How to Blow Up A Pipeline (2022)

BREAKING BAD FÜR DEN GUTEN ZWECK

7/10


howtoblowuppipeline© 2023 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIEL GOLDHABER

DREHBUCH: ARIELA BARER, JORDAN SJOL & DANIEL GOLDHABER, NACH DEM BUCH VON ANDREAS MALM

CAST: ARIELA BARER, KRISTINE FROSETH, LUKAS GAGE, FORREST GOODLUCK, SASHA LANE, JAYME LAWSON, MARCUS SCRIBNER, JAKE WEARY, IRENE BEDARD U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Verbrechen zahlt sich aus? Vielleicht in der Politik, da merkt man nicht sofort, was im parlamentarischen Hinterzimmer alles beredet wird. Oder, wenn ein ganzes Volk an einem Strang zieht. Sowas nennt man dann Revolution, die wiederum Sinn macht, wenn Alleinherrschaften gestürzt werden sollen. Verbrechen aber im Gewand von linkem oder rechtem Idealismus zieht meist einen Rattenschwanz aus Ahndung und Vergeltung nach sich. Niemand kann verstehen, wie Gewalt – sei es nun gegen Menschen oder gegen Dinge – als gesetztes Zeichen für eine bessere oder andere Welt jemals genau dorthin führen soll. Um andere aufzurütteln? Die, die es vielleicht zum Umdenken bringen könnte, haben längst schon ihre Türen geöffnet, bevor sie eingerannt werden. Die anderen hängen in ihrer Borniertheit sowieso an ihrer Meinung. Und können statuierte Exempel wie im vorliegenden Film nur verurteilen oder geringschätzend belächeln.

Einen Kreuzzug gegen die kapitalistische Weltherrschaft zu führen ist, als würde man eine Festung mit Graffitisprays stürmen. Klimakleber blockieren zwar die Straße, blockieren aber auch ein Umdenken, weil Aktionen wie diese ganz andere Emotionen auslösen, nicht aber jene, die die Umwelt betreffen, die im Argen liegt. Idealisten, die eine Pipeline sprengen wollen, um den Ölfluss und damit die Konzernroutine zu stören, packen das Übel nicht an der Wurzel, sondern reißen dem Unkraut lediglich die Blätter aus. Ihre Vorgehensweise ist eine persönliche, und keine fürs globale Allgemeinwohl. Das erfährt man, wenn man sich How to Blow Up A Pipeline ansieht, basierend auf dem gleichnamigen Ratgeber für aktivistische Kriegsführung. In diesem Independentdrama treffen acht vom Leben im Stich gelassene, junge Menschen aufeinander, die sich in der Wüste von Texas einem Sabotageakt verschreiben, der, wie der Titel schon sagt, die Ölzufuhr eines Rohstoffgiganten an zwei auseinanderliegenden Stellen zumindest eine Zeit lang stoppen soll. In die Wege geleitet soll dies mit ordentlich Sprengstoff werden – einem vorzüglich selbst gemixten. Und schon erinnert das ganze Szenario ein bisschen an Breaking Bad – nur statt Crystal Meth, das ja wirklich nicht fürs Allgemeinwohl, sondern nur für den eigenen Profit hergestellt wird, mixt der in Sprengstoffen versierte Autodidakt Michael mit angehaltenem Atem und ruhiger Hand ein ganz anderes Pulver zusammen. Eines, dass Stahl, Nieten und alles andre in seine Einzelteile zerlegen soll. Die anderen sieben helfen dabei, füllen ganze Fässer mit Ammoniumnitrat, checken die Lage und schwören sich auf ein Gelingen des Anschlags ein, der tunlichst keine Menschenleben gefährden soll, denn schließlich geht es ja um die Menschlichkeit, um ein besseres Leben, um ein Umdenken. Mord wäre da das falsche Signal. Und Sachbeschädigung?

Regisseur Daniel Goldhaber bewundert seine acht Seelen, die im Winter der amerikanischen Wüste die Welt verändern wollen. Ja, er sympathisiert gar mit ihnen und erklärt sie zu Kreuzrittern, die sich Gehör verschaffen müssen. Andererseits aber schnipselt er ins fast schon semidokumentarische und genau beobachtete Making Of eines Anschlags die in groben Eckdaten zusammengefassten persönlichen Beweggründe jeder und jedes einzelnen. Dabei wird klar, dass selten der globale Zustand unserer Welt der Motor für die nun vor uns liegende Aktion darstellt, sondern ausschließlich persönliche Kränkungen, Benachteiligungen und gesundheitlicher Schaden. Ist das Ganze dann nicht eher eine Frage der Rache? Der Vergeltung? Die einzige Möglichkeit, sich den eigenen Schmerz und die Ungerechtigkeit rauszuschreien, weil ihn sonst keiner hört?

How to Blow Up A Pipeline ist fraglos eine spannende Chronik, und bietet aufgrund der unterschiedlichen Charaktere, die mit ihrer desillusionierten Grimmigkeit schließlich doch etwas gemeinsam haben, potenziellen Zündstoff, der das ganze Vorhaben bereits intern hätte scheitern lassen können. Das gemeinsame Ziel allerdings – die Aussicht, nichts mehr verlieren zu können, schweißt alle zusammen. Verzweiflung, Gruppendynamik und Teamgeist bilden die Essenz, die vorhanden sein muss, um Tabula rasa zu machen. In Goldhabers Film steht also primär die Erforschung der Parameter im Vordergrund, die zur praktischen Umsetzung radikaler Ideen führen. Andererseits kann Goldhaber auch nicht anders, als die Wahl extremer Mittel, um ein Statement zu setzen, für vertretbar zu befinden.

