Till – Kampf um die Wahrheit (2022)

DER HASS AUS DEM WESTEN

7/10


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LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: CHINONYE CHUKWU

BUCH: CHINONYE CHUKWU, KEITH BEAUCHAMP, MICHAEL J. P. REILLY

CAST: DANIELLE DEADWYLER, JALYN HALL, WHOOPI GOLDBERG, FRANKIE FAISON, HALEY BENNETT, JAYME LAWSON, TOSIN COLE, SEAN PATRICK THOMAS, KEVIN CARROLL U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Immer wieder erstaunt es, obwohl man es schon längst wissen sollte – aber vermutlich nicht wahrhaben will: Der Mensch ist in seiner Bösartigkeit jedes Mal aufs Neue Weltmeister. Mit Argumenten wie anderer Mentalität, dem Empfinden einer anderen Wahrheit oder entschuldigenden Beschwichtigungen, die besagen, dass die Täter es nicht besser wussten, lässt sich in Fällen wie diesen nicht mehr beikommen. Das hier sind Manifestationen  kanalisierten, vorsätzlichen Hasses, wie er niederträchtiger kaum sein kann. Unter einem solchen Lustgewinn feierten in Europa Rechtsextreme auf Kosten der jüdischen Minderheit ihre ungehemmte Macht, bevor der Weltkrieg losbrach. Das Trauma der USA hingegen ist der beschämende Umgang mit dem Bevölkerungsanteil, der afrikanischen Ursprungs ist und dessen Vorfahren gewaltsam aus ihrer Heimat verschleppt wurden.

Im 19. Jahrhundert gab es, wie wir alle wissen, den Sezessionskrieg, dann die Befreiung der Sklaven – jedoch kein Umdenken vor allem im Süden, in welchem nicht nur der gesellschaftliche, sondern auch der institutionelle Rassismus die längste Zeit noch seine menschenverachtenden Regeln exekutieren wird. In diesen toxischen Dunstkreis der 50er Jahre will sich der vierzehnjährige Till begeben, der seine Verwandten im Süden besucht. Mama ist da zwiegespalten – sie weiß von den Schikanen da unten im Sumpf, sie bangt um ihren Sohn, bevor er noch seine Taschen packt. Doch er freut sich wie ein Schneekönig, und er soll seine Freude haben. Vorausgesetzt, er benimmt sich unterwürfig genug den Weißen gegenüber, die jede noch so kleine Verhaltensauffälligkeit ahnden würden.

Es kommt leider, wie es kommen muss. Und das noch so schlimme Worst Case-Szenario aus den Angstträumen der Mutter wird von den kommenden realen Ereignissen eingeholt. Emmet Till spricht in einem Laden eine weiße Frau an – und muss dafür büßen. Wie er mitten in der Nacht im Haus seines Onkels und seiner Tante vom lynchbereiten Mob aus dem Bett gezerrt und entführt wird, ist eine Szene, da bleibt einem so ziemlich alles im Halse stecken, was sich gerade dort befindet. Diese Hilflosigkeit, diese Ohnmacht der schwarzen Familie lukriert Panik nicht nur bei den Mitspielenden, auch beim Publikum. Was tun, um diesen armen Jungen die Hölle auf Erden zu ersparen? Letzten Endes ist alles umsonst. Der Junge wird gefoltert, getötet und in den Fluss geworfen.

Wer glaubt, dass dieser Umstand schon die Schwere des Films zur Gänze ausgelotet hat, irrt. Es wird noch tragischer und erschütternder. Spätestens dann, wenn Danielle Deadwyler als trauernde Mutter und spätere Menschenrechtsaktivistin den bis zur Unkenntlichkeit entstellten toten Körper ihres Sohnes in den Arm nimmt, ist das Leid und die Untröstlichkeit so dermaßen greifbar, dass man sich selbst ohne Schwierigkeiten zu impulsiven Rachegelüsten hinreißen lässt, um all diese reuelosen Verbrecher vom Planeten zu tilgen. Der Anblick des Toten schmerzt und verstört, die Zurschaustellung des Opfers mag zwar Grund zur Diskussion über Pietät und Respekt vor den Toten sein, verfehlt aber ihren Zweck, den sie erfüllen sollte, um keinen Millimeter. Wie sehr Deadwyler die Rolle einer Schmerzensfrau einnimmt, die mit Würde ein unerträgliches Schicksal ertragen muss – diese Leistung brachte ihr eine Golden Globe-Nominierung.

