Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt (2023)

WIENER BLUT IM HERZEN UND AUF DER STRASSE

6/10


hades© 2023 Constantin Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2023

REGIE: ANDREAS KOPRIVA

DREHBUCH: HORST-GÜNTHER FIEDLER, ANOUSHIRAVAN MOHSENI

CAST: ANOUSHIRAVAN MOHSENI, ALEKSANDAR PETROVIĆ, IGOR KARBUS, ALMA HASUN, FRITZ KARL, PROSCHAT MADANI, AGLAIA SZYSZKOWITZ, TIM SEYFI, ANICA DOBRA, HARALD SCHROTT, CHRISTIAN STRASSER, FANNY STAVJANIK, ALEXANDER LUTZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Mit dieser knapp um die letzte Jahreswende hirzulande in den Kinos gestartete österreichische Unterweltkomödie geht ein kurioses Phänomen einher, welches nicht nur lokalkolorierte Eigenproduktionen betrifft, sondern mitunter auch Internationales. Bei letzterem könnte man noch verstehen, dass zu wenige Säle zu viele Filme stemmen müssen, denn jede im Verleih befindliche Produktion will seinen Weg zum Publikum finden. Verwunderlich dabei ist, dass die einheimische Filmwelt keinerlei Heimvorteil hat. Anhand von Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt lässt sich gut erkennen, wie stiefmütterlich Genreproduktionwn wie diese behandelt werden. Denn Hades, zu welchem der renommierte österreichische Filmkritiker Horst-Günther Fiedler auch das Drehbuch verfasst hat, lief gefühlt gerade mal eine Woche in den Lichtspielhäusern, bevor er sang- und klanglos aus dem Kinoprogramm verschwand. Auf der filmgenuss-eigenen Watchlist stehen österreichische Filme generell gerne weit oben, auch dieser hier und nicht zuletzt aufgrund wohlwollender Kritiken. Und dann das. So schnell hätte man als Filmnerd gar nicht die besten Plätze reservieren können, war er weg. Die Chance auf illustre Besucherzahlen bestand gleich gar nicht, ich bin sogar versucht zu sagen: Wenn Kinobetreiber heimischen Werken so derart ans Bein pinkeln, grenzt das – natürlich polemisch formuliert – fast schon an Sabotage.

Umso mehr freut es mich, Hades im Sortiment von Netflix entdeckt zu haben. War der Umstand der nicht vorhandenen Kinoauswertung vielleicht Teil eines Streaming-Deals? Bringt dieser Entschluss den größeren Reibach? Vermutlich. Was schade ist. Denn österreichische Filme im Kino beleben die kulturelle Landschaft. Mut dazu, sie länger laufen zu lassen als andere, wäre der Glauben an die eigene Sache. Aber genug des Idealismus. Wie sieht es nun mit dem Film selbst aus, der als fast wahre Geschichte von Aufstieg und Fall eines Mannes fürs Grobe erzählt? Interessant wäre dabei zu erfahren: Was genau hat Anoushiravan Mohseni denn wirklich erlebt? Gab es zum Beispiel diesen Kommissar Czermak, diese Figur irgendwo zwischen Inspektor Columbo, Lolli-Kojak und einer Wiener Melange aus Ernst Hinterbergers Dramatis Personae? Als Hommage an den Wien-Krimi bringt Serien-Regisseur Andres Kopriva Stereotypen wie ihn in einen sozialen Dunstkreis ein, in welchem Hauptdarsteller Mohseni Motive aus seiner eigenen Kindheit und vielleicht auch seinem späteren Lebenswandel einbringt.

In den 90er Jahren nach Wien immigriert, findet der Dreikäsehoch sofort Gefallen daran, Diebesgut zu verhökern. Scheinbar kommt da bereits ein Talent zum Vorschein, welches ihn mit der autochthonen Jugendgang im Gemeindebau auf „ein Packerl hauen“ lässt. Gewalt gehört bald zur Tagesordnung, andere werden verdroschen und bestohlen, ach wie ist das Leben als kleinkrimineller Jugendlicher nicht lukrativ. Jahrzehnte später haben die vier Kids leider nichts dazugelernt, der eine von ihnen hat sich gar zum Nachtclub-Zampano hochgearbeitet, die anderen drei bilden das Trio Infernal der Unterwelt-Exekutive, allen voran eben Reza, der nicht nur auf charmante Wiener Art Furcht und Schrecken verbreitet, sondern dank intensiven Kampfsport-Trainings fast schon in Hill/Spencer-Manier unwilligen Schuldnern die Fresse poliert. Und dann passiert das – was in Unterweltfilmen meistens passiert: Die Liebe, im Idealfall auf den ersten Blick. In Nullkommanix erobert er mit selbstgefälligen Sprüchen, die ihn arroganter erscheinen lassen als er eigentlich ist, das Herz von Beatrice (Alma Hasun), die nichts von seiner Drecksarbeit weiß. Ein Umstand, der Komplikationen birgt. Und Reza langsam, aber doch, zum Umdenken bewegt.

