Memoir of a Snail (2024)

EINE ABRISSBIRNE FÜRS SCHNECKENHAUS

8/10


© 2024 Polyfilm


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: ADAM ELLIOT

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): SARAH SNOOK, KODI SMIT-MCPHEE, JACKI WEAVER, ERIC BANA, DOMINIQUE PINON, MAGDA SZUBANSKI, NICK CAVE, ADAM ELLIOT, BERNIE CLIFFORD U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Das „potscherte“ Leben gibt’s nicht nur hier im morbiden, leicht psychotischen Wien. Das gibt es auch auf der anderen Seite des Erdballs, genauer gesagt auf dem Kontinent namens Australien. Fern jeglicher Down-Under-Exotik aus Kängurus, Uluru und Great Barrier Reef hadern die Ausgestoßenen in existenzieller Düsternis um ihr Schicksal, und damit sind gar nicht mal die um ihr Recht auf Glückseligkeit gekommenen Ureinwohner gemeint – sondern allenthalben die Nachkommen weißer Siedler, die auf einem Kontinent der Superlativen ihr Leben soweit dahinleben wie die anderen, wie die Norm, wie das Schicksal es verlangt. Adam Elliot hat sich nach Mary & Max – Schrumpfen Schafe, wenn es regnet abermals den Nonkonformisten, den Außenseitern, Sonderlingen und Verlieren hingegeben, er weiß schließlich, dass genau sie es sind, die der Menschheit die Menschlichkeit erhält. Er weiß, das genau sie es sind, die wie der gute alte Hiob aus der Bibel soweit vom Leben genötigt und getriezt werden, nur um es letztlich besser zu verstehen als alle anderen. Durch Verzicht, Verlust und Enttäuschung hindurch sieht man das, was man hat, deutlich klarer. Doch ist das nicht ohnehin der gepredigte Weg des Schmerzes? Ist der Content hier vielleicht allzu religiös angehaucht? Überhaupt nicht.

So, wie Elliot die Lebenssituationen der Zwillinge Grace und Gilbert beschreibt, lässt sich spüren, wie behutsam er seine zerbrechlichen, sensiblen und sehnsüchtigen Figuren auf die Probe stellt, ohne sie mit ihren Tragödien und schmerzlichen Umwegen zu überfordern. Die beiden fahlgesichtigen kleinen Puppen, an denen Tim Burton sicher seine helle Freude hat, stemmen, indem sie sich ihrem Charakter selbst treu beiben, das Unwegsame. Sie assimilieren sich nicht, besitzen aber gleichzeitig durch ihre Andersartigkeit die Fähigkeit, sich allem, was passiert, in melancholischer und gleichsam resignativer Hoffnung zu fügen. Das mag ein Widerspruch in sich sein, weckt aber den Lebenskünstler. Das ist Pragmatismus zur rechten Zeit – und Grace, die scheinbar alles im Laufe ihres Lebens verliert und sich ihren psychischen Problemen hingibt, wird zur Anti-Heldin eines schnöden Lebens.

Wie schon in seinem Vorgängerfilm erliegt Elliot nicht der Versuchung, die optische Raffinesse seiner Arbeit, vor der man ohnehin auf die Knie fällt, über die Geschichte zu stellen. Fast ist genau das Gegenteil der Fall. Memoir of a Snail – und damit ist die über Vergangenes sinnierende Grace in ihrem Schneckenhaus gemeint – ist die untergründige Antithese zu Wallace & Gromit und dem Sandmännchen, sie ist die dunkle Gasse, das Elend hinter heilem Entertainment. Als Trickfilm für Erwachsene, der die Kleinen wohl eher verstören würde, thematisiert das bizarre Wunderwerk sozialen Abstieg, Krankheit, Verlust und Fetischismus. Religiösen Fanatismus genauso wie die Symptome psychischen Ungleichgewichts und Trauer, unter welcher Gracie im wahrsten Sinne des Wortes fast erstickt.

Doch es ist nicht nur das zentrale Geschwisterpaar, das mit seinen stets tränennassen großen Augen das Herz des Publikums erobert. Es ist vor allem die sagenhaft illustre Riege an Nebenfiguren, allesamt Außenseiter und einsame Seelen, deren Resignation und Verlorenheit sich in ihren Gesichtern spiegelt, die aber dennoch das Leben hinnehmen, wie es kommen muss. Gracies Freundin Pinky, gesprochen von Jacki Weaver, ist dabei ein absoluter Knaller – eine schräge Gestalt, liebevoll konturiert und beschrieben, herzlich und kurios, bis zum Ende.

Memoir of a Snail ist ein sonderbares Kleinod mit Alleinstellungsmerkmal, die dunkelgraue Seite des Animationsfilms, reich an Lebensphilosophie, Zärtlichkeit und im richtigen Moment herzlich sarkastisch. Inhaltlich vergleichbar wäre Elliots Werk mit Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amélie, denn hier wie dort ist der Alltag der Einsamen eine Märchensammlung poetisch-bizarrer Anekdoten. Neben diesen bezaubernd bebilderten, aufwändig visualisierten Ideen ist es doch die gehaltvolle Story im Kern, die so richtig bewegt und gemeinsam mit dem Reiz des Stop-Motion-Films die Liebe zu einem Leben feiert, das sich selten als kooperativ erweist.