Überdies ist es beeindruckend, wie sehr Regisseurin Chinonye Chukwu emotionalen Floskeln ausweicht, auch wenn ihr Film Till – Kampf um die Wahrheit all die Eigenschaften eines konventionellen Dramas trägt, dass vielleicht Gefahr laufen könnte, einer gewissen Tränendrüsen-Sentimentalität zu erliegen. Traditionell, souverän ausgestattet und klassisch Hollywood mag ihr Film sein – die darin eingebettete True Story erreicht aber schon allein aufgrund ihrer so bizarren wie quälend ungerechten Umstände eine selten dagewesene Tiefe, welche den Kummer der Betroffenen aufrichtig ernst nimmt. Das ist Anti-Rassismus-Kino, das mit offenen Armen sein nicht weniger betroffenes Publikum mit auf die Straße holt, um sich einem sinnbildlichen Lichtermeer anzuschließen, das für „Niemals wieder!“ steht.

Dekaden später wird sich ein Drama wie dieses leider noch des Öfteren wiederholt haben.

Till – Kampf um die Wahrheit (2022)

The Woman King

ES WAR EINMAL IN AFRIKA

7/10


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LAND / JAHR: USA, KANADA 2022

BUCH / REGIE: GINA PRINCE-BYTHEWOOD

CAST: VIOLA DAVIS, THUSO MBEDU, LASHANA LYNCH, SHEILA ATIM, JOHN BOYEGA, JORDAN BOLGER, JAYME LAWSON, ZOZIBINI TUNZI, HERO FIENNES TIFFIN, ANGÉLIQUE KIDJO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Wie denn, es zeigt sich kaum jemand echauffiert, dass eine amerikanisch-salvadorianische Filmemacherin einen US-amerikanisch-kanadischen Film über historische afrikanische Ethnien dreht? Ja darf die denn das? Und wie sehr kann der afrikanische Spirit denn da überhaupt nachempfunden werden, wenn niemand, weder die Regie noch alle am Skript Beteiligten, keinen entsprechenden Background vorweisen können? Aber gut, ich will hier keine schlafenden Hunde wecken. Von mir aus kann sich jede und jeder jedem Thema annehmen, es braucht nur gut gemachte Hausaufgaben. Denn was natürlich niemand will, ist eine kolportierte Folklore, die jenes geklittete Bild von Afrika vermittelt, dass exotische Wilde zeigt, die man begaffen kann.

Gina Prince-Bythewood (The Old Guard) wäre nahezu lebensmüde gewesen, hätte sie bei ihrem Film nicht gewissenhaft recherchiert oder sich selbst einige Experten auf dem Gebiet der Völkerkunde zur Seite gestellt. Wir wissen, wie leicht man sich in dieser Thematik in die Nesseln setzen kann. Was sich aber kulturhistorisch bestätigen lässt: Das resolute Volk der Dahomey zeichnete sich aus durch etwas ganz Besonderes: den Agojie – ein Regiment an Kriegerinnen, die den Feinden das Fürchten lehrten. Martialische Heldinnen, bis zu den Haarwurzeln gestählt, trainiert und schlau; taktisch versiert und trotz der im Vergleich zu Männern geringeren Stärke kampftechnisch um Nasenlängen voraus.

