Heart of Stone (2023)

MAN ZIELT NUR MIT DEM HERZEN GUT

5/10


Heart of Stone© 2023 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: TOM HARPER

DREHBUCH: GREG RUCKA, ALLISON SCHROEDER

CAST: GAL GADOT, JAMIE DORNAN, SOPHIE OKONEDO, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, ALIA BHATT, JING LUSI, PAUL READY, ARCHIE MADEKWE, MARK IVANIR, BD WONG, GLENN CLOSE U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Welcher Actionfilm war das noch gleich? Der mit dem Verrat in den eigenen Reihen? Oder der mit dem Artefakt, das alle haben wollen? Nein, es ist der Film um diese künstliche Intelligenz, mit der sich die Welt unterwerfen lässt. Mit ihr wäre man der mächtigste Mensch auf Gottes schöner Erde. Doch war das nicht eher Mission Impossible: Dead Reckoning Teil Eins? Da war doch auch so eine KI. Allerdings eine, die den Bösen dient. In Heart of Stone ist es eine sündteure Convenience-App, die den selbstlosen Recken einer aus dem Radar gefallenen Spezialeinheit unter die Arme greift. Die ohne KI vielleicht so blind wie ein Maulwurf wären und im Worst Case analoge Improvisation wohl kaum abrufen könnten.

Wie heißt es so schön bei Einstein: Man sollte alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Im neuen Netflix-Abenteuer ist aber genau das die Krux an der Sache: Agenten, ähnlich wie beim IMF, werden zu Erfüllungsgehilfen eines Spionageprogramms, das jede softwaregesteuerte Elektrotechnik dieses Planeten unterwandern kann. Was bleibt da von einem hemdsärmeligen Helden wie James Bond, der angesichts dieser Hilflosigkeit nur mitleidig lächelnd seinen Martini schlürft und dabei liebevoll an seinen Aston Martin denkt, der links und rechts seine Gatlings ausfahren kann. Mehr war da nie wirklich – doch nun ist der nackte Mensch allein so fähig wie der ausgesetzte Moses im Weidenkörbchen am Nil.

Wir einigen uns also darauf, Heart of Stone als jenen Actionfilm zu definieren, in welchem ein heiß begehrtes High-Tech-Tool im Zentrum gefühlt aller Interessen steht. Als Superstar der astreinen Netflix-Produktion agiert „Wonder Woman“ Gal Gadot, die sich wohlweislich eine neue Paraderolle suchen muss, denn die Zeiten für die Lasso schwingende Amazone aus Themiskyra sind vorbei. Eine optimalere Besetzung wird keiner jemals finden, aber seis drum: Wenn James Gunn alles neu machen will, nur, damit alles seine Handschrift trägt, dann soll er. Gadot agiert diesmal aber nicht nur vor der Kamera, sondern übt sich auch als Produzentin – eine Zusatzerfahrung, die sie begeistert. Doch wie es scheint, dürfte die smarte Israelin sehr schnell mal etwas vom Hocker werfen. Da reichen womöglich ein paar Stunts, und schon ist sie glücklich. Ob das Publikum ihre Freude am Tun zu spüren bekommt? Ob Heart of Stone nach Pleiten wie Red Notice oder The Gray Man vielleicht sogar noch Tyler Rake in den Schatten stellt?

Die (subjektive) Wahrheit ist: Heart of Stone, inszeniert von Tom Harper, der bereits für Netflix The Aeronauts mit Felicity Jones auf den Heimscreen brachte, kämpft sich verzweifelt durch die beliebtesten Versatzstücke des Genres, um Neues zu entdecken. Die Ambition mag man vielleicht bemerken, das gute alte Heureka bleibt aber letztlich aus. Zu schade um Gal Gadot, die sich mit Fleiß und Hingabe bemüht, ihre Arbeit wirklich gut zu machen. So fliegt, schießt und schlägt sie sich stets akkurat und so aufmerksam, als hätte sie Schulstunde, durch ein generisches, mehrere Länder umspannendes Abenteuer, dessen Künstlichkeit anhand mancher Effekte und Kulissen überdeutlich auffällt. Sie selbst ist Gutmensch durch und durch, gerät durch ihre strahlend weiße Ideologie aber deutlich flacher oder gar naiver als zum Beispiel Charlize Theron in Atomic Blonde. So knochenhart wird’s in Heart of Stone schließlich auch nicht, denn was Netflix wollte, ist, auf den fahrenden Zug von Tom Cruises exorbitantem Stunt-Theater aufzuspringen.

