One to One: John & Yoko (2024)

REVOLUZZER SEHEN FERN

7/10


© 1972 Bob Gruen / http://www.bobgruen.com


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE / DREHBUCH: KEVIN MCDONALD, SAM RICE-EDWARDS

MIT ARCHIVAUFNAHMEN VON: JOHN LENNON, YOKO ONO, ANDY WARHOL, STEVIE WONDER, ALLEN GINSBERG, JERRY RUBIN, MAY PANG, GEORGE WALLACE, RICHARD NIXON, SHIRLEY CHISHOLM, CHARLIE CHAPLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Niemandem braucht man noch erklären, wer die beiden sind: John Lennon und Yoko Ono, weltberühmte Ikonen des Umbruchs und für eine bessere Welt. Allround-Genies, Universaltalente, Massenbegeisterer, wenngleich Yoko Onos experimentelle Musik vielleicht nicht bei allen den Nerv trifft. Des weiteren soll ihr ja bis heute, so vermute ich mal, vorgeworfen werden, Mitschuld am Bruch der Beatles zu haben. Viel mehr waren wohl gesellschaftliche und vor allem persönliche Umbrüche und Differenzen innerhalb der Vier ausschlaggebend dafür, dass dem Pilzkopf-Rock nach zehn Jahren die Kraft ausging. Die Rolling Stones hingegen, die es auch schon gab, als die Halbgötter aus Liverpool Kreischalarm auslösten, setzten damals aufs richtige Pferd – auf den Rock, und auf die nötige Flexibilität, um auf dem Trend der Jahrzehnte mitzureiten. McCartney hatte danach seine Solokarriere, Lennon ebenso. Und um diesen Mann mit der runden bunten Brille und den hippen Koteletten geht es hier, der ein Jahr nach dem Beatles-Aus mit seiner Partnerin Yoko Ono in Greenwich Village, New York, ein Zweizimmer-Apartment bezog, und das für zwei Jahre, um sich ins Bett zu verkriechen und vorrangig fernzusehen, denn dieses Medium, das hatte Anfang der Siebziger noch einen gänzlich anderen Stellenwert und eine ganz andere sinnstiftende Bedeutung als heutzutage.

Heutzutage ist Fernsehen wohl eher Berieselung und Dokusoap-Eskapismus mit Schwerpunkt Kochen, damals war es, da es kein Internet gab, Informationsquelle Nummer eins. John und Yoko waren auf diese Weise wohl immer im Bilde, was gerade geschah in diesen Vereinigten Staaten unter Präsident Nixon, der kurz davor stand, zur zweiten Amtszeit gewählt zu werden. Unter Nixon lag vieles im Argen, der Vietnamkrieg tobte, Rassendiskriminierungen waren en vogue, Watergate bahnte sich an, Reporter pflügten mit ihrem revolutionär anmutenden Drang zur Investigation durch die finsteren Winkel einer westlichen Welt, von denen es viele gab – darunter Willowbrook, eine Anstalt für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, denen man aber aufgrund akuten Personalmangels alles andere als besondere Pflege zukommen ließ. Diese skandalösen, unmenschlichen und verstörenden Bedingungen führten dazu, dass Lennon und Ono ein Benefizkonzert gaben, dass wie Live Aid in die Musikgeschichte eingehen sollte. One to One hieß das damals, 1972 im Madison Square Garden abgehalten. Kevin McDonald, der als dokumentarischer Archivfilmer schon einige tüchtige Arbeiten vorzuweisen hat, darunter die Chronik des Olympiaterrors in München oder den Überlebenskampf eines Bergsteigers (fesselnd: Sturz ins Leere), widmet sich nun, gemeinsam mit Cutter Sam Rice-Edwards, nicht nur der Musik, sondern überhaupt einer ganzen Portion amerikanischer Zeitgeschichte zwischen Politik, Gesellschaft und Kultur. Das alles bewegt sich in Archivaufnahmen rund um die Persönlichkeiten von Lennon und Yoko herum, ohne sie bedeutend hervorzuheben. Er lässt die beiden lediglich interagieren, reagieren, die Initiative ergreifen dank idealistischer Visionen, die eine bessere Welt verheißen könnten als jene, die sich damals gebärdete.

