I, Tonya

DREIFACHER AXEL AUF DÜNNEM EIS

7/10

 

I_Tonya© 2018 DCM

 

LAND: USA 2017

REGIE: CRAIG GILLESPIE

MIT MARGOT ROBBIE, SEBASTIAN STAN, ALLISON JANNEY, MCKENNA GRACE U. A.

 

Lillehammer 1994 – nur in Bruchstücken kann ich mich an jene Ausgabe der Olympischen Winterspiele erinnern. Woran ich mich wirklich erinnern kann, ist Katharina Witt – warum auch immer. Und tatsächlich sieht man die Eiskunstläuferin in Craig Gillespie´s True-Story-Farce zumindest eine Sekunde lang auf einer einmontierten Archivaufnahme. Das ist dann aber auch schon der einzige persönliche Bezug zu zeitnahen, realen Ereignissen – und ich weiß nicht, ob der ganze Skandal rund um Tonya Harding auch wirklich bis in die Medienlandschaft Österreichs so flächendeckend vorgedrungen ist. Das war wohl nur Sportinteressierten bekannt. Da kenn ich in meinem Bekanntenkreis so einige, und die gelten sowieso längst als fixer Telefonjoker für einen möglichen Auftritt in der Millionenshow. Die würden auch wissen, ohne I, Tonya gesehen zu haben, womit diese junge Dame damals in Verbindung gebracht wurde – mit dem vor Gericht ausgefochtenem Vorwurf, eine Konkurrentin mithilfe von grenzdebilen Schlägertypen per Schlagstock außer Gefecht gesetzt zu haben. Also zumindest das Knie von Nancy Kerrigan. Was Kerrigan´s Karriere letzten Endes zumindest bis Lillehammer glücklicherweise nicht wirklich geschadet hat, der Karriere von Tonya Harding allerdings schon.

Dabei kommt die in Intervallen des Ehrgeizes aufblühende Blondine völlig unverschuldet zum Handkuss. Das beteuert sie jedenfalls. Also das beteuert Margot Robbie, in Gestalt einer gesetzten, in den zynischen Winkel gedrängte Tonya, die ein fiktives Interview gibt. Und nicht nur sie kommt zu Wort – auch ihr Liebhaber, ihr größenwahnsinniger Bodyguard (so einen Bodyguard habt ihr noch nicht gesehen) und die Schreckschraube namens Mutter, die stets betont, ihrem unfähigen Kind die größte Mutterliebe überhaupt zugestanden zu haben. Allison Janney spielt das verknöcherte Hassobjekt mit Hingabe. Außer Flüchen, Drill und Liebesentzug hat die kettenrauchende Matrone für ihre Tochter sichtlich nichts übrig. Vertrauensvorschuss an der Kassa. Da kann man sich als Kind entweder völlig zurückziehen und sich selbst als wertlos empfinden – oder man trotzt der dauerbeschallenden Demotivation und zeigt, was in einem steckt. Harding hat das versucht. Ohne aber die Rechnung mit ihrem Ehemann zu machen. Der schnauzbärtige Schlägertyp lässt sich mit dem hübschen Sportsternchen Tonya auf eine Never Ending Lovestory ein – im Grunde auf eine ähnliche Hassliebe wie jene mit der alles in den Dreck ziehenden Übermutter. Auf Blutergüssen folgt traute Zweisamkeit. Eine Amour fou, die schon ziemlich bezeichnend ist für ein Leben, das letzten Endes zum Scheitern verurteilt sein muss. Da reißt auch ein dreifacher Axel nur kurzzeitig das Leben der im Grunde ehrgeizigen Sportlerin aus dem verkorksten Alltag. Weil man nur so kann, wie die anderen wollen. Und Harding kann wieder mal nichts dafür.

Ein Biopic rund um ein Attentat im Schlittschuhmilieu – das ist normalerweise ein Plot, den Studios dahergelaufenen Filmemachern und Drehbuchautoren nachschmeißen müssten. Nicht aber, wenn solch eine auf den ersten Blick schale Geschichte dermaßen pfiffig aufbereitet wird. Da sieht man wieder, dass die Faszination eines Stoffes, der nur bedingt was hergeben kann, davon abhängt, wie man ihn erzählt. Autor Steven Rogers hat ein Musterbeispiel dafür abgeliefert, wie biografische Puzzleteile zu einem schnittigen Ganzen komponiert werden können. Aus der Chronik eines Scheiterns lassen sich Filme wie The Wrestler machen – tristes Sozialdrama, autoaggressive Lebensüberdrüssigkeit. Oder Filme wie I, Tonya. Realsatire, aufbereitet wie eine Episode Gossip-TV. Eine semidokumentarische Ironie des Schicksals, so absurd, man glaubt es kaum. Craig Gillespie (Lars und die Frauen) schaltet niemals auf resignierendes Pathos. Margot Robbie´s Interpretation von Tonya Harding ist aufmüpfig, trotzig, durchaus jammernd und unschuldig an allem – womöglich ist das aber der einzige Selbstschutz, den Robbie ihrer Tonya gewährt – und der sich ausnehmend glaubhaft einsetzen lässt. Die Harley Quinn des DC-Universums ist auch ohne Baseballschläger, dafür aber mit scharfkantigen Schlittschuhen eine Haudrauf-Person, die sich in Wahrheit immer nur selbst schlagen lässt. Von jenen, deren sporadische Nähe alle Entbehrungen vergessen lässt. Ein gelungenes Portrait, und nicht weniger gelungen Sebastian Stan und Allison Janney, herrlich garstig und eigennützig um das Geheimnis eines Erfolges ringend, dass sie selber nie haben werden.

