Gladiator II (2024)

DIE HAIE DES ALTEN ROM

5/10


gladiator2© 2024 Paramount Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: RIDLEY SCOTT

DREHBUCH: DAVID SCARPA

CAST: PAUL MESCAL, DENZEL WASHINGTON, CONNIE NIELSEN, PEDRO PASCAL, FRED HECHINGER, JOSEPH QUINN, TIM MCINNERNY, DEREK JACOBI, ALEXANDER KARIM, LIOR RAZ, RORY MCCANN U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Jetzt hatte ihm doch glatt dieser Deutsche namens Roland Emmerich den optimalen Drehort weggeschnappt – die Cinecittà-Studios in Rom. Als ob das nicht schon genug des Schlittenfahrens mit einem alteingesessenen Regie-Veteran wäre – die Rede ist von Ridley Scott – will der Master of Desaster, nämlich Emmerich, dem Meister der Massenszenen auch noch die Show stehlen. Der hatte zu dieser Zeit schließlich die auf amazon längst feilgebotene Sandalen-Serie Those About To Die gedreht: Hickhack im Kolosseum oder im Circus Maximus, alles vor den Kulissen antiken römischen Polit-Geplänkels. Ridley Scott wollte das gleiche machen, hat aber woandershin ausweichen müssen, eben nach Malta und nach Marokko, auch keine schlechten Drehorte, da gibt es schlimmeres. Sein Kolosseum kann Scott auch woanders fluten, teilweise auch am Rechner, von dort peitscht schließlich auch das Mittelmeer an die numidische Festung und bringt den Tod auf Schiffen mit sich. Die größte von ihm gedrehte Schlachtenszene, will Ridley Scott schließlich bemerken. Was Besseres hat er, so meint er, noch nicht hinbekommen. Damit hat der Meister seines Fachs schon genug die Werbetrommel gerührt, denn wenn Scott von sich schon so beeindruckt ist, wie beeindruckend kann das Ganze dann fürs Publikum sein, welches die spektakulären Bilder der Schlacht von Austerlitz aus Napoleon noch taufrisch im Oberstübchen weiß. Die hat es schließlich gegeben, als Dreikaiserschlacht steht sie als Gamechanger in den Geschichtsbüchern.

Die Invasion unter Feldherr Justus Acacius hingegen gab es nie. Ridley Scott ist das egal, uns soweit eigentlich auch. Man kann davon ausgehen, dass diese Seeschlachten und Belagerungen ungefähr alle so aussahen wie zu Beginn des Schinkens Gladiator II, dem Sequel des vor einem Vierteljahrhundert das Genre des Historienfilms wiederbelebten Klassikers mit Russel Crowe, der unter den berührenden Klängen von Hans Zimmer den Sand der Arena kosten musste. Er und Joaquin Phoenix als unberechenbarer, charismatischer Diktator lieferten sich ein Duell der Extraklasse. Was war das nicht für ein großes emotionales Schauspielkino, das man bei Gladiator II leider vermisst. Jeder tut hier, was er kann, doch stets für sich, ohne durch ein ausgefeiltes Teamplay Synergien zu entwickeln, die packendes Kino eben ausmachen. Ridley Scott und sein Drehbuch-Buddy David Scarpa, der schon die Filmbiografie des kleinen Korsen verfasste, schicken allerhand vom Schicksal gebeutelte gute und verrückt-sardonische Böse ins Rennen um die Macht, um Ansehen und die Freiheit in einem Weltreich, das damals womöglich in einer ähnlichen Krise festsaß wie heutzutage so manche Supermacht.

Zwei Narren namens Caracalla und Geta (ja, die hat es gegeben) vergnügen sich mit Spielen und wenig Brot für die Untertanen, der spätere Konsul und Gladiatorenmacher Macrinus (hat’s auch gegeben) intrigiert sich an die Spitze und instrumentalisiert dabei den Numider Hanno, in Wahrheit Lucillas und Maximus‘ Sohn Lucius, den es namentlich zwar auch gegeben hat, aber eine völlig andere Rolle spielt. Diese Figuren also schicken Scott und Scarpa auf die Spielwiese ins Zentrum der ewigen Stadt, die auf verblüffende Weise wieder aufersteht und ein authentisches Gefühl dafür vermittelt, wie es damals zugegangen sein muss. Es schieben sich die Massen über das Forum Romanum, es lebt das landwirtschaftlich genutzte Umland, es brennen die Fackeln über den Köpfen einer Menge an aufständischen Bürgern, die in der Düsternis der abendlichen Metropole gegen die Diktatoren demonstrieren. Hier liegen Scotts Stärken, die er egal in welchem Film mit geschichtlichem Kontext stets auf vollkommene Weise ausspielen kann. Wie er das macht, und vor allem, wie effizient (Drehtage gab es lediglich knapp 50), ist erstaunlich. Und ja, da gibt es keinen zweiten, der ihm da das Wasser reicht. Und wenn doch, dann ist es vielleicht eingangs erwähnter Emmerich, der die brachiale Opulenz des Leinwandspektakels zwar nicht ganz so auf Hochglanz poliert wie sein britischer Kollege, aber zumindest weiß, wie er die ausstattungsintensiven Settings wieder kaputtmacht.

