The Whale (2022)

DAS GUTE IM MENSCHEN

7,5/10


thewhale© 2022 Courtesy of A24


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DARREN ARONOFSKY

BUCH: SAMUEL D. HUNTER, NACH SEINEM GLEICHNAMIGEN BÜHNENSTÜCK

CAST: BRENDAN FRASER, SADIE SINK, HONG CHAU, TY SIMPKINS, SAMANTHA MORTON, SATHYA SRIDHARAN

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Wäre ich Darren Aronofsky, wäre mir womöglich nie in den Sinn gekommen, diese exorbitant schwierig zu gestaltende Rolle des adipösen Charlie in The Whale mit einem wie Brendan Fraser zu besetzen. Berühmt und bekannt geworden ist dieser doch schließlich mit mittlerweile etwas angestaubten Schenkelklopfer-Komödien wie Steinzeit Junior oder George – Der aus dem Dschungel kam. Später war’s dann das Mumien-Franchise. Und erst kürzlich habe ich mir den Abenteuerklassiker aus den Neunzigern wieder zu Gemüte geführt. Ja, er funktioniert immer noch. Und Fraser ist nach wie vor einer wie Indy. Doch der Weg zum bitteren Drama ist ein weiter. Wie also kam Aronofsky auf Fraser? In Hollywood kennt wahrscheinlich ohnehin ein jeder jeden, vielleicht sind die beiden befreundet. Einer wie Aronofsky experimentiert wohl gerne mit Akteuren, die man unterschätzt und wagt die Probe aufs Exempel. Und siehe da: Sein Riecher war ein guter. Brendan Fraser versteckt seine eigentliche Physiognomie in einem kiloschweren Fatsuit, sein Gesicht aber bleibt weitestgehend frei von Silikon. Man blickt direkt ins Konterfei des Schauspielers, man sieht seine Mimik, man erkennt jede noch so kleinste Emotion. Seine Performance ist wohl eines der zärtlichsten und authentischsten Akts der letzten Zeit.

Bei Aronofsky ist aber auch klar, dass er nicht darauf aus ist, sein Publikum in gefälliger Sicherheit zu wiegen. Das auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Samuel D. Hunter basierende Kammerspiel scheut sich nicht davor, seinen geschundenen, gejagten und letztlich gestrandeten Wal an die Grenze seiner autoaggressiven Exzesse zu bringen. Er lässt diesen Giganten schwitzen, weinen, erbrechen. Er lässt ihn fressen und stürzen. Doch er lässt ihn niemals den Glauben an die Menschheit verlieren – obwohl dies das Naheliegendste wäre, was sich angesichts einer gescheiterten Figur wie Charlie annehmen ließe. Der Literaturprofessor, der nur im Homeoffice via Online-Meeting mit seinen Schülern kommuniziert, ohne dass die ihn sehen, hat sich nach dem Tod seines Partners Alan nicht mehr aufrappeln können. Die Folge war Adipositas im Endstadium. Natürlich erinnert sein Auftreten an Darlene Cates in Lasse Halströms Gilbert Grape – irgendwo in Iowa, die als Johnny Depps Filmmutter ebenso schwer bis gar nicht aus dem Sofa kam wie Frasers Figur des Charlie. Der hat seinen geistigen Scharfsinn und seinen Anstand nie verloren. Genauso wenig wie den Ekel vor sich selbst und seinem Scheitern. Ganz oben auf der Liste der Versäumnisse steht Tochter Ellie (Sadie Sink aus Stranger Things), die Charlie, als sie noch Kind war, verlassen hat. Ellie ist im schlimmsten Teenageralter, hasst ihren Vater, kreuzt aber dennoch bei ihm auf. Scheint nur Böses im Sinn zu haben, denkt destruktiv und manipuliert andere. Und dennoch: Ihr Vater sieht nur Gutes in ihr – so wie in jedem Menschen. Diese Empathie wird wie die Hoffnung das letzte sein, was stirbt.

Da ist dieser wache Geist, diese ruhige Stimme. Dieses Gutmütige, Verständnisvolle. Die Figur des Charlie wird zu einer Metaebene von Moby Dick – dieser Roman und sein Essay zieht sich begleitend durch das ganze Szenario. Dabei stellt sich heraus, dass die adipöse Leidensfigur Meeressäuger und Kapitän Ahab zugleich ist. Der Selbsthass wird zu einem vernichtenden Kreislauf führen – die wenigen Menschen, die die letzten Tage seines Lebens teilen, können nur zusehen und mit ihrem Altruismus letztlich nicht zu ihm durchdringen, da dieser doch nur zu ihrem Selbstzweck dient. Charlie hingegen schenkt den Rest seines missglückten Lebens seiner Tochter. Er ist der Einzige, der weitergeht, sich selbst versenkt, um andere aus dem Wasser zu ziehen.

Natürlich fühlen sich für den Film adaptiere Bühnenstücke letztlich immer so an, als wären wir im Theater. Die Dialogregie ist anders, die Gespräche dichter. Die Emotionen, Stimmungen und Intonationen wechseln im klugen Rhythmus, um das Publikum bei der Stange zu halten. So ein Drama ist sprachlich komplex – und Aronofsky erfindet und interpretiert nichts dazu. Sein im Kern wunderschönes Requiem versinkt niemals im Selbstmitleid, obwohl der Himmel jenseits der düsteren Bude stets seine Schleusen öffnet. Sein Film ist finster und gleichzeitig strahlend hell, wenn Charlie über Sein und Nichtsein sinniert. Das Abstoßende in The Whale wird zum Teil eines inneren Kampfes, in dem es längst nicht mehr um den geht, der kämpft. Trotz dieser Selbstaufgabe trägt The Whale etwas ungemein Positives in sich – wenn man Charlie doch nur umarmen könnte, wenn dieser doch nur Teil des eigenen Lebens wäre. Es wäre eine Bereicherung. Nicht für ihn, aber doch für die anderen.