Wie Sam Rice-Edwards (und weniger McDonald) es zusammenbringt, diese vielen kleinteiligen und oft nur sekundenlangen Sequenzen aneinanderzureihen, ohne sich notgedrungen in einer assoziativen, gar kontemplativen Collage zu verlieren – diese Fertigkeit verleiht dem dokumentarischen Essay ordentlich Kraft und auf gewisse Weise auch Strenge. Das akkurat gelegte Mosaik aus Unmengen an Archivmaterial bringt beruhigende Ordnung in ein beunruhigendes Zeitbild. Von vielen Dingen, von denen McDonald berichtet, war ich bislang nicht im Bilde – Willowbrook zum Beispiel sagte mir gar nichts. Ich wusste auch nichts von dem (nicht umgesetzten) Vorhaben Lennons, im Rahmen einer Tournee Kautionsgelder für womöglich unschuldig Inhaftierte zu zahlen, die sich ihre Freiheit niemals leisten konnten. Innovativ dabei, wie McDonald telefonisch geführte Interviews und Künstlergespräche rein als typografische Arrangements in sein geordnetes Kaleidoskop integriert. Die zurückhaltende Anordnung und die kommentarlose Betrachtung einer denkwürdigen Phase aus kreativen Synergien, eingebettet in den Programmpool amerikanischen Retro-Fernsehens, lassen One to One: John & Yoko, inspirierend und faszinierend zugleich, zu einem aufschlussreichen Realtraum eines abhandengekommenen Damals werden, in dem die Weltordnung genauso an der Kippe stand wie sie es heute tut.

One to One: John & Yoko (2024)

Dahomey (2024)

WENN ARTEFAKTE REDEN KÖNNTEN

5/10


Dahomey© 2024 Stadtkino FIlmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, SENEGAL, BENIN 2024

REGIE / DREHBUCH: MATI DIOP

CAST: GILDAS ADANNOU, HABIB AHANDESSI, JOSÉA GUEDJE U. A.

MIT DER STIMME VON: MAKENZY ORCEL

LÄNGE: 1 STD 8 MIN


In den Kinos und exklusiv auf dem Arthouse-Streamer MUBI läuft derzeit der Goldene Bär 2024: Dahomey. Eine transzendente, metaphysische Dokumentation oder etwas ähnliches, ein filmischer Hybrid, der sich keinesfalls traditionellen Erzählformen unterwirft, obwohl es ganz viel um Tradition geht. Und um Gegenstände, die diese Tradition, möge sie auch noch so althergebracht sein, verkörpern. Wohl wenigen wird Mati Diop womöglich etwas sagen. Jenen, welche die französisch-senegalesische Filmemacherin noch nicht kennen, sei ihr allegorischer Zombiefilm Atlantique schwer ans Herz gelegt. Ein immersives, ungewöhnliches Drama rund um Hoffnung, Flucht und Scheitern, berührender und fesselnder als das themenverwandte Ich Capitano, weil ihm vorallem eines gelingt: zu überraschen. Überraschungen sind im Kino wichtiger denn je. Viele Geschichten sind schon viele Male auf ähnliche Art erzählt worden. Betroffenheit da, Betroffenheit dort. Realismus ist bei Dingen, die die Welt bewegen, gar nicht mehr gefragt, denn den bekommt man ohnehin über das tägliche Fernsehen präsentiert. Das Kino kann gerne viel öfter in Metaebenen herumstreunen, herumschürfen, und das Drama der Menschheit als phantastische Märchen präsentieren, die aber immer noch aus weltlicher Materie gemacht sind.

