The Wave

INS WASSER FÄLLT EIN STEIN

6,5/10

 

thewave_c_SquareOne© 2015 squareone

 

LAND: NORWEGEN 2015

REGIE: ROAR UTHAUG

MIT KRISTOFFER JONER, THOMAS BO LARSEN, ANE DAHL TORP, JONAS HOFF OFTEBRO U. A.

 

Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, kommt der Prophet zum Berg – so heißt es doch im Volksmund. Vorliegender Katastrophenfilm spart sich allerdings die Konsequenz nach dem Komma, denn der aufgetürmte Fels erfreut sich reger Wanderlust. Wir befinden uns an der Westküste Norwegens, genauer gesagt im Geirangerfjord, 280km nordwestlich von Oslo. Eine malerische Gegend, wenn auch etwas bedrückend, da eingerahmt von ausladenden Bergketten. Man muss sich den Hallstättersee nur zum Quadrat vorstellen, nur ohne Hallstatt, dann hat man ein ungefähres Bild. An den knappen, bebaubaren Küstenabschnitten oder an der Talsohle selbst haben sich natürlich, wie überall auch auf dieser Welt, Menschen herzlichst ungünstig positioniert. Supernah am Wasser, weil der Fischgrund zum Greifen nah ist und überhaupt, weil große Wasserflächen das Gefühl eines unverstellbaren Fluchtwegs vermitteln. Doch nah am Wasser bauen ist in seltensten Fällen eine gute Wahl. Das Gebiet hier in dieser zerklüfteten Landschaft ist nämlich weitgehend instabil. Bereits 1934 gab’s es in der Gegend einen Erdrutsch, der eine Riesenwelle zur Folge hatte und unzählige Menschen tötete.

Der Regisseur Roar Uthaug, der mich zuletzt mit der Neuauflage von Tomb Raider relativ glücklich stimmen konnte, hat sich dieses tatsächlichen Ereignisses angenommen und ein fiktives Katastrophenszenario erstellt, das alle Parameter für einen solchen klassischen Genrefilm erfüllt. Das eingekesselte Wasser, das bringt Uthaug bildgewaltig zum Überkochen. Der Berg, der wird zum Propheten kommen – da muss ich gar nicht spoilern. Die Ruhe vor dem Sturm, die ist in The Wave angespannt wie die Luft vor einem Gewitter. Im Film ist es der Geologe Kristan, der die Anzeichen für einen bevorstehenden Erdrutsch als einziger richtig interpretieren kann. Hier betritt The Wave natürlich ausgetretene Schablonen – immer ist es meist nur ein Wissenschaftler, der als Prophet das Unheil kommen sieht, mit großzügig ausgestattetem Kassandra-Komplex, weil ihm oder ihr niemand glaubt. Ganz so wie in Roland Emmerich´s Desasterfilmen. Bis es eben zu spät ist.

Die Welle, die dann anrollt – da möchte sich das Publikum am Liebsten wegducken, auch wenn die animierten Szenen einen Bruchteil des ganzen Filmes einnehmen. Schön ist dieses Norwegen, mit Sicherheit gesponsert vom Fremdenverkehrsamt, bis alles unter Wasser steht und dem Erdboden gleichgemacht wird. Wenn ein Stein ins Wasser fällt, kommt es auf die Größe an. Die physikalische Hochrechnung und die Darstellung dieses Untergangsszenarios machen den maßgeschneiderten Katastrophenfilm natürlich sehenswert, wobei Unerwartetes erwartet werden muss und überraschende Wendungen gänzlich ausbleiben. Die Anleitung für einen Film dieser Art hat Uthaug sicher studiert, er scheut auch nicht davor, in Schlamm und Dreck zu wühlen, das macht das Ganze so richtig erdig und naturalistisch.

Die Natur, die liegt dem norwegischen Blockbuster am Herzen und pocht darauf, besser verstanden und rechtzeitig erhört zu werden. Vielleicht sind beim nächsten Mal mehr Propheten am Werk, irgendwann muss doch ein Lerneffekt eintreten. Der Mensch, das wissen wir, ist Meister der Verdrängung, und findet so lange alles in Ordnung, bis das Unglück erst sichtbar wird. Die To-Do-Liste für den Notfall ist immer etwas für das Danach, wenn man klüger ist. Davon leben Filme dieser Art, zumindest meistens tun sie das. Bis zum nächsten Mal ist alles wieder vergessen, und Homo sapiens rennt wieder um sein Leben.

