Die drei Musketiere – D’Artagnan (2023)

VIELE MÄNTEL, VIELE DEGEN

6,5/10


musketiere_dartagnan© 2023 – CHAPTER2 – PATHE FILMS – M6 FILMS – Constantin Film Verleih GmbH/Ben King


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, SPANIEN 2023

REGIE: MARTIN BOURBOULON

BUCH: ALEXANDRE DE LA PATELLIÈRE & MATTHIEU DELAPORTE, NACH DEM ROMAN VON ALEXANDRE DUMAS

CAST: FRANÇOIS CIVIL, VINCENT CASSEL, PIO MARMAÏ, ROMAIN DURIS, EVA GREEN, LOUIS GARREL, VICKY KRIEPS, LYNA KHOUDRI, ÉRIC RUF U. A.

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Das Genre des Mantel- und Degenfilms hat endlich wieder zu seinen begriffgebenden zwei Substantiven zurückgefunden. Tatsächlich wehen in der was weiß ich wievielten Neuverfilmung von Alexandre Dumas‘ Klassiker, auf die eigentlich niemand gewartet hat, mehr wettergegerbte Lederklüfte als in Sergio Leones Spaghettiwestern. Darüber hinaus verleiht der Dreispitz dem, der ihn trägt, und sei er auch noch so ein übler Bandit, eine gewisse Grazie. Die geschliffenen Handwaffen mit vibrierender Spitze – nun, die bohren kleine tödliche Löcher ins Gegenüber, hinterlassen aber weniger Sauerei als würde man mit der Axt ausholen. Mantel und Degen haben Stil. Und das reicht auch, meint zumindest Martin Bourboulon (u. a. Eiffel in Love), der sich des legendären und mittlerweile wirklich schon auserzählt scheinenden Stoffes angenommen hat. Diesmal will er das große Polit- und Agentenabenteuer aus der Epoche des dreißigjährigen Krieges als zweiteiligen Eventfilm komponieren – mit genug Zeit dafür, seine Charaktere zu entwickeln und den fein gewobenen Intrigen von Kardinal Richelieu und Milady de Winter jene nötige Aufmerksamkeit schenken, die ein eigentlich komplexer Actionkrimi wie dieser verdient hat.

Über den Plot brauchen, wie ich denke, gar nicht so viele Worte verloren werden. Jede und jeder kennt die Geschichte des jungen Mannes aus der Cascogne, der um jeden Preis Musketier werden will und sich daher, mit einem Empfehlungsschreiben seines alten Herrn, in Paris einfindet, um sich anzuwerben. Während seines Bemühens, sich Gehör zu verschaffen, eckt er mit Athos, Porthos und Aramis an – den hartgesottensten Recken der königlichen Garde, die aber trotz ihres Heldenmuts als richtige Mimosen rüberkommen, wenn’s um ihre Ehre geht. Also fordern sie D’Artagnan zum Duell – wobei dieser sicher den kürzeren gezogen hätte, wären da nicht Richelieus Männer dazwischengeraten, die den Jüngling als Zeugen eines politischen Attentats beseitigen wollen. Der gemeinsame Feind schweißt die drei mit dem einen zusammen – und das ist erst der Anfang für eine weitere Intrige, für welche der altehrwürdige Athos seinen Kopf hinhalten muss, würde es den anderen nicht gelingen, seine Unschuld zu beweisen. Natürlich mischt Milady de Winter auch kräftig mit, als Superagentin des Klerus. Was wir haben, ist also das gut ausgearbeitete Stück eines straff gezogenen Historienthrillers, der als Setting für eine neue Epochen-Edition des beliebten Game-Franchise Assassins Creed fabelhaft gut geeignet wäre.

