Handling the Undead (2024)

AUCH ZOMBIES SIND FAMILIE

5/10


Handling the Undead© 2024 TrustNordisk


LAND / JAHR: SCHWEDEN, NORWEGEN, GRIECHENLAND 2024

REGIE: THEA HVISTENDAHL

DREHBUCH: THEA HVISTENDAHL & JOHN AJVIDE LINDQVIST, NACH DESSEN ROMAN

CAST: RENATE REINSVE, ANDERS DANIELSEN LIE, BJØRN SUNDQUIST, BENTE BØRSUM, BAHARS PARS, OLGA DAMANI, KIAN HANSEN, JAN HRYNKIEWICZ, INESA DAUKSTA U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Nicht genug, dass durch irgendein metaphysisches Ereignis Norwegens Bevölkerung aus anderen Epochen plötzlich in der Gegenwart aufschlagen – so gesehen in der wirklich sehenswerten Miniserie Beforeigners, die schon 2 Staffeln zählt. Jetzt bringt ein anderes, nicht näher erläutertes und deshalb auch höchst dubioses Ereignis den Stromkreislauf des Landes zum Versiegen, währenddessen die kosmische Energie dafür verwendet wird, all die kürzlich Verstorbenen von ihrer letzten Ruhestätte zu vertreiben. Wer, wenn nicht John Ayvide Lindqvist, der für die Vorlage von Filmen wie So finster die Nacht oder Border sein Copyright hochhält, kann sich dieses Szenario ausgedacht haben. Eines, das auf den ersten Blick so wirkt, als hätten wir es mit einer schnöden Untotengeschichte zu tun. Bei Lindqvist gibt es da meist dieses Mehr an gesellschaftspolitischer Komplexität, er verortet seine fantastischen Komponenten stets in einem äußerst realen, gegenwärtigen und greifbaren Umfeld. Bei Lindquvist kann das Paranormale einen jeden treffen, weil diese Faktoren längst in unserem Alltagsleben inhärent sind.

Bei Handling the Undead sind die Toten immer noch jene, die zu den Familien der Trauernden gehören. Ihre Verwesung ist noch nicht so weit fortgeschritten, um sie als Monster zu deklarieren. Ihr Verstand verharrt zwar in einer somnambulen Stasis, doch das letzte bisschen Erinnerung und Persönlichkeit mag da noch an die Oberfläche gelangen wollen, um zumindest noch das ehemalige Zuhause zu erkennen, in welches die Schatten ihres früheren Selbst wie selbstverständlich reinschneien. Auf den ersten Blick freut das natürlich jene, die sich längst von ihren Liebsten verabschiedet haben. Hier nochmal mit einem zwar wortkargen, aber physischen Dacapo getröstet zu werden, mag die Tatsache einer völlig anderen Wesensart eines Zombies zumindest temporär verdrängen – alsbald schon liegen die Defizite zur früheren Person klar auf dem Tisch. Was also tun mit den lieben Verwandten, wenn sie durch ausgeprägt lethargisches Verhalten den Alltag erschweren und sich auch dazu hinreissen lassen, das tun zu müssen, was Untote eben tun: Gewalt anwenden.

Auf dem diesjährigen Sundance Filmfestival mit Handling the Undead debütiert, hat Regisseurin Thea Hvistendahl das vielfach bemühte Zombie-Thema nochmal so weit variiert, dass diese Idee passgenau in die Feiertagsthematik rund um Allerseelen passt. Im Gegensatz zum Tag der Toten in Lateinamerika als kunterbuntes Freudenfest (siehe Pixars Coco – Lebendiger als das Leben) ist dieser Film die depressive Bebilderung eines Jenseitsbesuches, der überhaupt nichts mehr Feierliches, Erhabenes oder Bereicherndes hat. Was da die Lebenden heimsucht, sind leere Hüllen, die als Ersatz der Vermissten nicht lange vorhalten. Genauso wie ihre Zombies hat Hvistendahl allerdings nur wenig Interesse daran, aus ihrem narrativen Minimalismus auszubrechen. Sie wagt oder will es nicht, auf gemeingesellschaftlicher Ebene die heimgesuchte Stadt Oslo im Ausnahmezustand darzustellen, um aus dem paranormalen Phänomen die Diskrepanz zwischen Leben und Tod auszuloten. Sie begnügt sich damit, die Toten atmen zu lassen. Das ist reichlich wenig für eine Anomalie, die eine Menge hergeben könnte, würde Handling the Undead den Fokus nicht nur sehr streng auf drei Einzelschicksale setzen, die untereinander nicht in Berührung kommen, um in fast schon semidokumentarischer Nüchternheit die Grundproblematik fremder Vertrauter zu variieren.

