The Fabelmans (2022)

DER HORIZONT DES FILMEMACHERS

7,5/10


thefabelmans2© 2022 Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: STEVEN SPIELBERG

BUCH: STEVEN SPIELBERG, TONY KUSHNER

CAST: GABRIEL LABELLE, MICHELLE WILLIAMS, PAUL DANO, SETH ROGEN, JULIA BUTTERS, KEELEY KARSTEN, JUDD HIRSCH, DAVID LYNCH, JEANNIE BERLIN, OAKES FEGLEY, GABRIEL BATEMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 31 MIN


Wie coacht man eigentlich die eigene Meinung zu einem Film, der bei Publikum und Kritikern bereits als Klassiker hofiert wird? Ist es da überhaupt möglich, die eigene, vielleicht gänzlich andere Meinung für sich selbst zu akzeptieren, wenn der Druck von außen, das Werk gut finden zu müssen, langsam unerträglich wird? Leicht ist das nicht, sich von all dem loszulösen, was in der Meinungsfindung befangen macht oder die Sicht auf das gerade Sehende beeinflusst. Am besten nichts mitbekommen, doch das klappt nur selten. Zwischen Das muss auch mir wahnsinnig gut gefallen und Das gefällt mir genau deswegen nicht mag die Treibjagd der eigenen Meinung losbrechen. Objektiv subjektiv zu bleiben: vergesst es.

Wie man auch zu welchem Entschluss kommt – es geht schließlich nur um Filme. Doch Filme können ein Leben sein. Oder das Leben beeinflussen. Auf jeden Fall sind sie leicht das Objekt einer – wie zum Beispiel meiner – Leidenschaft. Oder die des Steven Spielberg – nur vom anderen Ende aus betrachtet, vom anderen Punkt am Horizont, der tunlichst nicht in der Mitte liegen darf, denn sonst ist es „scheißlangweilig“.

Spielberg zählt für mich zu den aktuell besten Regisseuren der Welt. Ich würde sogar so weit gehen, ihn als ein Universalgenie zu bezeichnen, ein bisschen wie ein Leonardo, der nichts unversucht lässt; der sich in jedes Genre wagt, auch wenn es nicht unbedingt sein Steckenpferd ist. Der aber mit einem natürlichen Gespür für die goldene Mitte des Regieführens so gut wie immer überzeugt. Außer bei 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood vielleicht. Doch auch sowas macht einen Virtuosen wie ihn nur menschlich.

So menschlich wie virtuos ist auch The Fabelmans – Spielbergs Autobiografie in Bildern und ganz vielen erhellenden Worten, die damals wohl so oder ähnlich gefallen sind. Sie haben ihn die Dinge so sehen lassen, wie er sie vielleicht heute noch sieht. Sie haben ihn erkennen lassen, was Kunst eigentlich ist und wo ein Künstler seine Prioritäten setzen muss, um ganz oben anzukommen. Ruhm und Ehre sind dabei willkommene Türöffner, die das nötige Kleingeld lukrieren, um das geliebte Handwerk auch zu leben. Ein Handwerk, dass beim Super8 Film beginnt – bei der kleinen, tonlosen Kamera, die alles einfängt, was es wert ist, festgehalten zu werden: Zum Beispiel eine glückliche Familie.

Den Fabelmans scheint ja anfangs die Sonne aus dem Allerwertesten, dass es fast schon kitschig wirkt. Oder als hätte Wanda Maximoff eine neue Realität erschaffen. Doch wie so meistens trügt auch hier der Schein einer heilen Welt – all die Risse ziehen sich erst nach und nach durch dieses turbulente Harmoniebedürfnis, welches vor allem Mama Mitzi Fabelman (Michelle Williams) wie ein Zepter ganz hochhält – ist sie doch diejenige, die mit den meisten Dämonen zu kämpfen hat. Neben drei quirligen Schwestern und einem beruflich zukunftsorientierten Papa (Paul Dano) bleibt dem jungen Sammy (eine Entdeckung: Gabriel LaBelle) die früh entdeckte Leidenschaft für die inszenierte Illusion, für den Special Effect und all die Tricks, als wäre er sein eigenes ILM-Studio. Mit dieser Begeisterung hat er bald eine ganze Crew am Start – die Freude am Tun endet aber jäh, als Sammy hinter ein Geheimnis kommt, welches die ganze Familie wohl in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Anfangs ist die scheinbar biedere Fifties-Handschrift Spielbergs ja geradezu regressiv. Doch auch ein Meister wie er braucht so seine Zeit des Warm-Ups, um gerade einen Stoff, der ihn persönlich mit allerlei Emotionen wird aufgeladen haben, in gewohnter Professionalität umzusetzen. Und dann, wenn die ersten Filme über die hauseigene Leinwand flimmern, beseelt Spielberg seine Reise ins frühe Ich mit ganz viel Esprit, Gefühl und weisem Verstand. Und Respekt vor allen, die ihn zu dem gemacht haben, der er heute ist. Seine geliebte Mutter, sein geliebter Vater – The Fabelmans ist eine Widmung an sie beide. Und vielleicht auch an John Ford, der ihm diesen einen Moment der Erleuchtung beschert. The Fabelmans ist eine Danksagung an all die Umstände, auch an all die Entbehrungen, aber auch an all das Glück, getan haben zu dürfen, wonach ihm der Sinn stand.