Im Zentrum dieser Episode aus dem Jahr 1823 steht die Kriegerin und Kommandantin Nanisca, die unter der weitestgehend besonnenen Führung von König Gezo immer wieder nach neuen Rekrutinnen sucht, um ihre Einheit zu erweitern und zu stärken. Darunter findet sich die gerade mal volljährig gewordene Nawi, die, anstatt an einen reichen Miesepeter verheiratet zu werden, lieber den Weg der Kriegsnonne geht. Und ja, sie macht sich – trotz aufmüpfigen Verhaltens und eigenem Kopf. Wie das eben so ist, bei zukünftigen Heldinnen, die aus der Masse herausstechen werden, weil sie selbst denken, statt nur Befehle zu befolgen. Dass es hier Spielraum geben muss, beweist der Erfolg. Oder das Retten so mancher Gefährtin aus misslichen Lebenslagen. Während an der Küste des heutigen Benin die Portugiesen ihre Sklaven kaufen, droht die Gefahr des Gegners in Gestalt der berittenen Oyo. Dafür muss trainiert, dafür muss alles gegeben werden. Während wir also zusehen, wie Nawi zur toughen Frau heranreift und Nanisca mit ihrer erschütternden Vergangenheit konfrontiert wird, offenbart sich ein ungewöhnliches und pittoreskes Stück afrikanischer Geschichte. Einer Geschichte, die in den Schulen wohl kaum unterrichtet wird, und die wir proaktiv womöglich auch nie nachgelesen hätten, die aber so richtig Aufschluss gibt über ein Afrika, das abgesehen von Hungersnöten, islamischem Terrorismus, Armut und Genozide ausnahmsweise mal stolz erhobenen Hauptes auf Ahnen wie diese zurückblicken kann.

Natürlich ist The Woman King kein afrikanischer Film. Wäre er dies, hätte er ein ganz anderes Vokabular verwendet, wäre auch tiefer in Glauben und Gebräuche lokaler Völker eingedrungen. Wäre metaphysisch geworden, während dieser Film hier jene kulturellen Eigenheiten herausfiltert, die profan genug sind, damit sie überall vertraut erscheinen. The Woman King wird dadurch etwas generisch, steht aber mit beiden Beinen fest am Boden eines repräsentativen Afrikas früher Reisender. The Woman King ist ein amerikanischer Film und folgt einem ganz klassischen, hollywood‘schen Erzählduktus, bei dem ich manchmal nicht weiß, ob mir dieser nicht manchmal zu gefällig wird. Es fällt aber schwer, trotz einiger weniger Längen, die sich aus einem bemühten Plot-Konstrukt ergeben oder John Boyegas schwachbrüstigen Auftritt Bythewoods Film nicht trotzdem als schauspierisches Schwergewicht zu betrachten und als einen Historienfilm, der diesmal nicht die epische Polfilter-Handschrift eines Ridley Scott trägt, sondern lieber seine Heldinnengeschichte ohne kinematographische Extras in den blutbesudelten Staub zeichnet. Viola Davis, Lashana Lynch (der ich stundenlang zusehen könnte) und allen voran Thuso Mbedu als Nawi rauben einem den Atem. Kraftstrotzend, vital und sinnlich sind sie. Intelligent und faszinierend. Von Mbedu (The Underground Railroad) wird man zukünftig noch mehr sehen, ich hoffe es inständig. Sie lässt ihre Rolle in stetigem Fluss, entwickelt sich und reift heran. Hier ist nichts, was nicht in ihre Biografie passt. Ein starkes Stück, das sie hier abliefert. Und ein starkes Stück von allen hier Beteiligten, die sich mit flippernden Zungen ins Gefecht stürzen, mit geölten Körpern und geschliffenen Macheten. Unterstützt von den Trommeln im Score, schmettert der Film mit resonanter Wucht eine Performance auf die Leinwand, die erkennen lässt, wo die Marvel-KriegerInnen aus Wakanda ihren Ursprung haben. Dort, im Königreich Dahomey, liegt der eigentliche Quell des Black Panther.

The Woman King