Krazy House (2024)

DER TRITT INS ALLERHEILIGSTE

6/10


Krazy-House© 2024 Splendid Films

LAND / JAHR: NIEDERLANDE 2024

REGIE / DREHBUCH: STEFFEN HAARS & FLIP VAN DER KUIL

CAST: NICK FROST, ALICIA SILVERSTONE, KEVIN CONNOLLY, GAITE JANSEN, WALT KLINK, JAN BIJVOET, CHRIS PETERS, MATTI STOOKER U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Vom Stilmittel der Sitcom, um den American Way of Life zu demaskieren, war schon Oliver Stone überzeugt. In Natural Born Killers turtelten Juliette Lewis und Woody Harrelson unter dem Gelächter eines gebuchten Konserven-Auditoriums in generischen Einfamilienhaus-Kulissen herum, um dann eine blutige, aber medientaugliche Spur durchs Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu ziehen, ganz im Sinne eines Donald Trump, den man trotzdem wählen würde, hätte er auf offener Straße einen Menschen erschossen. Statt den beiden damaligen Jungstars wuchtet sich diesmal ein gottergebener, erzkatholischer Biblebelt-Hausmann namens Nick Frost (diesmal ohne seinen Partner Simon Pegg) von der Palmsonntags-Zeremonie ins traute Eigenheim zurück, mitsamt der nahe am Burnout nagenden Business-Ehefrau Alicia Silverstone und den beiden Kindern, die zwar Papas christliche Affinität mittragen, mittlerweile aber auf den selbstgestrickten Jesus-Pulli verzichten. Der Patriarch sieht das gar nicht gern, und er wundert sich obendrein, was Sohnemann Adam in seinem Zimmer chemischen Experimenten unterzieht. Die klare Sicht auf die Dinge, die die (allem Anschein nach) amerikanische Familie so umtreibt, wovor sie sich fürchtet und was sie niemals hinterfragt, bleibt Nick Frost alias der gutmütig brummige Bernie, verwehrt. Der konservative Glaube ist alles, und gerade in der Karwoche wird dieser blinde sakrale Gehorsam alles wieder ins richtige Lot bringen. Es sei denn, das Schreckgespenst einer russischen Invasion steht ins Haus. Diese wird verkörpert von drei Pfuschern aus dem weit entfernten, kommunistischen Osten – der Vater samt Nachwuchs. Anstatt den Wasserschaden in der Küche zu beheben, zerstören sie nach und nach die gesamten geheiligten vier Wände. Das alles eskaliert, die Gattin versinkt im Burnout und in der Tablettensucht, Adam frönt dem Crystal Meth und Tochter Sarah lässt sich schwängern. Kein Stein bleibt auf dem anderen, und selbst Holy Fucking Jesus, der Bernie immer mal wieder erscheint, um ihn an seine Demut im Glauben zu erinnern, trägt letztlich nichts dazu bei, die Vorstadt-Apokalypse auch nur ein klein wenig zu vereiteln.

Das niederländische Regie-Duo Steffen Haars und Flip van der Kuil klotzen einen farbenfrohen, derben Gewalt-Exzess vor die Kamera, stets Nick Frost im Fokus bewahrend, der eine Wandlung in drei Etappen durchmacht, die durch ein jeweils anderes Bildformat zumindest den Anschein einer Struktur bewahrt. Blickt man hinter das so bluttriefende wie blasphemische Stakkato grotesker Zustände, erkennt man zwei Autorenfilmer, die durchaus bereit sind, die vom bigotten Westen so stolz gelebten Dogmen und geduldeten Laster von Grund auf zu hinterfragen. Warum der fanatische, evangelikale Gottesglaube, warum die Lust an der Droge, die Sucht nach Tabletten, die Heiligkeit des familiären Vierbeiners, das Feindbild aus dem Osten. Krazy House geht sogar so weit, um Verhaltensmanierismen wie das Kaugummikauen, den Putzfimmel und die heuchlerische Allwetter-Freundlichkeit zu verlachen und auf den gebohnerten Boden zu schmettern. Mit Nick Frost, dessen Zahn- und Zahnlosprothese herrlich irritiert, hat Krazy House gerade aufgrund all der befremdenden Polemik eine Identifikationsfigur zwischen biblischem Hiob und amoklaufendem Normalo gefunden, der in die Fußstapfen eines untätigen Versager-Christus stapft, um all das Übel dieser Welt aus der Bequemlichkeitsblase zu treiben.