In der gewohnten, aber unverwechselbaren Bildsprache Janusz Kamińskis ist ein sensibles, sehr privates Werk entstanden, ohne jegliches Tamtam aus Fantasy, History oder Science-Fiction. Fast schon mutet The Fabelmans wie ein Independentwerk an, so ungefällig kommt es daher, so intim mutet es an. Und manchmal wäre es dem Film lieber, er liefe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur im Kreise der Familie. Das muss nicht sein: Spielberg kompromittiert oder beschämt niemanden. Seine Erinnerungen sind voller Anstand, aber auch voller Selbsterkenntnis. Zum Beispiel jener, selbst ein Egoist zu sein. Falco hat mit seinem Song wohl recht gehabt, zum Egoisten muss man taugen, auch wenn es schmerzt. Diese ehrliche Kritik ans Ego zeugt von Reife. Auch die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion, und wie sich das Medium Film ausnutzen und benutzen lässt. Das ist Weisheit vom Fach, irgendwo zwischen American Graffiti und Wunderbare Jahre, nur ohne Stimme aus dem Off.

Auch wenn Filme wie Babylon – Rausch der Ekstase, Final Cut of the Dead oder Pan Nalins Das Licht, aus dem die Träume sind die Essenz des Filmemachens oder die Geschichte des Kinos zelebrieren, ist The Fabelmans doch nicht darauf aus, mit Getöse, flirrenden Bildern und üppiger Nostalgie einem globalen Kulturphänomen zu huldigen. Spielbergs Film ist Besinnung, eine innere Einkehr. Zu und für sich selbst, und nicht für das große Ganze.

The Fabelmans (2022)

Poltergeist (1982)

SPIELBERGS GEISTERBAHN

7/10


poltergeist© 1982 Metro Goldwyn Meyer


LAND / JAHR: USA 1982

REGIE: TOBE HOOPER

BUCH: STEVEN SPIELBERG, MICHAEL GRAIS, MARK VICTOR

CAST: JOBETH WILLIAMS, CRAIG T. NELSON, HEATHER O’ROURKE, DOMINIQUE DUNNE, OLIVER ROBINS, BEATRICE STRAIGHT, RICHARD LAWSON, MARTIN CASELLA, ZELDA RUBINSTEIN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Heuer zu Halloween sind all die Süßigkeiten schneller weggegangen als die Jahre zuvor. Halloween ist auch immer der Abend, an welchem Klassiker aus der Filmgeschichte den Vorzug vor neuem Content bekommen. In diesem Fall entschied ich mich, den kunterbunten Geisterklassiker Poltergeist aus der Mottenkiste zu holen – digital remastered wohlgemerkt. Kaum ein Horrorfilm kann von sich behaupten, mit einem eigenen Fluch belegt zu sein, der zwar etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt und ein klarer Fall unglücklicher Koinzidenzen darstellt, aber dennoch schauriges Marketing bereitstellt, angesichts dessen ein besonders abergläubisches Publikum wohl zweimal um den Film herumschleichen wird, bevor es sich dazu entschließt, auch Teil davon zu werden: vom Terror des Poltergeists, der es angeblich nicht ganz so gerne gesehen hat, wenn echte menschliche Skelette dazu herangezogen werden, um einen ausgehobenen Swimmingpool zu füllen. Spielberg, Mastermind hinter diesem Klassiker, und Tobe Hooper sind aber, wie man weiß, dem Fluch entkommen. So manche Randfigur allerdings nicht. Und auch die kleine Heather O‘Rourke weilt nicht mehr unter den Lebenden.

Das blonde Mädchen ist die Kernfigur in diesem frühen Spukhaus-Grusler, der, anders als in Shirley Jacksons Bis das Blut gefriert, in der Gegenwart hipper Achtziger spielt und ein Haus zum Schauplatz nimmt, das wirklich nicht nach schlaflosen Nächten aussieht. Weder angestaubt noch antik, sondern direkt modern gestaltet sich das ebenfalls moderne Familienleben inmitten einer Reihenhaussiedlung irgendwo in Kalifornien. Nebst Heather O’Rourke ist der gute alte Röhrenbildschirm der elektronische Sidekick und das Fenster zur Welt. Wie sich bald herausstellen wird, nicht nur zu dieser. Flimmernde Fernseher, aus denen das Übel lockt, gibt’s ja später auch noch im Japan-Horror The Ring. Doch hier ist der Geist in der Maschine wohl nicht nur einfach so bedenklicher Home-Invasor. Zum Seitenhieb auf das Technologiezeitalter mag da bereits ausgeholt werden. Immerhin aber gabs den Sendeschluß, und tatsächlich startet Poltergeist mit der amerikanischen Hymne, bevor sich das Fernsehprogramm schlafen legt. Das darauffolgende Schneegestöber am Screen lockt die fünfjährige Carol Anne aus ihrem Bettchen. Der Anfang vom Ende eines trauten Eigenheims möge beginnen, denn eine unirdische Entität scheint stinksauer zu sein auf die Lebenden, die hier ihren Alltag leben als wäre es eine Sitcom.