Wie bei Gladiator aus dem Jahr 2000 beginnt Gladiator II mit einem Schlachtengemälde, gesteckt voll mit überzeugenden Kulissen und selbstredend ohne historische Akkuratesse. Am Ende sammelt Ridley Scott wieder die Massen, es raubt einem den Atem, wenn die römischen Heere aufmarschieren, auch dort ohne Gewährleistung wissenschaftlicher Genauigkeiten. Experten raufen sich sowieso schon längst die Haare, vorallem, weil Scott hier noch weniger Acht gibt als er es sonst tut. Er nimmt sich aus der Geschichte, was er brauchen kann, und nur anlehnend an Tatsachen setzt er diese Elemente so zusammen, als wäre sie die freie Interpretation irgendwelcher Legenden. Das kann er machen, das tun so manche Serien (Vikings, Last Kingdom) ebenso. Streiten lässt sich darüber angesichts der Fülle an Fehlern irgendwann gar nicht mehr.

Zwischen den bildgewaltigen Szenen dümpelt allerdings ein inspirationsloses Popcornkino dahin, das Talente wie Paul Mescal (u. a. Aftersun), Pedro Pascal und Denzel Washington maximal routiniert aufspielen lässt. Mescal ist dabei erfrischend kaltschnäuzig dank seiner Situation des Kriegsgefangenen, der seine bessere Hälfte von den Römern ermordet weiß. Warm wird man mit ihm nie, auch Pedro Pascal bringt niemanden zum Erzittern. Er ist Figur durch und durch, lebt sie aber nicht. Washington erzeugt die meisten Vibes, während Connie Nielsen mit ihrer ambivalenten Figur der Lucilla völlig überfordert scheint. Sie sucht die flucht im flachen Spiel kolportierter Emotionen. Es scheint, als hätte Emmerich die Regie übernommen, wofür auch Haie bei der nachgestellten Schlacht von Salamis und räudige Paviane blutdürstend Zeugnis ablegen.

Geschichtskino kann Ridley Scott deutlich besser. Warum es ihn nicht losgelassen hat, unbedingt den Gladiator fortzusetzen, der niemals auch nur einmal danach verlangt hätte, mag mir ein Rätsel bleiben. Vielleicht ist es wieder nur das Geld, doch Scott ist mit seiner eigenen Produktionsfirma sowieso der Gunst des Publikums längst erhaben. Man kann nur hoffen, dass das Feintuning bei ihm wieder zurückkehrt, auch die Lust am filmischen Standalone eines Monumentalfilms ohne Drang nach Fortsetzung. Mit dieser Art von Film schließlich tut sich Scott seltsam schwer.

Gladiator II (2024)

Maria Magdalena

JESUS UND DIE FRAUEN

7/10

 

MariaMagdalena© 2018 Universal Pictures

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: GARTH DAVIS

MIT ROONEY MARA, JOAQUIN PHOENIX, TAHAR RAHIM, CHIWETEL EIJOFOR U. A.

 

Blickt man dieser Tage ganz genau ins Kinoprogramm, wird klar, dass Ostern vor der Tür steht. Da feiert das verschwindende Genre des ökumenischen Films meist eine kleine Auferstehung. Die aber kaum ins Gewicht fällt, lässt sich die Anzahl thematisch verwandter Filme auf Eins hochrechnen. Was mich kaum wundert, denn die christliche Religion ist kurz davor, sich aus hausgemachter Ursache in einer gewissen Bedeutungslosigkeit zu verlieren. Kaum jemand, mit dem ich über das Christentum spreche, kann dieser Religion noch etwas abgewinnen. Vom Einfluss, den das patriarchalische Glaubenskartell mal hatte, gefestigt durch Kreuzzüge, einer unumstößlichen Hierarchie und gestopft voll mit Geld, ist kaum mehr etwas übrig. Der religiöse Film ist meist einer, der sich entweder mit der Abkehrung vom Glauben beschäftigt – oder versucht, zeitrelevante Aspekte aus der Heilsbotschaft zu bergen. Erfolgreich sind diese Filme alle nicht. Da muss schon gehörig viel Blut fließen, um die Kassen klingeln zu lassen. Die Passion Christi, einer der erfolgreichsten Religionsfilme überhaupt, ist mittlerweile in der TV-Landschaft der Karwoche genauso garantiert wie das wiederholte Jour fixe für Ben Hur. Ist man die Wiederholung der peinvollen Passionsgeschichte und Charlton Heston schon ziemlich leid, lockt aktuell eine ganz andere Randfigur des Neuen Testaments vielleicht sogar Agnostiker und Querdenker ins Kino, die anderswo vielleicht gerne Bibelrunden aufmischen und dort Reibung suchen, wo sie längst fällig ist.

