Furiosa: A Mad Max Saga (2024)

DIE STRASSE IST NICHT GENUG

6/10


furiosa© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE: GEORGE MILLER

DREHBUCH: GEORGE MILLER, NICO LATHOURIS

CAST: ANYA TAYLOR-JOY, ALYLA BROWNE, CHRIS HEMSWORTH, TOM BURKE, LACHY HULME, NATHAN JONES, ANGUS SAMPSON, JOSH HELMAN, JOHN HOWARD, DANIEL WEBBER, ELSA PATAKY U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Für diesen Film war ich in der D-Box. Was das ist? Ein Kinosaal, der immersives Erleben verspricht. Will heißen: Die Sitze, die man gebucht hat, werden dahingehend aktiviert, dass sie sich, abgestimmt aufs Filmerlebnis, entsprechend bewegen. Wenn also zum Beispiel ein Bolide startet, dann wummert auch der eigene Untersatz. Macht die Kamera einen Schwenk, schwenkt dieser dann auch gleich mit. Ist man anfällig für Schwindel, kann das zum Verhängnis werden. Ist aber der Gleichgewichtssinn einer, auf dem man sich verlassen kann, dürfte das erweiterte Einbeziehen der Sinne zumindest bei Furiosa: A Mad Max Saga durchaus Sinn machen. Denn dort brummen und heulen Motoren jede Menge, es explodieren und überschlagen sich Karosserien, es wird geschossen, gekämpft und Wüstenstaub aufgewirbelt – inmitten dieses nach gutem alten Handwerk inszenierten Spektakels das unverwechselbare, faszinierende Konterfei von Anya Taylor-Joy, die allerdings erst nach einer guten Stunde vor die Kamera tritt und vorher ihrer weitaus jüngeren Kollegin Alyla Browne den Vortritt lässt, um die gesamte fiktive Biographie von Furiosa zu erzählen, die Charlize Theron in dem 2015 erschienenen Mad Max: Fury Road schon verkörpert hat – mit geschwärzter Stirn und mechatronischem Arm. Diese Action-Ikone mischt nun also auch George Millers Spin Off auf, und auch wenn sich Taylor-Joy die meiste Zeit hinter Schutzbrillen, Staubtüchern und einer ganzen Schicht Ruß und Motoröl verbirgt – ihre Performance gibt Furiosa: A Mad Max Saga mitunter das, was Mad Max: Fury Road eben nicht hatte: Eine Identifikationsfigur, die einem nicht so gänzlich egal ist wie Tom Hardy, der, wortkarg und unnahbar, den langen, langen Wüstenhighway entlangfuhr, um eben von A nach B zu kommen und sonst nichts weiter.

Währenddessen hatte dieser sämtliche Banden am Hals, mitunter jene von Immortan Joe, einem schwer atmenden Freak mit Maske und transparenter Rüstung, der seine weiß getünchten Jünger gerne sinnlos in den Tod schickt. Alles keine Guten, schon gar nicht ein gewisser Dementus, der von Chris Hemsworth verkörpert wird. Mit dieser exaltierten Rolle, die Rockikonen wie Jim Morrisson, Gene Simmons oder Jon Bon Jovi auf eine Weise karikiert, die zur postapokalyptischen Parodie gereicht, hat Hemsworth sichtlich Spaß. Dass er dabei den Marvel’schen Donnergott zum marodierenden Biker-Cäsaren umkrempelt, noch dazu mit einem Pfrnak, der sein Antlitz grotesk verzerrt, ist reine Absicht. Hemsworth hat lausbübisches Vergnügen an seiner Figur, entsprechend ungestüm wütet er inmitten eines Szenarios, das allerdings nicht viel mehr hergibt als ohnehin schon aus dem Mad Max-Universum freigelegt wurde. Denn George Millers ersonnenes Franchise ist letzten Endes ähnlich karg und wenig fruchtbar wie die Welt, die für handgemachte Action und an die Substanz gehende Stunts die entsprechende Bühne schafft.