Bald wissen wir: Das ist es gar nicht. Und die von George Lucas gegründete Firma Industrial Light & Magic hat sich dabei voll ins Zeug gelegt, um Lucas‘ BFF Spielberg jeden noch so wirren Wunsch von den Augen abzulesen, was praktische Effekte betrifft. Umgekehrt lässt dieser das Kinderzimmer der Filmkinder mit Star Wars-Merch füllen. Dank einer gelungenen Doku-Reihe auf Disney+, die sich eingehend mit den kreativen Köpfen dieser Firma beschäftigt, gewährt uns diese einen ausführlichen Blick hinter die Illusion des Ganzen. Und es scheint erstaunlich, mit welch einfachen, analogen Mitteln Effekte wie diese erzielt werden konnten. Ganz besonders die finale Nummer, auf die ich hier mit Rücksicht auf jene, die Poltergeist noch auf der Watchlist haben, nicht näher eingehen möchte. Klar ist Spielbergs Geisterbahnfahrt ein Horrorfilm – aber einer, der mit verspielter, geradezu kindlicher Neugier bunt gefärbtes Grauen aus dem Sack lässt. Woran erinnert mich das? Natürlich an Ghostbusters. Wenn man so will, dann ist Poltergeist wie Ghostbusters, nur ohne Ghostbusters, denn die standen, auch chronologisch betrachtet, noch nicht auf der Matte. Statt Vankman, Spengler und Co reichen diesmal Geisterjäger im Stile des Ehepaares Warren aus Conjuring die helfende Hand, und ja, ich komme nicht umhin, zu behaupten, dass der spätere Ghostbusters nicht unwesentlich von Spielbergs Szenario beeinflusst wurde. So richtigen Schrecken versprüht das Haunted-House-Erlebnis daher kaum. Wohl auch, weil manche Effekte dann doch schon in die Jahre gekommen sind. Und wenn schon: Die Wucht der paranormalen Kraft verbreitet das seltsame Gefühl eines Ausnahmezustands, das Gesetzen aus dem Jenseits folgt, von welchem wir Sterblichen aber keine Ahnung haben. Wenn die kleine Carol Anne mit seltsam verzerrter Stimme aus dem Äther um ihre Mama fleht, ist das gepflegter Grusel, der noch Wirkung zeigt. Und gerade in den Momenten, in denen das Grauen noch als harmloser Schabernack das Weltverständnis seiner Protagonisten hinterfragt, lässt sich ganz deutlich ein Konzept erkennen, das mit Leichtigkeit und Spielfreude ersonnen wurde. Diese Lust am Geschichtenerzählen besitzt Spielberg noch heute.

Tobe Hooper übrigens wird vier Jahre später mit Invasion vom Mars noch einen kleinen, fiesen Science-Fiction-Grusler nachlegen, der sein Gespür für Mystery und pittoreske Monster abermals bestätigt.

Poltergeist (1982)

West Side Story (2021)

SINGEND UM DIE HÄUSER ZIEHEN

7/10


westsidestory© 2021 Walt Disney Pictures Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: STEVEN SPIELBERG

CAST: ANSEL ELGORT, RACHEL ZEGLER, ARIANA DEBOSE, DAVID ALVAREZ, MIKE FAIST, RITA MORENO, COREY STOLL, BRIAN D’ARCY JAMES U. A.

LÄNGE: 2 STD 37 MIN


Zwischen am Straßenrand geparkten Oldtimern und Backsteinfassaden findet Steven Spielberg erstmals Zugang zu einem bislang umgangenen Genre: den des Filmmusicals. Moderne Konzepte bleiben dabei  unversucht, während der Altmeister lieber in der Filmgeschichte stöbert und dabei ein Museumsstück zum Vorschein bringt, das zwar selbst weitestgehend unangetastet bleiben muss, der Glassturz aber, unter welchem das Werk ruht, durchaus einer Reinigung bedarf. Also macht sich Spielberg daran, die Sicht auf einen Klassiker streifenfrei zu gewährleisten. Was wir sehen, ist das, was Leonard Bernstein, Arthur Laurentis und Steven Sondheim seinerzeit geschaffen haben. Kein bisschen moderner, kein bisschen innovativer, und in keiner Weise anders betrachtet. West Side Story ist die generalüberholte Ur-und einzige Version eines dezenten Singspiels, das glücklicherweise darauf verzichtet, jede noch so erdenkliche Emotion in ein Musikstück zu packen und das wirklich Tragische maximal mit orchestralem Score unterlegt. Was für eine Wohltat, in Anbetracht verkitschter Bühnenshows, die keinerlei Ohrwürmer mehr bereithalten.

Spielberg ist immer noch einer, der filmische Dramen jenen mit Gesang vorzieht. Eine Gesinnung, die er deutlich macht. Dabei ist die persönliche Beziehung zu einer in den Jugendjahren zurückliegenden filmischen Erfahrung im Kino oder vor dem Fernseher, die Spielberg gehabt haben muss, nicht unwesentlich daran beteiligt, West Side Story als etwas Unantastbares zu betrachten. Für mich persönlich macht das keinen Unterschied – ich kenne Robert Wise’s mit zehn Oscars gekröntes Filmwerk aus den frühen Sechzigern nur bruchstückhaft und auszugsweise und eben immer dann, wenn der zweieinhalb Stunden lange Streifen gerade im Fernsehen lief. Woran ich mich aber noch erinnern kann, das ist die urbane Feuertreppenromantik der New Yorker Vororte. Die ist nun auch in der brandneuen Version dominant genug, um gern mit dem Original verwechselt zu werden. Was sich vielleicht deutlich von damals unterscheidet, geht auf die Kappe von Spielbergs Haus- und Hofkameramann Janusz Kaminski, der wie immer alles Menschenmögliche an Licht-Schatten-Spielereien umsetzt. Seinen Höhepunkt findet das Bemühen im zweiten Akt, wenn die beiden rivalisierenden Gangs – eben die Jets und die Sharks – in einer Salzlagerhalle aufeinandertreffen. Das Licht fällt horizontal und wirft lange Schatten. Als wären die Aliens aus Unheimliche Begegnung der dritten Art neu gelandet. Sphärisch, das Ganze. Und sehr emotional.

