Girl You Know It’s True (2023)

SHOW OHNE STIMME

7/10


girlyouknowitstrue© 2023 Copyright: LEONINE Studios / Wiedemann & Berg Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: SIMON VERHOEVEN

CAST: TIJAN NIJE, ELAN BEN ALI, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, BELLA DAYNE, GRAHAM ROGERS, MICHAEL MAERTENS, MITSOU JUNG, STEVONTÉ HART, IVY QUAINOO U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Damals, Ende der Achtziger war’s. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Robert Pilatus und Fabrice Morvan – beide zusammen ergeben das Duo Milli Vanilli – hüpfen und grätschen und wirbeln wie wild zu ihrem Hit Girl You Know It’s True in schwarzen und roten Schulterpolster-Blazern, darunter hautenge, kurze Fahrradhosen, im Hintergrund eine Band im Bühnenqualm – und es rockt. Auch nach rund einem Drittel Jahrhundert ist der Song immer noch ein Ohrwurm. Wenn Simon Verhoeven in seinem True Story-Drama das ganze Take dann nachstellt und die beiden Schauspieler Tijan Nije und Elan Ben Ali ihren originalen Vorbildern zum Verwechseln ähnlich nacheifern, ertappt man sich dabei, wieder ein frischgebackener Teenager zu sein, der einen Blick hinter die Kulissen damals gängiger Chart-Shows wie X-Large wirft und die Melodien so mancher One-Hit-Wonder nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Milli Vanilli waren so jemand – Hit-Giganten der Stunde, mehrmals die Nummer Eins in Übersee und einfach schön anzusehen, mit ihren Extensions, ihren schicken Klamotten und dem Sinn für Bühnenperformance, dass es ärger nicht ging.

Den oft bedienten Look der Achtziger lässt Verhoeven aber aussen vor. Zeitgeistige Versatzstücke gibt es wenige, in diesem Film liegt der Fokus streng auf das Showbusiness hinter all dem, auf dem Fädenziehen der Mitwisser und Nichtwisser in einem Fall, der damals fast schon einem Verrat an den Fans und überhaupt an der Musikindustrie gleichkam: Der große Lip-Sync-Skandal, für den, so Verhoeven, Rob und Fab wohl am wenigsten konnten. Doch das war einem wie Frank Farian, Musikproduzent auch für Boney M., durch dessen Händchen fürs Entertainment die Daddy Cool-Band Weltruhm erlangte (außer in den USA), herzlich egal. Der hat’s auch mit dem Urheberrecht nicht so genau genommen und sich ungeniert im Fundus nicht ganz so bekannter Bands bedient, die mitunter den Song Girl You Know It’s True eigentlich komponiert hatten.

Eine perfekte Kombination aus gutem Gesang und Bühnenshow hätte das Projekt Milli Vanilli werden sollen, ein doppelt gemoppeltes Taylor Swift-Vehikel, im Genre des Rap-Pop verortet und die Massen begeisternd. Da die einen, die perfekt tanzen, dafür aber nicht singen konnten, mussten die Stimmen von woanders her kommen. Das Prinzip des kleinsten Zwanges auch im Showbiz verrät: Mit kleinen Mogeleien, die nicht weiter ins Gewicht fallen sollten, kommt man durch – und landet einen Volltreffer. Der Traum vom Weltruhm, wie ihn Milli Vanilli träumten und zumindest auch eine Zeit leben konnten, wird selten Wirklichkeit, ohne Tribut zu fordern. Und die Wahrheit – nun, die kommt immer ans Licht. Zumindest dieses Mal.

Simon Verhoeven fängt ganz von vorne an – und lässt die beiden Playbacksänger von der Couch ihres prunkvollen Domizils weg direkt zu den Zusehern sprechen. Sie erzählen ihre eigene Geschichte und gehen dort an den Start, als beide noch als Straßenkünstler ihre Pfennige verdienen. Ehrgeizig, mit Talenten gesegnet, durchtrainiert und offen für den großen Jackpot, werden Rob und Fab in Frank Farians Studio geladen. Der Rest ist Geschichte. Auch Matthias Schweighöfer als teils cholerischer, teils unempathischer und dann auch wieder kauziger Show-Superman durchbricht die vierte Wand. Erzählt wird, als brächte man eine Anekdote zum Besten, ein Erlebnis oder ein Abenteuer, das nicht ganz glückte. Und manchmal, sogar des Öfteren, gerät Simon Verhoeven in den leichtgewichtigen Plauderton, nimmt den Skandal und seine Nachwirkungen wie jemand, der, ist genügend Zeit verstrichen, über vergossene Milch nur noch lachen kann.

