The Irishman

DIE FRANKYS UND TONYS DIESER WELT

8/10

 

irishman© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: MARTIN SCORSESE

CAST: ROBERT DE NIRO, JOE PESCI, AL PACINO, HARVEY KEITEL, RAY ROMANO, ANNA PAQUIN, JESSE PLEMONS U. A.

 

„Welcher Tony? – Die heißen doch alle irgendwie Tony!“ Ein berechtigtes Statement von Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa, der eben Jimmy und nicht Franky heißt und rein namentlich mal unterwelttechnisch aus dem Schneider ist, obwohl er seine Ziele auch nicht immer mit den gesetzeskonformsten Mitteln erreicht haben will. Das jedenfalls erklärt uns Martin Scorsese in seinem ausladenden Alterswerk, das aber einlädt zu einer nachhallenden Breaking-Bad-Ballade eines tatsächlich von der Leine gelassenen Finsterlings, der wie ein leibeigener Bluthund von Cosa Nostra-Mobster Russel Bufalino Drecksarbeiten erledigt hat, soweit das Auge der Unterwelt nur reichen konnte. Dessen Name war Frank Sheeran. Und ja, der war tatsächlich ein entfernter Verwandter des irischen Chartstürmers Ed, der natürlich nichts dafür kann für die Skrupellosigkeit seiner Vorfahren. Frank Sheeran also ist das Subjekt von Scorseses Faszination für das Böse in den Straßen. Die hatte er eh und je, und natürlich ist die dunkle Seite des Menschen oder ganzer Menschengruppen weitaus sogwirkender als das harmlos scheinende Gute. Diese Affinität zur Mechanik des organisierten Verbrechens ist deswegen sogar nachvollziehbar, weil diese Art des Bösen seine eigenen Werte braucht, weil es die Anarchie in ein Regelwerk zwängt, weil die Frankys und Tonys dieser Welt doch nur im Rahmen einer heiligen Pflicht ihre Finger beschmutzen. Dabei können sie nicht mal tun und lassen, was sie wollen, weil sie ganz anderen Gesetzen folgen und sich einer viel strengeren Hierarchie unterwerfen als das bei einem redlichen Lebenslauf wohl der Fall gewesen wäre.

Und dabei spannt Scorsese einen weiten Bogen bis hinunter in die 50er Jahre. Fast alle hat er wieder versammelt, der Altmeister. Seine Lieblingsakteure, angefangen von Robert de Niro über Joe Pesci bis hin zu Harvey Keitel, der allerdings nur einen dankbaren Cameo bekommt. Ray Liotta, sein Hauptdarsteller aus GoodFellas, der fehlt. Dafür aber haben wir Al Pacino wieder an Bord, errettet aus den B-Movie-Engagements und hinein in eine seiner stärksten und wuchtigsten Rollen, die er je spielen durfte. Da macht auch der digitale und manchmal etwas maskenhafte Weichzeichner auf Jung nicht viel aus, denn Pacino ist immer noch Pacino, mit all seinen einstudierten Manierismen, seiner Mimik und seiner Gestik, stets leicht übertrieben, einnehmend, unglaublich charismatisch. Wir erinnern uns, zumindest vage, an Jack Nicholsons Performance als Jimmy Hoffa – und die war längst nicht so intensiv. Pacino als unbequemer, streitsüchtiger Gewerkschafts-Feldwebel – was will man eigentlich mehr? Scorsese legt aber noch einiges drauf: Sein De Niro ist ein längst alter Bekannter, auch er stark liiert mit seiner für De Niro üblichen Mimik der verkniffenen Blicke. Gut, die haben sie alle, all diese Anzugträger und leicht besorgten Unterweltler blicken verkniffen, und sie alle haben keine lange Lebensdauer, wie uns der Film mit Inserts zu diversesten Schattengestalten der Cosa Nostra-Geschichte aufzuklären weiß. Joe Pesci wächst ebenfalls über sich hinaus, eine knorrige und zugleich schillernde Figur, die er als Russel Bufalino da gestaltet,

Tatsächlich ist The Irishman ein finsteres Who is Who, eine moralisch verwerfliche Freakshow zwischen Politik, Loyalität und Machtgier. Dass Frank Sheeran, dieser reuelos gutböse Handlanger, sogar sein letztes bisschen Anstand verschachert wie ein biblischer Judas, macht aus dem dreieinhalbstündigen Epos, das sich aber längst nicht so lang anfühlt, zu einer Studie des Verrats und der Unmöglichkeit, sich selbst im freien Spiel der Kräfte treu zu bleiben. Mitunter findet Scorsese neben all den schmissigen, dichten und packend inszenierten Episoden seiner Chronik oft absurde Szenen unfreiwilligen Zynismus, die an Quentin Tarantino erinnern. The Irishman ist makaber, brutal und in seiner Abkehr vom Menschlichen umso menschlicher. Verborgen liegt das Böse hinter salonfähigen Floskeln, die wie geheime Codewörter irgendetwas bedeuten, aber meist Ungesundes für andere. Leichen pflastern Scorseses Weg durch ein Meisterwerk politischer Königsdramen, die allesamt einen nüchternen Abgesang auf eine medievale Parallelwelt ergeben, die uns eben nicht weniger fasziniert als die Politik mit Feuer und Schwert.

