Mickey 17 (2025)

DER RECYCELTE MENSCH

7/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BONG JOON-HO

DREHBUCH: BONG JOON-HO, NACH DEM ROMAN VON EDWARD ASHTON

CAST: ROBERT PATTINSON, NAOMI ACKIE, MARK RUFFALO, TONI COLLETTE, STEVEN YEUN, ANAMARIA VARTOLOMEI, HOLLIDAY GRAINGER, CAMERON BRITTON, STEVE PARK, IAN HANMORE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Bong Joon-Ho muss Vegetarier sein. Etwas anderes hätte man nach seinem Schweinehund-Märchen Okja schließlich ohnehin nicht annehmen können. Jetzt, mit Mickey 17, zementiert er ein weiteres Mal die Conclusio in sein Meinungsportfolio, dass niemand verwurstet gehört – weder Mensch noch Tier. Die Würde bleibt auch bei Tieren unangetastet, ob sie nun genau solche kognitiven Fähigkeiten besitzen wie unsereins oder nicht. Um ehrlich zu sein, ist der Mensch im Entschlüsseln tierischer Sprache keinen Schritt weitergekommen, lediglich Mutmaßungen führen dazu, dass das Vokabular von Hund, Wal oder Affe deutlich differenzierter sein könnte als angenommen. Ein ähnlicher Verdacht könnte auch angesichts der autochthonen Lebewesen auf fernen Planeten aufkommen – so gesehen zum Beispiel auf dem treffend benannten Himmelskörper namens Niflheim, angelehnt an die in den nordischen Mythen existierende Welt des Nebels, des Eises und der Finsternis. Um abzuklären, ob dieser Ort etwaige Gefahren für den Menschen birgt, wird einer wie Mickey Barnes in die winterliche Frischluft gestoßen. Er ist schließlich entbehrlich, all die anderen nicht. Warum? Der Kerl ist ein Expendable – der einzige Expendable auf einem Kolonialkreuzer, auf dem eine dorfgroße Gemeinde unter der Führung des an Elon Musk (und nicht an Donald Trump) erinnernden Möchtegern-Diktators Kenneth Mitchell und dessen saucen-affiner First Lady ein neues Reich gründen soll, vier Jahre Reisezeit von der längst zerstörten Erde entfernt. Als austauschbarer Billigmensch muss Mickey im plüschigen gemüts-Outfit eines Versuchskaninchens alle möglichen wissenschaftlichen und existenzsichernden Experimente über sich ergehen lassen. Ob tödliches Bakterium, kosmische Strahlung oder ein Sturz in eine Gletscherspalte: Mickey hat zwar Angst vor dem Tod, wird aber immer wieder recycelt, aus allen möglichen organischen Abfallprodukten, um erneut als systemerhaltende Ein-Mann-Exekutive für allerlei Drecksarbeit herhalten zu müssen. Da passiert es, dass der Sturz durchs Eis gar nicht mal so lethal ausgeht. Mickey Nummer 17 – nach 16 Toden – überlebt dank der Hilfe einer außerirdischen Spezies, abfällig bezeichnet als die Creeper, und muss seine Koje bald mit Mickey Nummer 18 teilen. Einziges Problem: Multiple Personen sind unter Mitchells Regime nicht erlaubt.