Mati Diop hat mit ihrem neuen Film Dahomey – der Titel geht zurück auf die Bezeichnung eines Königreichs im heutigen Benin – schon so einiges gewonnen. Diesjährig auf der Viennale war das Werk krönender Abschluss eines innovativen Festivals. Inhaltlich geht’s dabei um Restitution und Wiedergutmachung. Und auch, ob sich das Verständnis von Geschichte im eigenen Land dadurch ändert, wenn verlorene Artefakte ihren Weg zurück in die Heimat finden. Betrachtet man diese Restitution an wertvollen Schnitzereien im richtigen Verhältnis, so sind 26 Exemplare von insgesamt 7000 gestohlenen Arbeiten geradezu lächerlich. Andererseits: 26 Stücke sind nicht nichts. Da sind mannsgroßge Statuen vergangener Könige dabei, wie jene der Monarchen Ghézo, Glélé oder Behanzin. Einen davon, König Ghézo, den John Boyega im Film The Woman King verkörpert, lässt Mati Diop zu Wort kommen. Ein tiefes, gurgelndes Grollen ist zu hören, erst nach ein einigen Sekunden lässt sich dieses abyssale Grummeln als eine uralte Stimme wahrnehmen, gesprochen vom haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel. Ghézo berichtet von einer fast hundert Jahre währenden Nacht, umschreibt sein Empfinden, umschreibt mit blumigen, hochtrabend poetischen Worten die Ankunft daheim. Meist ertönt diese Stimme als Hörspiel, da sonst nichts zu sehen ist außer vielleicht das dunkle Innere einer dieser Holzkisten, mit denen die Artefakte nach Cotonou transportiert werden, direkt in den Präsidentenpalast, um später ins Volkskundemuseum in Abomey umgesiedelt zu werden.

Klar ist so eine Rückführung ein Bekräftigen des Nationalbewusstseins eines Landes, das wie fast jedes in Afrika unter europäischen Kolonialherren gelitten hat. Benin selbst wurde von den Franzosen unterworfen. Diese nahmen sich, was Ihnen gefiel. Eine Schande und eine Schuld natürlich, die, warum auch immer, nicht schon längst getilgt wurde. Doch auf Schätzen sitzt nicht nur ein Drache, sondern auch ein stolzes Volk wie das der Franzosen. Als Verbrechen sieht Mati Diop das Ganze eher weniger, vielmehr als das Nachwehen einer unglücklichen Vergangenheit. Zu einem ganz anderen, recht einfallslosen Stil gelangt ihr Film vorallem dann, wenn sie diesmal keine Statue, sondern die Studenten einer Uni zu Wort kommen lässt. Dort wird über das Damals und Heute diskutiert. Über Geschichte, kulturelle Identität und der Arroganz Europas. All das mag ja ganz interessant sein. Durch Ghézos Stimme auch ein bisschen metaphysisch. Doch diese etwas mehr als eine Stunde Film bleibt schal.

Dokumentieren kann natürlich bedeuten, Orte, Handlungen und Gespräche einfach nur abzufilmen. Im zeitgeistigen Dokfilm behält man sein Publikum informationstechnisch gerne im Ungewissen. Ein hoher Prozentsatz an Fakten darf sich der Zuseher proaktiv selbst organisieren, denn tut er das nicht, bleibt künstlerisches Halbwissen als Pseudodokumentation, die keine Wissensbasis schafft, nicht mal unter Verwendung von Archivmaterial, das zu verwenden gerade in Dahomey naheliegend gewesen wäre. Doch Mati Diop wählt, ähnlich wie Sarah Jessica Rinland in Monólogo Colectivo, die Form des subjektiven Essays, ohne einen Bildungsauftrag erfüllen zu wollen. Dies zu erreichen obliegt wohl eher dem konservativen Fernsehformat und nicht dem Kino. Im Kino fühlt sich der Dokumentarfilm keinen Aufgaben mehr verpflichtet, das Genre zerfasert und zerfranst Richtung assoziativer Collage mitsamt informativer Einsprengseln. Nahe kommt man der Thematik dabei kaum, die Diskussionsrunde der Studenten in der zweiten halben Stunde ist so prickelnd wie ein Vorlesung, deren Inhalt repetitiv wird. So bleibt Dahomey zwar ambitioniert, aber bruchstückhaft.

Dahomey (2024)