Die Jets und die Sharks – das sind einerseits die weißen Jungs des Viertels, das ohnehin einer neuen Wohnhausanlage weichen muss, und andererseits die temperamentvollen Puerto-Ricaner. Eine Minderheit, deren halbstarke Fraktion aus scheinbar lauter Fadesse ihren Hass auf anders Gesinnte zelebriert. Die grundlose Ablehnung beruht natürlich auf Gegenseitigkeit, wie bei Romeo und Julia. Die beiden aus Shakespeares Werk zum Unglück Bestimmten sind in diesem Fall Maria und Tony. Von Maria wissen wir, dass Tony schon im ersten Drittel den Ohrwurm unter den Wäscheleinen der Anrainer singen wird – als Antwort gibt’s das begnadete Tonight, und irgendwann später der von Anita (im Original von Rita Moreno) geschmetterte, feurige Klassiker America. Da weiß man: man sitzt im richtigen Musical. Geschmackvolle Kompositionen aus Jazz und Gesang unterfüttern eine Uminterpretation der Liebestragödie schlechthin, für die Neuentdeckung Rachel Zegler und Ansel Elgort stimmlich in luftige Höhen aufsteigen und den Straßendunst der Stadt hinter sich lassen. Beide sind gesanglich eine Überraschung – zumindest meiner Wahrnehmung nach misstönt nicht mal das hohe C. Schade nur, dass die kleine, aber feine Nummer Somewhere nicht ebenfalls von Zegler selbst interpretiert wird – stattdessen bekommt eine stimmlich halbwegs solide Rita Moreno hierfür, nach sechzig Jahren, ihre zweite Chance.

Spielberg ist ein Filmemacher alter Schule. Und er beherrscht sein Handwerk perfekt. Zu perfekt, könnte man sagen. Zu hemdsärmelig, mittlerweile. Zu wenig berührt von neuem Esprit. Nun, dieser gehört anderen Künstlern seiner Art. Spielberg selbst will mit West Side Story etwas Traditionelles, Bewährtes, dass sich kaum von seinem Vorbild unterscheidet, neu positionieren. Musical-Muffel wie mir bietet der Film eine konsensbereite Erlebniswelt, die das prosaische Drama mit punktgenauen musikalischen Genussminuten verbindet.

West Side Story (2021)

Jurassic World: Das gefallene Königreich

DINOS UNCHAINED

7/10

 

jurassicworld2© 2017 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: J. A. BAYONA

MIT BRYCE DALLAS HOWARD, CHRIS PRATT, JAMES CROMWELL, JEFF GOLDBLUM, TED LEVINE, TOBY JONES, GERALDINE CHAPLIN U. A.

 

Ich wünschte, der Vulkan auf Isla Nublar wäre um einige Jahre früher ausgebrochen. Zumindest vor 2015. Denn da durfte nämlich Universal seinen brandneuen Beitrag rund um T.Rex und Konsorten vom Stapel gelassen. Wäre der Vulkan 2014 ausgebrochen, wäre mir die wirklich misslungene Kopie von Steven Spielberg´s Original erspart geblieben. Nichts gegen all jene Raptoren und Sauropoden, auch nichts gegen all die Karnivoren und sonstigen Vogelbecken- und Echsenbeckensaurier. Ich liebe sie alle heiß, und das soweit ich zurückdenken kann. Was mich nicht davon abgehalten hat, Jurassic World kopfschüttelnd Daumen runter zu diagnostizieren. Das lag vor allem an den unsympathisch affektierten Schauspielern, und am erschreckend einfallslosen Plot. Der künstliche Supersaurier Indominus rex hat dem ganzen dann noch die Krone der verzichtbaren Trümpfe aufgesetzt. Als würden sich die sowieso schon genetisch modifizierten Spezies von damals nicht längst anders verhalten. Und als wäre die Ehrfurcht vor der ganzen prähistorischen Artenvielfalt nicht ohnehin schon das höchste der Gefühle. Da ich aber wie schon erwähnt all die leicht- und schwergewichtigen, gefiederten und gepanzerten Kreucher und Fleucher wahnsinnig gerne nicht verpassen will, stand Jurassic World: Das gefallene Königreich aben auf meiner Watchlist. Auch weil der Trailer so richtig Schmackes hatte und mit seinem Einblick in animierte Naturgewalten zumindest so getan hat, als würde er mir das Graue vom aschebewölkten Himmel versprechen. Pyroklastische Ströme inbegriffen.

Also knotze ich auch diesmal mit kesser 3D-Brille bestenfalls Mitte Mitte im Kinosaal, habe relativ niedrige Erwartungen, freue mich aber auf die da kommenden hereinbrechenden Schauwerte. Wie eine Insel explodiert, das sieht man nicht alle Tage. Und bei Krakatau anno 1883 war ich auch nicht live dabei. Obwohl dessen Folgen über Jahrzehnte hinweg sichtbar gewesen wären. Davon ist bei Jurassic World 2 nichts zu sehen. Auch ist diee Größe der Isla Nublar einem unberechenbaren JoJo-Effekt unterworfen. Hat Michael Crichton diese Insel in seinem Buch noch relativ überschaubar angelegt, ist sie im Film mal von regenwaldgrünen Schluchten durchzogen, und mal wieder so groß wie ein Vulkankegel. Natürlich bleibt bei letztgenannten Parametern von der Insel nicht viel übrig, wenn mal der Magmaschlot nicht mehr kann. Andererseits aber gäbe es theoretisch genug Rückzugsmöglichkeiten für zumindest einige Exemplare unserer geliebten Retorten-Dinos. Da hätte auch Chaostheoretiker Ian Malcolm zugestimmt, ohne wieder einmal gottspielend eingreifen zu müssen. Das hat er ja schon anno 1993 kritisch beäugt. Und ist knapp mit dem Leben davongekommen. Jeff Goldblum´s Anhörungs-Cameo ist dann schon eine liebevolle Reminiszenz. Ich wünschte er hätte mehr Sendezeit bekommen. Doch wo hätte das hingeführt? Er hätte Bryce Dallas Howard und „Star Lord“ Chris Pratt ohnehin die Show gestohlen. So sehr sich die beiden auch im 5. Abenteuer zusammenreißen. Und ich muss ihnen zugute halten – sie bemühen sich diesmal wirklich, weder als kreischender Kathleen Turner-Verschnitt noch als tumber Möchtegern-Grzimek die Show zu vermasseln. Nein, diesmal engagieren sie sich auf der richtigen Seite. Und das liegt vermutlich am dramaturgisch geschickten Händchen von J. A. Bayona, der sich ja prinzipiell mit Naturkatastrophen bestens auskennt (The Impossible) und auch Dramatisches mit Irrealem gut verbinden kann (Sieben Minuten nach Mitternacht, Das Waisenhaus). Klar erkennbar, der Mann weiß, welche Richtung das Franchise wieder einschlagen muss. Auf seinem Spickzettel: Plotmäßig bitte nichts mehr von Bewährtem, dafür aber gerne mehr aus der alten Spielberg-Schule und wenn wir schon so weit sind, tackern wir die evolutionäre Möbius-Schleife an einer Stelle zusammen, an der es kein Zurück mehr gibt. Und denken wir doch einfach die Perversion eines kolossalen Rippenbruchs in Sachen Genetik zu Ende. Natürlich so, wie sich das der kleine Max vorzustellen hat. Nichts kognitiv wirklich Herausforderndes, Fortschrittskritik von seiner simpelsten Sorte. Aber wer braucht schon wissenschaftliche Genauigkeiten, das Ganze ist ohnehin schon so absurd. Ein bühnentaugliches Gedankenspiel mit erhobenem Zeigefinder, den wir zum Takt feuchtfröhlicher Kataklysmen tanzen lassen. Zuzusehen, wie das Königreich zerfällt, macht somit tatsächlich Spaß und gefällt unerwartet gut.