Von der poppig-bunten Süßlichkeit von Paul W. S. Andersons Abenteuervehikel aus dem Jahr 2011 mit Logan Lerman und Regisseuren-Gattin Milla Jovovich als Milady ist in dieser erwachsen gewordenen Interpretation nichts mehr zu sehen. Statt Opulenz und Budenzauber herrscht hier eine in satten Brauntönen gehaltene Düsternis, die einfach vorherrscht, wenn ein Konfessionskrieg tobt, der Katholiken und Protestanten auch in Frankreich gegeneinander aufbringen wird. Ein herbstkalter September legt sich über die Szenerie, es wird unter bewölktem Himmel viel über Felder galoppiert und an Türen gelauscht. Das Leben im frühen 17. Jahrhundert ist grau und entbehrungreich. Die Romantisierung der Geschichte besteht darin, selbst in dieser unbunten, erdigen Inszenierung eine nostalgische Melodie zu entdecken, die sich eingeprägt hätte, würde nicht irgendwann alles recht gleichförmig wirken. Das Kolorit ist nicht die Stärke des Films, obwohl es anfangs den Anschein hat. Das Beste bleibt der Cast. Vincent Cassel und Romain Duris scheinen nur darauf gewartet zu haben, endlich diese Rollen zu spielen. Sie verleihen ihnen Authentizität und gütige Strenge. Louis Garrel als Louis VIII. ist aber noch besser: Seine Darstellung des französischen Monarchen ist jede Sekunde glaubwürdig. Die Balance zwischen Machtbewusstsein, Gnade und Hofetikette hält. Vicky Krieps erreicht die Stärke ihrer Sisi-Rolle aus Corsage allerdings nicht.

Natürlich endet der erste Teil mit einem Cliffhanger. Das gibt dem Film den Charme einer Streaming-Produktion, bei der man sowieso längst keine Kosten mehr scheut, die mit ihrem offenen Ende aber unfertig wirkt. Somit lässt sich nicht genau sagen, wie das Werk in seiner Gesamtheit letztendlich abschneidet. Bis dahin ist aber schon so manch Solides auf der Habenseite und die Degen stumpf vom Stechen. Ob Die drei Musketiere – Milady aus einer kurzweiligen Qualitätsroutine das große Event heraufbeschwören kann, wird sich zeigen.

Die drei Musketiere – D’Artagnan (2023)

Minions: Auf der Suche nach dem Mini-Boss

KUNG FU-KROKETTEN MIT HUNDESEELE

6,5/10


minions2© 2022 Universal Pictures Entertainment Germany


LAND / JAHR: USA, FRANKREICH, JAPAN 2022

REGIE: KYLE BALDA, BRAD ABLESON, JONATHAN DEL VAL

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): STEVE CARRELL, PIERRE COFFIN, ALAN ARKIN, TARAJI P. HENSON, JEAN-CLAUDE VAN DAMME, MICHELLE YEOH, DOLPH LUNDGREN, LUCY LAWLESS, DANNY TREJO, RZA, JULIE ANDREWS, RUSSEL BRAND U. A. 

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): OLIVER ROHRBECK, THOMAS GOTTSCHALK, DELA DABULAMANZI, BASTIAN BAKER, LARISSA MAROLT, MEYLAN CHAO, TILO SCHMITZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Dieser Gru ist wirklich ein komischer Kauz. Spitznasig, staksig, immer mit Schal, seltsamem Akzent und was vor allem auffällt: mit einer Stimme, die nicht die eines Kindes ist. Dabei ist Gru gerade mal elfeinhalb Jahre alt – und besessen davon, ein Oberschurke zu werden. Dass er in diesem präpubertären Alter sich selbst bereits als unverbesserlich bezeichnet, ist ja fast schon weise Selbstreflexion. Doch es ist nun mal so: Gru ist ein Einzelgänger, hat weder Freunde noch eine Mutter, die sich sonderlich um ihn schert. Was macht so jemand? Er legt sich einen Hund zu. Stimmt, den hat er auch. Was aber jede treue Hundeseele in den Schatten stellt, das ist die Anhänglichkeit der gelben runden TicTacs mit Brille, blauen Latzhosen und internationalem Wortschatz irgendwo zwischen Spanisch, Italienisch und je nachdem, welche Synchronspur gerade mal über dem Film liegt. Diese Helferleins haben eine Vorliebe für Bananen, Musik und würden mit allem, was ein Baumarkt so hergibt, etwas anfangen können. Am Ende der Origin-Episode über die Herkunft der Minions konnten wir dem Einstand des kleinen Gru beiwohnen, der wiederum die Aufmerksamkeit der gelben Kerle auf sich zog – und diese nun an der Backe hat. Fehler ist das keiner – die Minions machen alles, was man ihnen sagt. Sie sind hilfsbereit und kreativ, vergessen aber auch nicht ihre eigenen Bedürfnisse und lassen sich überdies sehr leicht ablenken.

