr zur Vernunft zurückfindet als die radikalen Werke der 70er. Und so manches offenlässt. Amerikanisches Anti-Kino oder halbwildes Roadmovie – je nachdem. Jedenfalls ein Film, der sich für das, was er vorgibt zu sein, versöhnlicher zeigt als erwartet. Ein entidealisierrter Western im Gewand der Gegenwart. Die „perfekte Welt“, sie lässt sich kitten. Zumindest ist es ein Versuch wert.

Hell or High Water

Manchester by the Sea

LEBEN, ERBARME DICH MEINER

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manchester

Wieviel seelischen Schmerz verträgt der Mensch? Oder gibt es einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt und die Psyche entweder dem Wahnsinn verfällt, Suizid als einziger Ausweg erscheint oder die gequälte Person als ausgebrannter, lebender Leichnam durch den Rest seines Lebens wandelt. In alle drei Fällen hat man im Grunde schon kapituliert, aufgegeben, resigniert. Keine erbaulichen einleitenden Worte, um einen Film zu beschreiben. Aber ich mache euch auch nichts vor.

Das, was in Manchester by the Sea dem jungen Familienvater Lee Chandler wiederfahren ist, lässt sich nie mehr, zumindest nicht in diesem Leben, überwinden. Eine Tragödie, die nicht nur ihn, sondern auch seine Ehefrau (unfassbar zerbrechlich: Michelle Williams) an den Rand des Erträglichen und darüber hinaus geführt hat. Solche Menschen wie diese beiden finden entweder einen Neuanfang oder lassen sich im übertragenen Sinne begraben, ohne Chance, sich selbst zu verzeihen oder ein neues Leben zu beginnen.

Kenneth Lonergan´s selbst verfasstes und inszeniertes Drama ist wie ein Bühnenstück Ödön von Horvaths, in welchem sich die Poesie Nick Caves hineinstiehlt. Ein erschütterndes, tieftrauriges Requiem auf das Familien- und das Lebensglück. Eine in graublauen, winterkalten Bildern komponierte Ballade auf Vergebung, Erlösung und Trauer. Inmitten des elegischen, düsteren, aber niemals depressiven Reigens an Gefühlen und Begegnungen verweilt Ben´s Bruder Casey Affleck in einer Stasis der emotionalen Ausgebranntheit. Den Schmerz verschüttet, das Leben an den Rand der Wahrnehmbarkeit gedrängt und auf das Notwendigste heruntergefahren. Affleck gibt den gebrochenen, vom Schicksal verratenen Versehrten als auf seine Grundfunktionen reduzierten Schatten seiner selbst. Ausdruckslos, impulsiv aggressiv und verbittert. Zumindest muss das Leben weitergehen, der Tod wäre keine Lösung. Und auch kein befriedigender Ansatz. So hat sich Casey Affleck alias Lee Chandler dazu entschieden, sich selbst lebenslang in ein Freiluftgefägnis zu begeben, das ihm jegliche Erlösung verwehrt. Erst als sein herzkranker Bruder das Zeitliche segnet und dessen Sohn, großartig gespielt von Newcomer Lucas Hedges, laut testamentarischem Wunsch unter die Obhut seines Onkels soll, erwacht der zurückgezogen lebende, resignative Hausmeister aus Boston ein bisschen mehr zum Leben. Zaghaft, leise, fast unmerklich. doch irgendwie entdeckt Chandler in sich selbst sowas wie Verantwortung. Eine neue Sinnhaftigkeit. Etwas, wofür es sich zum Weiterleben lohnt, obwohl vieles nie mehr verheilen wird und die Welt zu einer guten wird.

