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DIE FURCHT VOR DEN GEFÜHLEN

7/10


close© 2022 Polyfilm


LAND / JAHR: BELGIEN, FRANKREICH, NIEDERLANDE 2022

REGIE: LUKAS DHONT

BUCH: LUKAS DHONT, ANGELO TIJSSENS

CAST: EDEN DAMBRINE, GUSTAV DE WAELE, ÉMILIE DEQUENNE, LÉA DRUCKER, IGOR VAN DESSEL, KEVIN JANSSENS U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Hätte ich gewusst, welche Richtung dieses Jugenddrama einschlagen wird, hätte ich mir womöglich keine Tickets dafür besorgt. Was aber nicht heißen soll, dass ich es bereue, im Rahmen der Viennale Lukas Dhonts zweite Regiearbeit gesichtet zu haben. Ganz und gar nicht. Der belgische Autorenfilmer weiß, was er will. Seine Arbeiten sind konzentriert, ungemein einfühlsam und stringent. Reduzieren die Dramaturgie auf das Wesentliche und lassen aber dennoch ein intensives Gefühlserlebnis zu. Vielleicht, weil Blicke eben mehr sagen als tausend Worte. Weil eine Geste oft alles ist, und das gesprochene Wort öfter missverstanden wird als die paraverbale Kommunikation. Obwohl gerade diese in Close an seine Grenzen stößt und eine Tragödie auslöst, die man selbst als Elternteil um nichts in der eigenen Welt und in allen anderen möglichen Parallelwelten erleben will. Und doch steht der paraverbalen Kommunikation der Dialog nur in bedingtem Ausmaß gegenüber. Sobald Gefühle mit im Spiel sind, hat keiner mehr eine Ahnung davon, wie man diese zur Sprache bringt.

Bevor die erschütternde Konsequenz auf den unbewusst losgelösten sozialen Teufelskreis trifft, sind Léo und Rémi ein Herz und eine Seele. Zwei Jungs, gerade mal Teenager, und Best Friends Forever. Der eine übernachtet beim anderen, der Weg zur Schule ist stets ein gemeinsamer. Man tauscht sich aus, man teilt die Fantasie beim Spielen. Ein Einklang, wie er in Jugendjahren immer wieder vorkommt, in einer Zeit, wo man glaubt, den Buddy fürs Leben gefunden zu haben, bevor das Erwachsenwerden jeden auf einen anderen Weg schickt. Obwohl sich die Jungs in Close einander kennen wie sich selbst, bleibt doch eine Ebene unberührt: Die der Gefühle. Und so scheint es, als würden sich beide mehr zueinander hingezogen fühlen als es bei Freunden wohl üblich ist. In der Schule darauf angesprochen, lehnt Léo seine Zuordnung als latent homosexuell entschieden ab, Rémi hingegen sagt nichts. Und muss in Folge zusehen, wie sein bester Freund sich distanziert. Das geht so weit, bis dieser ihn verstößt. Und das Drama erst so richtig seinen Anfang nimmt.

Der liebevolle, warmherzige Blick, den Léo im Rahmen eines musikalischen Auftritts von Rémi diesem zuwirft, ist eine Zuneigungsbekundung schlechthin. Ist viel Respekt, Anerkennung und vielleicht doch ein bisschen mehr. Dieser Umstand aber kommt nie zur Sprache. Weil in einer Welt wie dieser niemand beigebracht bekommt, Gefühle auszudrücken. Das weiß man als Kind nicht, das weiß man als Erwachsener schon gar nicht mehr. Vor allem Buben und Männer sind hier eher ratlos. „Irrationale“ Emotionen einzugestehen zeugen von Schwäche, darüber hinaus scheint es, als würde es das Umfeld wenig interessieren. Wie damit umgehen? Und wie damit umgehen, wenn so etwas wie die erste Liebe im Spiel ist?

Lukas Dhont (unbedingt sehenswert: Girl) hat das Dilemma des Empfindens allerdings nur zum Anlass genommen, um etwas anderes zu erzählen. Es ist eine Sache mit Verlust und Schuld, mit Schmerz und Widergutmachung. Close steht plötzlich ganz woanders, als er sich meines Wunsches nach hätte positionieren sollen. Vielleicht ist das die Unberechenbarkeit des Lebens selbst, die plötzlich in ein Leben donnert wie ein Himmelskörper – und irreversible Spuren hinterlässt. Womöglich ist es Dhont ein Anliegen, Emotionen niemals zu unterschätzen oder kleinzureden, schon gar nicht wegzudrängen. Nirgendwo sonst sind Gefühle ein so wichtiger Baustein ins Leben wie in der Jugend. Diese zu missachten, kann den Worst Case auslösen. In dieser Finsternis findet sich auch dieser Film wieder, und wir uns mit ihm. Close ist daher weniger ein queerer Film als ein universelles Drama, das in Bildern, die vorrangig versuchen, in Gesichtern zu lesen und sich an dem, was zwischen den Wörtern liegt, sattsieht, seine Botschaft verstärkt.  Doch es wäre wohl ratsam, sich irgendwann selbst emotional zu distanzieren vor einer nicht auszudenkenden Möglichkeit, die es unmöglich machen würde, glücklich weiterzuleben. Dhont will Gefühle als etwas anerkannt wissen, dass sich, frei von Floskeln, schamlos mitteilen lässt. Bevor es vielleicht zu spät sein kann.