Edward Ashtons Roman Mickey 7 hat für den Protagonisten dieser schillernden Science-Fiction-Satire nur sechs vorangegangene Tode geplant. Bong Joon-ho treibt die vom System betriebene Entbehrlichkeit genussvoll auf die Spitze und webt in dieses Szenario gleich mehrere gesellschaftskritische Themen ein, die aber allesamt niemals mit dem erhobenen Zeigefinger fuchteln. Er verzichtet auch auf platte Vergleiche mit realen Umständen und verfremdet sie so weit, dass sie dennoch, wie in einem pädagogisch ausgefeilten Kinderbuch für gar nicht weltfremde Heranwachsende, verstanden werden können. Jean Ziegler stellte zum Beispiel in einem Buch die Frage: Wie kommt der Hunger in die Welt? Bong Joon-ho gibt zu bedenken, wer eigentlich in einer Gesellschaft wie dieser und der unseren das Werk am Laufen hält, ohne dafür jene Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen, die diesen Menschen zustehen würde. Mickey ist die fleischgewordene Metapher für den systemrelevanten Austauscharbeiter, der sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode schuftet, während die oberen Gesellschaftsschichten mit aufsteigender Tendenz immer mehr dem Peter-Prinzip folgen und auf jene unter ihnen treten. Filme wie Der Schacht von Galder Gaztelu-Urrutia oder auch Joon-Hos genialer Revolutions-Actioner Snowpiercer thematisieren Ähnliches. Mickey 17 aber ist von all diesen Filmen der schrulligste, liebevollste und verspielteste. Dafür kann man dem leidenschaftlich agierenden Robert Pattinson in seiner (und das ist nicht nur eine Phrase) bislnag besten Rolle nicht genug danken. Er legt seinen von allen Seiten getretenen Mickey mit einer schlurfigen, verpeilten, naiven Gottergebenheit an, er macht ihn zum Nichtsnutz und zum Improvisateur bar excellence gleichermaßen. Zum sozial-menschlichen Ideal und zum gehorsamen Befehlsempfänger. Er ist der einfachste unter den Einfachen, durch seine Unvoreingenommenheit aber auch jener mit der größten sozialen Kompetenz. Skills, die alle anderen über ihm nicht besitzen. Auch wenn Pattinson dann zweimal zu sehen ist – der Mann weiß, wie er sein Verhalten differenziert, damit man beide spielerisch unterscheiden kann. Der übrige Cast kann sich ebenfalls sehen lassen. Ruffalo wiederum dürfte seine Performance des Chauvinisten aus Lanthimos Poor Things niemals so recht abgelegt haben.

Den größten Clou fährt Bong Joon-ho mit der Liebe zu anderen Arten ein. Nach dem nilpferdigen Okja sind es diesmal knuffige Mischwesen aus Assel, Elefant und Moschusochse mit einem Schuss Lovecraft’schem Cthulhu. Wesen, die genauso wertzuschätzen sind wie jeder einzelne Hominide, der hier als Alien-Rasse auftritt, um die Andersartigen aufgrund machtgieriger Inkompetenz auszulöschen. Diese Kreaturen aber schließt man ins Herz, man bewundert die Raffinesse der Filmemacher, diese zum Leben zu erwecken. Mickey 17 wird zur kauzigen Komödie, niemals zu albern, niemals zu schrill. Bong Joon-Ho beweist ein empathisches Gespür für seine Themen und seine Geschichte, er bleibt respektvoll selbst der respektlosesten Figur gegenüber. Dass man also mit Witz, Ironie und spektakulären Bildern das Genre innovativ erweitern kann, erfrischt das Gemüt nerdiger Phantasten genauso wie nachdenklicher Realisten. Und vielleicht, ja, vielleicht würde sich Bong Joon-ho mit seinem Herz für die Vielfalt des Individuums dazu überreden lassen, irgendwann das Star Wars-Universum zu bereichern. Ein Gedanke, der mit während des Films immer wieder kam.

Mickey 17 (2025)

Alien: Covenant

SKLAVE DES HIMMELS, HERR DER HÖLLE

6,5/10

 

aliencovenant

Regie: Ridley Scott
Mit: Michael Fassbender, Katherine Waterston, Billy Crudup

 

