The Big Sick

… IN KRANKHEIT UND GESUNDHEIT

7/10

 

The Big Sick© 2017 COMATOSE INC.

 

LAND: USA 2017

REGIE: MICHAEL SHOWALTER

MIT KUMAIL NANJIANI, ZOE KAZAN, HOLLY HUNTER, RAY ROMANO U. A.

 

Würdet ihr einen Kabarett-Abend zur Geschichte Pakistans besuchen? Vielleicht, wenn dabei Michael Niavarani auf der Bühne stünde, aber der würde, wenn überhaupt, eine Geschichtsstunde über den Iran machen. Wäre aber tatsächlich mal was anderes statt Brusthaare, Sex und den Tücken des Alltags. Dieses etwas andere hat sich Kumail Nanjiani, Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, eben so mal überlegt und auf diversen Kleinkunstbühnen Wissen und Schmäh miteinander verwoben. Bei einem seiner Auftritte begegnet er der reizenden Emily – und was dann folgt, kann sich so ziemlich ein jeder denken. Aus dem gemeinsamen Hochprozentigen wird ein One Night Stand – und da beide nicht wirklich voneinander lassen können, folgt die Beziehung auf dem Fuß. Nur da gibt es ganz plötzlich mehrere Probleme. Kumail steht unter dem Einfluss seiner schiitischen Familie – Mama, Papa und Bruder. Die dulden nun mal keine Andersgläubige als die bessere Hälfte ihres Sohnes, da muss schon eine Landsgenossin ran – die auch allwöchentlich zum Unwissen unseres Hauptdarstellers bei den Eltern reinschneit, natürlich stets eine andere. Das wäre mal das erste Problem. Das zweite ist: Emily bekommt Wind von dieser Sache – und trennt sich schwersten Herzens.

So weit so verzwickt – aber noch wissen wir immer noch nicht, wieso sich der Film The Big Sick nennt. Auf der Haben-Seite bleibt ein Culture-Clash-Drama, das jetzt nicht unbedingt so witzig klingt wie es sein könnte. Selbstverständlich kann man auch hier den Humor ordentlich nach außen kehren – Missverständnisse und Eigenheiten von und zwischen Ost und West bieten dafür genug Angriffsfläche. Doch Regisseur Michael Showalter gibt sich damit aber nicht zufrieden. The Big Sick heißt die Tragikomödie deswegen, weil Emily plötzlich schwer krank und in künstliches Koma versetzt wird. Kumail, längst von Emily getrennt, rückt dennoch nicht von ihrer Seite, zum Leidwesen der Ex-Schwiegereltern in spe, die den Pakistani erstmal nicht riechen können. Somit kramt der Film einen ganz neuen Aspekt hervor. Der erinnert wieder grob an Während du schliefst mit Sandra Bullock. Oder an die französische Komödie Die fast perfekte Welt der Pauline. Liebhaber im Koma, bei The Big Sick ist es die Ex-Freundin. Und was diesen Film von den zuvor genannten unterscheidet, ist, das alle wissen woran sie sind. Das Beste aber kommt hier in meiner Review dann doch wohl eher zum Schluss: Showalters Film ist in all seinen patchworkartigen Aspekten, und so sehr das alles irgendwie gewollt zusammengeschustert wirkt, tatsächlich so passiert.

The Big Sick beruht auf der True Story von Kumail Nanjiai, der tatsächlich so heißt und auch tatsächlich Emily genau so kennen gelernt hat. Wenn man will, wäre The Big Sick die ideale Kino-Version von How i met your Mother, denn sicher haben Kumail und Emily bereits Nachwuchs angemeldet. Schlecht erdacht ist The Big Sick daher überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. True Storys können nicht schlecht erdacht sein, maximal sind sie es nicht wert verfilmt zu werden. The Big Sick aber schon. Zuzusehen, wie sich eine Begebenheit in die andere fügt, wie der Händchen haltende Komiker einen Balanceakt zwischen selbstbestimmernder Abwehr von den Traditionen und nach Chancen für die Zukunft zu meistern versucht, unterhält und berührt gleichermaßen. Noch dazu ist das Darstellerensemble mit der lange verschollenen Holly Hunter, Regielegenden-Enkeltochter Zoe Kazan und Sitcom-Veteran Ray Romano vor allem eines, das gewieft, schlagfertig und mit trockenem Humor schwere Zeiten überdauert.