Die Rede ist von Maria Magdalena. Und all die Agnostiker und Bibelrundenaufmischer werden einerseits fasziniert sein von Rooney Mara´s so pathetischer wie hochemotionaler Interpretation der einzigen Apostelin unter den Aposteln, andererseits aber auch enttäuscht sein, weil Regisseur Garth Davis sichtlich notwendige Kontroversen scheut. Der Macher von Lion entspricht mit seiner Traumbesetzung der ersten Zeugin von Jesu Auferstehung wohl dem am meisten verbreiteten Bild, den Bibelkundige von Maria Magdalena haben. Langes, schwarzes Haar, ein zartes Gesicht, sanftes Lächeln, die Güte schlechthin. Was dazu kommt, ist der Intellekt, das Begreifen und der Mut, den alten Dogmen zu trotzen. Diese Aufgabe erfüllt Rooney Mara ausgesprochen gut. Und der Klerus wird zufrieden sein. Womit er vielleicht nicht zufrieden sein wird, ist die bedeutende Rolle, welche nicht nur Maria Magdalena, sondern die Frauen überhaupt in Jesus´ unmittelbarer Nähe einnehmen. Dabei war mir bislang nicht bekannt, dass die „Hure“ aus Magdala erstens womöglich gar keine war, und zweitens im Jahre 2016 als erste Apostelin unter den Aposteln rehabilitiert wurde. Eigentlich nur eine Frage der Zeit, dieser Reform einen gebührenden Widerhall in der Kunst zu verschaffen, ging doch dieses Zugeständnis selbst bei mir als interessierten Freizeitexeget so ziemlich spurlos vorüber. Dass Maria von Magdala den wenig durchblickenden Aposteln die Welt erklären muss, mag dem Patriarchat noch saurer aufstoßen.

Aspekte also, die Reformen anregen könnten. Käme es einem nicht so vor, als wäre Garth Davis die Passionsgeschichte eigentlich wichtiger. Im Grunde ist alles bestens, wir erfahren Marias fiktiven, aber möglichen Ursprung, wir zeigen uns mitfühlend ob ihrer inneren Zerrissenheit. Doch dann kommt der Messias. Maria folgt ihm, ganz klar. Und wird zur Statistin degradiert, die Davis laufend aus den Augen verliert. Gegen die Heilsgeschichte hat die empathische Fischerstochter mit sozialer Ader kaum eine Chance. Zu sehr ist Garth Davis von Joaquin Phoenix ungestümer Performance eines derben Jesus mit verlorenem Blick fasziniert. Und dann fällt ihm wieder Maria Magdalena ein. Kehrt zurück zu ihr, sucht sie in der Menge. Lässt sie erst wieder gegen Ende zu Wort kommen. Lässt sie Judas (großartig: Tahar Rahim) erfolglos therapieren und mit Petrus diskutieren. Das sind dann die spärlichen, aber besten Momente. Jene, in denen die Botschaft des Nazareners für Kontroversen sorgt.

Die mögliche Biografie einer Heiligen umschifft großräumig jeglichen Kitsch, taucht seine durchaus berührende Erzählung in Bilder voller Morgenlicht und blaue Stunden. Setzt einer Ikone gleich Rooney Mara´s erwartungsvoll blickendes Konterfei unter leinenem Tuch ins weiche Licht des Tages. In der Reduktion auf das levantinische Karst und den schmucklosen, rauen Gewändern der Protagonisten liegt puristisches Pathos, das aber kein Fehler ist, sondern eine angenehm entreizte Bühne. Im Widerspruch dazu weiß der Soundtrack nicht so recht zu passen – stilistisch völlig verwirrt, folgen auf penetrant klassischen Geigen A capella-Chöre und später besinnlichere Klänge. Die Geräusche des Windes, der Regen, das Wasser wäre Soundtrack genug gewesen, vor allem für einen Film, der in seiner spartanischen Aufmachung und Aussage ebendies auch akustisch verlangt hätte.

Ein leider nur zaghafter, aber immerhin feministischer Ansatz, mit dem Garth Davis die Relevanz seines Films rechtfertigt. Das muss ich zugestehen, lässt Maria Magdalena letzten Endes dennoch befreit durchatmen. An den Glanz der Erkenntnis in den Augen einer bislang verkannten Apostelin wird man sich gerne erinnern. Und vielleicht auch wieder etwas mehr an die unorthodoxe Botschaft eines Mannes, der seiner Zeit weit voraus war.

Maria Magdalena