A Star is Born

VON RUHM UND RUM

5,5/10

 

astarisborn© 2000-2018 Warner Bros. Pictures Germany

 

LAND: USA 2018

REGIE: BRADLEY COOPER

CAST: LADY GAGA, BRADLEY COOPER, SAM ELLIOT, DAVE CHAPELLE, BONNIE SOMERVILLE U. A.

 

Erstaunlich, was Make-up so alles leisten kann. Personen des öffentlichen Interesses können sich glücklich schätzen, zugekleistert bis zu den Haarspitzen ihr wahres Erscheinungsbild zu verschleiern, um im Alltag unbekümmert einkaufen zu gehen. Die wenigsten würden womöglich Marilyn Manson ohne Spuk-Verputz auf den Wangen als solchen erkennen, Kiss-Frontsänger Gene Simmons ohne Venom-Schlecker und Augenblitze, und auch Lady Gaga nicht, die eigentlich Stefani Germanotta heißt, die mal in Schlabberhose und T-Shirt schnell mal Milch kaufen geht. Für letztere könnte sich aber mit Bradley Cooper´s Regiedebüt einiges ändern. Denn in A Star is Born, da zeigt sich Germanotta, die hier wirklich nicht mehr Lady Gaga ist, von einer verblüffend natürlichen Seite, als wäre sie die eigene Nachbarin, die bei Abwesenheit Paketzustellungen übernimmt. Lady Gaga wird Mensch, behält zwar ihren Künstlernamen, streift aber sonst all das aufgebrezelt unechte und Artifizielle von sich ab, inklusive der künstlichen Augenbrauen, wobei ihr Bradley Cooper hierbei sogar in Echtzeit zur Hand geht.

A Star is Born ist ein sehens- und vor allem hörenswerter Film, der aber einzig und allein aufgrund der Gesangs- und Spielgewalt Lady Gaga´s diesen Status erreicht. Hätten wir den Überraschungseffekt einer abgeschminkten Kunstfigur nicht, und wäre nicht die Neugierde so groß, diesen exaltierten Weltstar so gänzlich auf die niederen Ränge einer Normalsterblichen heruntergebrochen zu begaffen, wäre A Star is Born ein Film, der seine Hauptdarsteller aneinander vorbeispielen lässt und im Grunde außer lähmender Ernüchterung nicht viel Mehrwert für das Kinopublikum besitzt. Bradley Cooper scheint aus seinem Hangover zumindest in diesem Film auch niemals wirklich herauszufinden, da er den Zustand der verkaterten Ernüchterung eigentlich selten erreicht. Diese Überdosis Alkohol durfte er in Todd Philipps dreimaligem Sautanz für große Buben als Lachnummer wieder auskurieren – in seiner Neuinterpretation des bewährten Stoffes von Licht und Finsternis der Showbranche gibt es rein gar nichts mehr zu lachen. Cooper inszeniert sich selbst als bemitleidenswerte, verschwitzt-unrasierte Mischung aus Harald Juhnke in den letzten Jahren und dem Versuch, Kris Kristofferson auf Augenhöhe zu begegnen. Natürlich, schauspielerisch hat Bradley Cooper auf alle Fälle Talent. Den versoffenen Altstar verkörpert er souverän, bis zuletzt ist dieser bis zum Fremdschämen verkorkste Country-Rocker auf den Punkt gebracht. Die zumindest im Original so verraunzte wie belegte tiefe Stimme erzeugt schon eine ordentliche Portion Testosteron, die uns da um die Ohren fliegt – und der auch Lady Gaga erliegt, wobei sie wiederum nicht so genau weiß, ob sie sich das, was sie sich da mit Filmfigur Jackson Maine da zugelegt hat, wirklich auf die Dauer antun soll. Lange braucht es nicht, und das Aufblicken auf den Leit-Promi der Musikszene wechselt bald mit einem Blick ganz tief hinab auf ein eifersüchtiges, psychisch enorm labiles Wrack, das um ihre koketten Fußballerwaden herumkreucht. Da fällt mir ganz plötzlich Nicolas Cage ein, in seiner Oscar-prämierten Rolle des Säufers aus Leaving Las Vegas. Jackson Maine allerdings hat in A Star is Born noch dazu das Trauma einer zerrütteten Kindheit mit sich herumzutragen. Diese Figur, die ist also von Anfang an zum Scheitern verurteilt, und gar nicht so sehr das Opfer einer rücksichtslosen Musikerbranche, die sich eigentlich relativ dankbar zeigt, was die Fans von E-Gitarre und erdigem Männergesang betrifft. Cooper orientiert sich an Jeff Bridges und adaptiert die Rolle des abgewrackten Country-Stars aus Crazy Heart für die traurige Mär von Ruhm, Rum und seidenmatten Glanz, der immer stumpfer wird.