Welcher Liebesbeweis könnte also größer sein, als die Probe der guten und schlechten Zeiten, in Krankheit und Gesundheit, wie es bei der Trauung stets heißt, gleich vorweg aufs Exempel zu machen? Wer in so einer Situation nicht irgendwann W.O. gibt, ist wirklich füreinander bestimmt.

The Big Sick

Der Stern von Indien

DAS FREIE SPIEL DER MÄCHTE

7,5/10

 

sternindien

LAND: GROSSBRITANNIEN, INDIEN 2017
REGIE: GURINDER CHADHA
MIT HUGH BONNEVILLE, GILIAN ANDERSON, MICHAEL GAMBON

 

Indien, 70 Jahre zuvor: Das Ende der britischen Kolonialherrschaft über den bevölkerungsreichen Subkontinent hatte die größte Massenmigration der Menschheitsgeschichte zur Folge. Und die Gründung des Staates Pakistan. Mit diesen Veränderungen einher überflutete eine Welle der religiös motivierten Gewalt ganze Teile Ost- und Westindiens. Wer Muslim war, und noch auf indischem Territorium, war seines Lebens nicht mehr sicher. Wer Hindu war und feststellen musste, nunmehr in einem muslimischen Staat zu leben, war besser dran, seine Sachen zu packen. Entwurzelt, vertrieben, getötet. Die Folgen dieser wiedergewonnenen Freiheit waren absehbar. Aber in diesem Ausmaß? Entstanden ist ein gigantisches Machtvakuum, ein freies Spiel der Kräfte. Dabei hat Großbritannien unter der Gesandtschaft des letzten Vizekönigs von Indien, Lord Louis Mountbatten, doch noch einen Silberstreifen am Horizont sichtbar gemacht. Einen Hoffnungsschimmer, die Millionenbevölkerung Indiens in einer gewissen Ordnung und vor allem unter einem gewissen Frieden in die Unabhängigkeit zu entlassen. Lord Mountbatton und seine Frau Edwina waren tatsächlich die beste Wahl. Ein integres, intellektuelles Politikerpaar. Mit sozialer Ader, einem gesunden Gespür für Menschen und mehr als nur eine Ahnung, wohin religiöse Diskrepanzen führen können.

Der Stern von Indien ist kraftvolles Politkino und anspruchsvolles Bollywood-Drama in einem. Die indische Regisseurin Gurinder Chadha, die mit Kick it Like Beckham Keira Knightley zum Durchbruch verholfen hat und mit klassischen Sari-Epen wie Lebe lieber Indisch auch in den Kinos des Westens mit Exotik und Rhythmen verlocken konnte, hat sich diesmal ordentlich viel  Geschichtsstoff aufgebürdet. Stoff, mit welchem sich normalerweise Regie-Altmeister wie David Lean oder Richard Attenborough auseinandergesetzt haben. Mit ordentlich viel Budget und einer unüberschaubaren Menge an Statisten. Monumentalfilme der alten Schule, die das Schicksal eines Volkes anhand von Einzelschicksal erleb- und begreifbar werden ließen. Gandhi mit Ben Kingsley ist da ein ähnlicher Film wie Der Stern von Indien. Nur trockener, epischer, britischer. Chadha´s Geschichtsdrama ist trotz all der Gesprächsszenen in dunkel getäfelten Kolonialzimmern und architektonisch beeindruckenden Aulen und Empfangshallen lebendiger, bewegter und emotionaler, vielleicht auch das eine oder andere Mal pathetischer. Das liegt in erster Linie an einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die in den Wirren der Unabhängigkeit ihre Dramatik findet. Politische Ikonen wie Gandhi, Nehru oder Muhammad Ali Jinnah, den Verfechter für den Staat Pakistan geben sich ebenfalls die Türklinke in die Hand.

Für alle, die an der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts interessiert sind, kann Der Stern von Indien zu einer aufschlussreichen, informativen und teilweise packenden Geschichtsstunde werden, die den Luxus eines opulenten Kinofilms nicht missen lässt und mit einem überzeugenden Cast aufwartet. Vor allem bei Gillian Anderson staunt man nicht wenig – Akte X ist lange vorbei, ihre Rolle als weltoffene, distinguierte Lady bleibt in Erinnerung.

Der Stern von Indien