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Ein königlicher Tausch

MIT HOFKNICKS IN EIN FREMDES LEBEN

7/10

 

koeniglichertausch2© 2019 Thimfilm

 

LAND: FRANKREICH, BELGIEN 2019

REGIE: MARC DUGUAIN

CAST: LAMBERT WILSON, ANAMARIA VARTOLOMEI, OLIVIER GOURMET, JULIANE LEPOUREAU, IGOR VAN DESSEL U. A.

 

Tu Felix Austria, nube! – Das probateste Mittel für politischen Ausgleich war im Hause Habsburg schon immer jenes der Vermählung. Der Frieden war da weitestgehend gesichert, wer verwandt ist, kann und darf sich nicht bekriegen, zumindest wäre das nicht die feine royale Art. Diesen Leitspruch, den hatte aber nicht nur das habsburgische Königshaus, auf diese verbindlichen Worte sind auch die Franzosen und die Spanier aufgesprungen. Und da wird gleich mal nachgesehen, wer von den Sprösslingen sich nicht schon dafür eignen würde, verkauft zu werden. Denn nichts anderes ist diese Methode, ein politischer Deal, der sich über die Bedürfnisse eines Menschen, dessen Träume und Pläne hinwegsetzt. Der blaublütigem Nachwuchs keine Rechte zubilligt, außer jene, für den Fortbestand des Königshauses zu funktionieren. Das war damals bittere Realität. Bist du reich und mächtig und mit Regenten verwandt, musst du sehen wo du bleibst. Und diese Bleibe, die ist anderswo in der Fremde, bei Leuten die man nicht kennt, und bei einem Partner, den man nicht liebt. Bringt die Liaison dann irgendwann nichts mehr – ab auf den höfischen Müllplatz.

Die vierjährige Maria Anna Victoria wird also dem elfjährigen Spross der Franzosen an die Seite gestellt, natürlich noch nicht vermählt, aber das kommt schon noch, bis aus der vierjährigen dann eine gebärfähige Dame werden wird. Die ältere Tochter des Franzosen Philipp (historisch betrachtet war diese gerade mal 12 Jahre alt, im Film ist sie aber weitaus reifer) muss im Gegenzug nach Spanien, an die Seite des Prinzen von Asturien. Ein Verschachern also, des eigenen Fleisch und Bluts, fernab jeglicher Menschenrechte, und man braucht nicht glauben, dass Prunk und Wohlstand alleine alles wieder ins Lot bringen. Obwohl der Prunk, der hat in Marc Dugains Monarchendrama einen beachtlichen und gleichzeitig staunenswerten Stellenwert. Was Giorgos Lanthimos erst Anfang des Jahres mit The Favourite, seinem ebenfalls prunksüchtigen Einblick in den Intrigenstadl des britischen Königshauses mit schräger Optik und erdrückend schweren, holzvertäfelten Zimmerfluchten in preisverdächtige Höhen gehisst hat, hat Duguain weniger ins Groteske gezerrt. Seine erlesene Opulenz öffnet sich tabernakelgleich in fast schon sakraler, teils symmetrischer Vollendung. Ein bisschen wie die Tableaus eines Peter Greenaway, aber weniger malerischer und ölschinkenschwer. Direkt luftig, rötlich schimmernd wie im Schein offener Kamine. Inmitten des perückten Hofstaates Lambert Wilson in einer außerordentlich pointierten Rolle royaler Dekadenz und Wehleidigkeit, um ihn herum buckelnde Gestalten und kindheitsverlorene Jugend. Diese buckelnden Kreaturen hat Lanthimos auch, wie das bei Hofe eben so gewesen sein muss. Die Bilderwelten aus Ein königlicher Tausch sind unglaublich akkurat und aus der Leinwand geradezu herausziseliert. Da sieht man als Zuseher ganz genau, dass die Inszenierung von Macht in der Hochzeit des Barocks ein hedonistisches Schwelgen auf den geknechteten Köpfen ganzer Völker war. Absolutismus also in seiner gierigsten Form. Die Opfer waren dabei eben auch die Kinder. Ein königlicher Tausch beschreibt diese menschenverachtende Systematik und das sinnlose Unglück der beiden jungen Menschen trotz all der Ausstattung als ein Zeugnis karger Armut. Beeindruckend, wie der Film es schafft, die Fülle an Reichtum so sinn- und wertlos erscheinen zu lassen, wie billige Fassade, die nichts behübscht. Nur Defizite, mit gleißendem Stuck überschüttet. Stephen Frears hat das in Gefährliche Liebschaften natürlich anders, aber ähnlich demaskiert.

Ein königlicher Tausch ist eine ernüchternde, resignierende Episode aus einem zivilisatorischen Selbstversuch, der irgendwann nur scheitern konnte. Kein Happy End, kein Durchbrennen, kein Spiel gegen die Regeln. Das macht diesen französischen Kostümfilm zu einem sehenswerten Gleichnis für einen Notstand in Sachen Menschenwürde.

Ein königlicher Tausch