In diesem satirischen Enthusiasmus treiben es Haars und van der Kuil so sehr und so unbedingt auf die Spitze, dass am Ende das Chaos zu gewollt erscheint, zu erzwungen verrückt und häretisch – es ist die Inflation bizarrer Einfälle, die sich gegenseitig ihre Wirkung nehmen, die dann nur noch als dauerfeuernde Destruktionsorgie zwar die Hartgesottenen unterhält, die aufgrund ihrer selbstbewussten Gelassenheit gut damit leben können, dass dem Haushund die Birne weggeschossen wird oder der Sohn Gottes dem Hirntod erliegt, letztlich aber weder wirklich aufregt oder vor den Kopf stößt. Ein Schmunzeln ob des reuelosen Rundumschlags mag Krazy House sicher sein. Doch viel mehr als lautstark herumzutrampeln steht dem pseudohämischen Streifen gar nicht im Sinn.

Krazy House (2024)

Maria Magdalena

JESUS UND DIE FRAUEN

7/10

 

MariaMagdalena© 2018 Universal Pictures

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: GARTH DAVIS

MIT ROONEY MARA, JOAQUIN PHOENIX, TAHAR RAHIM, CHIWETEL EIJOFOR U. A.

 

Blickt man dieser Tage ganz genau ins Kinoprogramm, wird klar, dass Ostern vor der Tür steht. Da feiert das verschwindende Genre des ökumenischen Films meist eine kleine Auferstehung. Die aber kaum ins Gewicht fällt, lässt sich die Anzahl thematisch verwandter Filme auf Eins hochrechnen. Was mich kaum wundert, denn die christliche Religion ist kurz davor, sich aus hausgemachter Ursache in einer gewissen Bedeutungslosigkeit zu verlieren. Kaum jemand, mit dem ich über das Christentum spreche, kann dieser Religion noch etwas abgewinnen. Vom Einfluss, den das patriarchalische Glaubenskartell mal hatte, gefestigt durch Kreuzzüge, einer unumstößlichen Hierarchie und gestopft voll mit Geld, ist kaum mehr etwas übrig. Der religiöse Film ist meist einer, der sich entweder mit der Abkehrung vom Glauben beschäftigt – oder versucht, zeitrelevante Aspekte aus der Heilsbotschaft zu bergen. Erfolgreich sind diese Filme alle nicht. Da muss schon gehörig viel Blut fließen, um die Kassen klingeln zu lassen. Die Passion Christi, einer der erfolgreichsten Religionsfilme überhaupt, ist mittlerweile in der TV-Landschaft der Karwoche genauso garantiert wie das wiederholte Jour fixe für Ben Hur. Ist man die Wiederholung der peinvollen Passionsgeschichte und Charlton Heston schon ziemlich leid, lockt aktuell eine ganz andere Randfigur des Neuen Testaments vielleicht sogar Agnostiker und Querdenker ins Kino, die anderswo vielleicht gerne Bibelrunden aufmischen und dort Reibung suchen, wo sie längst fällig ist.