The Whale (2022)

Macbeth (2021)

DIE PARANOIA EINES THRONRÄUBERS

7/10


macbeth© 2021 Apple+ 


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: JOEL COEN

CAST: DENZEL WASHINGTON, FRANCES MCDORMAND, BRENDAN GLEESON, HARRY MELLING, COREY HAWKINS, RALPH INESON, KATHRYN HUNTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Sind die Werke von William Shakespeare tatsächlich immer noch zeitlos? Oder hat die Bühnensprache aus dem frühen 17. Jahrhundert nicht auch irgendwann ein Ablaufdatum? Wie ist es wohl passiert, dass Shakespeare als das Non plus Ultra rezitierter Textgröße einem witterungsbeständigen Monument gleich allen Jahrhunderten trotzt und ein jeder, der auch nur irgendwas mit Schauspiel oder Theater zu tun hat, sich zumindest einmal an dem Engländer mit der Halskrause ausprobieren will? Jetzt gehört auch noch Joel Coen (und zwar ohne Bruder Ethan) zu denen, die vor den sperrigen Königsdramen einen Hofknicks machen. Und dreimal darf geraten werden, welches Drama wohl zum Zug kommt. Ganz klar, Macbeth – der schottische Königsmörder und der Wahnsinn. Wenn man den mal ordentlich adaptiert, kann man so gut wie alles inszenieren. Sogar Theater.

Dabei ist Macbeth irgendein schottischer König aus dem ganz finsteren 11. Jahrhundert, einer, der sich, angestachelt von seiner Gattin – der berühmt berüchtigten Lady Macbeth – hochgemordet und das Land aber für einige Zeit zumindest gar nicht mal so Caligula-like regiert hat. Es herrschte Frieden und Wohlstand – wer hätte das gedacht? Der Thronerbe des verblichenen Königs Duncan hat da aber außerhalb der Regimentsgrenzen bereits die Messer gewetzt, um sich seinen Anspruch zurückzuholen, war dieser doch wohlweislich vor den Häschern Macbeth’s geflohen. Er wird heimkehren, es wird Krieg gegeben haben – Macbeth wird bald Gespenster gesehen und sich in einen paranoiden Wahn hineingesteigert haben – während getötet wurde, wer ihn auch nur schief angesehen hat.

Es ist klar, wie es ausgehen wird, nicht umsonst ist das Stück eine Tragödie. Die Macbeths werden am Ende ihrer blutigen Karriere wohl nicht mehr atmen. Dabei lässt sich die Handlung ja, wenn man sich genug konzentriert, aus den hochgestochen arrangierten Textbrocken, die so schönmalerisch und in bildhafter Umschreibung Gemütszustände mit allem möglichen vergleichen, dann doch extrahieren. Das bedarf aber – bei Shakespeare eben einmal mehr, einmal weniger – ganz schön viel Aufmerksamkeit, was letzten Endes weniger Genuss als Erarbeitung darstellt. Dem lässt sich allerdings aus dem Weg gehen. Vor allem dann, wenn Macbeth schon aus Theater und Kino zur Genüge bekannt ist. Viel anders als in den letzten 400 Jahren wird’s nicht mehr. Die Verpackung drumherum allerdings schon. Coens Film ist einer, der schließlich visuell funktioniert – der altbekannte Klassiker ist dabei nur der librettoartige Unterbau, um sich an den darstellenden Künsten zu probieren. 

Und so hat Joel Coen das ganze geblümt-schwere Szenario als expressionistisches Schattentheater auf eine grenzenlos scheinende, gleichermaßen aber hermetisch abgeriegelte Bühne gesetzt. Noch mehr von der Realität entfremdet wird das Ganze durch manchmal kontrastreiches, manchmal weichgezeichnetes Schwarzweiß. Nichts, gar nichts dringt von außen, von einer pandemiegequälten Jetztzeit, in die archaische Psychopolitik eines schottischen Wüterichs, der in einer nebelverhangenen Traumwelt sein Schicksal sucht. Wenn die drei Schicksalskrähen auf dem Schlachtfeld erscheinen, erinnert dies frappant an die Werke Ingmar Bergmans (u. a. Das siebente Siegel). Hätte dieser Shakespeare inszeniert, wäre sein Film Coens Interpretation vermutlich recht ähnlich.

Dass hier Reminiszenzen zu finden sind, liegt somit auf der Hand: Die Liebe zum alten, klassischen Studiofilm lässt geometrische Kulissen, wie wir sie aus den Theatern dieser Welt kennen, Licht durch finstere Torbögen gleißen, manches erscheint wie mit Tinte gezeichnet, manches ist selbstbewusstes Retrokino aus der Hochzeit skandinavisch-deutscher Schauer- und Stummfilmdramen, die auch Dave Eggers in Der Leuchtturm freudvoll angehimmelt hat. Auf ähnliche Weise bringt die lettische Mystery November das Metaphysische in eine von Mythen überforderte Welt. Damals allerdings hätte es unter Bergmans Regie wohl kaum einen schwarzen Macbeth gegeben.

Mit dieser Art und Weise des Inszenierens flackert die Erinnerung daran, dass es sowas wie eine Filmhistorie gibt, auch wieder auf. Das symbolistische Bedeutungskino, von der Bühne auf den Screen und wieder zurück, strengt zwar mitunter an, trifft aber mit seinen akkuraten, expressionistischen Bildarrangements durchaus den Schöngeist. 

Macbeth (2021)