Lady Macbeth

HERRIN DES HAUSES

6/10

 

ladymacbeth© 2017 Koch Media 

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2016

REGIE: WILLIAM OLDROYD

CAST: FLORENCE PUGH, COSMO JARVIS, PAUL HILTON, NAOMIE ACKIE, CHRISTOPHER FAIRBANK U. A. 

 

Der intrigante Wahnsinn hat einen Namen, und zwar einen sehr klassisch-literarischen: nämlich Lady Macbeth. Kenner des Shakespeare-Königsdramas wissen, dass diese Dame keine unwesentliche Rolle dabei spielt, wenn Heerführer Macbeth an die Macht kommt. Der wiederum war fast schon Marionette in ihren Fingern, und beide gehen sogar so weit, neben dem altbekannten Königsmord auch noch einen Kindsmord zu begehen. Als Folge dieser grauenhaften Handlungen des tyrannischen Ehepaares verfallen beide natürlich dem Wahnsinn, ein klarer Fall von logischer Konsequenz für den englischen Dichter, denn so viel Bosheit darf nicht ungesühnt bleiben. Kein erbauliches Stück also, diese Tragödie, in der entweder alle den Verstand verlieren oder sterben. Nikolai Leskow hat diesen Stoff adaptiert, in seiner Novelle Lady Macbeth von Mzensk. Er hat das Ganze mal etliche hundert Jahre in die etwas hellere Zukunft geholt, und zwar ins 19. Jahrhundert. Tyrannen wettern auch da, zum Beispiel an diesem herrschaftlichen Landsitz eines britischen Patriarchen, dessen Sohn im Zuge eines Landkaufs die Tochter des Verkäufers ehelichen hat müssen, für die er so gut wie nichts empfindet, die ihm mehr Klotz am Bein als sonst was ist. Und die dieser aber auch dementsprechend unschön behandelt. Die Erfüllung ehelicher Pflichten gibt’s sowieso nicht, und vor die Tür darf die junge Frau auch nicht gehen. Schlimmer noch ist der Schwiegervater – ein Scheusal unter dem Herrn, erniedrigend, abstoßend und bis in jede Faser seines Altersgrants alles Nonkonforme ablehnend. Da lobe ich mir den Papa von Jane Austens Emma – dieser hier ist die krasse Antithese. Catherine ist also in einem goldenen Käfig gefangen, wenn man so will. hat keine Rechte, aber auch keine Pflichten. Ist nichts, nur verheiratet. Langweilt sich tagaus, tagein – bis sie auf den Stallburschen Sebastian trifft, mit dem sie natürlich eine Liaison beginnt.

Sebastian, gespielt von Singer und Songwriter Cosmo Jarvis, steht natürlich als Heerführer Macbeth zwischen den Pferden, den koketten Dienstmädchen und der Herrin des Hauses. Und entscheidet sich nach einem Nacht- und Nebel-Quickie, mit letzterer gemeinsame Sache zu machen. Lady Macbeth ist die seit den Oscars 2020 in aller Munde befindliche Florence Pugh, die eben erst für ihre Rolle in Greta Gerwigs Little Women nominiert wurde und in Ari Asters Midsommar um ihr Leben plärren muss. Pugh hätte ja jetzt sogar mit Black Widow noch größer rauskommen sollen, doch der Blockbuster wurde ja bekanntlich verschoben. Immerhin gibt’s noch Richard Oldroyds Filmadaption von Leskows Theaterstück, und da zeigt die 24jährige, was sie prinzipiell sonst noch drauf hat – die Masche einer teils raschsüchtigen, teils habgierigen, teils emanzipierten Intrigantin. Sie tut das, ohne groß mit der Wimper zu zucken. Man sieht aber, dass sie stets hinter ihrem starren Blick und ihrer guten Miene böse Pläne schmiedet, die den anderen nicht gut bekommen. Es ist kein Geheimnis, was folgen wird. Und es folgt nichts Gutes, in diesem kalten, seelenlosen Gemäuer. Die Seelen aber, die hier hausen, haben selbige schon längst jemand anderem verkauft. Karge vier Wände, hie und da elegante Möbel, und alles, das Leblose wie das Lebendige, umgibt eine Aura der Kälte, sei sie nun berechnend oder tief verwurzelt. Diesen Film ohne zusätzliches wärmendes Textil zu sehen, ist fast schon unmöglich.

