Pain Hustlers (2023)

DIE PILLE FÜR DIE MILLE

4/10


Pain Hustlers© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: DAVID YATES

DREHBUCH: WELLS TOWER

CAST: EMILY BLUNT, CHRIS EVANS, ANDY GARCIA, CHLOE COLEMAN, CATHERINE O’HARA, JAY DUPLASS, AMIT SHAH, BRIAN D’ARCY JAMES, BRITT RENTSCHLER, AUBREY DOLLAR U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Christoph Leitl, ehemals Präsident der Wirtschaftskammer, hatte schon recht damit, als er das sagte. Allerdings ist diese Faustregel nur in die eine Richtung lesbar. Geht’s und allen gut, geht’s der Wirtschaft gut klappt schon wieder nicht mehr. Letzterer kann’s nämlich auch blendend ergehen, wenn es uns schlecht geht. Geht es uns schlecht, haben wir ein starkes Bedürfnis, den Status Quo zu ändern. Will heißen: Als Pharmaunternehmen lässt sich mit den Kranken, Dahinvegetierenden und nur langsam Genesenden der große Reibach machen, da lässt es sich gesundstoßen und mehrere goldene Nasen verdienen, wenn der darniederliegende und schmerzgeplagte Konsument bestenfalls eine Abhängigkeit für genau jene Medikamente entwickelt, auf welchem der Konzern seinen Erfolg begründet. Freuet, frohlocket, nieder mit dem Schmerz und nieder mit den Menschen, denn Menschlichkeit lässt sich im Unterbewusstsein der Weltwirtschaft sehnsüchtig vermissen.

Auf Millionen Tote kann als bestes Beispiel das us-amerikanische Sackler-Imperium zurückblicken. Die Fotokünstlerin Nan Goldin, selbst Opfer des Medikamentes Oxytocin, hatte irgendwann ihre Kamera gegen das Demo-Transparent getauscht und so der Opioid-Diktatur in Übersee den Kampf angesagt. Gebracht hat es einiges, nachzusehen ist dies in Laura Poitras düsterer Dokumentation All the Beauty and the Bloodshed. Dass es bei diesem Thema wahrlich nichts zu lachen gibt, liegt klar auf der Hand. Und dennoch probiert die beim letztjährigen Toronto Filmfestival erstaufgeführte Business-Dramödie Pain Hustlers genau das: So cool, garstig und schmissig zu sein wie Martin Scorseses The Wolf of Wall Street, allerdings im Biotop der Pharmaindustrie herumfischend und damit scheinbar eine fatale Problematik dafür missbrauchend, ein schnippisches Rise and Fall-Abenteuer aufzupolieren, in welchem allseits bekannte Stars nicht wirklich zu verstehen scheinen, wofür sie hier aufgedonnert, wortgewandt und selbstherrlich über die blankpolierten Marmorfliesen so mancher Bürohäuser eilen, stets im Stechschritt und den Erfolg in der Tasche.

Pain Hustlers basiert unter anderem auf dem Sachbuch von Evan Hughes und mag natürlich den Zynismus der Businessmen und -women, die von einer Arztpraxis zur anderen tigern, um Halbgöttern in Weiß den Deal abzuschwatzen, entsprechend ins Feld führen. Doch das massive Problem, welches die Opioid-Krise da drüben in Übersee ausgelöst hat, wird zum Platzhalter für eine Karrierekomödie, die sich nicht zwingend mit dem Missbrauch von Medikamenten auseinandersetzen muss – das erkennende Motiv als Background in diesem Film bleibt austauschbar, niemand schert sich hier wirklich um die Belange und den Schaden der Betroffenen, alles das wird zur Hochglanznummer, in der Emily Blunt und Ex-Captain America Chris Evans von einem Pitch zum nächsten jagen, dabei dauergrinsend und erfolgsverwöhnt das winzige Detail tunlichst ignorieren oder gar verdrängen, in dem es darum geht, das Krebsmedikament Lonafen als Schmerzstiller auch für den alltäglichen Gebrauch verhökert zu haben. Gierige Mediziner ziehen da mit, so sehr macht der Profit blind. Skrupel ist was für Weicheier, Gesundheit für Schwächlinge.

Natürlich hat Pain Hustlers das moralische Herz am rechten Fleck. Emily Blunt als alleinerziehende Mutter, die anfangs mit Tabledance ihre Mäuse verdient und später als Impro-Talent Andy Garcias Schmuddelfirma in astronomische Höhen katapultiert, muss natürlich geläutert werden, doch alles erst, nachdem die Behörden entsprechend laut anklopfen. Mit dieser stets in Partystimmung verweilenden, ungemein nervösen Tonart des Films bleibt auch jeder noch so ernstzunehmende, aufrichtige Ansatz ein Opfer all der Nebenwirkungen für einen Film, der einfach nur gut aussehen will und den schnöden Plot eines Karrierekreislaufs zwar ohne Leerlauf, aber mit blendender Laune dafür verwendet, aus unternehmerischem Verbrechertum ein Kavaliersdelikt zu formen, dass seine Fehler mit nicht mehr als einem Ups! eingesteht.