Kenneth Lonergan fängt gar nicht erst an, seinem Film auch nur irgendwie jenes Pathos oder jene Gefühlsduselei zu verleihen, die wir aus vielen amerikanischen Melodramen gewohnt sind. Lonergan beobachtet seine Protagonisten mit den Augen eines Realisten. Mitunter auch mit den Augen eines zuhörenden Therapeuten, ohne sich auch nur in bemühten Erklärungen zu verlieren. Die Schauspieler sprechen für sich. Die Szenen erklären sich aus ihrer behutsamen Inszenierung heraus besser, als es jeder Effekt des Tränendrüsendrückens hinbekommen hätte. Und dabei ist die Traurigkeit des Filmes eine ganz andere. Eine kühle, nüchterne, in der Ganzheit eines menschlichen Lebens betrachtete Traurigkeit. Und ihr sitzt man bei Betrachtung des Filmes hilflos gegenüber wie Affleck vor den Trümmern seiner Existenz. Dazu noch fast schon beschämt. Denn wie es nun mit dem Umgang bei einem trauernden, verzweifelten Menschen so ist, gewinnt die Ratlosigkeit die Oberhand. Das Gefühl, helfen zu müssen, wäre fast schon anmaßend, wenn man das Ausmaß des Unglücks betrachtet. Jeder stirbt für sich allein, und jeder trauert für sich allein. Eine ernüchternde Erkenntnis, der sich auch Casey Affleck stellen muss. Und der Zuschauer ebenso, obwohl es äußerst unbefriedigend ist. Er-Lösungen lassen sich eben nicht so schnell finden. In Manchester by the sea bricht die persönliche Apokalypse nicht wie eine alles erzitternde Naturkatastrophe herein. Sie erscheint urplötzlich wie ein erbarmungslos konsequentes Naturgesetz. Und schafft einen neuen Status Quo des Lebens, ohne ihn zu bewerten. Der Mensch bewertet ihn selbst. Und lebt damit. Ganz Ödön von Horvath. Unweigerlich denke ich an sein Drama Der jüngste Tag – in ähnlichem Ausmaß, und in ähnlicher Intensität, schildert der österreichische Dramatiker die Geschichte eines fatalen Fehlers und dessen Auswirkung in Seele und Gesellschaft. Lonergan orientiert sich auch am skandinavischen Erzählkino und schafft es, Emotionen zuzulassen, deren Skalen nach oben offen sind, sich authentisch anfühlen und niemals falsche Hoffnungen wecken.

Das stille, sehr schwere, aber niemals schwermütige Drama ist kein Film, der Spaß macht. Kein Film, der erquickt, ausgleicht oder für gute Stimmung sorgt. Aber von Hoffnungslosigkeit und Resignation ist Manchester immer noch weit entfernt. Zugegeben, das Schauspielkino hat sogar einen gewissen leisen Witz. Und einen zaghaften Silberstreifen am Horizont. Den man aber allerdings nur vermutet. Doch auf den Mut, auf den kommt es an.

 

 

 

Manchester by the Sea

La La Land

EMMA IM WUNDERLAND

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lalaland

Musicals? Nein Danke, wirklich nicht. Bislang habe ich das Genre so sehr gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Wobei ich aber hier von den Produktionen neueren Datums schreibe. Bevor das breitenwirksame Musiktheater vom künstlerisch wertvollen und durchaus unbequemen Sprachrohr der 60er und 70er Jahre zum kommerzorientierten Event mutieren hat müssen, gab es durchaus einige Premieren, die man so ja gar nicht zum oberflächlichen Singspiel zählen kann. Diese Kunstwerke waren viel mehr als das. Jesus Christ Superstar, Cabaret, Hair, My Fair Lady und wie sie alle heißen – das sind inhaltlich wie musikalisch denkwürdige Ereignisse. Viele andere Musicals bestehen entweder aus dem Ausschlachten längst bekannter Ohrwürmer oder einem eingängigen Song, um welchen sich mittelmäßige musikalische Arrangements gruppieren. Die sind dann allesamt schnell wieder vergessen. Vor allem wenn dann noch Schauspieler, die normalerweise – und das aus gutem Grund – nie singen, dem Publikum zugemutet werden müssen.

Doch dann passiert das. Und als ich zum ersten Mal davon gehört habe – das war im Frühsommer letzten Jahres, Filmfestspiele Cannes – habe ich kopfschüttelnd w.o. gegeben. Diesen Film werde ich mir sicher nicht ansehen. Ja, das war meine Meinung. Und ja, trotz Emma Stone, die ich sehr schätze. Monate später allerdings haben die Medien ganze Arbeit geleistet. Golden Globe und 14 Oscarnominierungen. So wunderbar, so großartig, so einzigartig soll der Film sein. Als Filmfan und Freizeitjournalist konnte ich nun schlussendlich an La La Land nicht mehr vorbeikommen. Es musste sein. Musical hin oder her. Wahrscheinlich werde ich fluchtartig den Kinosaal verlassen müssen. Oder mich in die Lehnen meines gepolsterten Sitzes krallen. Hoffentlich können die beiden – Stone und Gosling – nur ansatzweise besser singen als Meryl Streep oder Ewan McGregor. Nun, ich habe es überstanden.