Bayona setzt vielmehr auf Suspense als sein Vorgänger und hat sich sichtlich an Steven Spielberg´s Methoden erinnert. In Jurassic World: Das gefallene Königreich gibt es keine einstürzenden Hochschaubahnen mehr, aus dem Ruder läuft aber so gut wie alles. Das taktisch kluge Drehbuch von Colin Trevorrow und Derek Connolly zieht dort die Zügel an, wo sich mehr Spannung aufbauen lässt und grenzt seine Spielwiesen räumlich ab. Bot die Isla Nublar noch so viele Fluchtmöglichkeiten wie eine brennheiße Herdplatte im Nirgendwo, verwüsten die Radaubrüder aus dem Jura in Folge ein herrschaftliches Gemäuer, das aus einem Haunted House-Grusler entsprungen sein könnte. Wenn der hochgezüchtete wie blitzgescheite Indoraptor einem Nosferatu gleich im Blitzlicht eines tosenden Gewitters bedrohliche Schatten auf die Wände des Kinderzimmers wirft, wenn ein aufgestachelter Pachycephalus im Alleingang ein Auditorium raffgieriger Dino-Verschacherer aufmischt, hat Jurassic World: Das gefallene Königreich seine besten Momente. Der grundtriviale Spaß nimmt sich niemals wirklich ernst und setzt charakterlich auf harte Kontraste, schlägt aber manchmal auch übermütig über die Stränge Richtung Klamauk. Die Attraktion fest im Griff hat der Film aber trotzdem und führt seine durchaus spannende und kurzweilige Saurier-Entfesselung konsequent zu einem vorläufigen Ende. Entfesselung trifft es übrigens ziemlich genau, dabei könnte ich mir fast vorstellen, wie es wäre, würde Tarantino mal die Natural Born Monsters aus der Sklaverei befreien. Viel fehlt nicht mehr, Blut spritzt ohnehin schon in diesem schadenfrohen Epos rund um gequirlte Erdgeschichte, Katastrophen und der Neuordnung sämtlicher Nahrungsketten.

Jurassic World: Das gefallene Königreich

Ready Player One

WIR KINDER DER 80ER

6/10

 

readyplayerone© 2000-2017 Warner Bros.

 

LAND: USA 2018

REGIE: STEVEN SPIELBERG

MIT TYE SHERIDAN, OLIVIA COOKE, BEN MENDELSOHN, MARK RYLANCE, SIMON PEGG U. A.

 

Beim Lesen der Lektüre von Autor Ernest Cline wird das ewige Kind Hollywoods wohl feuchte Augen bekommen haben. „Wenn einer Ready Player One verfilmen soll, dann muss das ich sein“, wird Spielberg gedacht haben. Eine Herzensangelegenheit, die letzten Endes mehrere Jahre seines Schaffens in Anspruch genommen hat. Bei Spielberg müsste man meinen, Tür und Tor würden sich öffnen, wenn es vor allem darum geht, Lizenzen fürs vielfache Zitieren unvergesslicher Blockbuster zu erlangen. Nun, um Biff aus Zurück in die Zukunft zu zitieren: „Da hast du falsch gedacht, Würstchen“. Und damit hat Spielberg mit dieser Verfilmung so seine Probleme bekommen – und musste sich nach der Decke strecken. Disney hat dem Starregisseur die Tür vor der Nase zugeknallt. Daher wird man Zitate aus Star Wars oder Tron flächendeckend vermissen. Und nicht nur das – es fehlt so einiges aus dem Universum der 80er. So einiges. Sogar Spielbergs eigenes Oeuvre, die er aus einer falschen Bescheidenheit heraus bis auf eine Ausnahme geradezu verleugnet. Das Vermissen sämtlicher Jugendlieblinge dominiert alsbald das Geschehen. Oder sagen wir so – die liebevoll ehrende Verbeugung vor den Helden der Kindheit ist ein zaghafter Kratzfuß – wenn man Ready Player One aus diesem Blickwinkel betrachtet. Normalerweise ist „Nehmen, was man kriegen kann“ nicht unbedingt Spielberg´s Devise. Der Mann gibt sich doch nicht mit halben Sachen zufrieden? In diesem Punkt aber schon. Gemacht ist gemacht. Und das Kind im Manne glücklich entspannt.