Das Potenzial also ungenutzt, schlurft der Film blutleer, bitterernst und grau seine abendfüllende Spielfilmlänge ab und hätte dabei aber als griffiger Kurzfilm wohl viel eher funktioniert. Wie in Slow Motion spult Hvistendahl ihre Szenen ab, lange Einstellungen wechseln mit überlangen Szenen, der ganze Film ist wie eine ausgedehnte Schweigeminute für Verstorbene, bei der man tunlichst vermeidet, Emotionen zu zeigen. In diese Tristesse kann man sich aber durchaus fallen lassen. Lebt man im Moment selbst nach diesem Modus der Verlangsamung und der Schwermut eines harten Lebens, könnte man von Handling the Undead aufgefangen und verstanden werden. Im Grunde ist die Idee schließlich reizvoll genug, um über Verlust, Trost und die Hürden des Abschieds nachzudenken.

Handling the Undead (2024)

Maria Magdalena

JESUS UND DIE FRAUEN

7/10

 

MariaMagdalena© 2018 Universal Pictures

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: GARTH DAVIS

MIT ROONEY MARA, JOAQUIN PHOENIX, TAHAR RAHIM, CHIWETEL EIJOFOR U. A.

 

Blickt man dieser Tage ganz genau ins Kinoprogramm, wird klar, dass Ostern vor der Tür steht. Da feiert das verschwindende Genre des ökumenischen Films meist eine kleine Auferstehung. Die aber kaum ins Gewicht fällt, lässt sich die Anzahl thematisch verwandter Filme auf Eins hochrechnen. Was mich kaum wundert, denn die christliche Religion ist kurz davor, sich aus hausgemachter Ursache in einer gewissen Bedeutungslosigkeit zu verlieren. Kaum jemand, mit dem ich über das Christentum spreche, kann dieser Religion noch etwas abgewinnen. Vom Einfluss, den das patriarchalische Glaubenskartell mal hatte, gefestigt durch Kreuzzüge, einer unumstößlichen Hierarchie und gestopft voll mit Geld, ist kaum mehr etwas übrig. Der religiöse Film ist meist einer, der sich entweder mit der Abkehrung vom Glauben beschäftigt – oder versucht, zeitrelevante Aspekte aus der Heilsbotschaft zu bergen. Erfolgreich sind diese Filme alle nicht. Da muss schon gehörig viel Blut fließen, um die Kassen klingeln zu lassen. Die Passion Christi, einer der erfolgreichsten Religionsfilme überhaupt, ist mittlerweile in der TV-Landschaft der Karwoche genauso garantiert wie das wiederholte Jour fixe für Ben Hur. Ist man die Wiederholung der peinvollen Passionsgeschichte und Charlton Heston schon ziemlich leid, lockt aktuell eine ganz andere Randfigur des Neuen Testaments vielleicht sogar Agnostiker und Querdenker ins Kino, die anderswo vielleicht gerne Bibelrunden aufmischen und dort Reibung suchen, wo sie längst fällig ist.