Und ja, La La Land ist tatsächlich wunderbar, großartig und einzigartig. Habe ich das tatsächlich geschrieben? Ja stimmt, das habe ich. Damien Chazelle´s musikalisches Melodram – ich nenn es mal so – ist ein traumgetanztes Wunschkonzert, so fließend, geschmeidig und aufgeweckt erzählt, als wäre das Genre eben erst erfunden worden. Und mittendrin – ebenso aufgeweckt, einnehmend und farbenfroh – eine phänomenale Emma Stone. Die junge Dame mit dem rotblonden Haar, den großen Augen und der sagenhaften Mimik ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass das Erfolgsmärchen aus dem Land des ewigen Sommers so sehr gelungen ist. Jede Szene, in der sie auftritt, ist ein Gewinn und eine Bereicherung. So bezaubernd dürfte zuletzt Julie Andrews gewesen sein, sei es in Mary Poppins oder Der Zauberer von Oz. Emma Stone ist so reizend und begeisternd, dass Chazelle sonst nicht mehr viel benötigt, um das schwungvolle Kinoevent sehenswert zu machen. Dennoch gibt er sich damit nicht zufrieden. Selbst Ryan Gosling, der in vielen seiner Filme außer seiner Attraktivität nicht viel mehr zu bieten hat, zeigt sein ganzes Können und schließt damit an seine Sternstunden aus Lars und die Frauen oder Crazy Stupid Love an. Übrigens – bei Crazy Stupid Love waren Emma Stone und Ryan Gosling schon mal ein Paar. Und haben bestens miteinander harmoniert. So wird in La La Land die Step-Nummer nicht zu einer Hommage an Ginger Rogers und Fred Astaire, sondern zu einer ganz eigenen Nummer. Und die Nummern? Da hat Komponist Justin Hurwitz schon jetzt eingängige Evergreens geschaffen. Melodien wie honigsüße Perlenketten, die noch lange nach dem Film mitschwingen und für positive Vibes sorgen. Wobei die von Damien Chazelle erdachte Geschichte, gegliedert in eigentlich 5 Akten, nicht unbedingt und bei Weitem kein vorhersehbares Happy-Day-Movie ist und auch sonst jegliche Und „Wenn sie nicht gestorben sind“-Attitüde vermeidet. Die Story, mit zielsicher getimten und wenigen, aber guten Musiknummern ausgestattet, begleitet unsere beiden Stars auf berührende, unglaublich lebendige Weise auf ihrem teils holprigen, teils glücklichen, teils unglücklichen Weg zum Erfolg. Dabei ist der Begriff Erfolg fast schon zu nüchtern formuliert. Es ist mehr als das – es sind Lebensträume, die da verwirklicht werden sollen. Ein nach den Sternen greifen, was die beiden auch tatsächlich sinnbildlich tun werden. Doch früher oder später wird klar, dass man im Leben nicht alles haben kann. Und dann kommt es darauf an, was wichtiger ist. Oder wichtiger hätte sein sollen. La La Land erzählt auf spielerische Art Liebesgeschichte, Charakterdrama und Großstadtmärchen in einem. Huldigt dem guten Technicolor- und Cinemascope-Variete aus der Nachkriegszeit, ohne aber verstaubt zu wirken. Ganz im Gegenteil. Whiplash-Virtuose Chazelle setzt alle die Teile neu zusammen. Altes wird wieder jung. Biederes Unterhaltungs – und Ablenkungskino wird auf das neue Jahrtausend gepimpt. Hier ist was Magisches und gleichzeitig Greifbares entstanden. Dank der unglaublichen Emma Stone, der eingängigen Musik und der nahtlosen Regie, die wie aus einem Guss für mehr als zwei Stunden zum Träumen einlädt.

Ehrlich gestanden – die Ouvertüre des Filmes hat mir allerdings schon ein ungutes Gefühl bereitet. Vor jemandem wir mir mit einem gespaltenen Verhältnis zum Genre. Doch mein Tipp vorweg: davon soll man sich nicht täuschen lassen. Es kommt anders, als man glaubt. Denn rückblickend macht alles wieder Sinn – und klingt auch zum Wieder- und Wiederhören gut.

Und 14 Oscarnominierungen? Zwar nach wie vor etwas hochgegriffen, aber überraschend ist es nicht mehr. Da ist schon was Besonderes passiert. La La Land – wobei mir der Titel immer noch Kopfzerbrechen verursacht – ist ein anspruchsvolles, musikalisches Ereignis rund um Jazz, Schauspielkunst und Selbstverwirklichung. Ein mitunter leicht kritisches Werk, aber mit viel Verständnis und Sympathie für seine Figuren. Und Emma im Wunderland hat ihr kommendes Schicksal fast schon autobiografisch und prophetisch auf die Leinwand gebannt. Der Oscar, so darf ich prognostizieren, ist ihr sicher. Und damit womöglich ihr Lebenstraum.

 

La La Land