The Irishman

The Big Sick

… IN KRANKHEIT UND GESUNDHEIT

7/10

 

The Big Sick© 2017 COMATOSE INC.

 

LAND: USA 2017

REGIE: MICHAEL SHOWALTER

MIT KUMAIL NANJIANI, ZOE KAZAN, HOLLY HUNTER, RAY ROMANO U. A.

 

Würdet ihr einen Kabarett-Abend zur Geschichte Pakistans besuchen? Vielleicht, wenn dabei Michael Niavarani auf der Bühne stünde, aber der würde, wenn überhaupt, eine Geschichtsstunde über den Iran machen. Wäre aber tatsächlich mal was anderes statt Brusthaare, Sex und den Tücken des Alltags. Dieses etwas andere hat sich Kumail Nanjiani, Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, eben so mal überlegt und auf diversen Kleinkunstbühnen Wissen und Schmäh miteinander verwoben. Bei einem seiner Auftritte begegnet er der reizenden Emily – und was dann folgt, kann sich so ziemlich ein jeder denken. Aus dem gemeinsamen Hochprozentigen wird ein One Night Stand – und da beide nicht wirklich voneinander lassen können, folgt die Beziehung auf dem Fuß. Nur da gibt es ganz plötzlich mehrere Probleme. Kumail steht unter dem Einfluss seiner schiitischen Familie – Mama, Papa und Bruder. Die dulden nun mal keine Andersgläubige als die bessere Hälfte ihres Sohnes, da muss schon eine Landsgenossin ran – die auch allwöchentlich zum Unwissen unseres Hauptdarstellers bei den Eltern reinschneit, natürlich stets eine andere. Das wäre mal das erste Problem. Das zweite ist: Emily bekommt Wind von dieser Sache – und trennt sich schwersten Herzens.

So weit so verzwickt – aber noch wissen wir immer noch nicht, wieso sich der Film The Big Sick nennt. Auf der Haben-Seite bleibt ein Culture-Clash-Drama, das jetzt nicht unbedingt so witzig klingt wie es sein könnte. Selbstverständlich kann man auch hier den Humor ordentlich nach außen kehren – Missverständnisse und Eigenheiten von und zwischen Ost und West bieten dafür genug Angriffsfläche. Doch Regisseur Michael Showalter gibt sich damit aber nicht zufrieden. The Big Sick heißt die Tragikomödie deswegen, weil Emily plötzlich schwer krank und in künstliches Koma versetzt wird. Kumail, längst von Emily getrennt, rückt dennoch nicht von ihrer Seite, zum Leidwesen der Ex-Schwiegereltern in spe, die den Pakistani erstmal nicht riechen können. Somit kramt der Film einen ganz neuen Aspekt hervor. Der erinnert wieder grob an Während du schliefst mit Sandra Bullock. Oder an die französische Komödie Die fast perfekte Welt der Pauline. Liebhaber im Koma, bei The Big Sick ist es die Ex-Freundin. Und was diesen Film von den zuvor genannten unterscheidet, ist, das alle wissen woran sie sind. Das Beste aber kommt hier in meiner Review dann doch wohl eher zum Schluss: Showalters Film ist in all seinen patchworkartigen Aspekten, und so sehr das alles irgendwie gewollt zusammengeschustert wirkt, tatsächlich so passiert.

The Big Sick beruht auf der True Story von Kumail Nanjiai, der tatsächlich so heißt und auch tatsächlich Emily genau so kennen gelernt hat. Wenn man will, wäre The Big Sick die ideale Kino-Version von How i met your Mother, denn sicher haben Kumail und Emily bereits Nachwuchs angemeldet. Schlecht erdacht ist The Big Sick daher überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. True Storys können nicht schlecht erdacht sein, maximal sind sie es nicht wert verfilmt zu werden. The Big Sick aber schon. Zuzusehen, wie sich eine Begebenheit in die andere fügt, wie der Händchen haltende Komiker einen Balanceakt zwischen selbstbestimmernder Abwehr von den Traditionen und nach Chancen für die Zukunft zu meistern versucht, unterhält und berührt gleichermaßen. Noch dazu ist das Darstellerensemble mit der lange verschollenen Holly Hunter, Regielegenden-Enkeltochter Zoe Kazan und Sitcom-Veteran Ray Romano vor allem eines, das gewieft, schlagfertig und mit trockenem Humor schwere Zeiten überdauert.

Welcher Liebesbeweis könnte also größer sein, als die Probe der guten und schlechten Zeiten, in Krankheit und Gesundheit, wie es bei der Trauung stets heißt, gleich vorweg aufs Exempel zu machen? Wer in so einer Situation nicht irgendwann W.O. gibt, ist wirklich füreinander bestimmt.

The Big Sick