RED SPARROW

DEN SPATZ IN DER HAND

5,5/10

 

redsparrow© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2018

REGIE: FRANCIS LAWRENCE

MIT JENNIFER LAWRENCE, JOEL EDGERTON, MATTHIAS SCHOENAERTS, JEREMY IRONS, CHARLOTTE RAMPLING U. A.

 

Wenn ich als feierabendlicher TV-Channelsurfer an den SWR denke, dann fällt mir erstmal unweigerlich der Südwestrundfunk ein. Dass mit diesem Kürzel aber auch der russische Auslandsnachrichtendienst gemeint ist, erschließt sich mir erst nach Sichtung des neuen Films von Panem-Macher Francis Lawrence. Red Sparrow heißt sein Agententhriller, und natürlich hat Namensvetterin Jennifer womöglich schon vor Vorlage des Drehbuchs zum Film ihre Rolle als fix in ihrer Agenda gehabt. Francis hätte aber auch Charlize Theron besetzen können – die hat aber bereits für Atomic Blonde zugesagt. Mit seiner ehemaligen Darstellerin der Katniss Everdeen ist Francis Lawrence aber sowieso auf der publikumswirksameren Seite. Lawrence zählt zu den bestverdienenden Stars und hat auch weit über ihr schauspielerisches Können hinaus im weltweiten Celebrity-Pool ihre Hände mit im Spiel. Red Sparrow wird also wohl vor allem wegen Jennifer Lawrence sein Geld einspielen, keine Frage. Noch dazu, wenn bei Erwartung einer im Vorfeld angekündigten ungezügelten Nabelschau Erinnerungen an Sharon Stone wach werden. Dass zumindest zeitweilig die Zugriffe auf die unwillkommenen Nacktfotos der jungen Dame weniger werden, kann auf taktisches Kalkül zurückzuführen sein.

In Red Sparrow, nach dem Roman des Ex-CIA-Agenten Jason Matthews, der sicher mit reichlich Erfahrungen aus der Branche authentisches Gebaren hinter den Kulissen illustriert, führt der SWR also so etwas Ähnliches wie ein Bootcamp für reizorientierte Kampfmätressen, genannt die Spatzenschule, unter der Fuchtel einer steingesichtigen Charlotte Rampling, die einen seltsamen Haufen junger Russinnen und Russen zur Schamlosigkeit erzieht. In dieses zweifelhafte Etablissement wird die Ex-Ballerina Dominika Egorova von ihrem zwielichtigen Onkel Wanja – da war wohl Matthews ein Liebhaber Anton Tschechows – gekarrt. Doch wenn ich Dominika Egorova wäre, würde ich, sofern ich die Wahl hätte, absichtlich aus der Schule fliegen wollen. So elitär und effektiv, wie angekündigt, ist diese knochentrockene Erziehungseinrichtung, die irgendwie an das Internat Romy Schneiders aus Mädchen in Uniform erinnert, längst nicht. Zumindest gelingt es Francis Lawrence kaum, die angebliche Relevanz der Vorgeschichte unseres roten Spatzen zu rechtfertigen. Die sogenannten Geheimnisse der Verführung und Manipulation, die dort weit jenseits des Kamasutras beigebracht werden, scheinen auch als Online-Tutorial auf Youporn seinen Zweck erfüllen zu können. Und die Erkenntnis von Jennifer Lawrence, dass sexuelle Nötigung meist mit Machtgehabe zu tun hat – das ist jetzt nicht so die Aha-Erkenntnis, die sie wohl meint erlangt zu haben.

Hat man die zumindest in der Synchronisation im unfreiwillig komischen, russischen Dauerakzent sprechende Meisterin aller Klassen in die freie Wildbahn der Agenten und Spione entlassen, beginnt das Spiel um Information, Täuschung und Taktik überhaupt erst interessant zu werden. Da ist aber schon rund die Hälfte des Filmes um. Sei´s drum, das war bei Atomic Blonde auch so. Da hat das Genre des Agentenfilms generell das Problem, die Gesamtsituation für das Publikum in viel zu langen Erklärungen überhaupt erst erfassbar werden zu lassen. Bei Atomic Blonde und Red Sparrow zeigt das Drehbuch zur ersten Halbzeit deutliche Schwächen – leicht zu dramatisieren ist so eine Romanvorlage sicher nicht. Hut ab, wenn es zumindest halbwegs gelingt. Dann aber wird das Gefühl, schon viel zu viel Zeit in Red Sparrow investiert zu haben, deutlich schwächer. Jennifer „Dominika“ Lawrence, die trotz ihres barbusigen, aber dennoch verhaltenen Teasings wie kaum eine andere junge Filmdiva so sehr ihre Keuschheit an die vorderste Front schickt, hat in Joel Edgerton zumindest einen Filmpartner gefunden, der seine Reize zum Glück nicht vortäuschen muss. Der stets verkniffen dreinblickende, gestandene Charaktermime hat schon Charisma, während Matthias Schoenaerts wie der jüngere Bruder von Vladimir Putin Todesdrohungen wie Tombolapreise verhökert.