Es ist die Wüste, es sind diverse Festungen, es ist die Anarchie einer Endzeit voller Landpiraten, die sich unentwegt bekriegen und nicht imstande sind, sowas wie eine ernstzunehmende Zivilisation aufzubauen. Nach einem nicht näher definierten Ende einer Ordnung, wie wir sie kennen, beherbergt besagtes Wüstenland immer noch geheime grüne Orte, die Furiosa anfangs noch ihre Heimat nennt – bis sie von Rabauken des gottgleichen Dementus entführt wird. Mamas Versuch, die Kleine zurückzubringen, scheitert blutig. Das rothaarige Mädel ohne rechte Kindheit wird wenig später an diesen Immortan Joe verhökert und mausert sich zur Kriegerin, immer nur mit dem einen Ziel, Rache zu üben an den krummnasigen Größenwahnsinnigen, der drauf und dran ist, die absolute Herrschaft zu erlangen.

Bis dahin wird noch viel Sprit verbraucht werden und Karosserien ihre Knautschzonen beanspruchen, werden Tanklaster die Fury Road entlangrasen, Bagger ihre Schaufeln schwenken, sodass Bob, der Baumeister feuchte Augen kriegt und prächtig ausgestattetes Banditen-Gesocks ihre brandneuen Kollektionen vorführen. Mit dieser Liebe zum Detail spielt George Miller, dessen prinzipientreue Analogregie für handgemachtes Rambazamba aller Art auch hier sein Markenzeichen bleibt, seine Trümpfe aus. Vom Nippelzwicker über weißgetünchte Kamikaze-Indigene bis zu Masken und Helmen aller Art füllt Miller ein postapokalpytisches Volkskundemuseum. Dazwischen rattert der Sitz und rattern die Konvois, Treibstoff gibt’s genug, als gäbe es an jeder Ecke eine Tankstelle, doch sonst lässt das Szenario einen kalt. In ausgesuchter Plakativität geben sich flache Figuren einem Schicksal hin, das niemanden tangiert. Die Geschichte rund um Mad Max ist eine hohle Sache, nur immer und immer wieder lässt sich Ähnliches, aber niemals anderes aus dem Konzept herausholen. Diesen Spaß kann man das eine oder andre Mal noch variieren, doch die Aussicht, dass dieser sich totläuft, ist keine Schwarzmalerei. Wie beim Franchise rund um den Terminator, dessen Fortsetzungen immer die gleiche Geschichte aufwärmen, mag die Mad Max-Welt nicht viel mehr hergeben als wilde, handwerklich erlesene, aber kaltschnäuzige Action. Bis die hochtourige Endzeit einer niedertourigen Endzeit die Straßen überlässt.

Furiosa: A Mad Max Saga (2024)

Der Spinnenkopf

I BRAUCH MEI ÜBERDOSIS G’FÜHL

6/10


spinnenkopf© 2022 Netflix


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JOSEPH KOSINSKI

CAST: CHRIS HEMSWORTH, MILES TELLER, MARK PAGUIO, JURNEE SMOLLETT, TESS HAUBRICH, NATHAN JONES U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN 


Netflix will sich zur Zeit nicht nur auf seinen wuchtigen Straßenfeger Stranger Things verlassen – langsam spielt der Mediengigant auch andere gute Karten aus. Zumindest Karten, die illustre Besetzungen vorweisen können, wie Chris Hemsworth, den Marvel-Thor, der übrigens in Kürze wieder auf der Leinwand sein Beliebtheitsskala wohl mit Natalie Portman teilen wird müssen. Dieser Chris Hemsworth kann tatsächlich mehr als nur den etwas bauernschlauen, aber herzensguten Donnergott geben – er kann tatsächlich auch, wenn es die Rolle verlangt, auf Selbstironie verzichten und sich wie immer äußerst fesch, geschnäuzt und gebürstet zwar, aber durchaus auch in ambivalenter Geisteshaltung in Szene setzen. Zur Seite steht ihm Miles Teller, der erst kürzlich im Kino mit der F-18 gefährliche Manöver flog. Das geschah unter der Regie von Joseph Kosinski, ein von Tom Cruise hoch geschätzter Regisseur, der bereits Oblivion mit ihm abgedreht hat und sich diesmal aber Mavericks Co-Star weiterverpflichten ließ. Der Science-Fiction-Film, der eben erst kürzlich zu streamen ist, nennt sich Der Spinnenkopf und beruht auf einer Kurzgeschichte von George Saunders. Bei Kurzgeschichten, so viel ist klar, geht es in erster Linie darum, gerade mal ein Szenario anzudenken, dass sich längst nicht allen Plausibilitätsprüfungen unterziehen muss, da es vor allem erlaubt sein darf, kreative und auch richtig obskure Gedanken laut auszusprechen, ohne sich logisch absichern zu müssen. Kurzgeschichten sind Inspiration. Den Rest ergänzt der Leser in einer eigenen imaginären Fortsetzung oder spinnt die Theorie eines aus dem Ruder laufenden Experiments gerne selber weiter.