Von daher ist sein Film durchaus imstande, zu beobachten und zu provozierien. Am Ende wird das Charaktedrama gar zum – zugegeben etwas konstruierten – Thriller inklusive Story-Twist. Darüber, ob How to Blow Up A Pipeline nun aber Partei ergreift oder nicht, lässt sich streiten. Ich zumindest meine, er tut es. Doch wenigstens liegt hier – zwischen Wut und Pipeline – eine logische Verbindung vor, während das Anschütten berühmter Gemälde mit Tomatensuppe vielleicht doch am Ziel vorbeipatzt.

How to Blow Up A Pipeline (2022)

Cherry

I GOT GUNS IN MY HEAD AND THEY WON´T GO

6,5/10


cherry© 2021 Apple+


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: ANTHONY & JOE RUSSO

CAST: TOM HOLLAND, CIARA BRAVO, JACK REYNOR, MICHAEL RISPOLI, JEFF WAHLBERG, FORREST GOODLUCK, MICHAEL GANDOLFINI U. A.

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Nur ein freundlicher Junge aus der Nachbarschaft? Mitnichten. Marvel-Shootingstar Tom Holland hat sich ja bereits schon mit der düsteren Ballade The Devil all the Time weit genug von seinem Spiderman-Image wegbewegt. Aber es geht noch weiter. Und zwar mit der Verfilmung eines Romans von Nico Walker, die vom Heldenmythos überhaupt nichts mehr wissen will und seinen Protagonisten in ein Wechselbad schlimmer Erfahrungen wirft, aus dem sich eigentlich kein Normalsterblicher herauswinden würde können. Dabei – und da würde Alanis Morisette zu ihrem Lied Ironic vielleicht noch eine Strophe hinzufügen ­– hängt in dieser überlangen Straße der Verdammnis das Schicksal des jungen Mannes namens Cherry von einem einzigen Umstand ab: und zwar vom Umstand von so etwas augenscheinlich Banalem wie Liebeskummer.

An dieser schmerzlichen Erfahrung ist Uni-Liebe Emily schuld. Nachdem die Beziehung längst schon nach etwas Fixem aussieht, entschließt sich die junge Dame, nach Montreal auszuwandern und mit Cherry Schluss zu machen. Wie denn jetzt? Spidey fällt aus allen Wolken, weiß nicht mehr, wo oben noch unten ist und beschließt aus einem Impuls heraus, die autoaggressive Selbstgeisselung in der Army zu suchen. Das Dumme aber: Emily macht einen Rückzieher, bleibt doch hier, will auch nicht Schluss machen, und kurz bevor Cherry in den Nahen Osten ausrückt, wird noch geheiratet. Völlig klar, dass die Gräuel des Krieges den jungen Mann zumindest psychisch komplett durch den Fleischwolf drehen. Wieder zurück in sicherer Heimat, geht´s nur noch bergab. Und zwar mit Drogen, soweit das blutunterlaufene Auge reicht.

Um zu zeigen, dass die Brüder Russo nicht nur Meister darin sind, im Superhelden- und Actiongenre die roten Fäden ihrer Plots fest in ihren Händen zu belassen, darf’s diesmal etwas Dramatisches sein. Und ja, sie verzetteln sich trotz dieser Fülle an Aspekten auch hier nicht. Ein überstilisierter und satter Abgesang auf den amerikanischen Traum ist ihr Film geworden, ein Abgesang auf Ruhm und Ehre beim Militär; auf die enden wollenden Kapazitäten einer menschlichen Psyche, die beileibe nicht alles aushält, schon gar nicht das von den Waffenlobbys angeheizte Abschlachten unter fremdem Himmel. Die Drogen sind da nur ein Symptom für eine soziale Dysfunktionalität und ein Vorbeiwirtschaften an der Volksgesundheit. Die literarische Vorlage ist mit Sicherheit ein galliges Werk – der Film der Russos zögert hier nicht, diesem Adjektiv nachzueifern, wenngleich hier sehr viele optische Stile ausprobiert werden, hinter denen aber kein System zu stecken scheint und die einfach gar willkürlich variiert werden. Natürlich, das lockert die straffe Abwärtsspirale etwas auf, macht sie nicht träge und larmoyant, sondern gibt ihr eine gewisse sarkastische Note. Zur Groteske ist es nicht mehr weit, und auch gegen Ende hin, wenn alle Stricke reißen, suhlt sich Cherry im heftigen Spiel von Tom Holland. Der hat´s wirklich drauf, vor allem in Szenen wie diese, in der er sich mit der Heroinnadel malträtiert und dabei den Frust seines Daseins gegen die Windschutzscheibe seines Autos brüllt. Direkt peinlich berührt will man da wegsehen, aber es wäre nicht Tom Holland, wenn in seiner Figur nicht noch ein Funken Überlebenswillen wäre. Ein Funke, der immer wieder durchkommt und den Film dann auch trotz seiner intensiven Szenen, die an Aaron Pauls Rolle in Breaking Bad erinnern, erträglich macht.

Erstaunlich einsam sind die beiden Liebenden und halb Sterbenden in diesem großzügigen Mix aus Kriegs-, Drogen- und Liebsdrama. Auf nichts scheint hier Verlass, weder auf Familie noch auf den Staat noch auf irgendeine helfende Hand. Aus dem Dreck, da muss man sich selber ziehen. Ganz allein.

Cherry