Ein Perser in der Unterwelt – ich bin ja heilfroh, dass dafür nicht Publikumsliebling Michael Niavarani aus dem Simpl abkommandiert wurde, um aus Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt eine weitere Kabarett-Komödie a la Salami Aleikum zu machen. Koprivas Film ist da weitaus gelassener, weil sein Antiheld, der aus dem Nähkästchen plaudert, lieber keine Rampensau sein will. Und das ist gut so. Kenner des österreichischen Films wissen vielleicht: Im Tatsachendrama Taktik gab Anoushiravan Mohseni einen der drei Geiselnehmer, die in den 90ern in einem Grazer Gefängnis ihre Freifahrt erpressten. Diesmal wird er zum Erzähler seiner eigenen Geschichte, das gelingt ihm mit selbstironischem Humor und dem zugrundeliegenden Gemüt eines Belehrbaren, der es irgendwann besser machen will. Man könnte Hades tatsächlich als augenzwinkernde Gaunerkomödie betrachten, die zwar auf abgetretenen Pfaden unterwegs ist, um altbekannte Versatzstücke auszuprobieren, die aber noch schärfer und sekkanter hätten sein können, um sich – und da kann man ja dreist genug sein – der schwarzhumorigen Süffisanz eines Guy Ritchie anzunähern. Das Herz hat Hades zwar am rechten Fleck, doch das unüberhörbare Problem an der Sache ist Mohsenis sprachliche Intonation. Einer wie Fritz Karl oder eine wie Aglaia Szyszkowitz werden sofort, nur Sekunden, nachdem sie im Fokus der Kamera stehen, zu denen, die sie darstellen. Bei Mohseni klingt alles, was er zum Besten gibt, wie auswendig gelernt. Die Kunst im Schauspiel liegt ja bekanntlich darin, die Rolle so aussehen zu lassen, als wäre das Gesagte nichts, was jemand anderer geschrieben hätte. Hades nimmt sich durch dieses Defizit vieles an seiner Authentizität. Hinzu kommt, dass Andrea Kopriva aus dem Serienfach kommt und selten kinoformatfüllende Größe erreicht. Vieles, womöglich dem Budget geschuldet, bleibt beschaulich und arrangiert, manches Mal scheint der Erzähfluss gestört, vorallem in den Szenen aus Rezas Jugendzeit.

Was bleibt, ist unterm Strich der gewinnende Charakter eines Improvisationstalents mit Migrationshintergrund als einer, der nicht alles weiß, vieles kann, aber manchmal eben nicht das richtige tut. Eine umschmeichelte Noir-Figur mit Potenzial ist dieser Reza: er ist einer, dem man nicht böse sein kann. Obwohl das Schauspiel zu wünschen übrig lässt: Mohseni hätte das Zeug. Das Phlegmatische eines Adam Sandler ist da zu finden, das Energische eines Kumal Nanjiani und das Wienerische eines Robert Palfrader, der das Gefährliche mit dem Lausbübischen genauso gut hätte verbinden können wie Mohseni. Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt ist kleinformatiges Selbstfindungskino mit Hang zu Grätzel und Schabernack, politisch unkorrekten Fausthieben und der verzeihlichen Selbstüberschätzung seiner Figuren. Die Erdung derselbigen gelingt am besten, alles andere hat man mitunter schon besser gesehen. Oder gehört.

Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt (2023)

Die Wunderübung

SCHLIMMER GEHT IMMER

7,5/10

 

wunderuebung© 2018 Luna Filmverleih

 

LAND: ÖSTERREICH 2018

REGIE: MICHAEL KREIHSL

CAST: AGLAIA SZYSZKOWITZ, DEVID STRIESOW, ERWIN STEINHAUER

 