Memoir of a Snail (2024)

King Arthur – Legend of the Sword

BUBE, DAME, KÖNIG… UND EIN SCHWERT

7/10

 

kingarthur

Regie: Guy Ritchie
Mit: Charlie Hunnam, Jude Law, Eric Bana, Aidan Gillen

 

Was Charlie Hunnam eigentlich noch gefehlt hätte, wäre ein Flinserl. Eines dieser metrosexuell aparten Schmuckstücke für den Mann, die in den 80ern so richtig salonfähig wurden und bis heute nichts von ihrem zweifelhaften Reiz verloren haben. Mittlerweile trägt Mann sie bereits an beiden Ohrläppchen. Das ist noch anarchischer – aber vielleicht weniger Prolo. Doch das wäre bei Guy Ritchies Inkarnation des legendären King Arthur auch schon egal gewesen. Seine Ikone der ritterlichen Fantasy und des mächtigsten Mittelalter-Mythos neben Robin Hood ist ein Schlägertyp von nebenan. Einer, der zwar das Herz am rechten Fleck hat, aber ähnlich wie Siegfried von Xanten nicht als hellstes Licht im Dunkel scheint. Dafür aber weiß er zu kämpfen, sich zu verteidigen, den maskierten Gesellen rund um den bösen König Vortigern, der unrechtmäßig am Thron sitzt, das Wilde herunterzuräumen. Und das eine oder andere passende Schmähwort auf den Lippen zu haben.
Übermütiger Zynismus – das ist, was Guy Ritchie und seine Fans sehen wollen. Wie wir sehen konnten, hat sich dieses Konzept ja auch bei Sherlock Holmes bewährt. Auch eine literarische, popkulturelle Gestalt, die zwischen den Medien umherscharwenzelt, sei es das geschrieben Wort oder das bewegte Bild. Sherlock Holmes ist eine Institution, und nur so unkaputtbaren Institutionen kann man eine Interpretation angedeihen lassen, die man als großzügig budgetierte Fanfilme bezeichnen kann. Robert Downey als Ohrfeigen verteilender Detektiv ist eine gegen den Strich gebürstete Charakterpersiflage, und genau das passiert nun auch König Arthur. Blond, blauäugig, ein David Beckham des finsteren Mittelalters (ja, tatsächlich, der Fußballstar hat einen Cameo-Auftritt als ein Scherge Vortigerns), lässig gewandet – aber nicht imstande, das Schwert Excalibur zu handhaben.
Diese mächtige Waffe sowie ein nur namentlich erwähnter Merlin, der böse Zauberer Mordred und eben der machtgierige Bruder Vortigern, von Jude Law ähnlich angelegt wie den jungen Papst in Paolo Sorrentino´s kunstvoller Kirchensatire, sind die einzigen Versatzstücke aus der Artus-Sage, die in Ritchie´s freier, herumfuchtelnder Improvisation Verwendung finden. Alles andere ist nicht König Artus, aber den Anspruch, den hat der Film gar nicht. Muss er auch nicht. Es gibt genügend braver Aufarbeitungen des Mythos, da reicht es, wenn sich die Legende des Schwertes – so der Subtitel des Blockbusters – auf das von Merlin geschmiedete Artefakt konzentriert. Und da hat der Film so manche innovative Idee dazu, wie zum Beispiel jene Erklärung, wieso das Schwert überhaupt in einem Felsblock steckt. Doch diese Dinge sind nur von peripherer Wichtigkeit. Das rüstungsgewandete Spektakel soll vorallem eines: so richtig fetzen. Und da hält sich King Arthur schon von Anfang an nicht mit ausufernden Prologen auf. In den ersten Filmminuten verwüsten bereits gigantische Ausgeburten des dunklen Zauberers Mordred König Uthers Besitztümer – in herrlich epischer Breite und mit einem Sound, der die Kinositze virbieren lässt. Überhaupt sind die Toneffekte ein regelrechter Zirkus für die Ohren. Da poltert, dröhnt und faucht es. Und darüber liegt ein Score, der sich hören lassen kann. Sind die schnellen Schnitte, die Frozen Stills und die virtuose Kamera nicht schon genug Entertainment für die Sinne, gibts noch rockig-düstere Songs und schweren Beat, der das Ganze noch akustisch um einige Levels schwindelerregender macht.
So knallig war das Mittelalter mit Sicherheit nicht mal ansatzweise, aber die nicht erst seit Game of Thrones verklärende Fusion der Europäischen Historie mit der Welt des phantastischen Erzählens und die Erwartungshaltung jener, die Guy Ritchies Filme kennen, verlangen, hier ein anderes Bild zu vermitteln. Eines, das unterhält und das Gute über das Böse siegen lässt. Zwar haben wir hier weitaus weniger Grauzonen als in George R. R. Martin´s epischer Westeros-Saga, und zwar wissen wir schon von Anbeginn an, dass die Ritter der Tafelrunde zueinanderfinden werden, doch mit bübischer Mitspielfreude in einer Zeit zu schwelgen, die letzten Endes gerechteren Paradigmen folgt als es die Realität tut, macht es allemal wert, hier mitzurocken.
King Arthur ist episches, aber gleichsam hektisches Bubenkino der schnellen Schnitte und von rotzfrecher Fabulierlust. Einziger Ruhepol ist die zerbrechlich wirkende Magierin mit ausgeprägtem Tierverständnis und französischen Akzent. Bei ihr trifft sich immer wieder der Kern der Geschichte, um sich selbst als roten Faden weiterzuspinnen. Dreimal tief durchgeatmet, und weiter geht´s – das Fangenspielen mit Schwert, Bauernschläue und blutigen Fäusten.

 

King Arthur – Legend of the Sword