Oldroyd inszeniert akkurate, klare Bilder, verzichtet auf Schnörkel, und lässt auch sein Ensemble unter erschreckender Gefühlsarmut leiden, die selbst beim Unvorstellbaren Probleme hat, sich zu artikulieren. Diese In Cold Blood-Adaption eines klassischen Stoffes ist in strenge Formen gegossen, bleibt abweisend und ohne Reue. Und jene, die so etwas ähnliches vielleicht ansatzweise empfinden, haben in der Welt von Lady Macbeth nichts verloren.

Lady Macbeth

Sweet Country

TRISTESSE IM BUSCH

6/10

 

sweetcountry© Grandfilm 2017

 

LAND: AUSTRALIEN 2017

REGIE: WARWICK THORNTON

CAST: HAMILTON MORRIS, SAM NEILL, BRYAN BROWN, EWAN LESLIE U. A.

 

Wenn vom Weltuntergang die Rede ist, dann ist das für viele sicherlich irgendeine kataklysmische Einwirkung aus dem Weltall. Dass die Vernichtungen ganzer Kulturkreise, die ihre eigenen Welten hatten, bereits stattgefunden haben, wird mangels globaler Relevanz gerne vergessen. Das Schwarzbuch der Menschheit kann hier Abhilfe schaffen. Oder eben Filme. Wie zum Beispiel Sweet Country. Dieser sagen wir mal Western aus Down Under ist ein Drama, das eine reale postapokalpytische Welt beschreibt, und zwar für jene, die uns allen als das Volk der Aborigines geläufig ist. Das Urvolk Australiens braucht eigentlich nicht mehr auf Armageddon zu warten. Genauso wenig die Ureinwohner Tasmaniens, wurden die doch komplett ausgelöscht. Diese historische Tendenz zur Volksvernichtung und ein spätes (Unter)bewusstsein für Verantwortung könnte womöglich auch der Grund sein, warum australische Filmschaffende gerne auf postapokalyptische Szenarien zurückgreifen. Mad Max zum Beispiel, die Kult-Endzeit schlechthin. Oder das Netflix-Zombiedrama Cargo. Gerne als Geheimtipp gehandelt: The Rover von David Michôd mit Robert Pattinson. Düster, düsterer – australische Zukunft. Sweet Country spielt zwar nicht in der Zukunft, fühlt sich aber genauso an. Was genau denn, so fragen kritische Stimmen, soll man gesellschaftlich Erbauliches aus der Terra incognita eigentlich berichten? Die Fauna und Flora, ja, die ist einzigartig, keine Frage. Die Wüsten, das Outback und vor allem die Küsten im Westen, vorzugsweise menschenleer.

In Warwick Thorntons grimmigem Anti-Heimatfilm sind viele der Ureinwohner devote Helfer der Weißen, nur ein Hungerlohn unterscheidet sie vom Dasein als Sklaven. Die Weißen – die sind bis auf wenige Ausnahmen hässliche, raue Männer, die keine Liebe kennen, keine Achtung und keinen Respekt. Thorntons weiße Männer sind Monster, quälen den Unterdrückten, berauben ihn der Freiheit und keifen ihn zu einem Häufchen Elend zusammen wie einen Hund, der vom Napf des Herrchens kostet. Szenenweise erinnert Sweet Country an 12 Years a Slave – vor allem in seiner Schilderung der zeternden Tyrannen, die niemandem Rechenschaft schulden und die in ihrem Glauben an das Faustrecht des Stärkeren denken, alle Rechte der Welt zu besitzen, auch die für Mord und Missbrauch. Das ist gesetzlose Anarchie nach dem Zusammenbruch einer staatlichen Ordnung. Oder dort, wo gar keine hinkommt, ähnlich wie im wilden Westen, wo der Arm des Gesetzes kurz ist. Nur – in Australien ist die Weite nur bedingt erschließbar, der Busch undurchdringlich, und das, was erschließbar ist, radikaler gesäubert oder assimiliert. Jenseits davon – das Niemandsland für das letzte Häufchen Einwohner, die dem Faustrecht ohnmächtig gegenüberstehen.

