Die perfekte Kandidatin

ES MUSS NICHT IMMER NIQAB SEIN

6/10

 

dieperfektekandidatin© 2019 Neue Visionen

 

LAND: SAUDI-ARABIEN, DEUTSCHLAND 2019

REGIE: HAIFAA AL MANSOUR

CAST: MILA ALZAHRANI, DAE AL HILALI, NOURAH AL AWAD, KHALID ABDULRHIM, SHAFI AL HARTHY U. A. 

 

Was tut sich eigentlich so in Saudi-Arabien? Neben glutheißem Asphalt glühen dortzulande schon längst die Smartphones – Social Media scheint wie überall auch auf der Welt der absolute Trend zu sein. Um das zu billigen, muss sich das Land bereits weit von einem reaktionären Mittelalter entfernt haben. Wie kommt der Islam mit diesem boomenden Fortschritt klar – und was sagt er dazu, dass seit einiger Zeit schon Frauen hinter dem Steuer eines Autos sitzen dürfen? Hat er überhaupt etwas damit zu tun? Und haben Frauen mehr mehr Rede- und sonstige Freiheiten als wir in Europa uns das immer noch vorstellen? Haifaa Al Mansour sagt: Ja. Ja das hätten sie, zumindest prinzipiell mal, würden doch mehr von ihren Rechten Gebrauch machen, ohne das ein obsoletes Gesellschaftsmuster vorgibt, alle Rechte vorzugeben. Das kann es nämlich nicht mehr, wie es Die perfekte Kandidatin begreiflich macht. Was Haifaa al Mansour (u. a. Das Mädchen Wadjda, Mary Shelley) aber erzählt, das ist nicht die beglückende Erfolgsgeschichte irgendeiner Frau aus der Mittelschicht – sondern von Maryam, Ärztin an einem kleinen Krankenhaus irgendwo in einer Kleinstadt in Saudi-Arabien (gedreht wurde der Film in dessen Hauptstadt Riad). Sie hat zwar in jungen Jahren ihre Mutter verloren, dennoch lebt sie mit zwei weiteren Geschwistern und ihrem recht liberal eingestellten Vater in einem ordentlichen Anwesen und kann sich sonst auch nicht beklagen, dass ihr irgendetwas dringend fehlt. Oh ja doch, ein Problem gibt es, doch das betrifft das ganze Krankenhaus – es ist die nicht asphaltierte Zufahrt für den Krankentransport. Das ärgert Maryam zutiefst. Mehr noch als das übertriebene männliche Getue eines älteren Herrn, der sich von einer Frau partout nicht behandeln lassen will. Hier wird Mansours Blick kritischer, aber nicht kritisch genug. Denn ihr Film ist eine sanfte Komödie, die gar nicht so sehr irritieren will. Die das Öl fürs gesellschaftspolitische Feuer lieber zum Kochen verwenden lässt und das beobachtete Frauenbild für Saudi-Arabien von devot bis aufsässig sehr breit fächert.

Die junge Maryam gerät per Zufall in die Situation, für den Gemeinderat als weibliche Kandidatin aufgestellt zu werden. Das war mal überhaupt nicht der Plan, aber warum nicht? Frau könnte sich ja dadurch betreffend Krankenhauszufahrt mehr Gehör verschaffen. Gewinnen ist gar nicht ihre Intention. Nur keine falsche Bescheidenheit, sagen die anderen, die Schwestern und Freundinnen. Der Papa gewährt seinen Töchtern sowieso alle Freiheiten, er geht derweil musizieren. Traditionelle saudi-arabische Musik – das klingt wunderbar, und von diesen Vibrations bekommt man im Laufe des Films einiges ab. Fast ist es so, als hätten wir einen Film von Tony Gatlif am Start, der diesmal den fernen Orient vertont haben will. Mansour schlendert stets gemächlich von den Schauplätzen in der Wüste wieder zurück zu ihrer Heldin, die bald schon ihren Niqab ablegt, die immer offener auftritt, sich tatsächlich auch in einen Raum voll fremder Männer begibt, was sonst nicht die feine arabische Art wäre. Klar ist: Frauen werden immer noch belächelt, ernst nimmt sie kaum jemand. Manch anderer aber schon, und die könnten einen neuen Trend bestimmen, hätten sie so viel Mut wie Maryam.

Den Mut, den musste Haifaa Al Mansour nie finden – ihr Film ist nicht darauf aus, kraftvoll mit dem Fuß zu stampfen. Die Polit- und Gesellschaftskomödie ist von einer gefälligen Balance, die niemanden kompromittieren dürfte. Man könnte das auch kluge Vorsicht nennen, oder respektvoller Umgang mit noch so altertümlichen Ansichten und verknöcherten Weltbildern. Der Islam ist hier ein gänzlich moderater, spiritueller Teil eines Alltags, wirkt niemals wie etwas, dass einer Reform bedarf. Die Ansichten des Patriarchats schon, doch hier werden ganz augenzwinkernd maximal ein paar Seitenhiebe verteilt, die eher um- als verstimmen. Die ein gewisses Schmunzeln provozieren, vor allem bei einem Publikum, das dem saudischen „Battle of the Sexes“ ohnehin aufgeschlossener gegenübersteht. Mansour setzt Fingerspitzen ein, und bleibt dadurch vielleicht zu harmlos. Eine ähnliche kompromissvolle Inszenierung ob eines heiklen Themas lässt sich in dem österreichischen Film Womit haben wir das verdient? verorten. Auch hier wollte Eva Spreitzhofer längst keine Meinung skandieren, sondern behutsam, aber zögerlich kuriose Anomalien nicht nur der muslimischen Kultur sich selbst überlassen. Die perfekte Kandidatin überlegt Ähnliches – bleibt dabei sehr gemächlich, locker und, weil viele Umstände berücksichtigt werden wollen, auch recht ausgebremst.