Womit wir bei der Haben-Seite von Ready Player One wären. Glücklich entspannt und genüsslich unterhalten ist man nämlich genauso wie Spielberg selbst. Denn was die Computerspiel-Odyssee Tron für die 80er war, will Ready Player One für das neue Jahrtausend erfüllen. Einmal eingetaucht in die Oasis, offenbart sich die Bewegtbildergalerie eines Fiebertraums unserer Franchise- und Merchandise-Jugend als quirlige Orgie der Figuren, Reminiszenzen und unbegrenzten Möglichkeiten. Ein flashiger Mix aus High Fantasy, Spielemesse und Science-Fiction, die in seiner Opulenz an Luc Besson´s Valerian-Märchenwelt erinnert. Die Oasis ist so etwas wie ein scheinbar geordnetes, aber doch wieder regelloses Chaos. Eine Comic Con ohne Panels, und wenn, dann nur mit einem einzigen, auf dem sich alles trifft, was auf der Chart-Gästeliste notiert wurde. Und die Charts werden im Shuffle präsentiert, rauf und runter. Dazwischen die ganze Menschheit in ihren Avataren, ausgerüstet mit einem Equipment, das, um noch eines draufzusetzen, nochmal mehr kann. Also entweder ist man von der virtuellen Welt heillos überfordert, oder man gibt sich der Sucht hin. Und nirgendwo anders hin verlockt Ernest Clines literarischer Entwurf. Ein Drogenrausch ohne Nebenwirkungen. Oder naja – die Nebenwirkung ist die, seine physische Existenz dem Schlendrian preiszugeben. Dementsprechend versifft der Planet Erde in fahrlässiger Dauerlethargie, während die Oasis fröhliche Urstände feiert. Ob im endlosen Gefecht auf der Ebene der Verdammnis oder in der wohl härtesten Rallye der Filmgeschichte, die selbst das ausgekochte Schlitzohr Burt Reynolds blass um die Nase werden lässt. Da kann es schon passieren, dass ein gigantischer T-Rex den Kühler deines Schlittens verspeist. Oder King Kong die Straße wie eine Banane schält. So gesehen haben wir schon längst die 80er verlassen. Statt Darth Vader gibt’s den Riesenaffen am Empire State Building. Und Stanley Kubrick würde seine Hände über dem Kopf zusammenschlagen, und, würde er noch leben, mit Steven Spielberg kein Wort mehr wechseln. Obwohl die Shining-Reminiszenz immerhin eine der pfiffigsten Szenen des Films ist.

Die Intermezzi in der realen Welt sind Beiwerk. Nötig, um den Szenencocktail der Oasis in eine Story zu packen. Janusz Kaminski liefert gewohnt grobkörnige Bilder in gleißend-staubigem Gegenlicht. Sonst hält Spielberg mit seinem Missfallen der Echtwelt gegenüber nicht hinterm Berg. Was er hier aufbringt, ist halbgares Anfängerglück. Seltsam unvollendet für einen Meister seiner Klasse. Dazu auch sein nüchterner Vor- und Abspann, reduziert auf Schwarzweiß-Credits Marke Woody Allen. Da fehlt doch noch was? Enttäuschend, wie sehr Spielbergs Film stellenweise aussieht wie seine eigene Rohfassung. Abgesehen vom Verdacht des Zeitdrucks könnte dies auch beabsichtigt gewesen sein. Warum, weiß ich nicht. Und wenn ja, geht der Schuss nach hinten los.

Vielleicht ist Ready Player One das zeitgeistige Manifest für eine Flucht aus einer Realität, vor der man ohnmächtig resigniert? Ein Imperativ zur Selbstfindung an der Konsole, die Welt als gescheiterten versuch betrachtend, in der es keinen Reboot gibt? Im Spiel allerdings schon, noch dazu gibt’s den garantierten Karrierekick in ein höheres Level. Höre nur ich diesen stellenweise bitteren Unterton, oder ist Ready Player One wirklich ein fatalistisches Gloria auf die Migration in den Pixelraum? Womöglich höre ich das Gras wachsen. Und zugegeben – Spielberg bekommt ja in letzter Sekunde noch die Kurve und lässt den Bräutigam die Braut küssen. Und was Vernünftiges zu essen, so Oasis-Erfinder Halliday. bekommt man auch nur, wenn man den Avatar mal kurz unbeaufsichtigt lässt.

Ich habe nie wirklich Computerspiele gespielt. Dieses Medium ist für mich unbekanntes Terrain. Ready Player One gibt mir aber einen Einblick, was auf diesem Sektor mittlerweile alles möglich sein kann. Und ja, es gefällt mir. Sieht verdammt nochmal gut aus. Fetzt, wie es nur fetzen kann. Selbst die glupschäugige Art3mis hat Sex-Appeal. Kann sein, dass ich mich demnächst ins nächste VR-Brillen-Café begebe und nebst Melange andere Realitäten teste. Für andere, die das Medium kennen, könnte der Ausflug in gerenderte Welten ein bisschen zu viel von bereits Gespieltem sein – vor allem auch weil sie selbst nicht interagieren können. Aber wie auch immer Ready Player One zu sehen ist – ob als hysterischer Zitatenschatz oder Petition zur Anerkennung generierter Welten als legitime Paralleluniversen – Spielberg´s Film zur Geschichte der Traumfabrik ist ein fabrizierter Traum mit Mängel, der zwar seltsam irritiert, auf digitale Jungfernfahrer wie mich aber verlockend gefällig wirkt. Und das Rätseln, welcher Avatar man wohl selbst am liebsten wäre, macht die dramaturgische Ungelenkigkeit wie die des Giganten aus dem All fast schon vergessen. Aber nur fast.

