Die Kairo Verschwörung (2022)

WIE MAN EINEN ENGEL REKRUTIERT

6/10


kairoverschwoerung© 2022 Atmo-X-VerleihAG


LAND / JAHR: SCHWEDEN, FRANKREICH, FINNLAND, DÄNEMARK 2022

BUCH / REGIE: TARIK SALEH

CAST: TAWFEEK BARHOM, FARES FARES, MOHAMMAD BAKRI, MAKRAM KHOURY, MEHDI DEHBI, RAMZI CHOUKAIR, JAWAD ALTAWIL, SHERWAN HAJI, AHMED LAISSAOUI U. A.

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Wie sieht es denn eigentlich hinter den Kulissen des bei Touristen wohl beliebtesten islamischen Landes aus? Pyramiden, die Sphinx und unzählige archäologische Sights sind Geldquellen für einen Staat, der Religion und Politik ungern trennt und gerne Einfluss hat auf die an den Lehrstätten geführte Tonalität der Koran-Exegese. Die wird in den ehrwürdigen Hallen und Plätzen der Al Azhar-Universität betrieben, einer islamisch-wissenschaftlichen Institution von internationalem Rang. Wer hier sein Studium beginnt, kann sich glücklich schätzen. Es ist die intellektuelle Elite, und der Imam eine einflussreiche Person, die wohl vorgibt, welche Art Auslegung des Islam in Zukunft gelebt werden wird. Als glücklich kann sich auch Adam schätzen, der Sohn eines bescheidenen Fischers. Als er der Willkommensrede des Oberhaupts beiwohnt, geschieht das Unfassbare: Der Imam muss seinen Text unterbrechen, kurze Zeit später verstirbt er.

Der Imam ist tot, es lebe der Imam – das Vakuum, das plötzlich vorherrscht, ist dem eines Königshauses ohne bestimmten Nachfolger nicht ganz unähnlich. Der Neue soll zumindest einer sein, der mit den politisch-gesellschaftlichen Ansichten des Staates d’accord geht. Da es aber drei Kandidaten gibt, die für das Amt infrage kommen, muss die Staatsicherheit aktiv werden – und einen Spitzel rekrutieren, der das Zeug hat, das Verhalten der Kommilitonen zu manipulieren und die Voraussetzungen für die Wahl des einzig richtigen Imams zu steuern. Ob er will oder nicht, kommt Adam zum Handkuss. Er wird, als sein Vorgänger auffliegt, zum neuen „Engel“ ernannt, der nun tun muss, was sein Auftraggeber, der ambivalente und wenig zimperliche Ermittler Ibrahim (Fares Fares), ihm befiehlt. Scheich Omar Bewlawi muss die Wahl gewinnen, komme was wolle. Adams Leben und das seines Vaters stehen auf dem Spiel, und bald erschüttert ein Mord die ehrwürdigen Arkadengänge der Universität.

Tarik Saleh, ein schwedischer Filmemacher mit ägyptischen Wurzeln, hatte schon 2017 einen Film über das Land seiner Ahnen hingelegt, der nicht nur mit den Wassern des Nil, sondern sonst auch mit allen anderen gewaschen war. Die Nile Hilton Affäre ist ein intensives Agentendrama vor politischem Hintergrund – brisant, authentisch und spannend. Ägypten ist für Saleh wohl nicht irgendein Thema – seine Auseinandersetzung mit dem Land setzt jede Menge Know-How und gewissenhaft erledigte Hausaufgaben voraus, damit nicht Mutmaßliches kolportiert wird. Der Trailer zu Die Kairo-Verschwörung wirbt damit, seinem Publikum noch nie dagewesene Einblicke zu gewähren. Es geht direkt ins Herz der islamischen Lehre, ohne aber die Religion selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Es sind die Mechanismen der Staatsgewalt und die Bereitschaft, über Leichen zu gehen, um das Wohl Ägyptens zu sichern. Der unbescholtene und arglose Adam ist da das Opfer par excellence. Wie er versucht, seine Hürden zu meistern, ist bedächtiges Politkino, das sich nicht um Eile bemüht, sondern sehr viel beobachtet.