Auch wenn der Film zwar optisch alle Stücke spielt, dramaturgisch aber etwas hinkt, würde ich Fans der Alien-Reihe durchaus anraten, Ridleys Scotts Prequel-Erstling Prometheus nochmal zu Rate zu ziehen. Die Frischzellenkur für den 2012 veröffentlichten Auftakt einer den Alien-Mythos erklärenden Trilogie hat zumindest mir den Einstieg in Alien: Covenant leichter gemacht. Und auch der sehr wohl durchdachte Plot der Monstersaga erschließt sich nach nochmaliger Betrachtung fast naht- und fugenlos und macht darüber hinaus auch wirklich Sinn – sowohl für Prometheus als auch für Alien: Covenant. Was man vom Original und den danach folgenden drei Sequels nicht sagen kann. Sie zu kennen ist – wie auch cinema festgestellt hat – tatsächlich nicht vonnöten. Selbst Ridley Scott ignoriert sie. Mit Aliens – Die Rückkehr, Alien 3 und Alien –  Die Wiedergeburt will der Altmeister seinen Xenomorph-Kosmos nicht kontaminiert sehen und ignoriert sie daher auch völlig. Somit teilen sich die Storylines von Alien in mehrere Parallelen. Bei Cameron´s Fortsetzung haben die Monster – wie wir alle wissen – gleich einem Bienenstaat eine Königin, die all die Eier legt, aus denen die Facehugger schlüpfen. In Alien 3 hinterfragt David Fincher in keinster Weise irgendeine Storyline, sondern schafft im Rahmen eines dystopischen Thrillers die Variable einer biologischen Bedrohung. Und Jean-Pierre-Jeunet fabuliert überhaupt ein für sich alleine stehendes Kunstwerk, dass sich zur Zukunft der Genetik mit geradezu bösartigem Sarkasmus äußert. Allerdings hat Jeunet 1997 bereits Ridley Scotts inhaltliche Ambition vorweggenommen. In seiner sehr persönlichen und eigenen neuen Geschichte hat die Genetik einen mindestens ebenso hohen Stellenwert wie in Alien – Die Wiedergeburt. 

Also betrachten wir des Weiteren lediglich die ersten beiden neuen Kapitel Scotts unter der Lupe. In seiner düsteren, brillant bebilderten Planetenvision haben wir es mit einem viralen Pathogen zu tun, welches von den sogenannten Ingenieuren entwickelt wurde. Ob dieser Virus nun synthetisch oder natürlichen Ursprungs ist, bleibt auch nach Alien: Covenant ungeklärt. Wieso diese unglaublich anpassungsfähigen Mikrolebewesen in einem Raumschiff mit Kurs auf die Erde eingelagert wurden, verharrt ebenso als Akte X in den Annalen kosmisch-humaner Expansionsgeschichte. Was wir aber wissen, ist, dass es sich bei dem Pathogen um einen biologischen Allrounder handelt.

Dieses Virus, oder was immer es auch ist, kann alles. Alles zerstören und sich auf jede erdenkliche Art und Weise verändern, vermehren, anpassen und entstehen. Das egoistische Gen, das vor einiger Zeit der Darwinist Richard Dawkins als Ruler über uns Menschen theoretisiert hat, bleibt im Angesicht dieses höchst aggressiven Evolutionsbausteines so klein und arm wie eine Kirchenmaus. Beim Alien-Gen hat es die Menschheit mit einem Egoisten zu tun, der im Survival-Wettlauf of the Fittest die wohl effektivste Ellbogentaktik beherrscht., Dawkins, Charles Darwin oder Carl Sagan wären bei so einem Albtraum schweißgebadet in ihren Betten aufgewacht. So eine radikale Weiterführung ihrer entwicklungsbiologischen (Hypo)thesen hätten sie dann doch nicht haben wollen. Ridley Scott aber zeigt ihnen die kalte Schulter. Seine Biologie gewinnt Gold. Und macht aus Spezialisten, die wissen, wo in ihren evolutionären Nischen ihr Platz ist, Experten für globales Tabula Rasa. Das Alien in all seinen Auswüchsen – ob als Wurm, Pilzmyzel, Weichtier, Achtfüßer oder humanoider Drache – macht keine Gefangenen. Warum auch. Es ist ein egoistisches Gen, das bereit ist, alles zu vernichten. DAS ist natürliche Auslese. Alles andere ist Mumpitz. 