Den Verrat, den begeht eigentlich Lady Gaga an sich selbst. Ihr Weg zum Ruhm ist eine Anbiederung an den Kommerz und ein Ausverkauf ihrer Ideale. Erfolg ist eine Sache, die andere die Essenz des Talents und des Könnens, die einem flüchtigen Platz am Olymp der Stars geopfert wird. Irgendwann beginnt das große Herumhampeln als Popsternchen inmitten einstudierter Tänzer im Glitter, ein austauschbarer und für mich sehr entbehrlicher Event-Stil, mit welchem sich Gesangsgöttin Ally wohl kaum wirklich identifizieren wird. Das Stimmwunder wird zur Marionette, daneben ihre große Liebe und ihr Entdecker: der alkoholkranke Kamikaze-Held, bis auf die Knochen blamiert, und der Absturz geht weiter.

Zu wirklich beeindruckender Größe schafft es A Star is Born in den wenigen Szenen, in denen Cooper und Lady Gaga auf der Bühne ihr Duett zum Besten geben. Shallow ist schon jetzt ein Klassiker unter den Filmsongs, und mich würde es schon sehr wundern, wenn beide, oder zumindest Germanotta, nicht Anfang nächsten Jahres den Goldjungen dafür abstauben würden. Als Konzertfilm würde die Liebesgeschichte im Schatten des Glamours für mich bestens funktionieren und wäre womöglich sogar ein Highlight des Kinojahres geworden, denn Lady Gaga ist eine Entdeckung, ihre Stimme berührend, ihre Auftreten sympathisch, fast schon burschikos und im Glauben an sich selbst so ansteckend zuversichtlich. Klar, Gaga plaudert hier aus dem Nähkästchen, autobiographischen Subtext holt sie sich womöglich unter autodidaktisch angelerntem Method Acting mit Leichtigkeit aus ihrem Erfahrungsschatz. Leider aber gilt zwischen den Acts das große Hollywood-Kino eines La La Land-Musicals als vermisst, und Bradley Cooper bleibt in seinem etwas überlang geratenen und teils auch leerläufigen Epos ernüchternd pessimistisch. Er selbst und sein Co-Star, die wandern irgendwann nach Halbzeit so ziemlich auseinander, das Knistern des Anfangs fällt weg, die eine Figur steigt auf, die andere ab, Berührungspunkte sind rein zweckmäßig. So muss ich A Star is Born als viel zu schwermütigen, teils trägen Versuch betrachten, einen großen Musikfilm auf die Leinwand zu tönen, der zwischen Talenteshow, Lovestory und Suchtdrama zu wählen hätte und sich leider vorwiegend für letzteres entscheidet, sein Kraftpotenzial damit aber nicht ausbalancieren kann. Bei Coopers Regie ist also noch Luft nach oben. Und beim kometenhaften Aufstieg eines Label-Zugpferds namens Lady Gaga sehr bald genügend Luft nach unten, bis in die schattenseitige Hölle des Ruhms.