Das heißt nicht, dass als Schienenersatzverkehr für Heart of Stone letztlich nur eine Draisine zur Verfügung steht. Solide choreographierte Actionszenen gibt es genug, das Drehbuch hat kaum nennenswerte Längen und wenn man schon mal in Lissabon war, lassen sich während der obligatorischen Autoverfolgungsjagd durch die Altstadt viele Orte wiedererkennen, die man selbst schon besucht hat. Doch dort, wo viele andere Agentenfilme ihren Meister finden und ohnmächtig die Waffen strecken, kommt auch Tom Harpers Blockbuster an seine Grenzen. Zu viele Kompromisse in der Handlung zugunsten eines weltweiten Streaming-Publikums, zu wenig Mut zur Grauzone und psychologisch undurchdachte Antagonisten bescheren dem Star Vehikel letztlich nur Mittelmaß.

Heart of Stone (2023)

RRR (2022)

SUPERHELDEN DES SUBKONTINENTS

7/10


rrr© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: INDIEN 2022

BUCH / REGIE: S. S. RAJAMOULI

CAST: N. T. RAMA RAO JR., RAM CHARAN, ALIA BHATT, OLIVIA MORRIS, RAY STEVENSON, ALISON DOODY U. A. 

LÄNGE: 3 STD 7 MIN


Wie viel Pathos verträgt ein Film? Nach indischen Maßstäben scheint es da keine Grenzen zu geben. Überhöht wird, was Emotionen weckt. Ins Gottgleiche überstilisiert wird, wer das Zeug hat, als Identifikationsfigur einer ganzen Nation zu gelten. Da muss man vielleicht selbst irgendeinen höheren Bezug zur Mentalität des gigantischen Subkontinents haben, der über die mitgebrachten Erfahrungen aus einer Fernreise hinausgeht. Indisch essen reicht da auch nicht, einen Tanzkurs belegen ebenso wenig. Um die authentische Filmsprache eines Landes, die sich nicht den Stereotypen des Westens anbiedert, schätzen zu wissen, muss man Kajol, Salman Khan oder Shah Rukh Khan bereits mit der Muttermilch verabreicht bekommen haben. Muss man allwöchentlich mit der Familie oder später mit Freunden ins Kino gegangen sein, um sich mindestens drei oder vier Stunden lang der bunten, überbordenden Fülle an Rhythmen, Gefühlen und Action-Akrobatik hingegeben haben, alles knallbunt und expressiv bis zur Erschöpfung. Überzeichnet, exaltiert, so richtig melodramatisch.

Dass diese Art, Filme zu machen, nicht ins Groteske ausschlägt, ist einem Lebensgefühl zu verdanken, das all diesen Werken zugrunde liegt. Für das westliche Publikum, zu welchem ich mich zähle, und das mit amerikanischen Narrativen aufgewachsen ist, enthält die indische Erzählweise zumindest jene Exotik, die uns Fernweh verursacht und uns deswegen so sehr fasziniert, weil wir in Europa relativ wenig davon besitzen. Ein Walzer wirkt geradezu statisch im Vergleich zu einem Bollywood-Tanz. Dieser gehört ins indische Kino wie der Koriander ins Chicken Masala. In RRR – was für die Imperative Rise Roar Revolt steht (doch ursprünglich nur als Arbeitstitel galt, der sich aus den Anfangsbuchstaben des Regisseurs und seiner beiden Stars zusammensetzen ließ) – wird Desi Naach erwähnt, und auf den fragenden Blick des fiesen Kolonialisten hin beginnen die beiden Actionstars Rama Rao Jr. und Ram Charan nicht nur ihre Hüften zu schwingen, sondern auch, in akkurater Choreographie aufeinander abgestimmt, mit den Füßen zu stampfen, die Arme im rechten Winkel hin und herschiebend. Bald tanzen alle mit, und das eigentliche Drama, das da abgeht, gerät in den Hintergrund, denn im indischen Kino lässt sich die Pause-Taste drücken, so oft man will, kann man Rückblenden einbinden und das Ensemble Sachen machen lassen, die der Folklore huldigen. In überschaubaren Dosen genossen ist dieser Stil verblüffend anders. Und auch was Regisseur S. S. Rajamouli hier so an aalglatter Action von der Leine lässt, sprengt längst die Grenzen des Möglichen.