Die Rede ist von Maria Magdalena. Und all die Agnostiker und Bibelrundenaufmischer werden einerseits fasziniert sein von Rooney Mara´s so pathetischer wie hochemotionaler Interpretation der einzigen Apostelin unter den Aposteln, andererseits aber auch enttäuscht sein, weil Regisseur Garth Davis sichtlich notwendige Kontroversen scheut. Der Macher von Lion entspricht mit seiner Traumbesetzung der ersten Zeugin von Jesu Auferstehung wohl dem am meisten verbreiteten Bild, den Bibelkundige von Maria Magdalena haben. Langes, schwarzes Haar, ein zartes Gesicht, sanftes Lächeln, die Güte schlechthin. Was dazu kommt, ist der Intellekt, das Begreifen und der Mut, den alten Dogmen zu trotzen. Diese Aufgabe erfüllt Rooney Mara ausgesprochen gut. Und der Klerus wird zufrieden sein. Womit er vielleicht nicht zufrieden sein wird, ist die bedeutende Rolle, welche nicht nur Maria Magdalena, sondern die Frauen überhaupt in Jesus´ unmittelbarer Nähe einnehmen. Dabei war mir bislang nicht bekannt, dass die „Hure“ aus Magdala erstens womöglich gar keine war, und zweitens im Jahre 2016 als erste Apostelin unter den Aposteln rehabilitiert wurde. Eigentlich nur eine Frage der Zeit, dieser Reform einen gebührenden Widerhall in der Kunst zu verschaffen, ging doch dieses Zugeständnis selbst bei mir als interessierten Freizeitexeget so ziemlich spurlos vorüber. Dass Maria von Magdala den wenig durchblickenden Aposteln die Welt erklären muss, mag dem Patriarchat noch saurer aufstoßen.

Aspekte also, die Reformen anregen könnten. Käme es einem nicht so vor, als wäre Garth Davis die Passionsgeschichte eigentlich wichtiger. Im Grunde ist alles bestens, wir erfahren Marias fiktiven, aber möglichen Ursprung, wir zeigen uns mitfühlend ob ihrer inneren Zerrissenheit. Doch dann kommt der Messias. Maria folgt ihm, ganz klar. Und wird zur Statistin degradiert, die Davis laufend aus den Augen verliert. Gegen die Heilsgeschichte hat die empathische Fischerstochter mit sozialer Ader kaum eine Chance. Zu sehr ist Garth Davis von Joaquin Phoenix ungestümer Performance eines derben Jesus mit verlorenem Blick fasziniert. Und dann fällt ihm wieder Maria Magdalena ein. Kehrt zurück zu ihr, sucht sie in der Menge. Lässt sie erst wieder gegen Ende zu Wort kommen. Lässt sie Judas (großartig: Tahar Rahim) erfolglos therapieren und mit Petrus diskutieren. Das sind dann die spärlichen, aber besten Momente. Jene, in denen die Botschaft des Nazareners für Kontroversen sorgt.

Die mögliche Biografie einer Heiligen umschifft großräumig jeglichen Kitsch, taucht seine durchaus berührende Erzählung in Bilder voller Morgenlicht und blaue Stunden. Setzt einer Ikone gleich Rooney Mara´s erwartungsvoll blickendes Konterfei unter leinenem Tuch ins weiche Licht des Tages. In der Reduktion auf das levantinische Karst und den schmucklosen, rauen Gewändern der Protagonisten liegt puristisches Pathos, das aber kein Fehler ist, sondern eine angenehm entreizte Bühne. Im Widerspruch dazu weiß der Soundtrack nicht so recht zu passen – stilistisch völlig verwirrt, folgen auf penetrant klassischen Geigen A capella-Chöre und später besinnlichere Klänge. Die Geräusche des Windes, der Regen, das Wasser wäre Soundtrack genug gewesen, vor allem für einen Film, der in seiner spartanischen Aufmachung und Aussage ebendies auch akustisch verlangt hätte.

Ein leider nur zaghafter, aber immerhin feministischer Ansatz, mit dem Garth Davis die Relevanz seines Films rechtfertigt. Das muss ich zugestehen, lässt Maria Magdalena letzten Endes dennoch befreit durchatmen. An den Glanz der Erkenntnis in den Augen einer bislang verkannten Apostelin wird man sich gerne erinnern. Und vielleicht auch wieder etwas mehr an die unorthodoxe Botschaft eines Mannes, der seiner Zeit weit voraus war.

Maria Magdalena