Da passiert es, dass Gru eines Tages von den fiesen 6 – einer Siebziger-Räuberbande als Hommage an das Exploitation-Kino besagter Dekade – plötzlich zum Casting für ihren neuen Boss eingeladen wird, denn vom alten, auch bekannt als der Wilde Knöchelknacker, wurde die Gang ganz plötzlich überdrüssig. Natürlich reißt so ein juveniler Sonderling kein Leiberl bei Disco Donna, Jean Klaue, Skandinator und Co. Doch bevor sich dieser wieder verabschieden muss, lässt er ein wertvolles Amulett mitgehen – eine Aktion, welche die Superschurken so ziemlich erzürnt. Und da ist noch der geschasste Oberfiesling, ebenfalls gierig nach dem Amulett. Darüber hinaus muss dieser seiner verräterischen Meute noch gehörig die Leviten lesen. Zwischen all diesem hitzigen Crossover aus Superschurken, die einander so manches antun und wegnehmen wollen, irren die Minions Kevin, Stuart, Bob und Otto in diversen Outfits umher, um das Amulett zu beschützen und auch ihren geliebten Mini-Boss wiederzufinden. Eine Mission: Impossible für jeden anderen vielleicht. Für Improvisationstalente, wie diese vier Kroketten es sind, zwar nicht unbedingt ein leichtes, aber ein Abenteuer, dass den unbeirrbaren Willen dieser Wesen erneut mit herzhaft angerichtetem Slapstick feiert.

Dabei sind die besten Szenen tatsächlich schon im Trailer zu sehen. Wer das nicht getan hat, wird den Willkommensbonus haben, wenn die Minions ein Flugzeug steuern. Richtig detailfreudig und liebevoll auch deren Genese zu fernöstlichen Haudraufs, die das Tier in sich entdecken. Die skurrile Situationskomik, mit der die Minions einfach allein schon durch ihre schlichte Anwesenheit, durch ihre Mimik und ihre heliuminhalierten Stimmchen punkten, ist immer wieder ein Gaudium. Und gerade in den kleinen Nebenszenen über die Tücken des Alltags erreichen die Kultfiguren ihre Höchstform. Da lässt das generische, aber formschön und exquisit animierte Getöse aus grotesken Vehikeln und phantastischem Kreaturenzauber den Minions kaum Luft, sich zu entfalten. Doch anders als beim Vorgänger ist die Story in Minions: Auf der Suche nach dem Mini-Boss über Schurken und solche, die es wieder oder erstmalig werden wollen, tatsächlich überschaubar und straff konstruiert. Gerade die Figur des Wilden Knöchelknackers, stimmlich vertreten durch Thomas Gottschalk (was ihn auch noch einen Tick sympathischer macht) ist neben Gru die am besten entworfene im ganzen Universum von Illumination, und die Kooperation der beiden wird zur gemütlichen Komödie über Vater- und Sohnfiguren. Und irgendwann weiß man nicht mehr: Ist es ein Prequel zu Ich: Einfach unverbesserlich oder das Sequel zu den Minions?