Es ist die Location, der Platz, die Architektur des legendären Gebäudes. Es sind die in Kaftan gewandeten Studenten mit rotweißem Fes, die Tarik Saleh immer und immer wieder ins Bild rückt. Ja, die islamische Kultur als Hort des Wissens hat Anmut, Stil und übt eine Faszination aus, der man sich nur schwer entziehen kann. Wenn manch ein stimmlich versierter Student zum Rezitier-Wettbewerb aus dem Koran antritt, könnte man dem Sprechgesang (dessen Intonation aber nicht melodisch sein darf) stundenlang zuhören. Zwischen diesen Reizen liegt ein nüchterner Thriller aus einem fernen und isolierten Umfeld. Interessant ist das richtige Wort für Die Kairo-Verschwörung (internationaler Titel: Boy from Heaven), die auf den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes den Preis fürs beste Drehbuch erlangt hat. Saleh überlässt nichts dem Zufall in seinem genau recherchierten Film – zumindest hinterlässt er den Eindruck, dass all das, was man sieht, genauso passieren könnte. Und doch bleibt die Schicksalsballade politisch motivierter Infiltration erstaunlich trocken, dafür aber sachlich und gefasst, was so einige Aufmerksamkeit erfordert. Das wiederum kann ermüdend wirken. Irgendwann manipuliert jeder jeden, und die Chronik einer nicht ganz so überraschenden geheimen Agenda wird zum Psychodrama eines menschlichen Werkzeugs für höhere Ziele. Die Kairo-Verschwörung ist spezielles Kino für Interessierte, und ja – mich gewinnt dieses Genre prinzipiell immer.

Doch so auf Zug und mit Elan inszeniert wie sein letzter Ägypten-Film ist dieser hier nicht geraten. Vielleicht liegt es daran, dass die im Hintergrund laufenden Machenschaften wenig überraschen oder gar verwundern. Dass die Politik in autoritären Ländern wie diesen zu solchen Mitteln greift, ist gefühlt nichts Neues. Und auch das Schicksal des Protagonisten scheint vorhersehbar.

Die Kairo Verschwörung (2022)

Die andere Seite der Hoffnung

DER LIEBE AUGUSTIN DES MIGRATIONSZEITALTERS

7/10

 

andereseitehoffnung© 2017 Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG

 

LAND: FINNLAND 2017

REGIE: AKI KAURISMÄKI

MIT KATI OUTINEN, VILLE VIRTANEN, TOMMI KORPELA, MATTI ONNISMAA, SHERWAN HAJI U. A.

 

Und wieder einmal ist da einer so ziemlich abgebrannt in Helsinki. Aber nicht, weil dieser Jemand aus Finnland raus will, um mit einem Schiff namens Ariel nach Mexiko auszuwandern. Diesmal will dieser Jemand hinein nach Finnland und in Helsinki neu anfangen. Abgebrannt sind sie beide. Und der eine ist noch dazu anfangs ziemlich schwarz um die Nase. Klarer Fall von Menschenschmuggel. Genauer gesagt hat sich der Syrer Khaled in einem Kohlefrachter selbst nach Finnland manövriert. Eigentlich wollte er das gar nicht. Und seine Schwester, mit der ihm die Flucht aus Syrien gelungen war, ist auch vom Radar verschwunden. Also ein ziemlich düsterer Status Quo. Allerdings längst nicht so düster als würde man in Aleppo bleiben und sich die Bomben auf den Kopf fallen lassen.