Pain Hustlers (2023)

Sick of Myself (2022)

DIE SYMPTOME DER GELTUNGSSUCHT

6/10


sickofmyself© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: NORWEGEN, SCHWEDEN 2022

BUCH / REGIE: KRISTOFFER BORGLI

CAST: KRISTINE KUJATH THORP, EIRIK SÆTHER, FANNY VAAGER, FREDRIK STENBERG DITLEV-SIMONS, SARAH FRANCESCA BRÆNNE, INGRID VOLLAN, STEINAR KLOUMAN HALLERT, ANDREA BRAEIN HOVIG U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


So mancher und so manchem wird dieses Gefühl vielleicht fremd sein – ich selbst aber kenne das von früher, als ich noch nicht wusste, worum es im Leben eigentlich gehen sollte: Das Gefühl einer selbstwertgefährdenden Niederlage, die daraus resultiert, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Alles dafür getan zu haben, aber doch nicht wichtig genug zu sein. In einer Gesellschaft, in der man den Wert des Menschen eigentlich nur über seine Leistung definiert, und wenn nicht darüber, dann über das Geld, sollte man sich selbst genug sein. Das schützt vor so mancher Schmach oder dem Umstand, dass einem beim Versuch, alle Blicke auf sich zu ziehen, die Puste ausgeht. Andere wollen um jeden Preis – und wirklich um jeden Preis – die Aufmerksamkeit aller. Wollen bewundert, und wenn nicht bewundert, dann bemitleidet werden, weil sie ein Opfer bringen oder Opfer von irgend etwas anderem geworden sind. Das ist schon pathologisch. Und diese Art krankhafte Geltungssucht, die hat nun ein Gesicht. Und zwar ein entstelltes.

In der norwegischen Psychosatire Sick of Myself kommt man aus dem Staunen nicht heraus, wenn klar wird, dass dieser betriebene Exzess zugunsten eines zweifelhaften Ruhms durchaus realistisch sein kann. Im Mittelpunkt – und dieser wird ihr den ganzen Film hindurch nicht genommen – steht eine junge Frau namens Signe, die mit ihrem Freund zusammenlebt, der in der Kunstszene schon zu einigem Renommee gekommen ist. Das schmeckt Signe, die „nur“ in einer Bäckerei arbeitet und sonst kaum Hobbys hat, gar nicht. Auch sie will gesehen, gehört und bewundert werden, so wie ihr Freund. Und sobald sich alles um ihn dreht, findet sie Mittel und Wege, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das beginnt noch mit kleinen, perfiden Spielereien, wie zum Beispiel dem Vortäuschen einer Lebensmittelallergie. Als das auch nicht mehr zieht, beschafft sie sich auf illegalem Wege obskure russische Medikamente, die bei kontinuierlicher Einnahme zu horrenden körperlichen Schäden führen. Sprich: Der Weg zum Quasimodo ist geebnet, Signe macht sich, wie der Titel schon prophezeit, selbst krank und tut so, als käme diese Pein aus heiterem Himmel. Ihr Gesicht ist vernarbt, der Körper voller Flecken. Der Freundeskreis ist, so wie wir im Publikum, abgestoßen und fasziniert zugleich. Zeigt Mitleid und Bewunderung, wie Signe es meistert, damit umzugehen. Bald schon erscheint ein Artikel in der Zeitung, doch das ist unserer „Patientin“ nicht genug. Sie will noch mehr Aufmerksamkeit. Sie will den Ruhm und die Wichtigkeit, die andere haben, nur nicht sie. Wohin das führt? Zur Frau im Essigkrug.

Die Idee des bei den letztjährigen Cannes Filmfestspielen in der Kategorie Un Certain Regard gezeigten Werks des Autorenfilmers Kristoffer Borgli ist eine, deren filmische Umsetzung recht reizvoll erscheint, ist doch das Thema eines, das den Zeitgeist trifft und das Phänomen Social Media auf seine Grundmotivationen herunterbricht. Die Freakshow um einen Minderwertigkeitskomplex und seine Folgen zieht in seinen Bann, man kann nicht wegschauen, man kann nur verblüfft staunen, wie sehr ein flüchtiger Wert wie Ruhm ein Leben ruinieren kann. Und dennoch ist Sick of Myself etwas einseitig geraten. Wir beobachten Signes selbstkreierten Leidensweg lediglich aus ihrer Sicht, ihr Lebensentwurf ist der einzige, der im Film zur Verfügung steht. Somit sucht die Satire keinen Diskurs, sondern wirkt selbst wie ein Beipackzettel für ein Medikament, dass hochgradig suchtgefährdend ist. Auf die Dauer wird die Chronik der Ereignisse redundant, und nur vereinzelt gibt es erhellende Spitzen. Im ähnlich positionierten Satiredrama Not Okay von Quinn Shephard mit Zoey Deutch als Lügenbaronesse findet der moralische Konflikt viel effizienter statt, während Sick of Myself kaum Wert auf ein Echo legt. In Not Okay gibt eine alternative Weltsicht kontra und lädt zur vehementen Auseinandersetzung mit den Prioritäten des Lebens. Das mag vielleicht gefälliger sein, dafür aber eingängiger. In der norwegischen Groteske allerdings entbehrt die Gesellschaft keine helfende Hand, und auch den Unterschied zwischen Realität und Fiktion muss man erst erlernen, führt die Mixtur aus beiden anfangs zu einiger Konfusion. Später hat man den Dreh raus, nur Signe nicht. Für Erkenntnis bleibt kein Platz, doch immerhin hat der Freak seine Blase gefunden.

Sick of Myself (2022)