Der Titel macht uns sicher. Die gelben Engel sind aus der Popkultur einfach nicht mehr wegzudenken und werden trotz mancher Abenteuer, die ihnen über den Kopf wachsen und sie fast an den Rand drängen, noch lange nicht von der Kinoleinwand purzeln.

Minions: Auf der Suche nach dem Mini-Boss

Top Gun: Maverick

BAYWATCH AM HIMMEL

7/10


topgunmaverick© 2022 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JOSEPH KOSINSKI

CAST: TOM CRUISE, MILES TELLER, JENNIFER CONNELLY, JON HAMM, GLEN POWELL, MONICA BARBARO, LEWIS PULLMAN, DANNY RAMIREZ, JAY ELLIS, ED HARRIS, VAL KILMER U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Da hat sich doch einer die Zeit genommen, noch schnell vor dem Film seinem Publikum in den teuer erkauften Sitzen für ihr Engagement zu bedanken, sich aus der Couch geschält zu haben und ins Kino gegangen zu sein. Gute Unterhaltung wünscht der gute Tom uns obendrein, weil das hier, unterm Strich, ist ein Film mit Handschlagqualität – alles echt, nichts gefaked. Nur für uns. Ehrlich, das ist nett. Und ich muss zugeben: Ich mag Tom Cruise, Scientology hin oder her. Mit seiner Glaubensrichtung bleibt der ewig junge Fast-Sechziger relativ inkognito, ich weiß gar nicht mal, ob er noch so aktiv dabei ist, vielleicht das Ambivalent zum U-Boot-Christen, was weiß ich. Es interessiert mich auch deutlich weniger als das nun am Start befindliche 80er-Revival rund um Kampfflugzeuge, die State of the Art sind und natürlich Pilotinnen und Piloten benötigen, die erstens Teamgeist haben, zweitens sich nicht vor jedem Looping in die Hosen machen und drittens auch in Kauf nehmen, eines Tages nicht mehr aus dem Cockpit zu steigen. Dieses Loblied rund um die Elite todesmutiger Piloten und risikofreudiger Kumpels hat 1986 Tony Scott besungen, nach dem Skript von Jim Cash und Jack Epps. Ein Kassenschlager, den das US-Militär nur begrüßen hat können und die US Navy auch unterstützt hat. Durch die Luft schossen damals die formschönen F-14 Tomcats – rund 36 Jahre (!) später sind’s bereits F18-Modelle. Da liegt ganz schön viel Zeit dazwischen. 1986 war ich noch in der Volksschule, Tom Cruise bereits so richtig am Start zum großen Filmstar, was er erstaunlicherweise bis heute geblieben ist. Was noch geblieben ist, sind die Fliegerbrillen, die goldenen Abendstunden, das Abfeiern in der gut besuchten Strandbar, der nonkonforme Idealismus. Im Grunde ist in Top Gun: Maverick alles beim Alten geblieben. Es ist, als hätte man nach Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel eine Zeitkapsel mit allem möglichen filmverwandten Zeugs angelegt, die nun endlich vom Dachboden geholt und nach so langer Zeit geöffnet wurde. Tom Cruise selbst hat das getan – und sein Engagement, dass er gemeinsam mit Regisseur John Kosinski in das Sequel gelegt hat, muss man letztendlich zu schätzen wissen.

Erstaunlich ist, dass sich Top Gun: Maverick wirklich so anfühlt wie ein bisschen aus der Zeit gefallen. All das, was uns Weltbürger gerade so umtreibt, besorgt und bekümmert. All diese Gesamtsituationen, die ein neues Krisenzeitalter vermuten lassen, perlen an Top Gun: Maverick ab wie Regen auf Goretex. Die neue Fliegeraction – überhaupt ein Genre, das seltsam obsolet erscheint – erzählt sein zwischenmenschliches Drama um Erfolg, Ehrgeiz und Nostalgie in einer abgeschotteten Blase der ungestörten Unterhaltung– aalglatt, dosiert pathetisch und auf Hochglanz poliert. Die Fliegerasse sind gepflegt, schön und selbstbewusst. Auch Cruise ist schön, gepflegt und trägt seine Jacke von damals. Geschwindigkeit ist sein Ding, 10 Mach sind so leicht machbar wie ein Großeinkauf vor dem Wochenende. Und Jennifer Connelly, deren beziehungstechnische Vorgeschichte mit Maverick wir nicht kennen, lehnt mit einladendem Lächeln am von Mr. Bond geliehenen Aston Martin, wie in einer Zigarettenwerbung aus den Achtzigern.

