Vom Lokführer, der die Liebe suchte

DER DISKRETE CHARME DES BÜSTENHALTERS

7/10

 

THE BRA© 2018 Thimfilm / THE BRA – feature film by Veit Helmer

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: VEIT HELMER

CAST: MIKI MANOJLOVIC, DENIS LAVANT, CHULPAN KHAMATOVA, MAIA MORGENSTERN U. A.

 

Irgendwo in Georgien – oder in Aserbaidschan? Das ist für Veit Helmers aktuellen Film nicht wirklich relevant. Relevant ist das Anderswo, das Irgendwo, ohne näher definiert zu sein. Relevant ist die andere, entrückte Welt, die einem aufstrebenden Westen so konträr zu sein scheint, sich so entschleunigt und fremdartig gibt, als wäre man auf einem anderen Stern. Was die seltsam isolierte, aber andererseits auch wieder in weitläufigen Graslandschaften eingefangene Freiheit gleichzeitig billigt und bändigt, ist die grüne E-Lok, ein Relikt aus vergangenen Zeiten, sorgsam gehegt und gepflegt, da kann sich Lukas, der Lokomotivführer sogar noch ein Stückchen abschneiden. Lokführer Nurlan pendelt hier täglich von A nach B, nächtigt entweder in der Remise oder in seinem Heimatdorf in den Bergen, in einem schmucklosen Steinziegelwürfel mit abblätternder Holztür. Das Leben könnte idyllischer und bescheidener ja fast schon nicht mehr sein, ganz so wie in Michael Endes Lummerland, dieser entrückten Insel mit den wenigen, schlafwandlerischen Figuren, die einem Uhrwerk ähnlich tagtäglich das Gleiche tun. Lokführer Nurlan könnte da gut ins Gesellschaftsbild passen. Andererseits aber ist er auch ein Störenfried, aber was soll er denn sonst tun, wenn die Lok quer durch das namenlose Städtchen führt, und auf dessen Gleisen sich das Volk tagsüber breit macht, Tee trinkt, Brettspiele spielt oder Wäscheleinen spannt. Ein Glück, dass der kleine Waisenjunge, der in einer Hundehütte wohnt und im einzigen Hotel der Stadt aushilft, stets weiß, wann der Zug anrollt, und trillerpfeifend die Gleise entlangläuft. Manchmal aber ist der Zug schneller als die im Alltagstrott versponnenen Bürger, und so manches Wäschestück bleibt wie eine textile Opfergabe zwischen dem Zugdreieck hängen. So wie der blaue Spitzen-BH einer unbekannten Dame, deren Identität Lokführer Nurlan unbedingt herausfinden will, aus Liebe zu einem ungreifbaren, magischen Moment flüchtiger Begegnung.

Veit Helmer lädt wieder einmal zum verspielten Zirkus der Gesten, Mimiken und sehnsüchtigen Seufzer. Seine einzigartigen Filme zeichnen sich dadurch aus, dass Helmer auf fast jedes gesprochene Wort verzichtet. Kommt Euch diese Methode vielleicht bekannt vor? Wundern würde es mich nicht. Denn Jaques Tati, der Großmeister des kultivierten Slapsticks mit der Vorliebe, die Tücke des Objekts zu karikieren, der hat in seinen Meisterwerken wie Mein Onkel oder Die Ferien des Monsieur Hulot ebenfalls auf den Störfaktor der verbalen Konversation verzichtet. So seltsam dieses Stilmittel des Weglassens auch scheinen mag, so sehr schafft diese konsequente Wahl paraverbaler Verständigung einen eigenen Zauber irgendwo zwischen exaltiertem Ballett und kauziger Clownerie. Vom Lokführer, der die Liebe suchte hat schon allein dadurch mit der Realität nichts zu tun, es ist ein merkwürdiges Märchen aus einem merkwürdigen Alltag, der bizarre Apparaturen im Rhythmus einer Jazznummer tickern lässt und mit dem Stampfen tonnenschwerer Maschinen die Diskretion einer heimlichen Schwärmerei aufmischt. Der Franzose Jean-Pierre Jeunet hat in seinen teils makabren, teils unglaublich melodiös versponnenen Märchenfilmen etwas ähnliches vollbracht, in unverwechselbaren Bildern aus Grün, Rot und Ocker, mit einem Hauch Steampunk und der nostalgischen Muffigkeit alter Zinshäuser. Allerdings haben Amelie und Co längst nicht auf das gesprochene Wort verzichtet, zu viel der fabulierenden Schrulligkeit wäre der Kitsch des Exzentrischen. Helmer schraubt, obwohl immer noch voller stimmungsvoller Bildtableaus, die visuelle Opulenz auf einen realen, möglichen Ist-Zustand zurück und kippt mit der menschlichen Stille zwischen dem Lärm der Dinge ohnehin schon in einen seltsamen Mikrokosmos, wo Dessousläden wie Palmers wohl gerne auf Product Placement gesetzt hätten. So schnell kommt ein Film über die Sinnlichkeit eines Büstenhalters nämlich nicht wieder ins Kino, das ist eine vertane Chance. So muss Veit Helmers gealterter Frauenheld so gut wie an jede Tür klopfen, um das Maß aller Dinge zu finden, die richtige Frau zur richtigen Körbchengröße, und da schreckt er auch vor verschmitztem Slapstick nicht zurück, wenn es darum geht, als falscher Arzt Oberweiten zu mammografieren. Die Liebe, die geht hier durch die Spitze, und letztendlich ist es nur die vage Vision von menschlicher Wärme, die so manch einsame Gestalt in Helmers Welt am Fuße des Kaukasus zu träumen hat.

Die Sehnsucht mag in diesem Gleichnis von der Einsamkeit gestillt werden, vielleicht ganz anders, als man denkt, unter den melancholischen Gesängen eines Putzfrauenensembles oder den Trompetenklängen von Denis Lavant. Die Ideen zur Bereicherung eines kargen Lebens sind vielfältig, kreativ – und klammern sich mitunter an einen Stoff, aus dem die Träume nach Nähe sind.

Vom Lokführer, der die Liebe suchte

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