Demnächst kommt Daniel Glattauers Email-Roman Gut gegen Nordwind in die Kinos. Wie bitte soll das gehen, einen digitalen Briefroman für die Leinwand zu adaptieren? Anscheinend hat´s geklappt, das Feedback des interessierten Publikums ist noch ausstehend, immerhin war Gut gegen Nordwind auch schon auf der Bühne, was aber nichts heißen mag, denn Lesungen gibt’s da genug, Zuhören ist im Theater noch mehr die Devise als im Kino, wo man auch visuell gerne verwöhnt wird. Bei Glattauers Bühnenstück Die Wunderübung hatte ich allerdings ähnliche Bedenken. Ein Drei-Personen-Stück von relativ kurzer Dauer, Schauplatz eine therapeutische Praxis für Eheprobleme. Wie packend kann das sein? Und wie sehr erfreue ich mich dabei am Beziehungsleid anderer, die sich in sittsamem Abstand von einer Sesselbreite Gemeinheiten an den Kopf werfen? Die Wunderübung allerdings war ein Bühnenerfolg. Und 3-Personen-Stücke gibt es auch jede Menge im Kino, so zum Beispiel Ariel Dorfmanns Bühnenstück Der Tod und das Mädchen, adaptiert von Roman Polanski. Dennoch habe ich bei Erscheinen im Kino die Ehekomödie nicht vorrangig auf meine Watchlist gesetzt. Umso willkommener war es, Michael Kreihsls (u. a. Heimkehr der Jäger) Kinoadaption später dann als zerstreuendes Zuckerl im Streaming-Portal meines Vertrauens zu finden. Man kann´s ja mal probieren, auch wenn der Abend schon recht vorgeschritten ist, man nächsten Morgen früh raus muss oder die Stimmung für üppiges Ausstattungskino gerade mal nicht die Heimkinoatmosphäre dominiert. Problemfilme sollen es auch nicht sein, nicht im klassischen Sinn. Dann lieber eine Problemkomödie, denn um irgendwas etwas muss sich ja schließlich das Ganze drehen, wenn es kein Bildessay a la Geyrhalter sein will, das auf meditativem Wege das Oberstübchen durchbläst.

In Die Wunderübung sammelt das in die Jahre gekommene Ehepaar Dorek alle seine Countenance zusammen, um einen Therapeuten aufzusuchen, der den letzten Rest an Zuneigung aus 17 Jahren Zweisamkeit und Familie ähnlich einem Archäologen aus dem Sand der Zeit kratzen muss. Der Therapeut ist Erwin Steinhauer – ich liebe diesen Mann! Egal, welche Rolle er verkörpert. ganz so wie Peter Simonischek besitzt Steinhauer ein unvergleichlich angenehme wie gehaltvolle Erzähl- und Sprechstimme, seine Mimik ist grandios, die natürliche Beiläufigkeit, in der seine Figuren Gestalt annehmen, schwer nachzuahmen. Steinhauer spielt den wortkargen Polt genauso mit Charisma wie den schmierigen Bezirkspolitiker aus Thomas Roths erlesenen Trautmann-Filmen. Unvergessen seine Rolle als Benedikt Höllrigl in Felix Mittlerers NS-Satire In der Löwengrube. Die Rolle des Therapeuten ist zwar weniger anspruchsvoll, aber bietet genug Fläche für eine einstudierte Sozialkompetenz am Rande der Überheblichkeit, verständnisvoll nickend und innerlich resignierend. Denn die beiden – Devid Striesow und Aglaia Szyszkowitz, sind ein hoffnungsloser Fall, wie es scheint. Schenken tun sie sich nichts, womöglich hassen sie sich gar. Wie diese verstockte Riesenkrise befrieden? Vielleicht mit einem Wunder? Aber wie, wenn gar das eigene beziehungstechnische Kartenhaus in sich zusammenstürzt?

Das Wunder haben bei dieser Adaption eigentlich Michael Kreihsl und Dichter Glattauer vollbracht, der nebst dem eigentlichen Drama auch die Screenfassung schrieb. Die Wunderübung ist eine der souveränsten Überraschungen des österreichischen Films, unerwartet sehenswert und sehr gewitzt. Langeweile kommt keine auf, das Problem ist schwerwiegend, aber nicht unlösbar, je nachdem, in welche Relation man es bringt. Glattauer hievt die Sicht der Dinge auf einen ganz eigenen Blickpunkt, entlarvt menschliches Wohlbefinden als ein Aufraffen im Schatten der Krisen anderer und lässt Beziehungen einfach niemals seiner launenhaften Schwingungen entkommen. Kennt man das Bühnenstück nicht, ist der Story-Twist am Ende ein tatsächlich kaum vermutbarer, vielleicht einer, bei welchem sich denken lässt, es wäre zu schön, um wahr zu sein, ginge die etwas mehr als 90minütige Sitzung am Ende wirklich diesen Weg der geschickten Manipulation. Doch was zu schön ist, kann auch wirklich wahr sein, und das zugunsten eines humorvollen Dreiers voller spitzer Bemerkungen, versteckter Finten und relativer Wahrnehmungen. Ein Film, in seiner inszenatorischen Schlichtheit und seiner schauspielerischen Spielfreude gerade richtig, um wiedermal klug unterhalten zu werden.

Die Wunderübung