Die Marlboro ist aber nirgendwo, das Einzige, das raucht, sind manchmal die Gemüter in einem generischen Generationenkonflikt oder aufgrund triezender Überheblichkeit so mancher Haudegen, die sich mitunter Hangman nennen. Alles sehr vertraut, sehr stilsicher, sehr akkurat. Und dennoch findet Cruise, der hier natürlich mitproduziert und nicht wenig zu sagen hat, die richtige Balance für perfektes Entertainment. Die Luftakrobatik kann sich sehen lassen, die ist wirklich atemberaubend und lässt einen durchaus mit dem Oberkörper mitgehen, wenn sich die F18 durch ein kurvenreiches Tal schlängelt oder 10 G dazu führen, beim Popcornnaschen leicht verkrampft innezuhalten. Joseph Kosinski (Oblivion, Tron: Legacy) gibt hier das Äquivalent zum Bleifuß aus der Fast & Furious-Reihe. Geflogen wird, was das Zeug hält, aber nicht so viel, um nur Nerds zu bedienen. Da sind Emotionen drin, ganz viel Teamwork und helfende Hände. Top Gun: Maverick feiert das Miteinander in einem aussterbenden Genre und skippt die drei Dekaden Lebenszeit einfach so, als wären sie nur eine weitere Schallmauer auf dem Weg zum Heile-Welt-Kino. Harold Faltermeyers Musik sorgt dabei für Gänsehaut.

Top Gun: Maverick

The 355

AGENTINNEN MIT HERZ

6/10


the355© 2022 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SIMON KINBERG

CAST: JESSICA CHASTAIN, DIANE KRUGER, PENÉLOPE CRUZ, LUPITA NYONG’O, FAN BINGBING, SEBASTIAN STAN, ÈDGAR RAMIREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Tatsächlich? Wirklich noch ein Profikillerinnen-Action-Vehikel? Und wieder Frauen gegen Männer? Muss diese Schwarzweißmalerei denn wirklich sein? Die Filmbranche reizt das Thema der weiblichen Emanzipation auch im Actionfach mittlerweile so sehr aus, dass sich kaum jemand mehr nach ballernden Amazonen umdrehen will. In letzter Zeit sind es nicht mal mehr Einzelkämpferinnen wie gefühlt jeder zweite Film von Luc Besson, wie in Kate oder Code Ava oder wie sie alle heißen. Wir haben es nun mit wohlgecasteten Grüppchen zu tun, bevorzugt dogmatischen Killerorden angehörend, die gegen das böse Patriarchat aufbegehren, so gesehen in Gunpowder Milkshake. Auch in The 355 schließen sich vier Frauen zusammen, um den Männern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wir wissen schließlich – sie können es. Ist daher der ganze Action- und Agentenschmafu demnach wirklich nur zum Gähnen? Nicht so sehr wie befürchtet. Und alle Achtung: Simon Kinberg entfernt sich in seinem femininen Schulterschluss von aus der Kindheit traumatisierten X-Chromosom-Kampfmaschinen und holt sich vier namhafte Schauspielerinnen ans Set, die als Agentinnen des jeweils anderen Geheimdienstes einfach nur ihren Job machen wollen.