Man bemerkt mitleidig, dass der rote Spatz immer noch gerne Ballerina hätte sein wollen. Von Professionalität keine Spur, vielmehr fallen die scheinbar unerwarteten Umstände in der Agentin aufreizenden Schoß. Improvisation ist wohl mehr ihr Ding  – oder ist alles nur Fassade? Spätestens jetzt sollte ich damit das Interesse meiner Leser wecken, denn je näher wir zum Ende kommen, umso mehr schlägt der Thriller seine notwendigen Kaninchenhaken, um als durchaus spannender Geheimtrip – nicht Tipp – zwischen Moskau, Budapest und Wien in Erinnerung zu bleiben. Und der Wiener Michaelaplatz könnte zumindest für Fans, die sich getrost wieder JLa´s Nacktfotos widmen, eine völlig neue Bedeutung erlangen.

RED SPARROW

Atomic Blonde

DIE NOSTALGIE DER EIGHTIES

6/10

 

atomicblonde

LAND: USA 2017
REGIE: DAVID LEITCH
MIT CHARLIZE THERON, JAMES MCAVOY, SOFIA BOUTELLA, JOHN GOODMAN, EDDIE MARSAN

 

Begleitet von den Elektrobeats aus Tom Schilling´s Major Tom teilt eine wunderschöne, wasserstoffblonde Frau am Rücksitz eines Autos mit einem ihrer High Heels gehörige Portionen Backpfeifen aus, bevor das Auto ein Hindernis rammt und sich überschlägt. So in etwa beginnt David Leitch´s Verfilmung einer Graphic Novel mit dem Titel The Coldest City von Anthony Johnston – einem enorm stylischen Agententhriller aus Verrat, Bespitzelung und Verfolgung. Schauplatz ist ein tristes, versifftes Berlin, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. Mittendrin eine kühle Blonde, gekleidet in allem, was die Achtziger auf gefühlt allen Laufstegen der Jetset-Welt damals zu bieten hatten. Von schillerndem Lederschuhwerk, Netzstrümpfen, schulterfreien Pullis und gewagten Minis darf Charlize Theron womöglich alles tragen, was ihr gefällt. Und dabei verdammt cool aussehen. Das Model mit ihren knapp über vierzig Jahren ist immer noch eine enorm aparte Gestalt. Gefühlsduselei sind der Blondine fremd. Ihre zynische Ernsthaftigkeit dürfte sie sich unter anderem von Anne Parillaud aus Bessons Nikita abgeguckt haben – die Frisur in seiner stechenden Intensität von Christopher Lambert aus Subway, ebenfalls ein Klassiker aus den Achtzigern. Und das martialische Know-How vom aktuellen James Bond. Lorraine Braughton ist somit eine bis zur Überzeichnung gestählte Geheimwaffe, die man besser nicht hinters Licht führen sollte. Da dies in der Welt der verdeckten Ermittler und Spione aber gang und gäbe ist, kann sich der Zuseher wohl vorstellen, wohin das führt. Doch bis es einmal so weit kommt, heißt es quälend lange warten. Denn die erste Hälfte von Atomic Blonde hält sich nur allzu gern damit auf, den Agentenfilm von der Stange ins Laufen zu bringen.

Nichts ist hier anders als in vielen anderen thematisch verwandten Spannungsszenarien, die wir alle schon zur Genüge kennen. Eine besagte Liste, die so wertvolle wie entlarvende Daten über die Spione des MI6 enthält, ist ein Objekt der Begierde, das für den Zuseher über keinerlei Relevanz verfügt. Ob Liste, Kapsel, Dokument A oder Dokument B, ob Atomsprengkopf oder die Kronjuwelen der Königin – worum es geht, scheint für Leitch zumindest anfangs zweitrangig zu sein. Er konzentriert sich voll und ganz auf Charlize Theron. Ihr Kommen, ihr Gehen, ihr Zug an der Zigarette und ihr eiskaltes Wannenbad on the rocks – die Dame ist das Zugpferd des Films, der so wirkt wie eine Musikvideo. In pink-türkisen Neonlichtern, vor rebellischen Graffiti-Wänden und im Sound der Achtziger. Die gestalterischen Aspekte des Thrillers, die den Zeitgeist der späten 80er unterstreichen und das nostalgische Gefühl vermitteln sollen, mit Wurlitzer und X-Large nochmal in die Vergangenheit gereist zu sein, sind wie Asse im Ärmel zielsicher ausgespielt. Die Betrachtung kühl-ästhetischer Fassade macht Spaß. Und der eiskalte Engel ebenso. Dass Theron schauspielern kann, wissen wir. Das macht sie auch in diesem Streifen äußerst gut. Der Männer verprügelnde Vamp, der mit Stiefelabsätzen, Herdplatten und Pistolengriffen das Blut spritzen lässt ist allerdings neu. Die völlig klangbefreite, auf Schreie und Keuchen reduzierte Kampfszene in einem Berliner Altbau ist in seiner Intensität fast schon ein bisschen David Cronenberg. Choreographisch perfekt und von enorm physischer Intensität. Und sobald es ums Ganze geht, und Leben auf dem Spiel steht, wird der Film auch richtig spannend. Da läuft Atomic Blonde zur Höchstform an. Die Liste ist bald vergessen, das nackte Überleben und das Herausfinden aus dem Sumpf des Betrügens, Betrügen Werdens und Beschattens hat nun keine Langeweile mehr. Schmerz wird zum Lehrmeister, der Tod hat plötzlich viel zu tun.