Die perfekte Kandidatin

Battle of the Sexes

SPIEL UM GLEICHSTAND

8/10

 

battleofthesexes© 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

REGIE: JONATHAN DAYTON, VALERIE FARIS

MIT EMMA STONE, STEVE CARRELL, BILL PULLMANN, ANDREA RISEBOROUGH, ELISABETH SHUE U. A.

 

Fernsehsport ist eine weit verbreitete Leidenschaft, dessen bedeutende Daseinsberechtigung man leicht an der Programmplanung diverser TV-Sender herauslesen kann. Doch bis auf einige Ausnahmen ist es eine Freizeitbeschäftigung, die ich nur sehr bedingt teilen kann. Gar nicht einlassen kann ich mich auf Golf, Billard oder eben gar Tennis. Tennis ist einer jener Sportarten, die man, so finde ich, selbst spielen muss, um Gefallen daran zu finden. Als Giveaway aus der Flimmerkiste bleibt meist nur das ausufernde Gestöhne manch medientauglicher Sportskanonen prägend im Gedächtnis. Und die Sache mit Billie Jean King – da muss ich mich schon entschuldigen – das war vor meiner Zeit.

Denn hätte ich die Chance gehabt, den Battle of the Sexes zwischen dem weiblichen Tennisstar und dem legendären Bobby Briggs live zu erleben, hätte ich mich womöglich vor die Röhrenglotze gesetzt. Aber das kann ich auch nur sagen, nachdem mir Emma Stone und Steve Carrell mit dem filmtitelgebenden Geschlechterkampf eine kleine Sternstunde des gesellschaftspolitisch motivierten Sportfilms beschert haben. Der gleichermaßen aufregende wie zartfühlende Film von Jonathan Dayton und Valerie Faris erzählt das Medienereignis sowohl aus der Sicht der Tennisspielerin Billie Jean King als auch aus der Sicht der Medien-Rampensau Bobby Biggs, seines Zeichens Tennischampion im Ruhestand, der aber mit chauvinistischen Bemerkungen zur Stellung der Frau alles andere als sparsam umgeht. Da die 70er nach den ausklingenden 60ern immer noch für gesellschaftlichen Paradigmenwechsel sorgen, fügt sich der erstarkende Feminismus ideal in die von Revolutionsgedanken geprägten Atmosphäre ein – obsolete, verknöcherte Strukturen wie das Bild des alleinverdienenden Mannes und der Frau hinterm Herd sind zu dieser Zeit schon längst ein Affront gegen die Weiblichkeit. Und wenn dann noch Leute, die die Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen, der Frau die gleichen Rechte und Möglichkeiten absprechen, kann und soll das natürlich nicht unbeantwortet bleiben. Der Geschlechterkampf erreicht seinen brisanten Höhepunkt im von Millionen Zusehern verfolgten Gipfeltreffen am Tennisplatz.

Da hat sich Billie Jean King ordentlich was aufgehalst. Denn von ihrem Sieg hängt nicht nur die sich zu etablierende Tatsache ab, dass im Sport Frauen und Männer ebenbürtig sind – da geht’s um viel, viel mehr. Um die Festigung einer notwendigen Offensive gegen das Patriarchat. Um einen medienwirksamen Beweis, dass der Mann sich chronisch selbst überschätzt und Machtpositionen einfach nicht abgeben will. Ein Denkzettel für die höhnische Arroganz des männlichen, geltungsgeilen Establishments. Verlieren gibt’s also nicht, obwohl der Sieg mehr als fraglich bleibt.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich Battle of the Sexes so dermaßen mitreißt. Das liegt in erster Linie und wieder einmal an Emma Stones differenziertem Spiel. Einfach großartig, wie sie das macht. Zur Person Billie Jean King schafft Stone ein psychologisch differenziertes Portrait. Eine ehrgeizige, leidenschaftliche junge Frau. Resolut und widerspenstig. Aber auch, im ganz privaten Closeup, zerrissen und voller Zweifel. Mit Steve Carrell bekommt sie einen nicht weniger grandios aufspielenden Widersacher gegenübergestellt – der Komödiant und Charakterdarsteller sieht im Film nicht nur ganz so aus wie der echte Bobby Biggs – sein exaltiertes Verhalten zwischen manisch und leisetretend fängt Carrell so geschickt ein wie die Schmetterbälle seiner weiblichen Konkurrentinnen. Das Regie-Duo Dayton und Faris schaffen es mit viel Gespür für ein harmonisches Ganzes die einzelnen psychologischen und zwischenmenschlichen Aspekte der Geschichte mit den rekonstruierten Fernsehdokumenten aus den 70er- Jahren reibungs- und fugenlos zu verweben. Das Gespür für Timing gerät in Battle of the Sexes zum Kunststück.

Das verblüffend packende Tatsachendrama reiht sich in das neue Kino des Feminismus zu Werken wie Sufragette oder Hidden Figures wunderbar ein, und ist wie Ron Howard´s Meisterwerk Rush ein Sportfilm, der Genremuffel wie mich begeistert abholt. Battle of the Sexes gewinnt überraschend den Matchpoint, und das war im Vorfeld längst nicht so selbstverständlich wie das gebührende gleiche Recht für alle Frauen dieser Welt.

Battle of the Sexes