Kosinskis Film macht aus dieser verspielten Kritik an der Pharmaforschung jenseits aller Ethik ein grob skizziertes Kino-Kammerspiel über Gefühlsarmut und der Sehnsucht nach dem Erspüren überwältigender Empfindungen. In einer Welt, in der die emotionale Metaebene des zwischenmenschlichen Kommunizierens morschen Boden hinterlässt, testet in einem trendig-schmucklosen Betonbunker irgendwo am Meer Chris Hemsworth als Projektleiter Steve die Chemie hirnrelevanter Botenstoffe aus. Einmal mehr Liebe, einmal weniger Angst, dann wieder mehr Redseligkeit und dann wieder, weil‘s so schön war, die rosarote Brille, die alles schönfärbt. Das klingt nach klassischen Drogen – und ja, das sind sie auch, diese kleinen Ampullen, die sich Probanden wie Miles Teller in ihrem kleinen biomechanischen Zählerkasten irgendwo im unteren Bereich der Wirbelsäule haben einpflanzen lassen. Was Leute wie er davon haben, hier freiwillig mitzuwirken, liegt wohl daran, dass der gesetzliche Maßnahmenvollzug wohl sonst in der simplen Haftanstalt über die Bühne gehen würde – hier, an diesem idyllischen Ort, der aussieht als wäre es eine große Wohngemeinschaft aus Straffälligen, haben die Testpersonen ihre eigene Zuflucht und alle Annehmlichkeiten der Welt. Nur fort dürfen sie nicht – erst wenn das Strafmaß abgesessen ist. Währenddessen verbringt Hemsworth Stunden und Tage damit, seine „Opfer“ allen möglichen Stimuli auszusetzen, auch dem sogenannten Dunkelflux, das gleichzusetzen ist mit einer akuten, schweren Depression.

Klar, dass diese Studie natürlich nicht ganz legal vonstatten geht, und klar, dass Miles Teller letztendlich die Botenstoff-Party crashen wird. Mit dieser im Grunde feinen sowie reizvollen Idee, neuronale Defizite in einer reizüberfluteten Welt ausgleichen zu wollen, fährt Kosinski gemeinsam mit seinen Drehbuchautoren über Berg und Tal, ohne genau darauf zu achten, ob das Werkelchen Schaden erleidet. Denn so wirklich sinnvoll erscheinen diese Drogentests alle nicht. Was genau bezweckt der gelackte Anzugträger Steve damit, der sich jeden Morgen jovialen Smalltalk mit seinen Probanden erlaubt? Der Plot gerät konfus, irgendwann weiß man vor lauter Seren eigentlich nicht mehr, wer wann welches davon ausgeschüttet bekommt. Was aber Eindruck hinterlässt, ist Hemsworths im Zickzackkurs laufendes Minenspiel, von der Schulterklopfrhetorik über wissenschaftlichen Erklärbär bis zum emotional völlig verwirrten Häufchen Elend.

Klar, Filme wie diese folgen klaren Formeln, und wenn es die Zeit nicht erlaubt, eine Vorlage anders als sonst zu adaptieren, tut es auch das. Der Spinnenkopf ist zwar nicht zu Ende gedacht und hängt auch anfangs recht orientierungslos herum, im Kern aber gibt‘s Momente, die Saunders Kurzgeschichte in ihrer Polemik wohl gerecht werden.

Der Spinnenkopf