The Wave

Life

LEBEN UM JEDEN PREIS

6,5/10

 

Life© 2017 Sony Pictures / Quelle: amazingcinema.it

 

LAND: USA 2017

REGIE: DANIEL ESPINOZA

MIT JAKE GYLLENHAL, RYAN REYNOLDS, REBECCA FERGUSON U. A.

 

Habt ihr schon mal was von den sogenannten Bärtierchen gehört? Ja? Nein? Wie auch immer – Bärtierchen sind die wohl außergewöhnlichsten Lebensformen, die sich auf unserem Planeten tummeln. Sie sind weder Säuger, noch Insekten, noch Reptilien. Sie sind kaum sichtbar – maximal 1500 Mikrometer groß, sehen aus wie volle Staubsaugerbeutel mit acht krummen, bekrallten Beinchen – und sind unkaputtbar. Und damit meine ich unkaputtbar. Bärtierchen sind die einzige Lebensform, die sich tatsächlich an extremer Hitze und Kälte schadlos halten und im Vakuum des Weltraums überleben können. In Anbetracht dieses biologischen Ist-Zustands möglichen Lebens erscheint das Ding aus einer anderen Welt in Daniel Espinozas Science-Fiction-Thriller gar nicht mehr so weit hergeholt. Gut möglich, dass der Tierstamm der Bärtierchen oder Wasserbären überhaupt erst Life ermöglicht haben. Zumindest die Idee dahinter. Allerdings – ein wenige Mikrometer großer Moppel auf acht Beinen wird zwar wohl aufgrund seiner Eigenschaften bestaunt werden, nicht aber aufgrund seiner Bühnenpräsenz. Ein Wermutstropfen, den man mit künstlerischer Freiheit leicht wettmachen kann. Das Ergebnis ist ein Wesen mit den Bonusmerkmalen einer weiteren, sehr menschenunähnlichen Tierart: die des Kephalopoden oder Kopffüßers. Hochintelligente maritime Lebensformen, die im Grunde acht Nebengehirne besitzen und sowohl im seichtem Wasser als auch in unergründlichen Tiefen existieren. Die Rechnung lautet also: Bärtierchen und Oktopus = Calvin. Denn genau so nennen ihn die knapp 8 Milliarden Menschen, die in absehbarer Zukunft die Erde bevölkern – und Zeuge der Erweckung des ersten extraterrestrischen, mehrzelligen Lebens werden.

Doch manche Hunde sollte man schlafen lassen. Auch diesen aggressiven Organismus vom Mars, der, zuerst als Einzeller ziemlich harmlos, ziemlich schnell mutiert und als egoistische Gen-Ansammlung den Astronauten der Raumstation ISS das Leben schwermacht – und folglich nimmt. Denn fressen muss das Wesen schließlich auch, geht es doch ums Überleben. Aus dieser Sicht steht es dem Xenomorph aus Alien um nichts nach. Zwar weniger heimtückisch, und vielleicht auch weniger subversiv – aber im drängenden Bedarf nach Etablierung seiner Art um keinen Deut weniger gierig.

Der Rest von Life ist dann gewohntes Weltraumkino der nicht jugendfreien Art. Hat man Alien gesehen, hat man teilweise auch schon Life gesehen. Allerdings bietet Life mehr Szenen im Outer Space als Alien. Das wiederum erinnert frappant an Alfonso Cuaron´s Gravity. Beide Erfolgsfilme in einem dritten Film zu vereinen heißt nicht automatisch den doppelten Jackpot zu erlangen – vielmehr kopiert Life die Erfolgsrezepte der anderen Filme. Was ihn zwar nicht weniger unterhaltsam macht, aber spannungsärmer.

Doch halt! Bevor Espinoza´s Katastrophenszenario dramaturgisch gesehen in der Schublade 08/15 verschwindet, hat der Film noch ein As im Ärmel. Und bevor sich der nerdige Scifi-Horrorfan leicht enttäuscht aus den samtenen Kinositzen erhebt, darf noch einmal überrascht werden. Life schafft kurz vor Ende noch eine 180°-Wendung. Eine Taktik, die schon Christian Alvart´s Raumschiff-Klaustrophobie Pandorum zu einem denkwürdigen Vorsprung verholfen hat. So gesehen gefällt Life schon allein aufgrund der radikalen Charakteristika einer bioinvasorischen Lebensform als auch aufgrund eines konsequenten wie überraschenden Finales. Und weniger aufgrund blasser, schnell verheizter Schauspieler und einem abgedroschenen Handlungsbogen.