Doof nur, dass sich alle vier (später sind es fünf) beim Versuch, einen Datenträger brandgefährlichen Inhalts einzukassieren, kontinuierlich in die Quere kommen. Da gibt’s den BND, die CIA und den MI6 – Penélope Cruz als Psychiaterin scheint nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, doch sie vertritt die kolumbianische Fraktion. Das Interessensnetz spannt sich also über den halben Erdball. Und die Sache wäre auch so gut wie ausgestanden, gäbe es nicht die Männerdomäne der Bösewichte, die damit einen Weltkrieg anzetteln wollen. Die vier unterschiedlichen Frauen schließen sich klarerweise bald zu einem Team zusammen, denn der Feind meines Feindes… eh klar. Und das ist auch schon die ganze Geschichte.

Relativ dürftig, um ehrlich zu sein. Doch seltsamerweise fällt diese Banalität weniger ins Gewicht, wenn man sich ansieht, wie herzhaft unprätentiös die vier Ladys – Jessica Chastain, Lupita Nyong’o, Diane Kruger und eben Penélope Cruz – die exponierten Skills resoluter Expertinnen mit einem langweiligen, aber glücklichen Privatleben vereinbaren wollen. Hier ist sich keine zu gut, um die Hilfe der anderen anzunehmen. Keine zu zynisch, um sich von irgendwelchen Fesseln befreien zu wollen. Dieser Umstand erdet The 355 zumindest ein bisschen. Was die dreistellige Zahl wohl bedeutet? Chastain, die den Film auch mitproduzierte, hat darüber Auskunft gegeben. 355 ist der Code der ersten weiblichen Agentin der USA, die im 18. Jahrhundert zur Zeit der Amerikanischen Revolution tätig gewesen war. Seit damals wird der Code immer wieder mal von Geschlechtsgenossinnen angewandt – und somit auch von den vier toughen Damen, die durchaus mal emotional werden oder sich durchaus mal gegenseitig mit der Waffe bedrohen können, das Herz aber am rechten Fleck haben. Diese Sympathie geht einigen Filmen ähnlicher Machart so ziemlich ab. Dort sind die Protagonistinnen unnahbare Ikonen, die nach ihrem Einsatz, so scheint es, lieber wieder auf ihren eigenen Planeten zurückkehren wollen. Chastain & Co allerdings scheinen den Feierabend auf der Couch allen militanten Selbstbehauptungen auf alle Fälle vorziehen zu wollen.

The 355

Uncharted

KOMM, WIR FINDEN EINEN SCHATZ!

7,5/10


uncharted© 2022 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: RUBEN FLEISCHER

CAST: TOM HOLLAND, MARK WAHLBERG, ANTONIO BANDERAS, SOPHIA ALI, TATI GABRIELLE, STEVEN WADDINGTON, MANUEL DE BLAS, RUDY PANKOW U. A. 

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Hätte es das Zeitalter der Piraten nie gegeben, wäre die Welt um erquickende Challenges zum allgemeinen Zeitvertreib ärmer. Schade eigentlich. Wir hätten auch keine Schatzinsel nach Robert Louis Stevenson. Wir hätten auch keine Mythen von vergrabenen Kisten irgendwo an küstennahen Orten unbewohnter Inseln. Diese Piraten, vielleicht gar mit Freibrief der britischen oder spanischen Krone, sogenannte Freibeuter, sind bis heute der Inbegriff für Verwegenheit, Abenteuerlust und einer gewissen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ähnlichen Unternehmern, die vom frühen 16. Jahrhundert an in ihren schwankenden Galeonen die Weltmeere unsicher und die Daheimgebliebenen um Geschichten reicher gemacht hatten. Disney, gemeinsam mit dem schrägen Helden Jack Sparrow, hat das exotische Abenteuer ins 21. Jahrhundert gerettet. Videospiele sind da mitgezogen, wenngleich nicht mehr im Kontext historischer Begebenheiten. Eines davon: Uncharted (was so viel heißt wie; unerforscht, nicht verzeichnet). Spielfigur Nathan Drake, dessen Vorfahr womöglich der berühmt-berüchtigte Sir Francis Drake gewesen sein soll, weckt bei Spielern, und jetzt auch im Kino, das kindliche Entdecker-Gen aus früheren Zeiten, als es im Rahmen des Kindergeburtstags von den Eltern inszenierte Schnitzeljagden gab. Später dann, war der Nachwuchs schon älter, stand Geocaching auf dem Plan. In Uncharted werden Motive der guten alten Piraten aus der moralischen Grauzone mit der spitzbübischen Freude am Schatzsuchen verbunden. Ein bisschen Black Pearl, ganz viel die große weite Welt. Und der Thrill, schneller als die anderen das Rätsel der Schatzkarte lösen zu müssen.

