The Farewell

DUMM GESTORBEN IST LÄNGER GELEBT

8/10

 

farewell© 2019 A24_DCM

 

LAND: USA 2019

REGIE: LULU WANG

CAST: AWKWAFINA, TZI MA, DIANA LIN, ZHAO SHUZHEN, LU HONG, JIANG YONGBO U. A. 

 

Wie gut, dass Oma Nai Nai eine Schwester hat. Sonst wäre sie selbst vor vollendeten Tatsachen gestanden – nämlich, dass sie Krebs hat, und zwar im Endstadium. Solche Nachrichten sind erschütternd, fast schon wie der Teaser zur eigenen Hinrichtung. „Sie haben nur noch wenig zu leben, regeln Sie ihre Dinge, bringen Sie alles zu Ende“. Mit so einer ähnlichen Message wurde damals meine Großmutter ins restliche Leben entlassen. Nai Nais Schwester hier in diesem Film hat das abgefangen. Nai Nai weiß von nichts – alle anderen schon. Im Grunde die ganze Familie, und auch Enkelin Billi, die mit ihren Eltern in den USA lebt, erfährt davon. Es tanzen also alle an, mit dem Vorwand, die Hochzeit von Enkel Hao Hao zu feiern, der seine Flamme erst drei Monate kennt. Die Frage, ob das nicht zu früh sei, stellt sich keiner. Viel eher aber jene, wie denn der Oma gutgelaunt gegenübertreten, nach einer Erkenntnis wie dieser für selbige? Anscheinend ist es in China üblich, die letzte Zeit eines Lebens für Schwerkranke insofern zu erleichtern, indem man ihnen vorenthält, was wirklich Sache ist. Natürlich: was ich nicht weiß macht mich nicht heiß – oder traurig. Aber ist das nicht eine Lüge? Ist das nicht moralisch verwerflich, wenn man erst mit der Wahrheit herausrückt, wenn das Unausweichliche selbst für den Betroffenen unübersehbar ist?

Wäre meiner Großmutter diese Nachricht mit anderen Worten oder vielleicht gar nicht übermittelt worden, hätte sie vielleicht länger gelebt. Auch in diesem extrem liebevollen, kuschelwarmen und gänzlich unpathetischen Familienfilm The Farewell ist es, so wird zitiert, vielmehr die Angst im Kopf das, was den Menschen viel eher lähmt und aufgeben lässt als die Krankheit selbst. Wäre das nicht die bessere Form des Umgangs? Den oder die Erkrankte eben nicht vorzeitig geistig sterben zu lassen? Wenn es kommt, dann kommt es ohnehin. Also dann doch lieber dumm als furchtvoll dahingehen. Mit diesen Gedanken meistern die meisten der ganzen großen Familie von Oma das Unterfangen, vorzugeben, so glücklich wie noch nie zu sein. Die Sache klingt absurd? Dennoch ist es eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, und eine bemerkenswert entspannte Tonart an die vermeintlich letzten Tage legt.

Filme übers Sterben, die sind meist superschweres Betroffenheitskino. Nicht aber The Farewell. Es geht auch anders, beweist dieses Kleinod mit Schauplatz China, Kandidat auf dem Sundance-Festival und Golden Globe-Gewinnerfilm für Hauptdarstellerin Awkwafina. Die Komikerin, Sängerin und Schauspielerin mit dem unaussprechlichen Namen (zuletzt aufgefallen in Jumanji – The Next Level) lässt ihre Filmfigur zwischen lakonischem Humor, Sehnsucht nach der Kindheit und übermannender Traurigkeit einen ganzen Tidenhub an Emotionen verspüren. Dennoch lässt sie ihren eigentlichen authentischen Charakter nicht außen vor, der angenehm natürlich und in seinem Empfinden von Glück und Melancholie ernüchternd trocken daherkommt, fast schon trotzig. Zwischen all diesen Höhen und Tiefen, die bei diesem langen, langen Abschied, der sich über mehrere Tage hinzieht (und Oma einfach nicht checkt, was Sache ist) und fast alle Familienmitglieder heimsucht, wird ganz viel und vor allem entschleunigt gegessen und getrunken. Das erinnert stark an Ang Lees Eat Drink Man Woman. Und so wie das taiwanesische Meisterwerk kostet auch The Farewell von allem möglichen, was Familien so eigen ist und was diese Art der Gemeinschaft erst so richtig ausmacht. Das ist berührend, volksphilosophisch und überraschend zuversichtlich. Warum? Weil Oma die einzige zu sein scheint, die wirklich glücklich ist. Das erzeugt eine gedankliche Wende im Kopf des Betrachters, das lässt ihn anders über das Ende nachdenken, ob es vielleicht doch möglich wäre, andere, vielleicht radikalere Schritte zu setzen, die Abschiede erleichtern und Wehmut zu Energie umwandeln können, wie Billi es am Ende des Films dann auch noch schafft. Mit einem lauten Ha! Wer hätte das gedacht, so aus einem stereotypen Schicksal herauszukommen und neue Paradigmen zu kreieren?

The Farewell

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