A Star is Born

American Sniper

DER DURCH DIE HÖLLE GEHT

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sniper

Von Anfang an wollte ich diesen Film eigentlich gar nicht sehen. Ein kriegsverherrlichender Hurra-Propagandafilm, USA-Loblied und Weltpolizeidrama über einen Waffennarren, der als Army-Scharfschütze mit den meisten Abschüssen in die unrühmliche Geschichte des amerikanischen Militärs eingegangen ist? Sowas steht natürlich nicht auf meiner To Do Liste. Doch irgend etwas an diesem von den Filmkritikern und Medien kolportierten Vorab-Feedbacks hat mich stutzig werden lassen. Ist American Sniper nun eine unreflektierte Verfilmung der Autobiografie des manischen Scharfschützen Chris Kyle – oder eine kritisch hinterfragende Betrachtung seiner Erlebnisse? Letztendlich hat die Neugierde gesiegt, und einige Zeit nach der Kinopremiere im Jahr 2015 war es an der Zeit, sich hier ein eigenes Bild der Zustände zu machen – und klarzustellen, ob Clint Eastwood tatsächlich das militärische Gehabe Amerikas in Schutz nimmt oder das Wesen der Kriegsführung an sich an den Pranger stellt.

Nun, überraschenderweise liegt die Tendenz der Erzählweise des Filmes zumindest stellenweise eindeutig im Bereich des Antikriegsfilmes. Eastwood lässt seinen Chris Kyle zwar nicht als krankhaften Psychopathen daherkommen, allerdings aber als eine vom Krieg besessene, arme Seele, die verlernt hat, in der Eintracht eines glücklichen Familienlebens seine Ruhe zu finden und stattdessen seiner Todessehnsucht nachgibt und immer wieder in den Krieg zieht. Immer wieder, bis zur inneren Zerrüttung. Seine Figur erinnert an jene Christopher Walkens in Die durch die Hölle gehen – einem erschütternden Plädoyer wider den Krieg, meisterhaft umgesetzt von Altmeister Michael Cimino. Walken war in seiner Rolle als Vietnamkriegssoldat den Foltermethoden der Vietcong ausgesetzt und konnte, obwohl ein Überlebender, niemals mehr in die Geborgenheit eines normalen Lebens zurückkehren. Stattdessen war der Zustand permanenter Angst und Todesnähe die einzige Möglichkeit geblieben, sich selbst wahrnehmen zu können. Ein Trauma, das niemals geheilt werden kann. Tatsächlich findet sich auch in American Sniper anfangs eine Szene bei der Hirschjagd wieder, die an The Deer Hunter (dt. Die durch die Hölle gehen) erinnert. Ähnlich wie den Leidensgenossen aus dem Klassiker der frühen 80er erging es Jeremy Renner in dem Oscar gekrönten Irakkriegsdrama The Hurt Locker. Als Bombenentschärfer, tagtäglich für sein eigenes Überleben und für das der anderen verantwortlich, war es auch ihm unmöglich, der Spirale aus abstumpfender Angst, Gefahr und Nervenkitzel zu entkommen. Alle drei Filme schildern auf unterschiedliche Weise, was die Allgegenwärtigkeit des Krieges mit der Psyche eines Menschen anstellen kann. Ein Zurück in die Normalität dürfte es anscheinend nicht geben. Diese Entrücktheit schafft Hangover-Buddy Bradley Cooper auf intensive Weise zu interpretieren. Seine Leistungen sind in diesem biografischen Psychodrama famos. Hier zeigt er mehr oder weniger im Alleingang, was er wirklich kann. Vor allem in seinen durchdringenden, verstörten Blicken liegt die ganze Tragödie seines dargestellten Charakters.

Clint Eastwood ist nichts vorzuwerfen, und man ist fast bis zum Schluss geneigt, ihm hundertprozentig zuzustimmen. Wäre da nicht seine gegen Ende immer deutlichere Apotheose Chris Kyles als Märtyrer in einer scheinbar von oben legitimierten Kriegsmaschinerie der Vereinigten Staaten. Dass der Krieg böse ist, dürfte auch dem mittlerweile alt gewordenen Westernhelden klar sein. Dass er eine Notwendigkeit ist, welche die Supermacht USA als Bürde auferlegt bekommen hat, dürfte aus seiner Sicht seine absolute Richtigkeit haben. Doch allerdings nur aus seiner Sicht.
Und so will der ganze Film letzten Endes – trotz seiner sensiblen Darstellung des zermürbenden Grauens und der schauspielerischen Stimmigkeit – nicht so wirklich überzeugen. Und das liegt zweifelsohne an der ambivalenten patriotischen Ideologie, die dahintersteckt. Ein pathetischer Kriegsfilm also, der ein Antikriegsfilm sein will.

American Sniper