A Real Pain (2024)

REISEN IST DIE BESTE MEDIZIN

6,5/10


arealpain© 2024 Searchlight Pictures. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, POLEN 2024

REGIE / DREHBUCH: JESSE EISENBERG

CAST: JESSE EISENBERG, KIERAN CULKIN, WILL SHARPE, JENNIFER GREY, KURT EGYIAWAN, DANIEL ORESKES, LIZA SADOVY U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Oma ist gestorben. Das ist stets ein trauriger Anlass, denn nicht nur geht da jede Menge Zeit- und Familiengeschichte verloren, sondern auch eine vielleicht intensivere Bindung als zu den eigenen Eltern. Unter diesem Schicksalsschlag leidet nicht nur Jesse Eisenbergs Figur des Juden David Kaplan, sondern vor allem jene des Cousins Benji, der sowieso schon so seine psychischen Probleme hat. In Jugendjahren waren beide ein Herz und eine Seele, und das trotz unterschiedlicher Charakterbilder. Gegensätze zogen sich da womöglich an, und spätestens, wenn das Erwachsenenleben die eigene Familie beschert und das eigene Arbeitsleben, bleibt die Freundschaft nur mehr ein peripheres Restleuchten im Hintergrund. Ein Umstand, der nicht sein muss. Omas Ableben kommt da, so bitter es klingt, wie gerufen. David und Benji treffen sich wieder, für einen Trip nach Polen, um Großmutters Haus zu finden. Dabei schließen sie sich einer Reisegruppe an, die in die jüdische Geschichte des Landes führt. Die beiden jungen Männer finden nicht nur heraus, wie sehr ihr Ego ihnen im Wege steht, sie finden auch heraus, wie sehr Weltgeschichte die eigene Biografie steuern kann. Denn wäre der Krieg nicht ausgebrochen, wären beide entweder nicht auf der Welt oder eben Europäer.

Mit solchen Überlegungen wagt Jesse Eisenberg (The Social Network, Resistance) den Sprung ins kalte Wasser des Autorenfilms. A Real Pain ist sowohl von ihm verfasst als auch inszeniert. Und siehe da – der Mann hat Qualitäten. Und er tut gut daran, sich nicht selbst zu überschätzen, indem er ein ausstattungsintensives und sündteures Melodrama, angelegt auf mehrere Dekaden, gegen die Wand fährt. Sein Film ist klein und fein, unkitschig und bescheiden. A Real Pain ist, was er ist: Der Bericht einer Reise, die man nicht allein unternimmt, wo immer zwei dazugehören, um das Gesehene und Erfahrene im Gegenüber reflektiert zu sehen. Ohne weiteres hätte Eisenberg sich selbst da übernehmen können. Das passiert Künstlern, die nicht wissen, was dramaturgisch gesehen bleiben und was man weglassen kann. Darin liegt die Besonderheit in A Real Pain. Weder schwelgt Eisenberg im psychologischen Dilemma seiner fiktiven Filmbiographien, noch maßt er sich an, die Betroffenheit angesichts der Mahn- und Denkmäler auf prätentiöse Weise auszuschlachten. Man könnte meinen, die filmische Reise hat von allem ein bisschen. Und nichts so richtig.

Im Vergleich zu A Real Pain dringt Treasure – Familie ist ein fremdes Land von Julia von Heinz deutlich tiefer in die traumatische Vergangenheit einer Familie vor. Hier reist eine Tochter mit ihrem Vater, der selbst das KZ überlebt hat, an den Ort ihrer Ahnen. Klarerweise gibt es unter diesen Gesichtspunkten wesentlich mehr Konnex, als ihn Eisenbergs Cousins jemals bereitstellen können. Will man wirklich sehen, wie sehr vergangenes Leid bis in spätere Generationen hineinwirkt, dann ist Treasure ein Juwel von einem Film. A Real Pain erhebt dafür nicht den Anspruch, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Hier sind es einzelne Befindlichkeiten, und eine Reise, die, so wie jede Reise, immer ein bisschen mehr zu einem selbst führt. Dabei passiert es fast, dass „Kevin“-Bruder Kieran Culkin mit der etwas dick aufgetragenen, aber souverän verkörperten Figur des Benji so manche Feinheiten übertüncht. Immer wieder zieht dieser alle Aufmerksamkeit auf sich, zieht diese von den anderen Co-Schauspielern ab. Eisenberg hält sich dabei im Hintergrund, gibt den weinerlichen, introvertierten Sonderling, diesmal aber sympathisch und offen für Erkenntnisse.

A Real Pain (2024)