Here (2024)

RAUMZEIT IN EINEM ZEITRAUM

6,5/10


here© 2024 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ROBERT ZEMECKIS

DREHBUCH: ERIC ROTH, ROBERT ZEMECKIS, NACH EINER GRAPHIC NOVEL VON RICHARD MCGUIRE

CAST: TOM HANKS, ROBIN WRIGHT, PAUL BETTANY, KELLY REILLY, MICHELLE DOCKERY, GWILYM LEE, DAVID FYNN, OPHELIA LOVIBOND, NICHOLAS PINNOCK, NIKKI AMUKA-BIRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Der DeLorean, ausgestattet mit dem Flux-Kompensator, steht in diesem Film hier nicht in der Einfahrt zur Garage neben dem Haus. Das Haus selbst bietet auch kein Portal auf andere temporäre Ebenen. Und Rod Taylor sitzt ebenfalls nicht in seinem mit Samt ausgekleideten Steampunk-Vehikel, um in die Vergangenheit oder weit in die Zukunft zu reisen. Robert Zemeckis schafft es dennoch, die vierte Dimension zu durchbrechen, das gelingt ihm ganz ohne Science-Fiction, Gewittern am Himmel oder der abenteuerlichen Erzählung eines gewissen Mannes, der auf einer Parkbank sitzt und Pralinen verteilt. Von Forrest Gump zu Here ist es im Grunde ein kurzer Weg, beide verbindet nicht nur Alan Silvestris unverkennbarer Score, sondern auch die Hauptdarsteller: Robin Wright und Tom Hanks. Seit den Neunzigern stehen sie erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera, und dank innovativer Technik sehen sie jünger aus als im Oscar-Hit um einen Tausendsassa von schlichtem Gemüt, der findet, das nur der dumm ist, der Dummes tut.

Diesmal ist von der epischen Breite eines ganzen Lebens nicht allzu viel zu sehen, da Zemeckis so gut wie niemals die vier Wände eines um die Jahrhundertwende erbauten Hauses verlässt – genauer gesagt die vier Wände eines Wohnzimmers, das sich, in einer zeitlosen Stasis befindend, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen eigenen Reim macht. Wenn Mauern, wenn Räume reden könnten, was wäre dann? Was empfängt die Aura eines Ortes an Vergänglichkeit, Werden und Vergehen? Der Begriff Kammerspiel bekommt in Here eine neue Bedeutung und bewegt sich lediglich in der vierten Dimension fort. Die Kamera bleibt starr und blickt, wie ein an Ort und Stelle gebanntes Gespenst, auf auf Familien, Freunde, auf Fortschritt, Kreativität, Liebe, Trauer und Zuversicht. Vorallem auch auf reichlich Humanismus. Denn wohin Zemeckis uns führt, ist ein Ort frei von Gewalt.

Im Zentrum stehen dabei Robin Wright und Tom Hanks. Mit ausgereiftem De-Aging schaffen die beiden einen Präzedenzfall für so manches Franchise, das seine Stars von früher vermisst. Auch Paul Bettany darf sich einem digital vollendeten Alterungsprozess unterwerfen, alle drei sind gemeinsam mit Kelly Reilly die Kernfamilie des Films, flankiert von anderen wohnhaften Parteien aus dem Damals und aus der Zukunft – sie alle sind jedoch nur kleine Anekdoten, vernachlässigbare Miniaturen in sattem Interieur, dass den Zeitgeist widerspiegelt. Mit Tom Hanks erleben wir den amerikanischen Kitsch einer Familie, Hoch und Tiefs erlebend in üppig ausgestatteter Einrichtung, als würden wir ins das Zimmer eines Puppenhauses blicken. So puppenhausartig auch all die Figuren, all diese Menschen, die so seltsam fern wirken, die alles erleben, was eine Familie, die rechtschaffen lebt, eben aushalten, genießen und betrauern muss.

Es wäre Biedermannkino mit Taschentuchalarm ob der wehmütigen Vergänglichkeit von allem, gäbe es hier nicht die experimentelle Komponente, die kühne Überlegung, die Bilder eines Films wie Here zu zerschnipseln und übereinanderzulegen, die Zeit auszuhebeln und immer mal wieder ein Fenster zu öffnen, ein lineares Geviert im Bild und auf der Leinwand, durch welches der Zuseher hindurchsteigt in eine andere Ebene. Das Experiment gelingt. Erstaunlich, wie konsequent Zemeckis an seiner Prämisse dranbleibt. Die sentimentale Lieblichkeit der Bilder und Panels, das hausbackene, ich will nicht sagen pseudophilosophische, aber bemüht lebensweise Exempel mehrerer Familienleben verfängt sich zum Glück richtig heillos in einer avantgardistischen Vision des Geschichtenerzählens, um als denkwürdiges Unikum über Raum und Zeit das eigenen Hier und Jetzt mal nicht mit eigenen Augen neu zu betrachten, sondern mit den abstrakten Sensoren eines Ortes, an welchem man lange gelebt hat. Ein Hoch auf die eigenen vier Wände. Und den Boden unter den Füßen.

Here (2024)

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