Ready Player One

Die Verlegerin

KEIN BLATT VOR DEM MUND

6/10

 

NOR_D00_052317_8053.cr2

© 2017 Universal Pictures

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2017

REGIE: STEVEN SPIELBERG

MIT MERYL STREEP, TOM HANKS, BOB ODENKIRK, ALISON BRIE, SARAH PAULSON U. A.

 

Im Jahre 1976 machte der US-Regisseur Alan J. Pakula mit seiner Verfilmung des Buches Die Watergate-Affäre nicht nur das in dieser Dekade umbruchgeneigte Kinopublikum, sondern auch die Academy auf sich aufmerksam. Die Unbestechlichen schildert die Aufdeckung des Nixon-Skandals unter Carl Bernstein und Bob Woodward, zwei investigativen Journalisten bei der Washington Post. Der Film kann als vorweggenommene Fortsetzung des eben in den Kinos angelaufenen Tatsachendramas Die Verlegerin – im Original The Post – verstanden werden. Der Titel The Post ist klarerweise treffender, da nicht explizit die Rolle Meryl Streeps im Vordergrund steht. Man kann Steven Spielbergs neuesten Film, der selbstverständlich auch als Oscarnominee gehandelt wird, aber auch als Sequel von Pakula´s berühmtem Streifen ansehen. Wie auch immer.

Die Pentagon Papers zählen wohl zu den größten Lügengespinsten, die jemals von einer Regierung über eine medienorientierte Bevölkerung niedergegangen ist. Nach deren Veröffentlichung entpuppte sich der Vietnamkrieg als blutige Farce. Wofür die ganze Qual, das wusste damals niemand. Bis heute gilt das Image-Gemetzel der USA gemeinsam mit dem Irak-Einmarsch unter George W. Bush als Ressourcen- und Existenzen verzehrende Sinnlosigkeit in Sachen Weltpolitik. Dass es zum Vietnam-Einsatz eine langjährige Studie gegeben hat, die belegen konnte, dass der Krieg nicht zu „gewinnen“ war – was für eine sträfliche Verharmlosung, dieses Verb! – davon hat zuerst mal die New York Times etwas spitzgekriegt. Um sich nach ersten Artikeln zu diesem unerhörten Fall eine einstweilige Verfügung einzuhandeln. Was wiederum Die Washington Post zum Handeln zwang. Wie es dazu kam, und wer wem welche Geheimnisse anvertraut hat, und warum die Washington Post-Erbin Katharine „Kay“ Graham den Mut aufbringen konnte, die Freiheit der Presse mit einem Exempel zu manifestieren und den Weg zu ebnen in eine Zukunft der Presse, die nicht für die Regierenden, sondern für die Regierten eintritt – davon erzählt Regielegende Steven Spielberg in einem wortgewaltigen Dialogdrama in fast schon zitierender Tradition des unbequemen Siebzigerjahre-Kinos. Kann sein, dass Spielberg den Watergate-Skandal damals selber gerne verfilmt hätte. Doch er darf sich trösten – die Pentagon-Papiere sind nicht minder unfassbar unerhört wie der Spitzelskandal eines Richard Nixon. Wer da nicht an die Öffentlichkeit geht, hat im Journalismus eigentlich nichts mehr verloren. Und wer diesen Präzedenzfall nicht insofern ausnutzt, um sich den Knebelversuchen einer kaputt-korrupten Regierung hinwegzusetzen, ist wie eine Kassandra, die die Wahrheit kennt, sie aber niemanden mitteilt. Nur im Gegenzug zur mythologischen Figur findet die Leserschaft zu Recht Vertrauen in ihre Presse. Was Nixons Schergen zur Weißglut bringt.

Wer Spielberg kennt, identifiziert Die Verlegerin nur sehr schwer als sein Machwerk. Gut, einzig Janusz Kaminski liefert abermals virtuose Kamerafahrten, aber auch statische Totale, die wie aus einer anderen Zeit wirken. Kultverdächtig schon jetzt die Szene mit den davonwehenden Zeitungsseiten am Kiosk. Sachlich, bürozimmergrau, Neonlicht dort, wo schweißgebadet rund 400 Seiten enthüllendes Material gesichtet werden. Oder das Wählscheibentelefon rot blinkt. Attraktiv ist das nicht, fast schon etwas beklemmend. Doch da gibt es Tom Hanks und Meryl Streep, die in souverän abgestimmtem Timing ihren Rollen Respekt zollen. Dass „die Streep“, wie man sie nennt, tatsächlich wieder für den Oscar nominiert sein darf, gehört fast schon zum guten Ton der Academy – verdient hat sie die Auszeichnung aber diesmal nur bedingt. Auffallendes Schauspiel ist es keines, ein Leinwandliebling in gewohnter Spielfreude. Hingegen ist Tom Hanks erneut eine Ausnahmeerscheinung. Als Chefredakteur Ben Bradley zieht er komplett neue Seiten auf, wirkt geradezu etwas unsympathisch, getrieben, wie ein Workaholic, der nur für die Zeitung lebt. Selbstbewusst, improvisierend, mit graumelierten Haaren. Ich habe den ehemaligen Forrest Gump schon in vielen Rollen bewundert – die Rolle eines Journalisten ist neu. Und auch dieser Rolle gewinnt er ganz eigene Manierismen ab, die wiedermal bestätigen, dass Hanks im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielern niemals nur sich selbst spielt. Was mich eine Nominierung auch für ihn vermissen lässt. Aber was soll´s, aus der Academy wird man sowieso nicht schlau.