Wie sich ein finnischer Filmemacher der Sache mit den Flüchtlingen stellt, zeigt Kultregisseur Aki Kaurismäki mit Die andere Seite der Hoffnung nun schon ein zweites Mal. Mit Le Havre hatte der Meister des lakonischen Humors ein künstlerisch hochwertiges Glanzstück hingelegt, ein berührendes Märchen rund um Integration und die Idee eines besseren Lebens. Ganz so versöhnlich geht es in der thematisch verwandten Ergänzung dieses hochkomplexen Themas längst nicht mehr zu. Die Welt, in der sich nicht nur Khaled, sondern auch der Hemdenverkäufer Waldemar orientieren muss, ist eine zugegeben ziemlich triste. So trist, als befänden wir uns in einem dieser alptraumhaften Tableaus eines Roy Andersson. Dieser Ausnahmeschwede ist vermutlich nur hartgesottenen Filmkunstgenießer ein Begriff. Seine Werke sind bühnenhafte Arrangements, die bis ins kleinste Detail komponiert und einer beklemmenden, höchst artifiziellen Isolation unterworfen sind. Themen wie Fremdenhass, Katholizismus, Macht und Existenz sind nur einige der vielen Fragen, die Andersson dem Zuschauer stellt. Aki Kaurismäki gesellt sich in seinem Anti-Hoffnungsschimmer auf ähnliche Weise dazu. Sein an Ort und Stelle verharrendes Panoptikum verlorener, aber niemals mutloser Gestalten, die erstmal keinerlei Ausweg aus ihrer kleinen Existenz finden können, begegnen dem Schicksal mit sturer Phlegmatik. Es ist das Recht auf Wohlstand, dass sowohl der Einwanderer als auch der alteingesessene Lokalheld einfordern. Beide stehen in ihrer registrierten Identität wieder am Anfang, begegnen sich zu Beginn des Filmes rein zufällig, um sich für sagen wir mal zwei Drittel der Geschichte wieder aus den Augen zu verlieren. Lange fragt man sich, was beide Episoden wohl miteinander zu tun haben sollen. Doch wie es bei Kaurismäki meist der Fall ist, fügt das finnische, dem Schicksal trotzende Schicksal Welten zusammen, die sich auf den ersten Blick nichts zu sagen haben – auf den zweiten Blick aber viel voneinander profitieren können. Wäre da nicht das latent bedrohliche Gespenst des Nationalismus in Europa, das gerne die Hoffnung auf ein genügsames Leben ersticken will.

Natürlich lässt sich die Flüchtlingskrise, das Migrationschaos und die Angst vor Terror und des Fremden nicht so einfach und mit solch boulevardesker Naivität über den Kamm scheren. Dazu neigt Kaurismäki – seine Geschichten sind simpel, aber nicht verhöhnend simpel. Seine Figuren scheinen in ihrem neorealistischen Dasein nicht viel zu sagen zu haben. Aber vielleicht ist das endlich mal der Ausweg aus einem Dilemma des Zerdachten, dem der Finne sich längste Zeit zugeneigt fühlt. Vielleicht ist das pragmatische Herankommenlassen unvermeidlicher Ereignisse, die Vorort-Lösung kleinerer Probleme, die letzten Endes imstande sind, das große Ganze zu ändern, wirklich die allerbeste Methode, dem europäischen Schlamassel zu entkommen. Diese heruntergekommene, völlig uneinladende Gaststätte im Film ist wie das Europa der Gegenwart. Die liebevoll ausgestattete Grunge-Bühne des versifften Pseudo-Gorumetlokals ist Schauplatz zufällig scheinender Konsequenzen, ein Labor des Probierens einer Zukunft, die niemals festgeschrieben steht. Und die auch neue Gesetze des Zusammenlebens in völliger Autarkie zusammendichten kann. Es ist so eine befreiend zurückgenommene Einfachheit, die Die andere Seite der Hoffnung motivierend belächelt. Wie in den gemalten Bildern eines kaum erstrebenswerten Glücks sitzen Kaurismäkis bewährte Protagonisten einem Maler Modell, der filmt statt zu pinseln. Seltsam arrangiert wirkt das Ganze, hölzern, wächsern und künstlich beleuchtet. Der  Stil des Finnen ist unverkennbar, Und treibt auch hier wieder ausufernde Blüten. Und dann, wenn alles schief zu gehen scheint, werden die Pechvögel für ihre Aufmüpfigkeit belohnt – so sehr sie auch bluten müssen. Einen Kaurismäki sieht man immer wieder gerne. Zwar nicht dauernd, aber in gesunden Abständen tut das richtig gut. Vor allem, weil Kaurismäki so befremdend anders seine Geschichten erzählt. Und dort nichts vortäuscht, wo anderswo dick aufgetragen wird. Ein Kino der Gestrandeten und Improvisateure – ermutigend, ironisch und von zäher Natur.

Die andere Seite der Hoffnung