Atomic Blonde ist eine visuell sinnliche Reise in die Zeit von Nena, Falco, Neon und Punks. Es ist zu vermuten, dass einige Szenen den Panels aus dem Comic entsprechen. Was den Film in seinem Design noch kunstvoller werden lässt. Die Agentenstory dahinter ist zwar zu banal, um im Gedächtnis zu bleiben. Doch die Plakativität, die anderen Filmen vielleicht vorzuwerfen wäre, rettet den Geheimdienstreißer über den Durchschnitt.

Atomic Blonde

Jason Bourne

KEINE RUH‘ HAT MAN!

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jasonbourne

Er will nicht mehr, er kann nicht mehr. Das einzige, was er will, ist in Ruhe gelassen zu werden. Aber nein, noch immer oder schon wieder ist die CIA hinter ihm her. Tatsächlich hat die Geheimdienstzentrale der Vereinigten Staaten nichts Anderes zu tun als die Geister, die sie gerufen hat, loswerden zu müssen. Blöd nur, wenn solche Geister nicht mehr totzukriegen sind. Matt Damon alias Jason Bourne alias jemand ganz anderer ist so ein Schreckgespenst unter den Agenten. Von einer Vertrauten aus früheren Zeiten kontaktiert und damit aus der Versenkung geholt, findet sich die geknechtete menschliche Kampfmaschine im Visier von Auftragskillern und anderen dunklen Gestalten aus dem Untergrund wieder – um abermals aufzuräumen und seiner wahren Identität diesmal aber beträchtlich näherzurücken.

Nach dem beim Publikum eher durchgefallenen Spin Off mit Jeremy Renner als Bournes Leidensgenosse, der ähnlich arg in Bedrängnis gerät, hat man den Charaktermimen Damon ein viertes Mal als Jason Bourne überreden können. Dass diese Verhandlungen der Studios mit ihrem Zugpferd wahrscheinlich kein Honiglecken waren, sieht man an der Mine des Schauspielers in jeder Sekunde. Denn so sauer und unzufrieden mit sich und der Welt kann normalerweise nur Tommy Lee Jones dreinblicken. Ach ja, Tommy Lee Jones. Der spielt hier übrigens auch mit. Zerknitterter und missmutiger denn je. So treffen sich zwei Pessimisten in einem von Paul Greengrass irgendwie hastig heruntergekurbelten Agententhriller voller Wackelkamerabilder und hitzigen Autoverfolgungsjagden. Das faltenfreie Gegenstück zu den verkniffenen Gesichtern in einem Thriller, der irgendwie an Bullitt und Auf der Flucht erinnert (auch mit Tommy Lee Jones), ist die aparte Alicia Vikander. Ihr undurchschaubares Spiel mindert dann doch das drängende Gefühl, in schlechte Stimmung zu geraten. denn Mat Damons zorniges Spiel ist geradezu ansteckend. Da hat ja eher noch Liam Neeson in seiner verstörenden Gleichgültigkeit als familienfreundlicher Ego-Shooter mehr Liebreiz. Aber wen wundert’s, wenn man ständig gejagt wird, vergeht einem das Lachen bis auf weiteres. Da will man irgendwann von nichts mehr irgendwas wissen. Doch wenn das Ziel so nahe ist, geht noch was. Und da mausert sich der Film kurz vor dem Ende des ewig dauernden Katz- und Mausspiels doch noch zu einem halbwegs unterhaltsamen Thriller, der zwar nichts Neues von der Geheimdienstfront zu berichten weiß, aber Fans von reißbrettartigen Crossover-Duellen diverser guter, halbguter und böser Top-Agenten über den Abend bringt. Und wer noch dazu Vincent Cassels Adler-Visage seit Black Swan auf der großen Leinwand vermisst hat, kommt ebenfalls auf seine Rechnung.

Dass ein fünfter Teil auszuschließen ist, kann ich letztendlich leider nicht bestätigen. Jeremy Renner darf’s von mir aus durchaus auch wieder sein, am besten gemeinsam mit Matt Damon. Denn ein bisschen Buddy-Geplänkel könnte dem etwas zu ernst dreinblickenden Actionthrill eventuell ganz guttun.

 

Jason Bourne