Zwischen gefakten Fernsehinterviews und Spielszenen sorgt dieses Beispiel, wie sehr man dem Undank des Lebens trotzen kann, für kopfschüttelndes Staunen und seltsam schadenfroher Neugier. I, Tonya unterhält dort, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt. Eine eisglatte, unerhörte Satire, teils frei erfunden, und trotzdem nah am Leben. Ein Film wie ein Sturz auf dem Eis. Es schmerzt, man rappelt sich auf – und lächelt. Und bestenfalls ist nichts gebrochen.

I, Tonya

Battle of the Sexes

SPIEL UM GLEICHSTAND

8/10

 

battleofthesexes© 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

REGIE: JONATHAN DAYTON, VALERIE FARIS

MIT EMMA STONE, STEVE CARRELL, BILL PULLMANN, ANDREA RISEBOROUGH, ELISABETH SHUE U. A.

 

Fernsehsport ist eine weit verbreitete Leidenschaft, dessen bedeutende Daseinsberechtigung man leicht an der Programmplanung diverser TV-Sender herauslesen kann. Doch bis auf einige Ausnahmen ist es eine Freizeitbeschäftigung, die ich nur sehr bedingt teilen kann. Gar nicht einlassen kann ich mich auf Golf, Billard oder eben gar Tennis. Tennis ist einer jener Sportarten, die man, so finde ich, selbst spielen muss, um Gefallen daran zu finden. Als Giveaway aus der Flimmerkiste bleibt meist nur das ausufernde Gestöhne manch medientauglicher Sportskanonen prägend im Gedächtnis. Und die Sache mit Billie Jean King – da muss ich mich schon entschuldigen – das war vor meiner Zeit.

Denn hätte ich die Chance gehabt, den Battle of the Sexes zwischen dem weiblichen Tennisstar und dem legendären Bobby Briggs live zu erleben, hätte ich mich womöglich vor die Röhrenglotze gesetzt. Aber das kann ich auch nur sagen, nachdem mir Emma Stone und Steve Carrell mit dem filmtitelgebenden Geschlechterkampf eine kleine Sternstunde des gesellschaftspolitisch motivierten Sportfilms beschert haben. Der gleichermaßen aufregende wie zartfühlende Film von Jonathan Dayton und Valerie Faris erzählt das Medienereignis sowohl aus der Sicht der Tennisspielerin Billie Jean King als auch aus der Sicht der Medien-Rampensau Bobby Biggs, seines Zeichens Tennischampion im Ruhestand, der aber mit chauvinistischen Bemerkungen zur Stellung der Frau alles andere als sparsam umgeht. Da die 70er nach den ausklingenden 60ern immer noch für gesellschaftlichen Paradigmenwechsel sorgen, fügt sich der erstarkende Feminismus ideal in die von Revolutionsgedanken geprägten Atmosphäre ein – obsolete, verknöcherte Strukturen wie das Bild des alleinverdienenden Mannes und der Frau hinterm Herd sind zu dieser Zeit schon längst ein Affront gegen die Weiblichkeit. Und wenn dann noch Leute, die die Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen, der Frau die gleichen Rechte und Möglichkeiten absprechen, kann und soll das natürlich nicht unbeantwortet bleiben. Der Geschlechterkampf erreicht seinen brisanten Höhepunkt im von Millionen Zusehern verfolgten Gipfeltreffen am Tennisplatz.

Da hat sich Billie Jean King ordentlich was aufgehalst. Denn von ihrem Sieg hängt nicht nur die sich zu etablierende Tatsache ab, dass im Sport Frauen und Männer ebenbürtig sind – da geht’s um viel, viel mehr. Um die Festigung einer notwendigen Offensive gegen das Patriarchat. Um einen medienwirksamen Beweis, dass der Mann sich chronisch selbst überschätzt und Machtpositionen einfach nicht abgeben will. Ein Denkzettel für die höhnische Arroganz des männlichen, geltungsgeilen Establishments. Verlieren gibt’s also nicht, obwohl der Sieg mehr als fraglich bleibt.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich Battle of the Sexes so dermaßen mitreißt. Das liegt in erster Linie und wieder einmal an Emma Stones differenziertem Spiel. Einfach großartig, wie sie das macht. Zur Person Billie Jean King schafft Stone ein psychologisch differenziertes Portrait. Eine ehrgeizige, leidenschaftliche junge Frau. Resolut und widerspenstig. Aber auch, im ganz privaten Closeup, zerrissen und voller Zweifel. Mit Steve Carrell bekommt sie einen nicht weniger grandios aufspielenden Widersacher gegenübergestellt – der Komödiant und Charakterdarsteller sieht im Film nicht nur ganz so aus wie der echte Bobby Biggs – sein exaltiertes Verhalten zwischen manisch und leisetretend fängt Carrell so geschickt ein wie die Schmetterbälle seiner weiblichen Konkurrentinnen. Das Regie-Duo Dayton und Faris schaffen es mit viel Gespür für ein harmonisches Ganzes die einzelnen psychologischen und zwischenmenschlichen Aspekte der Geschichte mit den rekonstruierten Fernsehdokumenten aus den 70er- Jahren reibungs- und fugenlos zu verweben. Das Gespür für Timing gerät in Battle of the Sexes zum Kunststück.

Das verblüffend packende Tatsachendrama reiht sich in das neue Kino des Feminismus zu Werken wie Sufragette oder Hidden Figures wunderbar ein, und ist wie Ron Howard´s Meisterwerk Rush ein Sportfilm, der Genremuffel wie mich begeistert abholt. Battle of the Sexes gewinnt überraschend den Matchpoint, und das war im Vorfeld längst nicht so selbstverständlich wie das gebührende gleiche Recht für alle Frauen dieser Welt.

Battle of the Sexes