Die Rede ist von Maria Magdalena. Und all die Agnostiker und Bibelrundenaufmischer werden einerseits fasziniert sein von Rooney Mara´s so pathetischer wie hochemotionaler Interpretation der einzigen Apostelin unter den Aposteln, andererseits aber auch enttäuscht sein, weil Regisseur Garth Davis sichtlich notwendige Kontroversen scheut. Der Macher von Lion entspricht mit seiner Traumbesetzung der ersten Zeugin von Jesu Auferstehung wohl dem am meisten verbreiteten Bild, den Bibelkundige von Maria Magdalena haben. Langes, schwarzes Haar, ein zartes Gesicht, sanftes Lächeln, die Güte schlechthin. Was dazu kommt, ist der Intellekt, das Begreifen und der Mut, den alten Dogmen zu trotzen. Diese Aufgabe erfüllt Rooney Mara ausgesprochen gut. Und der Klerus wird zufrieden sein. Womit er vielleicht nicht zufrieden sein wird, ist die bedeutende Rolle, welche nicht nur Maria Magdalena, sondern die Frauen überhaupt in Jesus´ unmittelbarer Nähe einnehmen. Dabei war mir bislang nicht bekannt, dass die „Hure“ aus Magdala erstens womöglich gar keine war, und zweitens im Jahre 2016 als erste Apostelin unter den Aposteln rehabilitiert wurde. Eigentlich nur eine Frage der Zeit, dieser Reform einen gebührenden Widerhall in der Kunst zu verschaffen, ging doch dieses Zugeständnis selbst bei mir als interessierten Freizeitexeget so ziemlich spurlos vorüber. Dass Maria von Magdala den wenig durchblickenden Aposteln die Welt erklären muss, mag dem Patriarchat noch saurer aufstoßen.

Aspekte also, die Reformen anregen könnten. Käme es einem nicht so vor, als wäre Garth Davis die Passionsgeschichte eigentlich wichtiger. Im Grunde ist alles bestens, wir erfahren Marias fiktiven, aber möglichen Ursprung, wir zeigen uns mitfühlend ob ihrer inneren Zerrissenheit. Doch dann kommt der Messias. Maria folgt ihm, ganz klar. Und wird zur Statistin degradiert, die Davis laufend aus den Augen verliert. Gegen die Heilsgeschichte hat die empathische Fischerstochter mit sozialer Ader kaum eine Chance. Zu sehr ist Garth Davis von Joaquin Phoenix ungestümer Performance eines derben Jesus mit verlorenem Blick fasziniert. Und dann fällt ihm wieder Maria Magdalena ein. Kehrt zurück zu ihr, sucht sie in der Menge. Lässt sie erst wieder gegen Ende zu Wort kommen. Lässt sie Judas (großartig: Tahar Rahim) erfolglos therapieren und mit Petrus diskutieren. Das sind dann die spärlichen, aber besten Momente. Jene, in denen die Botschaft des Nazareners für Kontroversen sorgt.

Die mögliche Biografie einer Heiligen umschifft großräumig jeglichen Kitsch, taucht seine durchaus berührende Erzählung in Bilder voller Morgenlicht und blaue Stunden. Setzt einer Ikone gleich Rooney Mara´s erwartungsvoll blickendes Konterfei unter leinenem Tuch ins weiche Licht des Tages. In der Reduktion auf das levantinische Karst und den schmucklosen, rauen Gewändern der Protagonisten liegt puristisches Pathos, das aber kein Fehler ist, sondern eine angenehm entreizte Bühne. Im Widerspruch dazu weiß der Soundtrack nicht so recht zu passen – stilistisch völlig verwirrt, folgen auf penetrant klassischen Geigen A capella-Chöre und später besinnlichere Klänge. Die Geräusche des Windes, der Regen, das Wasser wäre Soundtrack genug gewesen, vor allem für einen Film, der in seiner spartanischen Aufmachung und Aussage ebendies auch akustisch verlangt hätte.

Ein leider nur zaghafter, aber immerhin feministischer Ansatz, mit dem Garth Davis die Relevanz seines Films rechtfertigt. Das muss ich zugestehen, lässt Maria Magdalena letzten Endes dennoch befreit durchatmen. An den Glanz der Erkenntnis in den Augen einer bislang verkannten Apostelin wird man sich gerne erinnern. Und vielleicht auch wieder etwas mehr an die unorthodoxe Botschaft eines Mannes, der seiner Zeit weit voraus war.

Maria Magdalena