Zum Lachen ist Girl You Know It’s True aber nicht. Im Gegenteil – Kenner der Popgeschichte wissen, dass all der analoge Shitstorm (nicht auszudenken, hätten die beiden damals schon Social Media bedient) einen der beiden, nämlich Rob, in den Selbstmord trieb. Und selbst wenn sich die beiden Milli Vanillis ihren Drogen hingeben und dem Größenwahn zuneigen, bleibt Verhoevens Sympathie und Verständnis für die beiden Brüder im Geiste nicht aus. Es ist, als würde er Rob und Fab von jeglicher Mitschuld reinwaschen wollen. Und selbst Frank Farian, der völlig unverständlicherweise für seinen Betrug ans Fandom niemals belangt wurde, wird in der Interpretation Schweighöfers zur entschuldigenden Parodie – die aber dennoch zu all der Tonalität des im Grunde mitreißenden Films ganz gut passt.

Girl You Know It’s True (2023)

Willkommen bei den Hartmanns

ASYL IN VILLA KUNTERBUNT

5/10

 

hartmanns © 2016 Warner Bros. / Quelle: filmstarts.de

 

LAND: DEUTSCHLAND 2016
REGIE: SIMON VERHOEVEN
MIT SENTA BERGER, HEINER LAUTERBACH, FLORIAN DAVID FITZ U.A.

 

Die Überlegung, ein weiteres Kind könnte eine bereits ins Wanken geratene Ehe kitten, ist meistens keine gute Lösung. Die Idee aber, ein Flüchtling könnte eine neureiche Familie vor dem Auseinanderfallen bewahren, wohl schon eher. Das zumindest denkt sich Simon Verhoeven, Sohn von Senta Berger. Sein Versuch, eine Familiengroteske wie Wes Anderson´s The Royal Tenenbaums zu inszenieren, scheitert aber leider daran, dass zu viele Publikumslieblinge publikumswirksam sein wollen. Und den eigentlichen Film verdrängen. Obwohl die Grundidee der gewollt schrillen Satire durchaus zeitgemäßen Bezug hat, und auch zeitgemäß sein will. Die Flüchtlingsproblematik in ein verwandtschaftliches Rambazamba zu integrieren, ist ein Ansatz, welcher der Asylkrise zumindest einen Spielfilm lang den Schrecken nehmen soll.

Merkel´s vielkritisierte Willkommenskultur schlägt sich nun auch zaghaft im deutschen Kino nieder. Die unter anderem von Senta Berger und Heiner Lauterbach dargestellte intellektuelle Spießerfamilie nimmt einen afrikanischen Flüchtling auf. In erster Linie, damit die Dame des Hauses ihrem so stagnierenden wie ereignislosen Pensionszeitalter wieder zu etwas Sinn verhilft. Alle anderen Familienmitglieder müssen damit klarkommen. Auch der ewig jung bleiben wollende Patriarch, der gern mal fremdgeht. Die Kinder sind sowieso Problemfälle. Also reicht vielleicht sogar nur ein objektiver Blick von aussen, um das Problem dieses Mikrokosmos Familie an der Wurzel zu packen. Der Blick von außen ist der eines Flüchtlings. Der sich wundert, wie schwer man es sich machen kann, trotzdem man alles hat. Und der relativ wenig zu sagen hat. Was er aber sagt, klingt weise.

Diese Weisheit scheint aufgrund ihrer Banalität indoktriniert zu sein. So wie der ganze Film. Da bleiben die Auffanglager für Flüchtlinge kolportagehafte Darstellungen, der Anspruch der Satire geht sehr bald flöten und löst sich unter wohlwollendem Klamauk in Wohlgefallen auf. Wenig unterscheidet Willkommen bei den Hartmanns von einem Fernsehspiel. Da tut sich das deutsche Kino ziemlich schwer. Das liegt vor allem daran, dass die TV-Landschaft seine bewährten Stärken hat, und auch mehr Publikum verzeichnet als das Kino. Das mediale Deutschland ist ein Land des Fernsehens. Dort ist neben viel Schmarrn auch sehr viel Qualität zu Hause. Und die läuft Kinokomödien den Rang ab. Willkommen bei den Hartmanns stürzt sich in das Genre einer ambitionierten Satire, traut sich aber zu wenig und bleibt daher nur ein schöngeredetes Lustspiel.

Willkommen bei den Hartmanns