Sam Neill als eremitischer Farmer ist in Sweet Country aber einer der Guten. Allerdings der einzige. Bei ihm haben die Aborigines Sam, dessen Frau und beider Nichte ein gutes Auskommen als manch ein Indigener anderswo. Doch die Revierherren angrenzender Territorien ticken da ganz anders, schnorren Farmer Neill für ein paar Tage das Personal ab und behandeln dieses natürlich wie den letzten Dreck. Als die drei zurückkehren, hetzt einer der herrischen Unmenschen ihnen nach, um sie wegen dem Verschwinden eines anderen Knechts zu belangen – und eröffnet das Feuer. In dieser brenzligen Situation greift Sam selbst zur Waffe – und knallt den Weißen ab. Folglich ist dieser Freiwild, und das Gesetz, oder das, was von ihm übrig ist, folgt dem Flüchtenden hinterher. Allerdings wohl mehr aus einem rassistisch geprägten Impuls und aus Rache als aus einem Bewusstsein für Recht und Ordnung. Tief ins Outback hinein führt die Suche nach jemandem, der nur aus Notwehr gehandelt hat.

Die Aussichten für den indigenen Australier Sam sehen schlecht aus, das spürt man als Zuseher in jeder Sekunde. Der Hass auf jene, denen das Land gehört, verflucht den Boden unter deren Füßen. Was daraus wuchert, ist körperliches wie seelisches Leid. Der Australier John Hillcoat hat 2005 einen nicht weniger zermürbenden Hexenkessel zwischen bröckelnder Zivilisation und Wildnis geschaffen – The Proposition mit Guy Pearce lässt das Blut zwar noch mehr in den staubtrockenen Boden sickern als Sweet Country – der nihilistische Grundtonus ist bei beiden Filmen aber ähnlich. Ein Spaziergang ist diese Art des Western Noir wirklich nicht, schon gar nicht, wenn es letzten Endes nicht mal mehr Hoffnung gibt. Hillcoat sowie in diesem Fall Thornton zeichnen ein hoffnungsloses Bild jenseits von Känguru, Uluru und Bumerang, auch wenn die menschenfeindliche Natur als dramaturgischer Joker in die Karten der verfeindeten Parteien gemischt wird. Die Tristesse dieses ethnischen Schicksals legt sich in bleierner Resignation wie ein grauer Schleier über den Film, der jegliche Zuversicht filtert – selbst das Abendrot birgt bereits die Bürde des kommenden Morgens. Der wird für einige nicht mehr anbrechen, was angesichts dieser kaputten Koexistenz zwischen Whitefellas und Blackfellas vielleicht sogar das geringere Übel ist.

Sweet Country

Macbeth (2015)

IM NEBEL DER DICHTUNG

6/10

 

macbeth© 2015 Studiocanal

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2015

REGIE: JUSTIN KURZEL

CAST: MICHAEL FASSBENDER, MARION COTILLARD, DAVID THEWLIS, PADDY CONSIDINE, JACK REYNOR U. A.

 

So eine Witterung ist gut für die Nebenhöhlen. Morgens raus auf auf die baumlosen Ebenen des schottischen Hochlands und den dichten Bodennebel mal so richtig durchziehen lassen. Obendrein ist Feuchtigkeit auch noch gut für die Haut. Wenn man da nicht auch noch gleich in eine Schlacht verwickelt werden müsste, die Heerführer Macbeth gegen die Widersacher des schottischen Königs Duncan auszutragen hat. Da gibt die feuchtkalte Luft auch optisch einiges her, vor allem, wenn das Licht im flachen Winkel auf die in Superzeitlupe heranstürmenden Schotten trifft. Bei so viel Grazie von Mord und Totschlag fangen Anhänger der LARP-Gemeinschaft (Live Act Role Play) womöglich das Träumen an. Das ist in Szene gesetztes Mittelalter, da reicht die hauseigene Digicam, sofern man die Schlachten nachstellen will, auch nicht mehr aus. All die schmerzverzerrten Gesichter wie aus der Zeit gefallene Fotografien, fast schon bis zum Stillstand verlangsamte Leiber im diffusen Dampf, gestaffelt bis zur erahnbaren Spukerscheinung, ganz vorne der Hauptakteur dieses blutgetränkten Dramas, welches keine andere Tragödie sein kann als die des Usurpators Macbeth, auf immer verewigt von William Shakespeare. In der Hand das Schwert. Diese Waffe aus Stahl, die ist längst mehr als nur ein Werkzeug, um zu töten. Das wissen wir seit Excalibur. Seit Balmung. Seit Bilbo´s Stich. Wenn die Klinge im feuchten Boden steckt, leicht vibrierend, dann ist etwas Weltbewegendes passiert. Solche Szenen, die sind ikonisch und eignen sich bestens für ein Theater wie dieses.