Dazu braucht es Artefakte, gierige Antagonisten und ein Buddy-Team, das einander genauso wenig vertraut wie es Piraten getan haben, die sich zum Entern vereint haben. Kenner des Spiels wissen: Drake ist eine Waise, sein Bruder Sam verschollen. Aus dem Nichts taucht der charismatische Abenteurer Victor Sullivan, genannt Sully auf, erzählt dem Mittzwanziger von seinem Bruder und von der Sache mit Magellans Schatz, dem dieser gemeinsam mit ihm auf der Spur war. Jetzt braucht es Drakes Hilfe, um den Weg zum großen Reichtum zu ebnen, der irgendwo in der Bandasee nahe den Philippinen sein muss, denn Magellan – das weiß man – hat’s damals, 1521, nicht mehr bis ganz nach Hause geschafft. Der ominöse Schatz womöglich auch nicht, welcher aber eigentlich der (fiktiven) Familie Moncada zustehen müsste – damals Geldgeber des berühmten Entdeckers und nun, mit Antonio Banderas als jüngstem Spross, drauf und dran, ihr Recht zu beanspruchen. Was folgt, ist ein Tricksen und Austricksen, mal mit Erfolg, mal so richtig in die Hose gehend. Tom Holland und Mark Wahlberg tragen es mit Fassung, wahren stets einen Seitenhieb für den jeweils anderen auf ihren Lippen und machen auch noch die Rechnung ohne der mysteriösen Chloe, die eine eigene Vorstellung davon hat, wie der Coup laufen soll.

Seit Fluch der Karibik von Gore Verbinski und Janoschs Komm, wir finden einen Schatz! waren Schnitzeljagden quer durch fernwehweckende Territorien nicht mehr so launig und abenteuerlustig wie in Ruben Fleischers Verfilmung des Gaming-Kults. Holland und Wahlberg haben Spaß an der Sache. Sie sind zwar niemals jemand anderer als sie selbst, doch auch bei ihnen wird’s das Flashback aus der eigenen Kindheit gegeben haben, in der man sich aufgeschürfte Knie holt oder mit nassen Klamotten zurück ins Haus läuft. Uncharted hat keinerlei Längen, bringt seinen Plot auf den Punkt und lässt seine romantisierten Neuzeit-Piraten bei gutem Wind perfiden Bolzenfallen ausweichen und über tropische Gewässer schippern. Dabei verbeugt sich Fleischer vor dem Nonplusultra des augenzwinkernden Abenteuers, nämlich der Indiana Jones-Franchise, die in Uncharted garantiert die zeitgemäßere Version seiner selbst erkennen und wohlwollend abnicken wird.  

Zum Glück gerät Uncharted nicht zu einem High-Tech-Spektakel, sondern erdet sich mit rustikalen Freizeitpark-Schauwerten, die Parcours-Action satt bieten und den Escape Room-Hype genauso feiern wie Jump and Run-Sequenzen von der Konsole. Fleischer (u. a. Zombieland) gelingt ein erstaunlich aufgeweckter Einstand, der die Physik des verwegenen Abenteuers bedient, die zwar wenig mit der Realität zu tun hat, ohne die aber ein Genre wie dieses gar nicht existieren kann, würde man sympathischen Burschen wie Nathan Drake den Pfad ins Ungewisse nicht in die Gunst namhafter Ahnen stellen.

Uncharted