Dabei ist der Plot des für den Golden Globe als besten fremdsprachigen Film nominierten Drei-Stunden-Epos im Grunde alles andere als realitätsfern. Wir schreiben das Zeitalter des Britischen Empire, und bis auf wenige Ausnahmen ist die dominierende weiße Rasse aus arroganten und gnadenlosen Gouverneuren, Generälen und ordnungshütenden Brigaden das überhöhte Abziehbild eines nuancenlos verzerrten Aggressors, den ganz Indien loswerden will. Bevor es aber so weit kommt und der Rest zur Geschichte des Subkontinents wird, eröffnet Rajamouli das schmachtende Drama im Kleinen: Im Wald von Adilabad entführen ein superfieser Gouverneur und seine ebenfalls superfiese Gattin ein junges Mädchen, der durchtrainierte Waldläufer Komaram Bheem, der es sogar mit wilden Tigern aufnimmt, macht sich auf die Suche nach ihr. Zeitgleich schafft es der Inder Alluri Sitarama Raju, in der englischen Armee zu gewissem Ansehen zu gelangen, was sich noch steigern würde, könnte er seine Mission, Bheem auszuschalten oder dingfest zu machen, erfüllen. Wie es das Kismet will, treffen die beiden aufeinander, ohne zu wissen, mit wem sie es genau zu tun haben und dass der eine für den anderen der Schlüssel für den jeweiligen Erfolg wäre. Beide werden dicke Freunde, tanzen eben zu Naatu Naatu und geraten dann später auch mit Händen und Füßen aneinander – in heillos überhöhter, die Gesetze der Physik aushebelnder Bewegungskunst.

Würde man alle Slow Motion-Passagen dieses Films in normaler Geschwindigkeit abspielen, wäre RRR womöglich nur zwei Stunden lang. Die beiden Haudegen springen, kreisen, kämpfen, rennen und reiten, erdulden Schmerzen und entrinnen dem Tod, der sich fragen muss, ob er nun komplett versagt, so einige Male. Natürlich ist der getragene Irrsinn zutiefst antikolonialistisch und beweint dabei tränenreich alle möglichen familiären Schicksale; dann wieder gewinnt die Wut, der Enthusiasmus und die Ekstase die Oberhand. Gefeiert werden dabei in ihrer Apotheose zwei historische Persönlichkeiten gleichen Namens, die als Rebellenführer gegen Britannien zum Mythos geworden sind. Ähnlich wie in der Schwerelosigkeit des asiatischen Wuxia-Genres können sie sich als Duracell-Superhelden auch alle Freiheiten leisten, um der finsteren Historie einen phantastischen Anstrich zu geben, der sein Publikum glatt zur Welle animiert.

Auf Filme wie diesen sollte man sich ganz und gar einlassen, und ihnen nicht mit rationaler Skepsis begegnen. Einfach reinkippen, nicht unbedingt mitdenken, sondern diese andere Art des Kinos genießen und sich von den Grundemotionen triggern lassen, auch wenn vieles über unfreiwillige Komik hinausgeht und so bizarr erscheint, dass man das Sichten des Films mitunter als vergeudete Zeit betrachten könnte. Das mag alles sein, und vielleicht wird das auch passieren – im Ganzen aber ist das heißblütige Potpourri aus Freundschaft, Leidenschaft und Selbstlosigkeit eine einzige folkloristische Zirkusnummer, die, säße man im Rundzelt, auch nicht hinterfragen würde. Was zählt, ist die Erfahrung einer ganz anderen Mentalität.

RRR (2022)