Kann sein, dass Die Verlegerin die Konzentration des Publikums ein bisschen über Gebühr strapaziert. Vieles wird nur ein oder zweimal wörtlich erwähnt, trägt aber immens zum Verständnis der Geschichte bei. Wer also einmal abschweift, muss zwingend seinen Sitznachbarn quälen. Ist man wieder am Laufenden, wird die zweite Hälfte des Filmes gefälliger und packender. Sofern man sich für das ewige Duell Politik gegen Presse interessiert. Was sich in Zeiten wie diesen, wo Regierungsparteien den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verklagen und umgekehrt, umso brisanter verhält – und tatsächlich mehr Zuseher ins Kino locken wird als zu anderen Zeiten. Als bewegt-bewegendes Drama mit Nachhall bleibt Die Verlegerin aber nicht in Erinnerung. Spielberg hat seinen speziellsten Film ins Kino gebracht und einen Stoff dramatisch aufbereitet, der sich besser liest als gesehen zu werden. Seine Hommage an Alan J. Pakula hat er handwerklich gut gemacht, als bester Film des Jahres 2018 kommt er für mich von allen Kandidaten aber am wenigsten in Frage, auch wenn Die Unbestechlichen das Kunststück 1976 hinbekommen haben. Wohl aber auch nur deswegen, weil die Siebziger ganz andere Zeiten waren, die erzählten Fakten damals unmittelbar zurücklagen und die Art des New Cinema erst so richtig salonfähig wurde. Das ist in den 2000ern allerdings Business as usual. So wie Spielberg´s Film.

Die Verlegerin

BFG – Big Friendly Giant

DIE QUEEN FURZT BLUBBERWASSER

* * * * * * * * * *

bfg

Regiewunderkind Steven Spielberg ist mittlerweile in einem Alter, in welchem er nur mehr jene Filme verwirklicht, die er auch wirklich aus eigener Lust und Laune heraus verwirklichen möchte. Da ist weit und breit kein Studio mehr, das ihm Vorschriften macht. Wie denn auch, er hat sein eigenes. Und so wird er womöglich bis ins hohe Alter hinein einfach nur mehr Spaß an seiner Arbeit haben. Und das merkt man seinen Filmen auch an. Sie haben nicht diese Mainstream-Gefälligkeit wie manch eine Comicverfilmung oder ein kühl kalkulierter Blockbuster. Es sind persönliche Filme, die Spielberg da macht. Und so ist es wenig verwunderlich, dass ein recht sperriges Märchen wie Roald Dahls Sophiechen und der Riese, das überhaupt nicht den Anspruch hat, seine Produktionskosten wieder einzuspielen, auf die Leinwand kommt.

Vielmehr ist die nach Matilda, Tim Burtons Süßigkeiten-Exegese und dem Puppentrickfilm Der phantastische Mr. Fox von Wes Anderson der Big Friendly Giant, kurz BFG, die neueste Visualisierung der schrägen Kinderbücher des walisischen Schriftstellers. Die abenteuerliche Geschichte ist schnell erzählt. Doch ähnlich wie bei den Hobbit-Verfilmungen füllt Spielberg die Erzählung mit allerhand Schauwerten und spart nicht mit enorm in die Länge gezogenen Bildbeschreibungen, die mitunter für großes Gähnen sorgen. Dick aufgetragener Kitsch hast meistens die Angewohnheit, zu langweilen. Und das ist der große Fehler bei dieser familientauglichen Chronik einer Kindesentführung, in der ein zu groß geratenes Traummännlein von einem Waisenmädchen zufällig entdeckt wird und folglich an der Seite des gutmütigen Nachtwandlers das Land der Riesen betritt. Dieses erinnert unweigerlich an das Auenland Tolkiens, auch die anderen bärbeißigen, menschenfressenden Riesen sehen aus wie eine Mischung aus Ork und die Wikinger aus Drachenzähmen leicht gemacht. Wenn diese Riesen unter den Wiesen des Landes ihr Nickerchen machen, hat der Film seine besten Momente. Vor allem dann, wenn sich Sophiechen zwischen den schnarchenden Menschenbergen hindurchschleicht. Mark Rylance, der auch schon in Spielbergs Bridge of Spies eine tatsächlich außerordentliche Leistung vollbracht hat und nun neben Tom Hanks zu den Lieblingsschauspielern des New Hollywood-Pioniers zählt, verkörpert den großen freundlichen Giganten auf eine wehmütige, kindliche, aber auch altersweise Art. Seine Gesichtszüge erkennt man in dem digitalen, runzeligen Gesicht des weißhaarigen Traumfängers recht gut wieder, die Künstlichkeit von Spielbergs Figuren sind aber leider auch präsenter denn je. Der Naturalismus der Beschaffenheit von Haut, Haar und Materialien mag vollkommen sein, die Bewegungen und vor allem die Mimik der phantastischen Kreaturen sind es nicht. Der virtuelle Mensch ist immer noch ein Ei des Columbus, der Weg zu täuschender Echtheit noch ein langer – was bei den Tieren bereits so gut wie erreicht scheint – man sehe sich nur Jon Favreaus The Jungle Book an. Durch diese unbeholfene Künstlichkeit der Riesen – und vor allem des einen Riesen – bekommt der Film neben seiner Zähigkeit auch noch eine gewisse unrunde Eigentümlichkeit. Es ist eine Künstlichkeit, die sich in die skurrile Geschichte schwer einfügt, obwohl manche Szenen in Bezug auf ihre Echtheit wieder besser geglückt sind als andere.

BFG bleibt eine Fußnote in den Roald Dahl-Verfilmungen. Süßlich, bunt und stellenweise märchenhaft verträumt, doch schwerfüßig erzählt und kein harmonisches Ganzes – was Kindergeschichten allerdings brauchen, um zu faszinieren.

 

 

BFG – Big Friendly Giant