Das perfekte Geheimnis

BOHEMIENS IN DER HANDYFALLE

7,5/10

 

perfektegeheimnis© 2019 Constantin Film 

 

LAND: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: BORA DAGTEKIN

CAST: ELYAS M’BAREK, KAROLINE HERFURTH, WOTAN WILKE MÖHRING, FREDERICK LAU, JELLA HAASE, JESSICA SCHWARZ, FLORIAN DAVID FITZ U. A. 

 

2016 kam ein Film aus Italien mit dem Titel Perfect Strangers ins Kino, der sehr süffisant mit den Irrungen und Wirrungen des Mobiltelefonzeitalters fabuliert. Neben anderen Remakes zu besagtem Original gabs dann auch in Deutschland letzten Herbst Das perfekte Geheimnis zu ergründen. Das Ergebnis: Ein Knüller an der Kassa – über 4 Millionen Besucher allein in der Filmheimat.

Unter Bora Dagtekins Regie wäre ein Kalauer-Zwischengang in Richtung Türkisch für Anfänger oder Fack ju Göthe zu befürchten gewesen. Eh ganz witzig, für die, die es mögen. Ist aber nicht meins. Dieser Abend allerdings, unter ehemaligen Kumpel-Jungs samt Anhang, die sich im Laufe ihres Coming of Age auseinandergelebt haben und plötzlich zu einem gemeinsamen Dinner aufschlagen, gestaltet sich anders als erwartet. Was also haben 4 Paare – oder sagen wir dreieinhalb Paare, weil Florian David Fitz kommt solo – wohl gemeinsam, ausser vielleicht die Freundschaft auf Facebook oder WhatsApp? Na eben genau das: und aus diesem technischen Spielzeug wird ein Spiel. Die Regeln sind ganz einfach: Alles, was an Nachrichten oder Anrufen eintrudelt, wird vor versammelter Menge veröffentlicht. Gut, würde ich mitspielen, wäre ich wohl die Spaßbremse. Und womöglich nicht nur ich. Doch für ein Filmkonzept wie dieses werden die Spitzen gebündelt – und es folgen saftige Enttarnungen und Enttäuschungen auf dem Fuß.

Mit Yasmina Rezas Gott des Gemetzels hatte Polanski 2010 Grundsatzkonflikte zwischen wildfremden Erwachsenen zelebriert. In Das perfekte Geheimnis sind es satte Lügen unter Bekannten, die aus einem erzwungen netten, oberflächlichen Abend eine Katastrophe machen. Tatsächlich gelingt der deutsche Kassenhit entschieden besser als Polanskis Film, obwohl oder gerade weil er versöhnlicher ist, vielleicht am Ende viel wohlwollender und den Zuschauer dabei nicht so ins Nichts entlässt. Für das Nichts ist sich das illustre Ensemble zu schade, will den Worst Case so gut es geht vereiteln und alles wieder auf Spur bringen. Das wäre natürlich nicht notwendig gewesen. Denn die besten Momente, die hat der Film dann, wenn klar wird, das gar nichts mehr zu retten ist, weder das Schokohuhn noch der gekippte Wein noch das Konstrukt eines Schwindels über sexuelle Orientierung, die erst recht den bigotten und vor allem selbstgerechten Verständnisbürger entlarven will. Das perfekte Geheimnis ist nur im ersten Augenschein eine Komödie, und hat rein gar nichts mit Schenkelkloper-Humor zu tun. Wie bei Reza schmettern auch hier die Dialoge durch den Ess- und Wohnbereich, viele Details gehen ob der Intensität des Verbalen manchmal verloren, doch das, worauf es ankommt, hat sein wortloses Vakuum, um zur Geltung zu kommen. Und dabei hat ein jeder und eine jede, von Jessica Schwarz bis zu Elyas M’Barek, seinen eigenen egozentrischen Quadratmeter, um angesichts dieser Gruppendynamik nicht seine Position zu verlieren. Das ist vollends geglückt in diesem Film: das Ensemble agiert umsichtig, niemand stiehlt dem anderen die Show. Keiner will der Leader sein, alle sind es gleichviel und gleich wenig – regietechnisch eine Herausforderung, die Dagtokin tatsächlich meistert. Und wie das mit der Smartphonitis, dem Genderwahn, Me Too und all den sonstigen gesellschaftlichen Headlines momentan so ist, bekommt das alles sein Fett weg, entdeckt dieses entlarvende Therapie-Dinner diese Zweierlei-Maß-Messung bei jeder und bei jedem.

Farewell Privatsphäre. Alles, was andere nichts angeht, wird zur Angelegenheit für andere, ein kleiner Zerrspiegel dieses wundervoll vernetzten Zeitalters, entschärft durch üblich Schlüpfriges und Frivoles, um mit Rotwangen-Pepp die Kritik an der urbanen Availability zu verniedlichen. Intrigen sucht man vergebens, böse meint es hier keiner. So gallig wie bei Albee oder Turrini verliert die Gesellschaft hier nicht ihre Hosen, dafür muss Das perfekte Geheimnis aber im Crowdpleasing ganz vorne sein. Was dem Film aber letzten Endes nicht zu sehr zur Last gelegt werden sollte. Im Gegensatz zum viel zu lose verweilenden Geplänkel Der Vorname oder Marie Kreutzers schwächelndem Was hat uns bloß so ruiniert, wo ebenfalls intellektuelle Alternativlinge am Ego- und Elterntrip die Spur verlieren, hat die weinselige Dramödie zwischen Handydrehen und stark alkoholisiertem Promi-Dinner mit Abstand die Nase vorn.

Das perfekte Geheimnis

2 Gedanken zu “Das perfekte Geheimnis

  1. Ich habe den Film nicht gesehen, jedoch auf Netflix das französischen Pardon dazu gesehen. Fand ihn nicht schlecht und ja, für viele Paare wäre es wirklich schlecht so etwas zu spielen. Das Ende überraschte mich etwas aber fand ich ganz gut. Liebe Grüße

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