Justin Kurzel, der sich später in ähnlich vergeistigter Manier an die Videospielverfilmung Assassins Creed herangewagt hat und für manche zu oft Stimmung mit packender Geschichte verwechselt hat, erarbeitete sich den Beweis seines Könnens mit einem zentnerschweren Brocken Literaturgeschichte. Macbeth inszeniert und spielt man einfach nicht nur so. Das will ins richtige Licht gerückt werden. Und am besten noch in den originalen Versen eines Shakespeare erzählt werden. Da passt die sphärische Bilderflut in den gestreuten Farben des Fegefeuers natürlich bestens dazu. Und Macbeth kann noch so klassisch und unkritisierbar sein – es ist die Geschichte eines von vielen Tyrannen, die sich an die Macht intrigiert und getötet haben, in wütender Barbarei geherrscht und dann schmählich untergegangen sind. Die blutige Tragödie aus dem sehr frühen 17. Jahrhundert lebt natürlich in erster Linie zumindest gegenwärtig von den wohlklingend ausformulierten Worthülsen, die die Chronik einer finsteren Regentschaft in eine atemberaubende Sprache kleiden. Das todessehnsüchtige Intrigenspiel als solches ist aber in Zeiten detailverliebter Mittelalterdystopien wie Game of Thrones zwar nach wie vor ein dankenswerter Einstand, auf den Filmemacher und Romanschreiber respektvoll zurückblicken – in Anbetracht der Erwartungshaltung der Genre-Fans bleibt Macbeth grob umrissen, auf die Eckpfeiler der Historie reduziert und viel zu getragen, um emotional mitzureißen. Da macht es auch keinen großen Unterschied, ob das Königsdrama rein fiktiv oder historisch fundiert ist. Das mag für eingefleischte Schotten vielleicht relevant sein, für alle anderen ist das Schicksal von König Macbeth und seiner besseren Hälfte, die Lady selbigen Namens, ungefähr genauso fern wie Westeros.

Dennoch beschert uns Regisseur Kurzel einen wuchtigen Augenschmaus zwischen Schattentheater, flackerndem Kerzenlicht und feuchtkalter Ödnis – Szenerien, die die Möglichkeiten einer Theaterbühne geschickt erweitern (es sei denn, wir haben es mit Bühnen wie jener des Wiener Burgtheaters zu tun, die eigentlich fast schon alles kann). Michael Fassbender in Kriegsbemalung und als gekröntes Haupt ist vielleicht nicht die absolut ideale Wahl für so ein irrsinniges Machtmonster wie Macbeth, da fehlt mir dann doch der Wahn des Alleinherrschers, dafür ist Fassbender zu folgsam und zu sehr verliebt in seine Verse, die er da sprechen muss. Das kann bei Schauspielern, die Shakespeare über alles stellen, relativ leicht passieren. Marion Cottilard hingegen ist erwartungsgemäß entrückt wie es die Rolle auch vorschreibt, ihr Zwiegespräch mit dem verstorbenen Nachwuchs ein schauderhaftes Highlight.

Macbeth ist also nicht ganz die unvergessliche Interpretation des Barock-Dichters mit Halskrause, wobei Sir William wohl zufrieden wäre mit all den Tänzen aus Licht und Schatten, die seine Worte zweifelsohne effektiv verstärken.

Macbeth (2015)