Ehrlich gesagt – anders wollen wir den Neomorph oder Xenomorph gar nicht sehen als etwas, das alles andere kaputt macht, bevor es selbst kaputt gemacht wird. Diesen Willen des Überlebens und Ausbreitens finden wir in so aggressiven Viren wie Ebola oder Malaria. Jetzt muss man sich folgendes vorstellen: Hätten irdische Viren das Zeug, sich zu Zellen zusammenzuschließen und sich körperlich zu manifestieren – dann, ja dann hätten wir ein Alien. Oder eines dieser Ausgeburten, je nachdem, womit wir diese Gene kreuzen. 

Die Vielfalt des Aliens könnte bereits ein kleines Lexikon füllen. Auch in Alien: Covenant haben wir es mit neuen Arten zu tun. Schön für die Wissenschaft. Schlecht für die unsäglich naiven Kolonisten, die aus Spaß an der Freude und eigentlich aus Bequemlichkeit heraus einen völlig unbekannten Planeten ansteuern und einem kryptischen Funkspruch nachstellen, der sie ins Verderben stürzt. Wie sehr man seinen Vertrag – seinen Covenant – missachten kann, dass zeigen Katherine Waterston (leider keine Sigourney Weaver), Billy Crudup und andere. Ihr Untergang ist hausgemacht, also hält sich mein Mitleid ziemlich in Grenzen. Leider hält sich auch die Monstershow in Grenzen. Wenn es hochkommt, dann zeigt sich das Vieh summa summarum aufregende 15 bis 20 Minuten. Eine Enttäuschung. Gut, diese Minuten sind das Kinoticket schon wert. Vor allem in den Bodyhorror-Szenen, in denen unter kaltem Neonlicht hysterische, bananenköpfige Babys mitsamt glitschiger Nachgeburt auf den Fliesenboden klatschen. So grausig es ist – da jubelt das Herz des Alien-Fans. Es jubelt auch, wenn Scott sein Original auf ehrerbietende Weise und mit Alien-Closeup genüsslich zitiert. Doch um das Alien geht es ernüchtenderweise nur sekundär. Alien: Covenant erzählt wider Erwarten eine andere Geschichte als bisher in diesem Kosmos. Das ist erfrischend, interessant und kurzweilig. Scott schafft es fast dreiviertel seines Filmes, sich nicht selbst zu kopieren. Alle Achtung. Was er sich ausgedacht hat, ist neu – und rückt den Focus auf die Schlüsselfigur des Androiden David aus dem Vorgänger Prometheus. Weniger auf die Kreatur selbst, die Mittel zum Zweck oder zufälliges Ergebnis wilder Experimente bleibt. Viel mehr konzentriert sich die Science-Fiction-Oper auf die Ambitionen eines Androiden, sich über seinen Schöpfer zu stellen – womit Scotts Themenradius um künstlich geschaffene Intelligenzen auch Richtung Blade Runner schielt. Der Weyland-Humanoiden träumt demnach zwar nicht unbedingt von elektronischen Schafen, aber immerhin von der Macht, Leben zu erschaffen. Sehr anthroposophisch, das Ganze. Aber gut durchdacht. 

Dennoch bleibt der Nachgeschmack nach Alien: Covenant zwar metallisch-blutig, aber durchwachsen. Ich will nicht sagen, dass die letzte halbe Stunde misslungen ist – doch dahingeschludert ist sie auf jeden Fall. Zum Showdown fällt den Drehbuchautoren nichts Neues mehr ein. Alles endet dort, wo das Original-Alien seine spannendsten Minuten hat. Und da wissen wir bereits, wie es endet. Schnell noch den Xenomorph erledigen, dann ab in die Kojen. Genauso fühlt es sich an – lieb- und ideenlos. Dabei hätte das nun perfekt getrickste Untier mehr Potenzial gehabt, um auch in anderem Kontext in Erscheinung zu treten. Vielleicht hebt sich Scott dies für Teil 3 auf – obwohl dieser zwischen Prometheus und Covenant angesiedelt sein soll. Wie auch immer – Alien-DNA hat der Film jede Menge, die Story ist stringent, die Crew nach wie vor undiszipliniert. Doch Angst vor seiner eigenen und Giger´s Kreatur sollte der Film keine haben.

Scheint aber leider so.

 

 

 

Alien: Covenant