Life

Sully

EIN GANZ NORMALER HELD

* * * * * * * * * *

sully

Am 15. Januar 2009 erinnerten sich viele Augenzeugen nahe des Hudson River in New York an schreckliche Erlebnisse, die anno 2001 die ganze Welt erschütterten, als sie einer immer tiefer gehenden Passagiermaschine gewahr wurden, die sich im scheinbaren Kamikazeflug den eiskalten Gewässern vor der Millionenmetropole näherte. Allerdings kam es anders, als man befürchtet hatte. Und nirgendwo sonst lässt sich die Phrase Glück im Unglück besser darstellen als in dieser legendären, in der Geschichte der Luftfahrt einzigartigen Notwasserung, durchgeführt vom Piloten Chesley B. Sullenberger, kurz genannt Sully, der für all die 155 Passagiere das Glück schlechthin verkörpert hat.

Doch mit Glück hatte das allem Anschein nach relativ wenig zu tun. Sondern mit Intuition, Erfahrung und überlegtem Handeln. Altmeister Clint Eastwood widmet diesem ganz normalen Helden ein dokumentarisches Drama, das sich den tatsächlichen Begebenheiten akribisch recherchiert annähert und eine klare, schnörkellose, neue Sachlichkeit auf die Kinoleinwand projiziert, die komplett ohne Pathos, Gefühlsduselei oder aufgesetzter Emotionen daherkommt. Wahrscheinlich ist Clint Eastwood schon zu alt für diese Art von Kino. Er hat es nicht notwendig, sein Publikum zu umschmeicheln. Seine Filme sind präzise, analytisch-düstere Handwerkskunst, die sich selten um Effekte scheren. In Sully treibt er seinen Stil auf die Spitze. Bis auf einigen wenigen Szenen, die die Was-wäre-wenn-Visionen Sullenbergers illustrieren, und die schmucklosen Manöverszenen des Flugzeuges auf dem Wasser verzichtet Eastwood auf unnötiges Beiwerk, lässt nur Bilder ran, die für die Erzählung seiner Geschichte notwendig sind und verlässt sich ansonsten voll und ganz auf das authentische, zurückhaltende Spiel seines Stars – Tom Hanks. Da der echte Sully tatsächlich ein eher introvertierter, in sich ruhender, überlegter Mensch ist, blieb auch Hanks nichts anderes übrig, als diesem Charakter gerecht zu werden. Mit einer Minimalisierung des Ausdrucks und der Aneignung der persönlichen Eigenheiten des Meisterpiloten, der sich mittlerweile im Ruhestand befindet, erreicht der alte Hase des amerikanischen Charakterkinos wieder einmal schauspielerische Höhen. Weniger ist mehr – und so verkörpert Hanks seinen Sully in reduzierter, einfühlsamer Perfektion. Mag sein, dass das Original in manchen Szenen das Gefühl hat, tatsächlich selber agiert zu haben. Und so zufrieden mit diesem Film dürfte er dann auch gewesen sein, wie ich aus anderen Medien erfahren habe.

Hätte jemand geringerer als der ewige Forrest Gump diese Rolle übernommen, wäre Eastwoods in blaugrauen Wintertönen bebildeter Film womöglich zu nüchtern geraten. So aber ist der Weg zur Spieldokumentation nur ein kleiner Schritt – oder aber auch gar keiner mehr notwendig. Die neue Sachlichkeit im Biografenkino des Revolverhelden, der fast nur mehr hinter der Kamera agiert, ist zu einem unverkennbaren Filmstil geworden. Das haben wir schon bei American Sniper gesehen. Und sehen wir jetzt in seiner neuesten Filmanalyse einer Heldengenese, die mehr die Genese einer selbstverständlichen Handlung gewesen ist. Die notwendige Entscheidung eines altruistischen, guten Menschen, der es dabei belassen hätte, seine Pflicht getan zu haben. Ein ähnliche, aber fiktive Geschichte erzählte bereits Stephen Frears in seiner 1992 erschienenen Dramödie Hero – Ein ganz normaler Held, mit Dustin Hoffman als Augenzeuge eines Flugzeugabsturzes, der zum Retter wird. Beide Filme sind wie eine Art Schulungsvideo über die Intuition, Dinge richtig zu machen. Der eine erfunden, der andere tatsächlich so passiert. Und Sully ist daher nicht nur ein Tatsachenbericht, sondern auch ein Exkurs über Verantwortung,  Entscheidungsfindung und den Faktor Mensch.

Apropos Entscheidung: Es gibt nichts, was Eastwood in seinem relativ kurzen Film falsch gemacht hätte. Objektiv betrachtet. Packendes, emotionales Eventkino ist es aber keines. Den Anspruch verfolgt Eastwood aber gar nicht. Vielmehr liegt die Spannung des Filmes in der Frage, wie man wohl selbst entschieden hätte.

 

 

Sully